Anhörung im Sozialausschuss zur Novelle des Landesaufnahmegesetzes

Anhörung im Sozialausschuss zur Novelle des Landesaufnahmegesetzes

Bereits am vorigen Mittwoch fand die Anhörung zur Neufassung des Landesaufnahmegesetzes im Sozialausschuss statt. Bisher war ich nicht dazu gekommen, dazu ein paar Bemerkungen aus meiner Sicht zu machen. Dies sei nun nachgeholt. Es wird hier kein vollständiger Bericht sein, dazu war die Anhörung insgesamt zu komplex und dafür gibt es Protokolle. Ich will aber Stellung nehmen zu den politischen Knackpunkten, die in der Anhörung zu Tage getreten sind und die in der Presseberichterstattung danach aus meiner Sicher ein wenig zu kurz kamen.

Der Gesetzentwurf ist hier veröffentlicht.

Zuerst aber, was soll die Neufassung des Gesetzes aus LINKER Sicht bringen?

  1. Verbesserung der Standards bei der Betreuung und Versorgung von Geflüchteten
  2. Schaffung einer fallunabhängigen Struktur in der Migrationssozialarbeit
  3. Spitzabrechnung der Gesundheitskosten als Voraussetzung für die Einführung einer Gesundheitskarte
  4. Verbesserte Förderung der Wohnungsunterbringung
  5. besserer Schutz udn Betreuung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter
  6. verbesserte Finanzierung der Kosten von Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten für die Kommunen

Aus meiner Sicht werden all diese Ziele mit der Neufassung erreicht. Natürlich würde ich mir an einigen Stellen mehr wünschen, das ist gar nicht die Frage, aber politisch ist eben auch zu beachten, was aktuell personell und finanziell leistbar ist. Und da finde ich es sehr beachtlich, dass wir in Brandenburg, trotz der gestiegenen Flüchtlingszahlen und der mangelhaften finanziellen Beteiligung durch den Bund, diese Verbesserungen in Angriff nehmen.

 

Was waren die Streitpunkte in der Anhörung?

Die Hauptstreitlinie mit den kommunalen Spitzenverbänden verläuft im Bereich der Finanzierung.

Aktuell werden den Landkreisen und kreisfreien Städten die Kosten in Form einer Unterbringungspauschale in Höhe von 9.128 Euro pro Flüchtling und Jahr gezahlt. Darin enthalten sind die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die den Geflüchteten ausgezahlt werden, sowie die Kosten für die Unterbringung und die gesundheitliche Versorgung. Außerdem erhalten sie für jede Gemeinschaftsunterkunft eine Wachkostenpauschale von 6.900 Euro pro Monat. Zusätzlich erhalten die Kommunen pro neu geschaffenem Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft oder einem Wohnverbund 2.300 Euro als Investitionspauschale.

Die Landkreise und kreisfreien Städte signalisieren seit langem, dass sie diese Finanzierung für nicht ausreichend halten. Allein, sie weigern sich seit Jahren, die bei ihnen entstehenden Kosten gegenüber dem Land offen zu legen. Trotz mehrmaliger Bitten und Aufforderungen haben wir bis heute keine Übersicht, welche Kosten die Kommunen für diese Aufgabe wirklich haben. Und gleichzeitig signalisiert der eine oder andere Landrat im persönlichen Gespräch, dass die Finanzierung in seinem Landkreis ausreicht. Das macht eine Diskussion über die Höhe der Kostenerstattung natürlich nicht ganz leicht. Und auch in der Anhörung hat der Landkreistag wieder geblockt, als ich mehrmals nachgefragt habe, ob die Landkreise denn nun endlich bereit sind, ihre Zahlen auf den Tisch zu legen. Stattdessen wurde wieder behauptet, die Finanzierung wäre auch künftig nicht ausreichend.

Argumentiert wurde bspw. damit, dass das Land gegenüber dem Bund argumentiert habe, ein Geflüchteter verursache 12.000 Euro an Kosten, während den Landkreisen und kreisfreien Städten jedoch nur etwas über 9.000 Euro erstattet würden. Der Landkreistag unterschlägt hier wissentlich, dass dem Land weitere Kosten bspw. durch die Erstaufnahmeeinrichtungen entstehen, die in den bezifferten Kosten gegenüber dem Bund natürlich mit eingerechnet sind. Die Presse hat diese Sichtweise unreflektiert übernommen und offen gestanden habe ich mich darüber ziemlich geärgert.

Im Gesetzentwurf ist eine Evaluationsklausel eingebaut, das heißt, die tatsächlich entstandenen Kosten werden nach einiger Zeit überprüft und die Erstattungspauschalen dann entsprechend der Ergebnisse angepasst. Dies geht aber natürlich nur, wenn die Kosten auch tatsächlich bekannt sind, weshalb im Gesetzentwurf Nachweispflichten bzw. Abrechnungspflichten hinterlegt sind. Dies wird jedoch von den kommunalen Spitzenverbänden als „Bürokratiemonster“ gegeißelt. Da, wie dargelegt, die Landkreise und kreisfreien Städte jedoch nicht bereit sind, ihre Kosten offen zu legen, braucht es diese Festlegungen, um eine Evaluierung durchführen zu können.

Gleichzeitig ist in der öffentlichen Reflektion der Anhörung leider nicht berücksichtigt worden, dass die Erstattung durch das Land mit dem neuen Gesetz verbessert wird:

  1. Die Gesundheitskosten werden vollständig vom Land gezahlt. Bisher waren diese in der Unterbringungspauschale enthalten. Dies stellte ein finanzielles Risiko dar, da eine teure Behandlung, wie sie bspw. bei Krebs vorkommt, durch die Pauschale bei Weitem nicht gedeckt wird. Durch die Übernahme der Kosten durch das Land wird dieses Risiko beseitigt.
  2. Die Unterbringungspauschale wird neu geregelt. Hier werden die Gesundheitskosten herausgerechnet (da ja vollständig vom Land übernommen, siehe 1.) und gleichzeitig werden die regionalen Besonderheiten bei den Kosten für die Unterkunft berücksichtigt. Die Unterbringungspauschale in Gemeinschaftsunterkünften enthält dabei auch Personalkosten für Hausmeister und Heimleiter, während diese Kosten bei der Unterbringung in Wohnungen nicht enthalten sind (weil dieses Personal dabei nicht benötigt wird). Dennoch ist die Pauschale für Wohnungsunterbringung in den meisten Landkreisen und kreisfreien Städten höher als bei der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, da sich diese Pauschale an den Kosten der Unterkunft orientiert.
  3. Die Wachkostenpauschale wird auf ca. 9.400 Euro angehoben, womit den gesteigerten Personalkosten in diesem Bereich Rechnung getragen wird.
  4. Die Investitionspauschale wird künftig nicht nur für geschaffene Plätze in Gemeinschaftsunterkünften und Wohnverbünden sondern auch für Plätze in Wohnungen gezahlt. Dadurch wird eine Fehlsteuerung des bisherigen Gesetzes beseitigt.
  5. Berücksichtigt sind zudem sogenannte Konnexitätskosten, das sind Kosten, die den Kommunen bei der Umsetzung der übertragenen Aufgabe in der Verwaltung entstehen. Auch dies stellt eine deutliche Verbesserung im Vergleich zur bisherigen Finanzierung dar.

Da die Investitionspauschale ebenfalls immer wieder in der Kritik steht, hierzu einige Klarstellungen: Die Investitionspauschale kann und wird nicht die Investitionskosten beim Neubau von Unterkünften ersetzen. Vielmehr ist sie ein Zuschuss für die Einrichtung neuer Plätze. Baut bspw. ein Landkreis eine Gemeinschaftsunterkunft, so erhält er die Investitionspauschale ebenso wie bei der Anmietung eines bestehenden Objektes. Für die Refinanzierung der Baukosten oder eben der Miete steht die Unterbringungspauschale zur Verfügung, in die ja auch laufende Kosten für die Unterbringung eingerechnet sind. Dies mag ein Modell sein, das auch Schwächen hat, bspw. wenn Plätze in den Gemeinschaftsunterkünften nicht besetzt sind. Gleichzeitig motiviert es aber auch, nachhaltig zu bauen. Bauten, die eine mögliche Nachnutzung bspw. als Einrichtungen zur Pflege oder zu altengerechtem Wohnen von vornherein berücksichtigen, sind ggf. etwas teurer, wenn man sie aber bereits jetzt so baut, schafft der Landkreis oder die kreisfreie Stadt jetzt Werte, die dauerhaft der Allgemeinheit dienen können.

Mir ist bewusst, dass die Situation im vergangenen Jahr, wo sehr schnell sehr viele Plätze für die Flüchtlingsunterbringung geschaffen werden mussten, dazu geführt hat, dass solche nachhaltigen Modelle nicht befördert haben, schlicht weil die Zeit fehlte. Mir ist auch bewusst, dass die Landkreise und kreisfreien Städte wegen des starken Drucks auch Verträge eingehen oder auch Neubauten beschließen mussten, die überteuert sind. Und langfristige Bindungen, die eingegangen werden mussten, stellen ein hohes Haushaltsrisiko dar und die Abschreibungen für die hohen Investitionskosten können eine Haushaltsschieflage bis hin zur Haushaltssicherung bedeuten. Diese Sondersituation muss im Sinne eines fairen Lastenausgleichs zwischen Land und Kommunen auch (teilweise) durch das Land abgefedert werden und dafür werden wir Lösungen finden müssen. Diese können jedoch nicht über das Landesaufnahmegesetz gefunden werden, weil es sich hierbei um besondere Probleme aufgrund der besonderen Situation im vergangenen Jahr handelt.

 

Eine weitere Verbesserung für die Kommunen stellt die Neuordnung der Migrationssozialarbeit dar. Hier wurde bisher durch das Land ein Betreuungsschlüssel von 1:120 finanziert, das heißt, für 120 Geflüchtete wurde ein Sozialarbeiter erstattet. Dies wird nun dahingehend verbessert, dass der Betreuungsschlüssel auf 1:80 und im zweiten Schritt auf 1:70 gesenkt wird. Und zusätzlich wird ein fallunabhängiges fachspezifisches und koordinierendes Netz der Migrationssozialarbeit geschaffen. Das bedeutet praktisch, dass landesweit 54 Stellen geschaffen werden, die – egal wie viele Geflüchtete nach Brandenburg kommen – auf die Kommunen entsprechend ihres Anteils an der landesweiten Verteilung der Geflüchteten finanziert werden. Diese sollen durch die jeweiligen Kommunen definierte Aufgaben, bspw. im Bereich der Ehrenamtskoordination, der Erkennung und Bearbeitung besonderer Schutzbedarfe, der Sozialberatung usw. absichern.

Hier ergab sich in der Anhörung ein weiterer Dissens. Während die kommunalen Spitzenverbände die Planung ablehnten, dass diese Stellen an fachlich geeignete Dritte (also Vereine und Verbände bzw. Träger) geben sollen (sie wollten eine Kann-Formulierung), haben die Wohlfahrtsverbände darauf gedrungen, dass hier auf jeden Fall Unabhängigkeit von den Verwaltungen gesichert werden muss, weshalb sie forderten, dass diese Stellen außerhalb der Verwaltung angesiedelt sein müssen. An dieser Stelle wurde aus meiner Sicht besonders deutlich, wie unterschiedlich die Interessen der einzelnen Akteure sind.

Wichtig ist jedoch, dass diese zusätzlichen Stellen eine deutliche Verbesserung für die Aufgabenträger darstellen, können sie doch entsprechend der Bedürfnisse vor Ort bspw. die Betreuung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter, die psychosoziale Betreuung, die Beratung oder auch die Ehrenamtlichenkoordination besser organisieren.

 

In der Anhörung spielten aber neben der Finanzierung weitere Punkte eine Rolle:

  1. Durchgriffsrecht der Landkreise auf die Städte und Gemeinden
    Hier geht es darum, dass Städte und Gemeinden den Landkreisen bei Bedarf geeignete Liegenschaften für die Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung stellen sollen. Der Städte- und Gemeindebund kritisierte dies, während die Landkreise sich weitergehende Regelungen wünschten. Aus meiner Sicht ist die aktuelle Formulierung im Gesetzentwurf ausreichend, da sie einen gesunden Kompromiss zwischen den Interessen der Städte und Gemeinden und der Landkreise darstellt.
  2. Gesundheitskosten und Gesundheitskarte
    Die Gesundheitskarte ist nicht im Gesetzentwurf geregelt, da diese durch eine Vereinbarung von Land und Krankenkassen, der die Kommunen beitreten sönnen (und hoffentlich auch werden), eingeführt werden soll. Dennoch spielte diese in der Anhörung eine Rolle, da die Voraussetzung für die Einführung durch die vollständige Übernahme der entstehenden Gesundheitskosten durch das Land mit der Gesetzesnovelle geschaffen wird. Politisches Ziel ist es, dass Asylsuchende nicht mehr wie bisher jeden Arztbesuch und jedes Medikament vom Sozialamt bestätigen lassen müssen sondern sie mit der Gesundheitskartei beim Arzt die im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschriebenen Gesundheitsleistungen erhalten können. Dies verlagert einerseits die Entscheidung, ob jemand eine Behandlung bekommt von nichtmedizinischem Verwaltungspersonal zum Arzt (also dahin, wo diese Entscheidung auch hin gehört), spart den Asylsuchenden damit Wege zum Amt und verringert gleichzeitig den Verwaltungsaufwand.
    Kritisiert wurde nun seitens der kommunalen Spitzenverbände, dass sie an den Verhandlungen des Landes mit den Krankenkassen nicht beteiligt seien (was schlicht nicht stimmt, meines Wissens sitzen sie bei jedem Gespräch dabei und haben auch den Vereinbarungsentwurf zur Stellungnahme erhalten) und  gleichzeitig einem Missbrauch Tür und Tor geöffnet würde, da die Karten nicht zu sperren sind. Dies ist mit dem vorhandenen System tatsächlich nicht möglich, da eine Deaktivierung nur dann funktionieren würde, wenn es ein Online-System gäbe, das in jeder Arztpraxis vorhanden ist und das Sperrungen übertragen würde (wie bspw. bei Bankkarten). Dieses System gibt es jedoch aktuell nicht. Dem Problem des möglichen Missbrauchs soll jedoch durch eine zeitliche Befristung der Karten begegnet werden.
    Ein weiteres Problem wurde in dem Zusammenhang thematisiert: Das der Abrechnung. Es ist geplant, dass der Arzt mit der Krankenkasse abrechnet, diese die Kosten durch den Landkreis als Aufgabenträger erstattet bekommt und dieser wiederum dem Land die Kosten in Rechnung stellt. Dies stellt auf den ersten Blick tatsächlich ein recht kompliziertes System dar. Rechtssystematisch ist es jedoch schwierig, die Kommunen hier raus zu nehmen und direkt mit dem Land abzurechnen, da die Landkreise und kreisfreien Städte in diesem Fall die Aufgabenträger sind.
  3. Förderung der Wohnungsunterbringung
    Vor allem der Flüchtlingsrat machte in der Anhörung deutlich, dass eine Verbesserung der Quote der in Wohnungen untergebrachten Geflüchteten nötig ist. Dem stimme ich grundsätzlich zu, will aber an der Stelle zumindest erwähnen, dass in allen Landkreisen und kreisfreien Städten im vergangenen Jahr die Zahl der in Wohnungen untergebrachten Geflüchteten deutlich gestiegen ist. Aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen ist die Zahl der Plätze in Wohnungen jedoch nicht so stark gewachsen wie die Zahl der Plätze in Gemeinschaftsunterkünften. Deshalb ist es richtig, Wohnungsunterbringung stärker als bisher zu fördern. Dem trägt der Gesetzentwurf Rechnung, indem einerseits die Investitionspauschale (wie oben ausgeführt) auch für die Schaffung von Plätzen in Wohnungen gezahlt wird und gleichzeitig eine höhere Erstattung mit der Unterbringungspauschale für Geflüchtete in Wohnungen erfolgt.
    In einer Vorfassung des Gesetzentwurfs gab es eine Formulierung, die besagte, dass Geflüchtete maximal ein Jahr in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden sollen. Auf Druck der kommunalen Spitzenverbände wurde diese Formulierung gestrichen, was ich persönlich bedaure aber an dieser Stelle einen Interessenausgleich mit den Landkreisen und kreisfreien Städten darstellt. Selbiges gilt übrigens für die Formulierung, dass Geflüchtete so untergebracht werden sollen, dass ihnen gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht wird. Dies schließt Unterkünfte im Wald ohne Anbindung an den ÖPNV aus, ist jedoch gleichzeitig nicht so weitgehend, wie ursprünglich formuliert (in einem Vorentwurf war von der Unterbringung in städtebaulich integrierten Lagen die Rede).
  4. Weitere Themen
    Weitere Themen waren bspw. Fragen der Feststellung besonderer Schutzbedürftigkeit (dies versucht der Gesetzentwurf durch die Schaffung der Stellen in der Migrationssozialarbeit aufzunehmen, dies reicht aber vermutlich nicht aus) oder die Förderung des Auszugs aus Gemeinschaftsunterkünften in Wohnungen (hier prüfen wir gerade noch, ob wir eine Lösung finden, die im Gesetz festgeschrieben werden kann). Und es wurde eine Formulierung zum Datenschutz kritisiert, in der von der Erfassung „rassischer“ Merkmale die Rede ist. Wir sind einig, dass diese Formulierung aus dem Gesetz verschwinden muss.

 

Die hier angesprochenen Punkte werden sicher in den kommenden Wochen weiter diskutiert werden. Dabei ist nicht viel Zeit, da die Verabschiedung des Gesetzentwurfs bereits im März erfolgen soll, um ein Inkrafttreten zum 1. April zu gewährleisten.