20. Sitzung vom 23. Februar 2018 – Haftbedingungen und vorzeitige Entlassung von „Piatto“

20. Sitzung vom 23. Februar 2018 – Haftbedingungen und vorzeitige Entlassung von „Piatto“

Dieser Artikel ist im Blog der Linksfraktion im Brandenburger Landtag als Bericht über die Ausschusssitzung erschienen. Die Berichte sind gemeinsam von den Referenten und den Abgeordneten der LINKEN im Ausschuss erarbeitet. 

Anything goes! Eine Episode aus dem „Wilden Osten“

In seiner 20. Sitzung beschäftigte sich der Untersuchungsausschuss weiter mit der Causa Carsten Szczepanski (V-Mann „Piatto“) und hier im Besonderen mit seiner Haftzeit in der JVA Brandenburg an der Havel von 1994 bis 1999. Als Zeugen wurden ein JVA-Leiter, ein JVA-Abteilungsleiter, ein Staatsanwalt, mehrere SozialarbeiterInnen, PsychiaterInnen und RichterInnen gehört. Die Vernehmungen drehten sich um die Organisation seiner V-Mann-Tätigkeit im Vollzug, die Abläufe, die zur vorzeitigen Haftentlassung 1999 führten und das Praktikum im Ladengeschäft der beiden „Blood & Honour“ Aktivisten Antje und Michael Probst in Limbach-Oberfrohna. Dabei wurde eine organisierte Verantwortungslosigkeit der Behörden an den Tag befördert, die mit gutem Gewissen als „Systemversagen“ bezeichnet werden kann. Während sich der Verfassungsschutz in „Stasi-Manier“ in den Vollzug des Gefangenen Szczepanski einmischte und ihn gezielt in die rechtsextremistische Szene bis nach Sachsen steuerte, sorgte die Führungsebene der JVA nicht nur für einen reibungslosen Ablauf der Kontakte zum V-Mann-Führer. Sie machte durch eine falsche Stellungnahme über sein angebliches Entwachsen aus der rechten Szene erst eine fehlerhafte psychiatrische Begutachtung und schließlich eine rechtlich falsche Entlassungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer im Dezember 1999 möglich.

Die Rolle des Verfassungsschutzes

Als „Gefangenenbefreiung“ bezeichnete unser Obmann Dr. Volkmar Schöneburg treffend die Vorgänge die zur vorzeitigen Haftentlassung des Neonazis Carsten Szczepanski aus der JVA Brandenburg an der Havel im Jahre 1999 führten.

Die mindestens als schwierig zu wertende Rolle des Brandenburger Verfassungsschutzes zeigte sich schon in den vorangegangenen Sitzungen. In der 20. Sitzung des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss wurde ein weiteres Beispiel der moralischen Indifferenz der Verfassungsschützer offenbar. Szczepanski hatte sich in der U-Haft 1994 dem Brandenburger Verfassungsschutz (Abteilung V des Innenministeriums) als Informant angedient. Dafür setzten sich seine V-Mann-Führer nun dafür ein, dass er noch im geschlossenen Strafvollzug am Fanzine „United Skins“ arbeiten konnte, er erhielt regelmäßig Zuwendungen, darunter eigens für ihn bestimmte Schreibmaschinenbänder. Später im Offenen Vollzug besaß er sogar einen eigenen Computer in seinem Haftraum. Auch für den Empfang von Leserbriefen, Zeitschriften (u.a. „Der weiße Wolf“) und CDs mit rechtsradikaler Musik wurde er begünstigt. Zudem wurde  eigens ein eingeweihter Beamter mit seiner „Postkontrolle“ betraut. Auch scheint die JVA “weggesehen“ zu haben, als er als Freigänger ein Praktikum im Laden „Sonnentanz“ von Antje und Michael Probst in Limbach-Oberfrohna machte, obwohl dies aufgrund der Entfernung von 250 km zur JVA und dem offensichtlichen Zweck des Ladens (Verkauf von Nazi-CDs und Devotionalien) geradezu absurd und zum sozialen Auftrag seiner Haft völlig widersprüchlich erscheinen musste.

Der erste Zeuge des Tages, Staatsanwalt Sternberg, wurde zur Einstellung des Verfahrens wegen Sprengstoffbesitzes gegen Szczepanski im Jahre 1994 befragt. Dabei erklärte er, das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt zu haben, da die gefundene Menge Ammoniumnitrat (90 Gramm) nicht ausgereicht hätte eine Bombe zu bauen und gleichzeitig das Verfahren wegen versuchten Mordes an Steve Erenhi gegen Szczepanski anhängig war. Allerdings sei er zweimal vom Justizministerium aufgefordert worden, das Verfahren wieder aufzunehmen. Dass sich die Vertreterin der Grünen im Ausschuss über die Einstellung aufregte und noch während der Ausschusssitzung eine Presseerklärung dazu veröffentlichte, in der ein mindestens fragwürdiger Bezug zum Attentat in Oklahoma City 1995 mit 168 Toten hergestellt wurde, verwunderte die anwesenden Abgeordneten der LINKEN sehr, denn dadurch wurden wichtigere Ergebnisse des Tages an den Rand gedrängt.

Zum Beispiel, wie fürsorglich sich die Geheimdienstler des VS um ihren Informanten kümmerten: V-Mann-Führer Meyer-Plath besuchte ihn allein 1995 24 Mal, der Beamte R.G., der als Sozialarbeiter „Borchardt“ legendiert war, 1996 und 97 weitere 17 Mal.

Auch gab Sternberg in seiner Eigenschaft als Staatsanwalt ausdrücklich zu Protokoll, dass er fassungslos gewesen sei, als er später erfuhr, dass eine solche Person wie Szczepanski als V-Mann geführt wurde. Die Anwerbung mag 1994 zwar juristisch möglich gewesen sein, allerdings war auch damals schon umstritten, ob es moralisch und politisch zu rechtfertigen ist neonazistische Straftäter als Informanten des Verfassungsschutzes anzuwerben. Unsere Position ist hier ein klares „Nein!“.

Systemversagen im Brandenburger Strafvollzug

Ohne Mithilfe von Verantwortlichen der JVA Brandenburg hätte der Verfassungsschutz Szczepanski kaum für seine Zwecke benutzen können. Immerhin war dieser wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Haft verurteilt worden und galt als gewalttätiger Neonazi. Bei der Vernehmung des stellvertretenden Leiters der JVA Kurt Eggebrecht stellte sich recht schnell heraus, dass – entgegen seiner Ausführungen in der Sitzung am 12.01.2018 – der Einfluss des Verfassungsschutzes auf die JVA immens war. Der Zeuge berichtete zögerlich von den Besuchen zweier Beamter des VS und wie diese sich für erleichterte Bedingungen für Szczepanski einsetzten. Dabei soll es aber nie Abweichungen von den Vollzugsregeln gegeben haben. Die den Abgeordneten vorliegenden Aktenvermerke erzählen jedoch eine andere Geschichte: So soll Eggebrecht selbst Dreh- und Angelpunkt bei der Führung des V-Mannes im geschlossenen Vollzug gewesen sein. Über ihn lief der Postverkehr zwischen V-Mann-Führer und Szczepanski. Damit konfrontiert, zog er sich auf Gedächtnislücken zurück. Er bestritt, dem Gefangenen Pakete des VS ausgehändigt zu haben. Es kann nach Aktenlage aber davon ausgegangen werden, dass der Verfassungsschutz das Postfach von Carsten Szczepanski leerte und ihm den Inhalt in die Haftanstalt lieferte. Szczepanski sichtete und kopierte „interessantes“ Material und übergab es wieder seinen als Sozialarbeiter legendierten V-Mann-Führern bei einem ihrer zahlreichen Besuche.

Eggebrecht war jedoch nicht der einzige für den VS hilfreiche Beamte in der JVA. Der ehemalige JVA-Leiter Richardt gab an, dass die Post an Szczepanski während einer zeitweiligen Verschärfung der Postkontrolle immer vom selben, eingeweihten Beamten kontrolliert wurde und Szczepanski somit weiterhin ungehindert kommunizieren konnte.

Die weiteren Zeugenvernehmungen zeichneten ein insgesamt erschütterndes Bild des Strafvollzugssystems in Brandenburg Mitte bis Ende der 1990er Jahre. Wesentliche Informationen wurden „abgeändert“ oder den Mitarbeitern komplett vorenthalten. So gab die Sozialarbeiterin G. an, zwar vom Praktikum Szczepanskis gewusst zu haben, jedoch nicht, dass der Laden in Limbach-Oberfrohna lag und von einschlägigen „Blood & Honour“ Aktivisten geführt wurde. Sie und weitere vernommene SozialarbeiterInnen schlossen aus, dass es ein solches Praktikum gegeben haben kann, da dies überhaupt nicht hätte genehmigt werden können. Auch konnte nicht aufgeklärt werden, weshalb entgegen der Vorschriften scheinbar kein Besuch seitens der JVA zur Überprüfung der Praktikumsstelle erfolgt ist. So muss bislang offen bleiben, welche Umstände zu diesem offensichtlich „faulen“ Praktikum führten, welches später fast täglichen Freigang für Szczepanski bedeutete.

Vor allem das Fehlen von Kontrollmechanismen sorgte bei den Ausschussmitgliedern für Kopfschütteln und führte zu einigen befremdeten Nachfragen an die ZeugInnen. Dass diese sich größtenteils nicht erinnern konnten oder wollten, konnte schließlich nicht verhüllen, dass eine schwache, nach der Wiedervereinigung noch im Aufbau befindliche Struktur des Strafvollzugs durch fehlendes Interesse und aktives Wegschauen der Verantwortlichen regelrecht ausgehebelt wurde.

Die Entscheidung zur Haftverschonung Szczepanskis 1999

Als letzte Zeugin des Tages wurde die Richterin der Strafvollstreckungskammer Ingendaay-Herrmann gehört, die die vorzeitige Haftentlassung von Szczepanski im Dezember 1999 bewilligte. Sie war sichtlich darüber erschüttert, wen sie damals aus der Haft entließ und erinnerte sich, zur Bewertung der Frage nur Gutachten der JVA, einen Arbeitsvertrag der Firma Probst und ein psychiatrisches Gutachten von 10 Seiten zur Vorlage bekommen zu haben. In letzterem wurde Szczepanski bescheinigt, sich langsam von seinen rechten KameradInnen zu lösen. Aus diesen Informationen habe sich für Richterin Ingendaay-Herrmann keine Anhaltspunkte für sein rechtextremes Engagement während der Haftzeit ergeben, obwohl es dieses unstreitig gab: Bei Haftraumkontrollen gefundenes Propagandamaterial führte zu einer vorübergehenden Verschärfung der Postkontrolle, Szczepanski schrieb weiter Hetzartikel und vertrieb so das Fanzine der Königs Wusterhausener „United Skins“ aus der Haft heraus (dafür nutzte er möglicherweise sogar die Gefängnisdruckerei), warb – wie wir aus der Befragung von Mitgefangenen in der vorangegangenen Sitzung wissen – in der Haftanstalt Gefangene für die HNG und bekam Besuch von einschlägigen Neonazis wie Henning Klinz, Ralf Luckow, Thomas Starke oder Sylvia Endres. Die JVA unterließ es absichtlich, die GutachterInnen, die im Auftrag des Gerichts das psychiatrische Gutachten erstellten, über diese Umstände zu informieren. Nach Angaben der GutachterInnen in ihrer Vernehmung vor dem Ausschuss wurde ihnen seitens der JVA nur ein Vollstreckungsheft vorgelegt, aus dem sich keine Hinweise ergaben, dass Szczepanski sich nicht von der Szene gelöst hatte.

Richterin Ingendaay-Herrmann verwies nach Hinweis von Dr. Schöneburg auch darauf, dass der Arbeitsvertrag mit der Firma Probst und sein Engagement für die NPD als klarer Verstoß gegen die Bewährungsauflagen zu werten gewesen wäre. Die Richterin erließ in ihrem Bewährungsbeschluss ausdrücklich das Verbot, Kontakt mit rechten Szeneangehörigen zu pflegen – ein Vorhaben das der Brandenburger Verfassungsschutz massiv untergrub, da er Szczepanski gezielt in die Szene steuerte.

Dieses Verhalten war nicht nur extrem anrüchig, soweit eine staatliche Behörde seelenruhig zusah, wie ein von der JVA getäuschtes Gericht einen Gefangenen entließ und ihn gleichzeitig für Naziaktivitäten entlohnte – es war ein klarer Bruch der einschlägigen Strafvollzugs- und Vollstreckungsgesetze, ganz zu Schweigen von weiteren Verstößen gegen § 86 a StGB soweit Szczepanski nach wie vor rechtsextreme Propaganda betrieb.

Dies ist auch keine bloße „Fehlleistung“ durch mangelnde Fehlerkultur bei den Verfassungsschützern sondern die willentliche Umgehung rechtsstaatlicher Strukturen für äußerst fragwürdige Interessen und Zwecke. Einen wegen Mordes verurteilten Neonazi unter Verletzung von Verfassungsprinzipien zu führen, ist aus unserer Sicht schließlich auch nicht geeignet um die Verfassung selbst zu schützen.