Bericht Nr. 3 aus Genf: Druck von allen Seiten: Die Basis will raus, internationale Partner vermitteln „Durchhalten“

Bericht Nr. 3 aus Genf: Druck von allen Seiten: Die Basis will raus, internationale Partner vermitteln „Durchhalten“

Claudia Fortunato (Linksjugend [’solid] Brandenburg und Mitstreiterin in der Flüchtlingspolitik), berichtet aus Genf, wo in Kürze die Friedensverhandlungen zum Syrien-Konflikt beginnen. Claudia begleitet während den Verhandlungen einen Teil der syrischen Opposition, den Kurdischen Nationalrat. Hier dokumentiere ich ihren dritten Bericht.

Von links nach rechts: Dilshad Milla, Fuad Aliko (KNR-Repräsentant in der Verhandlungsdelegation), Dr. Abdulhakim Bachar (KNR-Mitglied im HNC), Alan Hassaf, Narin Bajjo.

Von links nach rechts: Dilshad Milla, Fuad Aliko (KNR-Repräsentant in der Verhandlungsdelegation), Dr. Abdulhakim Bachar (KNR-Mitglied im HNC), Alan Hassaf, Narin Bajjo.

Unruhe erfasste die internationale Presse seit dem Abend des 18.April, als Staffan de Mistura sichtlich um die Klarheit seiner Worte bemüht bekannt gab, dass die Opposition ihn um die Unterbrechung der dritten Runde der offiziellen Verhandlungen im Palais des Nations gebeten hat. Der Grund dafür – jede*r konnte es in den letzten Wochen den Medien entnehmen – sind die Brüche der Waffenruhe, die Hunderte zivile Opfer fordern und zum ganz überwiegenden Teil vom Assad Regime ausgehen. In 50 Tagen „Waffenruhe“ hat das Regime über 2000 Angriffe verübt, immer noch sind Millionen Menschen in belagerten Gegenden von humanitärer Hilfe abgeschnitten. Wie sollte eine Oppositionsdelegation über einen politischen Übergang verhandeln, während das Regime weiter mordet? Der Druck ist groß von allen Seiten. Aus Syrien mehren sich die Einschätzungen, die Verhandlungen hätten bisher nichts erreicht, außer Assad das Feld zu überlassen. Auf der anderen Seite machen die Staaten der ISSG klar, dass die Genfer Gespräche an sich schon ein Fortschritt sind, aber auch ein Prozess, der Zeit, Geduld und Mühe braucht.

In ähnlichen Diskussionen wie das gesamte Hohe Verhandlungskomitee befindet sich auch der Kurdische Nationalrat, die kurdische Vertretung innerhalb der syrischen Opposition. Besonders als die Kämpfe in Sheikh Maqsoud, einem hauptsächlich kurdischen Viertel in Aleppo, zwischen Rebellengruppen und der YPG aufflammten, stieg der Druck von der Basis auf den KNR aus den Verhandlungen auszusteigen. Zweifelsohne wären die Auswirkungen eines Ausstiegs fatal für den Fortgang der Gespräche, ist doch der KNR eine der wenigen, wenn nicht die einzige Stimme im Hohen Verhandlungskomitee, die dafür kämpft, dass der syrische Staat nach Assad kein islamischer wird und alle ethnischen und religiösen Gruppen gleichberechtigt in ihm leben können. Eine mögliche Vision des KNR, die auch international diskutiert wird, wäre eine föderale Struktur mit politischen Entscheidungskompetenzen auf lokaler/regionaler Ebene, denn die Ängste sind groß und berechtigt auf allen Seiten, dass ein Zentralstaat zu einer neuen Diktatur führen wird. Doch bis konkrete Ideen zur Neuordnung Syriens in Genf auf den Tisch kommen, wird noch einige Zeit verstreichen. Der Fokus der Opposition bis dahin ist klar: Assad ist Teil des Problems und kann deswegen nicht Teil der Lösung sein. Das Morden muss aufhören. Die Bevölkerung braucht Nahrung und medizinische Versorgung. Die politischen Gefangenen müssen freigelassen werden.

Von außen betrachtet, wirkt es selbstverständlich, dass der KNR sich diesen Forderungen anschließt und Teil der Opposition ist. Direkt vor Ort kann ich nur meinen Respekt für Dr. Abdulhakim Bashar und Fuad Aliko, die offiziellen Vertreter des KNR im HNC und der Verhandlungsdelegation, zum Ausdruck bringen, die als einzige Kurden in einer Oppositionskoalition diskutieren müssen, die mehrheitlich nicht annähernd emanzipatorische Forderungen vertritt oder die Gleichberechtigung von Kurd*innen anerkennt. Arabischer Chauvinismus ebenso wie Islamismus tritt hier zutage. Ich zweifle nicht daran, dass der eine oder die andere davon träumt, dass die eigene Gruppe an Assads Stelle diktieren wird. Trotzdem arbeiten die kurdischen Vertreter nicht nur hier in Genf jeden Tag daran innerhalb dieser Opposition und der internationalen Gemeinschaft Mehrheiten für eine tatsächlich demokratische Friedenslösung für alle Bevölkerungsteile Syriens zu gewinnen. Dabei verfügt der KNR – im Gegensatz zu den meisten anderen in den Syrienkonflikt involvierten Gruppen – weder über nennenswerte finanzielle Mittel noch über eine eigene Miliz. Die Waffen des Kurdischen Nationalrats bleiben das Wort, persönliche Einsatzbereitschaft und die Vision von einem freieren Leben für alle.