Bericht zur 24. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschuss am 20.4.2018

Bericht zur 24. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschuss am 20.4.2018

Dieser Artikel ist im Blog der Linksfraktion im Brandenburger Landtag als Sitzungsbericht aus Sicht der LINKEN Fraktion erschienen. Die Texte sind gemeinsam von den Referenten und den Abgeordneten der LINKEN im Ausschuss erarbeitet und sollen natürlich hier nicht vorenthalten werden.

 

Bericht 24. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschuss am 20.4.2018

Am 20. April 2018 absolvierten die Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschuss des Potsdamer Landtags eine weitere Marathonsitzung. In insgesamt elfstündiger Sitzung wurden drei Zeugen vernommen: Peter Giebler, ehemaliger Referatsleiter des Brandenburger Verfassungsschutz, der heutige Präsident des LfV Sachsen, Gordian Meyer-Plath, welcher in den 1990er Jahren im hiesigen Verfassungsschutz sowohl als Referent der Auswertung als auch bei der Beschaffung eingesetzt war, bevor er in den 2000er Jahren zum Referatsleiter der Auswertungsabteilung aufstieg, und R.G., der langjährige V-Mann-Führer Carsten Szczepanskis.

Peter Giebler: Referatsleiter a.D.

Peter Giebler wurde nach seiner Vernehmung in der 12. Sitzung des NSU-UA am 7. September 2017 zum zweiten Mal vor den Ausschuss geladen. In seiner ehemaligen Funktion als Referatsleiter der Beschaffungsabteilung des Brandenburger Verfassungsschutzes, war er sowohl mit dem Komplex „Nationale Bewegung“ als auch mit der Quelle „Piatto“ befasst.

Der Zeuge Giebler, Empfänger einer Pension der Besoldungsgruppe A 15, erschien diesmal in Begleitung des ehemaligen Aktenzeichen-XY-Moderators und Rechtsanwalts Butz Peters und begann mit larmoyanten Ausführungen über sein eigenes Schicksal. Ihm gingen dienstliche Angelegenheiten heute daher „weit am Rücken vorbei“.

Abgeschaltet von „ganz oben“

In Gieblers Dienstzeit fällt die Abschaltung und spätere Enttarnung der Quelle „Piatto“ im Frühsommer 2000. Er nahm zusammen mit V-Mann-Führer R.G. an zwei Treffen mit Szczepanski teil. Allerdings gab Giebler trotz Vorlage eines Fotos vor, sich nicht mehr persönlich an Szczepanski erinnern können. Beim ersten Treffen am 20. Juni 2000 sei diesem nach Aktenlage angekündigt worden, die Zusammenarbeit mit dem VS auszusetzen. Zehn Tage später unterschrieb Szczepanski – laut Giebler kommentarlos – eine Beendigungserklärung. Die Abschaltung müsse damals auf „höherer politischer Ebene“ beschlossen worden sein, also beim „Staatssekretär oder Minister“.

Am 09. Juni 2000 sei der Referatsleiter Auswertung, Jörg Milbradt, am Rande einer Veranstaltung überraschend vom Referatsleiter2 des BfV auf eine bevorstehende Abschaltung „Piattos“ angesprochen worden, was auch Giebler ungewöhnlich fand. Szczepanski wurde erst vier Tage später vom festgenommenen Berliner Neonazi Nick Greger – die Hinweise zu dessen Ergreifung stammten von „Piatto“ selbst – vorgeworfen, ihn zum Bau einer Bombe angestiftet zu haben, weswegen Staatssekretär Lancelle (CDU) dann am 19. Juni 2000 die Aussetzung der V-Manntätigkeit verfügt habe. Dies sei aus Sicht Gieblers eine „notwendige Entscheidung der Hausleitung“ gewesen und wurde seines Wissens in der Abteilung nur zur Kenntnis genommen und nicht diskutiert.

Allerdings sei Szczepanski nicht ganz „ins Nichts“ entlassen worden. Ihm seien Wege aufgezeigt worden, wie er auch in Zukunft bei „wichtigen Fragen“ mit dem Verfassungsschutz Kontakt aufnehmen könne.

Alles neu: Im Betriebsklima alles paletti!

Für große Überraschung sorgten Gieblers Antworten bezüglich der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes: Das Betriebsklima sei gut und der Kontakt unter den Mitarbeitern harmonisch und professionell gewesen. Das klang bei seiner Befragung in der 12. Sitzung noch völlig anders. Damals klagte der Zeuge durchgängig, wie übel ihm andere Mitarbeiter, allen voran R.G. und Abteilungsleiter Wegesin, mitgespielt hätten. Er sei damals nur eine Figur gewesen wäre, hinter der Andere die Strippen gezogen hätten.

Unsere Abgeordneten vermuten daher, dass Giebler nach seiner eigenwilligen „Performance“ in der ersten Vernehmung diesmal nicht nur durch Aktenvorlage vorbereitet, sondern auch persönlich „gebrieft“ wurde. Eine direkte Nachfrage unserer Abgeordneten Isabelle Vandre beantwortete er zwar gegenteilig, jedoch klang sein „Äh, nein.“ verstellt und daher wenig überzeugend. Der Antrag auf Vereidigung des Zeugen war für unsere Abgeordneten bereits an dieser Stelle beschlossene Sache.

Für einige Heiterkeit bei den Zuschauern sorgte der Vertreter des Innenministeriums im Ausschuss, als er die Frage unserer Abgeordneten Andrea Johlige nach Bildern in den Dienstzimmern der Mitarbeiter – vor allem in Bezug auf das des V-Mann-Führers R.G. –   beanstandete. Der Vertreter wandte ein, dass die nächste Frage [SIC!] womöglich Inhalte betreffen werde, die in geheimer Sitzung in Erfahrung gebracht werden müssten. Giebler verneinte jedoch, bei den Einrichtungen der Dienstzimmer irgendwelche Besonderheiten wahrgenommen zu haben.

Die Vernehmung des Zeugen zur eigentlichen Untersuchungsmaterie war fruchtlos. Das lag aus unserer Sicht im Wesentlichen an der Haltung des Zeugen selbst. Vom weinerlichen Opfer fremder Machenschaften des vergangenen Jahres wandelte sich Giebler diesmal in einen angriffslustigen Gegenfragesteller. Er provozierte mit Gesten und geizte nicht mit missfälligen Statements über den Sinn seiner Befragung durch die Ausschussmitglieder. Er empfände diese insgesamt als „etwas müßig“. Er zeigte sogar der Grünen-Abgeordneten Ursula Nonnemacher einen „Vogel“, was er später wieder dementierte. Der unfassbare Tiefpunkt seiner Äußerungen: „Ich weiß nicht, was sie hier aufklären wollen!?“.

Dass ein hochbezahlter Staatsbeamter in dieser Weise seine Zeugenpflicht wahrnimmt, wenn es gilt, die Umstände einer politischen Mordserie aufzuklären, erschien allen Abgeordneten skandalös. Mehrere äußerten deutlich ihre Missbilligung. Am Ende seiner Vernehmung wurde der ehemalige Referatsleiter vereidigt.

Gordian Meyer-Plath: Sächsischer Verfassungsschutzpräsident und Ausschussroutinier

Zunächst möchten wir Gordian Meyer-Plath herzlich als Leser unseres Ausschussblogs willkommen heißen! Gewisse Antworten auf Vorhalte und Fragen unserer Abgeordneten Isabelle Vandre lassen den Schluss zu, dass er und seine Kollegen hier emsig mitlesen. Auch wenn er leider keine neuen Tatsachen zu unserer Untersuchung beisteuern konnte oder wollte, ehrt uns natürlich das Interesse. Doch dazu später mehr.

Gordian Meyer-Plath erschien uns als der Prototyp eines eloquenten Zeugen, der keine konkreten Tatsachen preisgibt, sondern allenfalls verallgemeinerte Zusammenhänge. Freundlich schüttelte er selbst die Hand seiner größten KritikerInnen, wie etwa die der Abgeordneten Nonnemacher (B90/Grüne) und ihres Referenten. Gerade zu Beginn erschienen seine sanfte Stimmlage und die freundliche Mimik nahezu undurchdringlich, was sich im Laufe der Vernehmung ändern sollte.

Meyer-Plath absolvierte bei uns seine bereits vierte Vernehmung vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, hinzu kommt noch seine Aussage beim NSU-Prozess vor dem OLG München. Vieles von dem, was er dem Brandenburger Ausschuss erzählte, hat er schon an anderer Stelle erwähnt. Wir wollen uns daher in der Besprechung seiner Vernehmung weitgehend auf neue Details und Entwicklungen beschränken.

Der Zeuge arbeitete ab 1994 in der Abteilung Auswertung des Brandenburger Verfassungsschutzes und wechselte ab 1996 ins Beschaffungsreferat, da dieses „notleidend“ war. Ab Herbst 1998 arbeitete er – offiziell beurlaubt – als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Katharina Reiche (CDU), kehrte 2001 zurück und wurde direkt zum Referatsleiter Auswertung befördert. Im Zeitraum von 1994 bis 1998 war er somit auch mit der Quelle „Piatto“ befasst, erst als Auswerter seiner Briefe und Fanzines, später als zweiter V-Mann-Führer neben R.G..

Ein neues Zeitalter für den Brandenburger Verfassungsschutz: Die menschliche Quelle „Piatto“

Meyer-Plath erklärte routiniert, dass durch Szczepanskis Anwerbung für die Auswerter im Verfassungsschutz „ein neues Zeitalter“ anbrach. Durch dessen Vernetzung und die von ihm herausgegebenen Fanzines „Feuerkreuz“ und „United Skins“, seien viele Informationen über die regionale und überregionale Skinheadszene gewonnen worden.

Viele Dokumente, die Szczepanski aus der Haft heraus ablieferte, kamen im Original zum VS und mussten unter hohem Zeitdruck ausgewertet werden, da beispielsweise erhaltene Briefe wieder durch Szczepanski beantwortet werden mussten. Wie genau die Anwerbung in der U-Haft aber auch die reine Beschaffungslogistik funktionierte, konnte oder wollte Meyer-Plath indes nicht sagen. Dass sei Sache der Beschaffung gewesen.

In früheren Ausschusssitzungen klang bei einigen Zeugen an, dass das Verhältnis zwischen V-Mann-Führer R.G. und Szczepanski viel zu eng gewesen sei und dass Szczepanski eher seinen V-Mann-Führer führte als dieser ihn. Meyer-Plath zufolge sei das Verhältnis jedoch „professionell“ gewesen. Man habe sich geduzt, gegenseitig respektiert und auch mal zusammen gelacht. Die vielfach als „Fahrdienst“ geschmähte Betreuung des inhaftierten Szczepanski sei aus sicherheitsoperativen Gründen erfolgt, weil er nur so die Termine mit Familie und rechter Szene neben einer Abschöpfung geschafft werden konnten. Das sei eine regelrechte „Druckbetankung“ gewesen. „Piatto“ sei auch immer spontan „gesteuert“ worden. Es mussten Entscheidungen zum Szeneagieren getroffen werden. Warum Szczepanski nie förmlich verpflichtet worden sei, wisse er nicht. Eine Nichtverpflichtung hätte aber ebenfalls dokumentiert werden müssen.

Auf Vorhalt, dass Szczepanski seine Briefe an R.G. mit rechten Slogans wie „88 Mal das Beste!“ unterzeichnete, gab Meyer-Plath das Stichwort „ironische Distanz“. Es habe zwischen ihm und R.G. eben „menschlich funktioniert“, was als Erfolg der Informationsgewinnung zu werten sei.

Distanz, Nähe und Professionalität

Er selbst habe sich auch „in einem Raum mit ihm nicht unangenehm gefühlt“. „Piatto“ wäre bereit gewesen, der Szene durch seine Informantentätigkeit zu schaden und habe sich dadurch eine gewisse Distanz aufgebaut. Als Beleg dafür führte Meyer-Plath auch Szczepanskis Begeisterung für den Londoner Fußballverein „Chelsea FC“ an, welchen er als weltoffenen Verein darzustellen versuchte, der als „Judenklub“ und „homosexuellenfreundlich“ gelte – der erste grobe Schnitzer, den sich der Zeuge leistete, offenbar hatte er improvisiert.

Isabelle Vandre und Andrea Johlige griffen dies an: Weite Teile der Anhängerschaft von Chelsea vertraten in den 1990er Jahren das genaue Gegenteil des von Meyer-Plath Angegebenen – nämlich antisemitisches, rassistisches Neonazitum. Die Chelsea Hooligans der Gruppe „Headhunters“ zum Beispiel waren als notorische Rechtsextremisten bekannt, mit besten Verbindungen zum radikalen Flügel von „Combat 18“ um Charlie Sargent. Auch ins National Socialist Movement waren viele von ihnen eingebunden. Da Szczepanski schon in den 1980er Jahren Teil der rechten Hertha-Hooligangruppe „Zyklon B“ war, kann hierin nur eine Kontinuität seines Denkens und keine Distanzierung erkannt werden.

Der Zeuge war schlau genug, seine Äußerung nicht weiter zu verteidigen, ließ aber mehr und mehr das harte Denken eines Geheimdienstlers erkennen. Konfrontiert mit Einzelheiten seiner V-Mannführung oder der seines Kollegen R.G. antwortete er nur allgemein, nie konkret. Zum von R.G. „betreuten“ Postfach über das bei Szczepanski C18-Propaganda, das „U.S.“-Magazin und Weiteres  bestellt werden konnten, hatte er keine konkreten Erinnerungen mehr, dabei musste er bereits in seiner Zeit als Auswerter mit diesem „Quantensprung“ an Material befasst gewesen sein. Befragt zur Fanzine-Herstellung in der JVA oder zur Übergabe von Handys – Fehlanzeige, der Zeuge erinnerte sich an nichts Genaues.

Ihm wurde ein Vermerk aus März 1998 vorgehalten, indem der Szeneaktivistin Antje Probst eine Äußerung zugeschrieben wird, wonach die Chemnitzer Naziszene derart mit dem Sächsischen Verfassungsschutz zusammenarbeite, dass hierdurch die Aktivitäten des Geheimdienstes abgeschöpft würden und die Neonazis unbehelligt blieben. Der Zeuge entgegnete hierzu, dass der Sächsische Verfassungsschutz den Vermerk wohl zur Kenntnis erhalten habe. Weiteres könne er aufgrund seiner Aussagegenehmigung jedoch nicht sagen. Er betonte aber, dass das LfV Sachsen keine V-Leute im Umfeld des „Trios“ gehabt habe, soweit nichts Neues – doch dass sein jetziger Arbeitgeber überhaupt V-Leute in der Chemnitzer Naziszene führte, dementiert er nicht. Wir möchten an dieser Stelle unseren Kolleg_Innen im Sächsischen Landtag empfehlen, an geeigneter Stelle nachzuhaken.

Meyer-Plaths Aussage wurde im Laufe der Vernehmung abweisender und bestimmter, als unsere Abgeordneten das „Näheverhältnis“ zwischen Brandenburger und Sächsischen Neonazis um „Blood & Honour“ ausleuchten wollen. Wie im Rahmen dieses Blogs schon ausgeführt, vermuten wir zumindest eine Mitwisserschaft Brandenburger Rechtsextremisten vom damals in Chemnitz untergetauchten NSU-Kerntrio. Darauf weisen die engen Kontakte Szczepanskis und anderer Brandenburger Neonazis zu Jan Werner, einem damaligen Hauptunterstützer des NSU, von denen die TKÜ-Daten des Thüringer LKA und auch die Quellenmeldungen „Piattos“ Zeugnis geben. Eine der Deckblattmeldungen berichtet von einem Konzert im sächsischen Hirschfeld am 5. September 1998. Unter „Verschiedenes“ wird erwähnt, dass Jan Werner den Auftrag haben soll dem späteren NSU-Trio „Waffen“ besorgen, damit diese einen „weiteren Überfall“ begehen können. Jedoch deutet ein so genannter Treffvermerk von R.G. darauf hin, dass Piatto an jenem Samstag nicht in Hirschfeld war. (vgl. Hintergrundbericht)

Auf die Frage, wie Piatto sonst an diese Informationen gekommen sein könnte, antwortete Meyer-Plath, dies könne auch kurz vor oder nach dem Konzert geschehen sein und setzte als Erwiderung auf Isabelle Vandres Vorhalt schroff hinzu, dies sei aber „nur ihre Theorie“, die er „nicht für schlüssig“ halte. Immerhin ließ der Zeuge für diesen Augenblick seine Maske der Freundlichkeit fallen und gab deutlich zu erkennen, dass er zum Gegenstand der  Untersuchung tatsächlich nichts beizutragen beabsichtigte. Dabei ist seine Erwiderung selbst schlecht überlegt: Besagte Deckblattmeldung ist – im Gegensatz allen übrigen Meldungen, deren Informationen Szczepanski im direkten Gespräch erlangt hat – im Konjunktiv verfasst. Ein direkter, und sei es nur ein wie vom Zeugen Milbradt vermuteter telefonischer Kontakt, zu Jan Werner bleibt daher unwahrscheinlich. Auch wird in der Deckblattmeldung über den Verlauf des Konzerts und die anwesenden Neonazis berichtet, weshalb ein „Vorabinformieren“ ausgeschlossen werden kann. Während der Ausschreitungen am Rande des Konzerts wurden zudem viele der betreffenden Brandenburger Neonazis von der Polizei festgenommen, was die Möglichkeit eines Treffens kurze Zeit nach dem Konzert, wie es Meyer-Plath anführt, ebenfalls ausschließt. Szczepanski, der sich noch im offenen Vollzug befand, musste daneben spätestens am 6. September 1998 wieder in der JVA Brandenburg an der Havel sein.

Bemerkenswert war uns aber, dass Herr Meyer-Plath den in unserem Blog dargestellten Stand der Untersuchung offensichtlich kannte. Der vertrackten Frage, wer Szczepanski in den folgenden Tagen vom Konzert in Hirschfeld und dem in Chemnitz untergetauchten Trio erzählte, wollte er leider nur verschließende Antworten hinzufügen.

„Bei der Wahl seiner Feinde kann man nicht vorsichtig genug sein.“

Auch wenn der Zeuge Meyer-Plath der Untersuchung keine forensisch validen Tatsachen hinzufügen konnte oder wollte, machte er gegen Ende seiner Vernehmung aber sehr bemerkenswerte staatspolitische Angaben zur Arbeitsweise des Verfassungsschutzes, die uns an das berüchtigte Statement über „unterminiertes Regierungshandeln“ von Klaus-Dieter Fritsche erinnerten.

Unsere Abgeordneten wiesen darauf hin, dass mit der jahrelangen finanziellen und logistischen Förderung Szczepanskis rechtsextremer Propaganda, der Erleichterung seiner Haftzeit, die Deckung seiner teilweise sogar strafbaren Aktivitäten bis hin zur Einrichtung eines eigenen Ladengeschäfts für Nazidevotionalien in Königs Wusterhausen die Brandenburger Neonaziszene aktiv durch den Staat gefördert wurde.

Der Präsident des Sächsischen Verfassungsschutzes antwortete darauf, dass die Führung von Szczepanski als V-Person sehr ergiebig gewesen sei und damit das Risiko bzw. den massiven Einsatz der oben beschriebenen Mitteln wert war. Die rechte Szene, so Meyer-Plath, hätte sich auch ohne den vom Verfassungsschutz gesteuerten Szczepanski entwickelt, dann aber ohne Kenntnis der Behörden. Vor dem Hintergrund der Bekämpfung der rechten Umtriebe seien gewisse Auswüchse, wie dies auch in den „88“-Briefen zum Ausdruck gekommen sei, eben hinzunehmen.

Unsere Abgeordneten erinnerten sich spontan an das Positionspapier des BKA aus dem Jahre 1997 zum „Brandstifter-Effekt“ durch die Führung von V-Personen, die sich gegenseitig zu größeren Straftaten anstacheln würden. Die Antwort des Zeugen erschien uns hier wie das Versprechen, das Feuer des Rechtsterrorismus mit Löschpapier bekämpfen zu wollen.

Der immense staatsrechtliche Widerspruch der sich durch die Arbeit von Nachrichtendiensten strukturell ergibt wurde durch Meyer-Plaths Antwort gut sichtbar: Der Staat, der die Gesetze des Zusammenlebens aller Bürger vorgibt, bricht sie – im Geheimen – selbst und fördert damit gleichzeitig das, was er zu bekämpfen vorgibt.

R.G., V-Mann-Führer: Dienst nach Vorschrift?

Die Zeugenvernehmung des V-Mann-Führers R.G. wurde zwecks Persönlichkeitsschutz den AusschussbeobachterInnen nur per Tonübertragung ermöglicht. Wie nach dessen Auftritt beim Münchner „NSU-Prozess“ zu erwarten, entwickelte sich die Vernehmung zu einer eher zähen Angelegenheit. Zu vielen Fragen der Abgeordneten konnte oder wollte Szczepanskis damaliger V-Mann-Führer keine Angaben machen. Er zeigte sich bei komplexen Fragen überfordert. Oft fehlten Erinnerungen an Details. Auch spielte er seine eigene Rolle in der Quellenführung immer wieder herunter.

Nur an manchen Stellen bekamen die Abgeordneten einen Eindruck vom Verhältnis von R.G. und Szczepanski. Dieses kann am ehesten als „väterlich“ beschrieben werden. So insistierte R.G. darauf, er habe Szczepanski helfen wollen, wieder in sein bürgerliches Leben zurückzufinden. Dazu habe er ihn sogar zu seinen Eltern nach Berlin-Neukölln gefahren. Auch habe er mit ihm über seine schulische Ausbildung gesprochen. R.G. leugnete jedoch, sich mit anderen Szeneangehörigen getroffen zu haben und auch Treffen in seiner oder Szczepanskis Wohnung hätten nicht stattgefunden. Auch als unsere Abgeordnete Andrea Johlige ihm Briefe von Szczepanski vorhielt, in denen er R.G. erinnerte, „den dicken H. in Kirchmöser anzurufen“ und sich „den Umschlag geben zu lassen“ oder dass er unbedingt Bescheid geben solle, wenn er „die ca. 70 CDs“ von seiner „Ex-Tante Christiane erhalten“ habe, blieb R.G. dabei, keine Botengänge für Szczepanski erledigt oder andere Szeneangehörige getroffen zu haben. Allerdings betonte R.G. mehrmals, seine Legendierung als Sozialarbeiter „Borchardt“ sei nur für Mitglieder der rechten Szene genutzt worden, was keinen Sinn macht, wenn es nicht doch Kontakte zu anderen Szenemitgliedern gegeben hat. Gleichzeitig könnte dies bedeuten, dass der Mitarbeiterschaft der JVA seine wahre Identität bekannt gewesen ist, was einerseits sehr viele Mitwisser zur Folge gehabt hätte und andererseits den Wahrheitsgehalt einiger vorangegangener Zeugenaussagen im Ausschuss erschüttert.

Szczepanski sei ein Familienmensch gewesen, seinen Sohn wiederzusehen war laut R.G. einer der Hauptgründe für dessen Informantentätigkeit aus der U-Haft heraus. Er selbst habe ihm aber keine Versprechungen gemacht, dass dadurch seine Haftzeit verkürzt werden könne. Allerdings kann er sich an ein Gespräch mit Staatsanwältin Marx erinnern, in dem diese eine Halbstrafe für Szczepanskis Aussage im Dolgenbrodt-Verfahren in Aussicht gestellt habe.

Strategische Überlegungen des Brandenburger Verfassungsschutzes, wohin und an wen die Quelle gesteuert werden sollte, waren R.G. nach seiner eigenen Aussage sämtlich nicht bekannt. Dies sei Sache der Auswertung gewesen. Er schloss auch aus, Szczepanski jemals nach Chemnitz oder Limbach/Oberfrohna gefahren zu haben. Treffs hätten sich in seinem Beisein immer im Berlin-Brandenburger Raum abgespielt. Bei diesen sei es immer professionell zugegangen. Dass sie sich geduzt hätten, sei völlig normal gewesen. Sein Job sei es gewesen, Szczepanski in die Lage zu versetzen, andere Rechtsextremisten und Veranstaltungen aufzusuchen und danach darüber zu berichten.

Kaum zu glauben: Die Beschaffungslogistik

Aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten in der JVA schloss R.G. aus, dass Szczepanski sein Fanzine „United Skins“ auch während seiner Haftzeit produziert habe. Möglicherweise habe Szczepanski einzelne Artikel geschrieben, diese will R.G. aber nicht aus der Haftanstalt herausgeschmuggelt haben. Frühere Zeugenaussagen zeichnen ein anderes Bild. So sagte der JVA-Abteilungsleiter Eggebrecht aus, dass er als Scharnier zwischen R.G. und Szczepanski fungiert habe, so dass über sein Büro Briefe und Pakete in die Haftanstalt hinein und wieder hinaus gelangten. Auch wurde erst eine verschärfte Postkontrolle gegen Szczepanski angeordnet, weil er wegen der Vervielfältigung von Fanzines mit neonazistischem Inhalt von Mitgefangenen angezeigt worden war, später aber auf Bitten des Verfassungsschutzes wieder ausgesetzt.

Allerdings bejahte R.G., während der Haftzeit das Postfach für Szczepanski betreut zu haben. Dieses sei sogar auf ihn – unter seiner Legendierung als Dieter Borchardt – zugelassen gewesen. In diesem Postfach liefen Mitte der 1990er Jahre die Leserbriefe zu „United Skins“ ein. Außerdem war es als Kontaktadresse für deutsche Interessenten des englischen National Socialist Movement (NSM) in deren Publikationen angegeben. R.G. will sämtliche Post der Auswertungsabteilung übergeben haben, kann aber nichts dazu sagen, wie diese dann zurück an Szczepanski gelangt ist. An das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen ihn selbst wegen der Verbreitung und Produktion des „United Skins“ konnte er sich selbst nach Vorhalt der Akten des LKA Brandenburg nicht erinnern.

R.G. bekräftigte erneut seine Version des Handyaustauschs für Szczepanski am 25. August 1998, nachdem dieses in einer Telefonüberwachung des Thüringer LKAs aufgeflogen war. Er verlas die Erklärung, die er schon anlässlich seiner Zeugenvernehmung vor dem OLG München angefertigt hatte. Danach will er das Handy am 25. August 1998 gegen 15 Uhr eingezogen und mit Szczepanski in Potsdam zwei neue Telefone gekauft haben. Das abgeschaltete Telefon will er danach der Auswertungsabteilung übergeben haben. Weitere Angaben zu diesem Vorgang konnte er nicht machen. Unsere Abgeordneten interessierte jedoch auch, was mit dem Handy passierte, wenn Szczepanski in der JVA war. In der JVA ist der Besitz von Handys verboten. R.G. antwortete ausweichend, konnte jedoch nicht ausschließen, dass das Handy bei ihm als V-Mann-Führer verblieb. Ausgeschlossen hat er jedoch, dass der Verfassungsschutz das Handy überprüft hat, wenn es in seinen Händen war. Er habe es immer ausgemacht.

Die Motivation Szczepanskis, sich dem Verfassungsschutz als V-Mann an zu dienen, ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Zum Schluss der öffentlichen Befragung rückten psychologische Motive der Informantentätigkeit in den Fokus. Auf die Frage unserer Abgeordneten, ob Szczepanski jemals Gewissensbisse gehabt habe, Woche für Woche seine „Freunde“ zu verraten, bestritt R.G., bei der „Quelle“ jemals etwas in diese Richtung festgestellt zu haben. Dabei blieb er auch nach dem Vorhalt eines von ihm angefertigten Vermerks, dass die Quelle sich niedergeschlagen zeigte, weil sie einen „Verräterkomplex“ habe. Weiterhin schloss er aus, dass Szczepanski durch seine vielen verschiedenen Aufgaben „übersteuert“ worden wäre. Szczepanski habe selbst immer wieder Vorschläge für neue Aufgaben gemacht. Er habe eben „gesprudelt“.