Bericht zur 26. Sitzung des Brandenburger NSU-Untesuchungsausschusses am 4. Mai 2018 – Von Kollateralschäden und Unschuldslämmern

Bericht zur 26. Sitzung des Brandenburger NSU-Untesuchungsausschusses am 4. Mai 2018 – Von Kollateralschäden und Unschuldslämmern

Dieser Artikel ist im Blog der Linksfraktion im Brandenburger Landtag als Sitzungsbericht aus Sicht der LINKEN Fraktion erschienen. Die Texte sind gemeinsam von den Referenten und den Abgeordneten der LINKEN im Ausschuss erarbeitet und sollen natürlich hier nicht vorenthalten werden.

Bericht zur 26. Sitzung am 4. Mai 2018 

Von Kollateralschäden und Unschuldslämmern

Am Freitag, den 5. Mai 2018, fand im Landtag die 26. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses statt. Als Zeugen wurden gehört: Hasso Lieber, zwischen 1998 und 1999 für 11 Monate Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes, sein Nachfolger, Heiner Wegesin und zuletzt Henning P., in den 1990er Jahren eine zentrale Figur auch der „Blood & Honour“-Szene in Brandenburg und bis zu dessen Enttarnung, einer der engsten Freunde Carsten Szczepanskis.

Ein Richter im falschen Film: Hasso Lieber

Durch eine politische Rochade wurde der gelernte Jurist und vormalige Richter Hasso Lieber im Dezember 1998 zum Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes. Sein Vorgänger Hans-Jürgen Förster wechselte auf den vakanten Posten des Abteilungsleiters der Brandenburger Polizei. Weil die CDU nach der Landtagswahl 1999 in Brandenburg mit Jörg Schönbohm (CDU) den Innenminister stellte, wurde Lieber, selbst SPD-Mitglied, in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Dass ein „schwarzer“ Innenminister einen „roten“ Abteilungsleiter entferne, sei, laut Lieber, ein völlig normaler Vorgang.

Von Aufwand und Ertrag: Missverhältnis bei Quelle „Piatto“

Hasso Lieber war nicht der erste hohe Beamte, der den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss von seinen „Bauchschmerzen“ hinsichtlich der Quelle „Piatto“ berichtete. Jedoch war er der erste, der durchblicken ließ, aufgrund der Vorgeschichte Szczepanskis eine Abschaltung erwogen zu haben. Vor allem hätten Aufwand und Ertrag in einem deutlichen Missverhältnis gestanden.

Das ließ uns aufhorchen. War „Piatto“ denn nicht die Top-Quelle des VS in Brandenburg? Ja, antwortete Lieber, dies habe aber an der niedrigen Qualität der anderen Quellen gelegen, die zum Teil völlig unbrauchbar gewesen seien. „Piatto“ lieferte zwar reihenweise Berichte über Alles und Jede*n in der rechten Szene, doch seien die Informationen in Liebers Augen nicht so bedeutungsvoll gewesen, dass sie die hohen Kosten seiner Quellenführung gerechtfertigt hätten. Er bekam monatliche Zuwendungen, ein Fahrzeug finanziert und wurde für Fahrten zu Konzerten und Veranstaltungen extra alimentiert. Allerdings stieß Liebers Skepsis im eigenen Haus und bei „anderen Diensten“ nicht auf Gefallen, besonders Referatsleiter Milbradt und das BfV seien von der Wertigkeit „Piattos“ überzeugt gewesen.

Als ehemaliger Richter habe Lieber das Trennungsgebot von VS und Polizei sowie das Verbot von Straftaten bei der Quellenführung im Blick gehabt. Der oberste Dienstherr der Abteilung, Innenminister Ziel, habe ausdrücklich die Weisung gegeben, sich „an Recht und Gesetz“ zu halten. Daher unterstrich Lieber dann auch, dass er in Fällen strafrechtlicher Relevanz die Quellen nicht hätte schützen wollen. Wenn er von „Bewaffnung“ oder „weiteren Überfällen“ erfahren hätte, wäre für ihn die Zuständigkeit des VS beendet gewesen und das Verfahren zur Staatsanwaltschaft abgegeben worden. Er fügte hinzu, dass er nicht der Meinung sei, dass V-Leute aktive Positionen innerhalb der Szene einnehmen sollten. Auch habe er nicht gewollt, dass Quellen vor Polizeiaktionen gewarnt werden. Dass er sich mit dieser Haltung gegen seine Fachmitarbeiter nicht habe durchsetzen könne, schob er auf seinen „liberalen Führungsstil“.

Konkrete Fragen zum NSU-Komplex oder dem Netzwerk der Brandenburger Neonazis konnte der Zeuge kaum beantworten. Einerseits war Lieber nicht in das operative Geschäft eingebunden, andererseits habe er sich nicht durch Aktenstudium auf die Sitzung vorbereitet. Er bemerkte aber, für ihn liege es auf der Hand, dass es Absprachen mit der JVA Brandenburg a.d. Havel zum ominösen Praktikum Szczepanskis im „Sonnentanz“-Laden in Limbach-Oberfrohna gegeben haben müsse. Auf Vorhalt unseres Obmannes Dr. Schöneburg bestätigte er die Widersinnigkeit der Beschäftigung in einem rechten Szeneladen und einer von JVA und Staatsanwaltschaft verbürgten positiven Sozialprognose für Szczepanski.

Dass die Besuche anderer Neonazis bei Szczepanski in der JVA durch den VS hätten ausgewertet werden müssen, leuchte ihm ein: „Sage mir, mit wem du Umgang hast und ich sage dir, wer du bist“. Ob dies aber tatsächlich geschah oder unterblieb, war ihm nicht mehr erinnerlich.

Dass Lieber in seiner Zeit die Bezeichnung „NSU“ gehört habe, schloss er definitiv aus. Dies wäre ihm in Erinnerung geblieben, da ihn dies an die Moped-Marke „Neckarsulm“ erinnert hätte.

„Schlapphut“ mit Napoleonkomplex: Heiner Wegesin

Liebers Nachfolger als Chef der Abteilung V wurde im Januar 2000 Heiner Wegesin, nachdem die Leitung übergangsweise vom Referatsleiter Auswertung, Jörg Milbradt, übernommen worden war. Wegesin war von uns bereits im September 2017 zum Komplex „Nationale Bewegung“ vernommen worden und schon damals durch einige bemerkenswerte Äußerungen aufgefallen. So äußerte er, dass für die Quellenführung in „der Spitze von „Blood & Honour““ das BfV „zuständig“ gewesen sei. Auch hatte er angegeben, dass der Verfassungsschutz in seiner Amtszeit V-Leute nie vor Strafverfolgung geschützt habe.

Bei seinem Wechsel sei die Zugangs- und Quellenlage der Abteilung V „sehr bescheiden“ gewesen. Das Beschaffungsreferat sei von einem unerfahrenen Verwaltungsbeamten geführt worden (gemeint war der Zeuge Lorsch). Für Jörg Milbradt fand er indes warme Wort: Die Zusammenarbeit mit ihm wäre ausgesprochen eng und vertrauensvoll gewesen. Milbradt – ein wahrer Universalgelehrter – sei loyal und tüchtig gewesen und habe ihm – dem westdeutschen Behördenleiter – als „Kind des Ostens“ die Spezifika der neuen Bundesländer vermittelt.

Ein falsches Fax zur richtigen Zeit

Ob Milbradt es mit dem Trennungsgebot von VS und Polizei so genau nahm, wollte die SPD-Abgeordnete Gossmann-Reetz von Wegesin wissen. Dieser bestätigte, jener habe dies verinnerlicht gehabt. Als ihm aber ein Fax vom 28. Februar 2000 vorgehalten wurde, in welchem Milbradt das LKA bittet, auf operative Maßnahmen gegen Szczepanski und die gesamte Szene in Königs Wusterhausen zu verzichten, da der VS diese selbst bearbeite, wurde Wegesin emotional und fauchte die Abgeordnete an, dass dies eine „gewöhnliche“ Bitte sei. Selbst wenn der Verfassungsschutz sich „die Welt eckig“ wünsche, läge es bei der Polizei, ein solch „unsittliches“ Angebot nach dem Legalitätsprinzip selbst zu bewerten. Keineswegs bewege man sich hierbei im Bereich der Strafvereitelung. Dabei blieb er sogar in Anbetracht des handschriftlichen Vermerks eines Polizeibeamten auf jenem Fax: „Einsatz entfällt“. Dass die Nennung von Szczepanskis Namen in einer solch offenen Art auch die Gefahr der Enttarnung der Quelle befördert habe, wollte Wegesin ebenfalls nicht gelten lassen.

In der letzten Sitzung hatte die CDU-Fraktion gemutmaßt, der derzeitige Justizminister Stefan Ludwig habe mit der Enttarnung Szczepanski zu tun gehabt. Es war offenbar das Einzige, was für sie auch in dieser Sitzung von echtem Interesse war. Auf Vorhalt schilderte Wegesin, wie er an seinem ersten Arbeitstag im Januar 2000 von Staatssekretär Lancelle beauftragt wurde, den Abgeordneten Ludwig zu treffen und diesem zu versichern, dass die „Blood & Honour“-Postkarte der „United Skins KW“ nur eine „Silvesterburleske“ gewesen sei. Die Identität der Quelle „Piatto“ habe er jedoch nicht offenbart. Eine Erklärung für den dennoch betriebenen aufwendigen polizeilichen Personenschutz Ludwigs gab Wegesin nicht.

Naziläden als nachrichtendienstliche Mittel

Auf Frage unseres Obmannes Dr. Schöneburg zur Finanzierung von Szczepanskis Szeneladen „Thule“ ab April 2000 in Königs Wusterhausen gab Wegesin an, dass monatliche „dreistellige Beträge“ geflossen seien, einmal ein „vierstelliger Betrag“ zur Anschubfinanzierung des Zeitschriftenbestands. Es habe einen bürokratischen Vorlauf gegeben, den habe der Zeuge dann abgesegnet.

Ob der Verfassungsschutz sich damit nicht selbst politisch betätigt habe? Ja, dies sei, so Wegesin, eben ein „Ritt auf der strafrechtlichen Rasierklinge“. Der Laden sei so etwas wie „ein informationelles Wasserloch“ gewesen, an welches „die schlimmen Tiere zum Saufen kommen“.

Dr. Schöneburg hakte nach und konfrontierte den Zeugen mit einer unserer Thesen, wonach die Nachrichtendienste auch Szeneläden wie den „Sonnentanz“ der Eheleute Probst in Limbach-Oberfrohna oder Ralf Marschners „The Last Resort Shop“ bzw. „Heaven & Hell“ in Zwickau gezielt, quasi als nachrichtendienstliches Arbeitsmittel, eingerichtet haben könnten. Die Antwort des Zeugen Wegesins, der selbst sechs jahrelang Referatsleiter im BfV war, lautete: „Was meinen sie, was wir in den 80ern linke Kneipen gegründet haben, in der Hoffnung, da würden dann RAF-Leute auftauchen. Sowas gab es natürlich immer!“

Es entspann sich in der Folge ein regelrechter Disput zwischen unserem Obmann und dem Zeugen Wegesin. Dr. Schönburg hielt diesem vor, dass die rechte Szene durch die Einrichtung eines solchen Ladens jedenfalls lokal gestärkt worden sei und verwies darauf, dass die NPD mit der Enttarnung von Szczepanski in Königs Wusterhausen praktisch verschwand. Wegesin hielt dagegen. Es könne nicht stehen bleiben, dass die Antifa den Ort verteidigt habe. Schließlich seien auch polizeiliche Konzepte wie TOMEG ohne Wirkung geblieben.

Szczepanski solle daneben selbst vorgeschlagen haben, sich in der NPD zu engagieren. Seine Wahl zum Landesorganisationsleiter sei genehmigt worden, weil das NPD-Verbotsverfahren damals „noch nicht am Horizont sichtbar“ war.

Dass sich Szczepanski am Ende selbst enttarnt haben könnte, wollte der ehemalige VS-Leiter Wegesin ebenfalls nicht ausschließen. Szczepanski sei nicht „die hellste Kerze auf der V-Mann-Torte“ gewesen. „In einem Roman von John Le Carré“ hätte dieser allenfalls „mal einen toten Briefkasten leeren dürfen“. Nach seiner Entlassung aus der Haft wurde er als Quelle eigenständiger. Seine Steuerung erfolgte dann „ex post“ im Treff, so dass man sagen könne, dass das Referat Beschaffung „wohl etwas hinterher lief“.

Die Kardinalfrage

Im Laufe der Vernehmung trat die Niedertracht der V-Mann-Führung deutlich zu Tage. Wegesins Ausführungen nach können die Nachrichtendienste ihre Quellen „die Bäume hoch und runter schicken“, schließlich hätten jene sich ja zur Mitarbeit verpflichtet. Es sei nunmal die „Kernaufgabe“ des Verfassungsschutzes, V-Leute in kriminelle Strukturen zu steuern, solange man dabei nicht das Beobachtungsobjekt selbst steuere. Wie letztes verhindert werde, ließ er offen. Man habe in Brandenburg aber auch gar nicht so viele „Pferdchen laufen“ gehabt.

Erinnert an die Schilderungen Stefan Ludwigs zu Szczepanskis Auftauchen in Königs Wusterhausen, erwiderte Wegesin, eine „De-Radikalisierung“ der rechten Szene sei nunmal nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes gewesen, was Dr. Schöneburg mit dem Hinweis konterte, „eine Radikalisierung aber auch nicht“. Dann stelle sich laut Wegesin aber die Frage, ob Szczepanski überhaupt hätte angeworben werden dürfen – darauf Dr. Schöneburg: „Das ist ja die Kardinalfrage, der wir hier nachgehen!“.

Exemplarisch für dieses Dilemma stehen die beiden Episoden, die als offizieller Grund für Szczepanskis Abschaltung herhalten mussten: Im Frühjahr 2000 wurde Szczepanski vom Verfassungsschutz an den Neonazi Nick Greger herangesteuert und berichtete später seinem V-Mann-Führer von dessen geplantem Einsatz einer Rohrbombe gegen Antifaschisten. Nach Gregers Verhaftung am 12. Juni 2000 beschuldigte dieser indes Szczepanski, ihn erst dazu angestachelt zu haben, was zu Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Informanten führte.

Bereits Staatssekretär Lancelle wurde hierzu ein Vermerk von Wegesin vorgehalten, in dem dieser am 19. Juni 2000 davon berichtet, den Berliner Generalstaatsanwalt Dr. Karge anrufen zu wollen, um das Verfahren gegen Szczepanski mit einem „positiven Gesprächsergebnis“ und dem „Ziel einer möglichst raschen und abschließenden Würdigung des […] Sachverhaltes“ zu erledigen.

Auf Vorhalt von Dr. Schöneburg, wie er denn diesen Vermerk mit seinem früheren Statement, V-Leute seien nicht bei der Strafverfolgung geschützt worden, in Einklang bringe, erklärte Wegesin, dass er Dr. KARGE persönlich kannte und dieser wiederum „die Nöte des Verfassungsschutzes“. Er habe ihn um eine Einstellung des Verfahrens wegen „geringer Schuld“ gebeten, da durch die Quelle „viel verhindert“ worden sei. Auf die Feststellung, dass dies aber einen Eingriff in die Strafverfolgung bedeute, brauste der Zeuge auf, dass er viele solcher Gespräche anführen könne. Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum säße der Generalbundesanwalt mit einem „Dreierteam“ und würde sich permanent um solche Dinge streiten. Es sei eben ein „contempt of justice“.

Nach einem Aktenvorhalt von Inka Gossmann-Reetz (SPD) musste Wegesin eingestehen, dass er einen so genannten Anspracheversuch bei Nick Greger genehmigte, nachdem dieser Szczepanski getroffen hatte. Unklar blieb jedoch, was daraus wurde. Wegesin mutmaßte, dass eine solche Ansprache auch auf einen „We are watching you“-Effekt abgezielt haben könnte. In der Akte war als Grund indes ein „nachrichtendienstlicher Vorlauf beim LfV Sachsen“ vermerkt, was Gossmann-Reetz ebenfalls vorhielt.

Unabhängig von den Vorgängen um Greger fädelten Ralf Luckow (Königs Wusterhausen) und Uwe Menzel (Potsdam) über den „Thule“-Laden ein weiteres Waffengeschäft ein. Beide versuchten schon seit geraumer Zeit an Waffen zu kommen, was TKÜ-Daten aus G10-Maßnahmen aus April 2000 belegen. Dr. Schöneburg hielt Wegesin Auszüge daraus vor.

Szczepanski wurde bei diesem Geschäft zum Mittler und verwahrte zeitweise ein Kleinkalibergewehr mit Laservisier auf. 2002 wurde er dafür zusammen mit Menzel nur zu einer Geldstrafe verurteilt. Luckow kam sogar ungeschoren davon. Wegesin wurde hier nachdenklich und gab an, das der Fund einer Ceska 52 bei Menzel am 9. Juni 2000 natürlich ein Indiz auch in Richtung „NSU“ sei. Dafür spräche auch das konspirative Verwenden der Chiffre „Angeln“, die er als ein klares „Aliud“ für Schusswaffen identifizierte. Er fügte aber hinzu, dass das Fabrikat sehr häufig im Umlauf gewesen sei und das NSU-Kerntrio nach seiner Kenntnis „ziemlich Rödeln“ musste, um eigene Schusswaffen aufzutreiben.

Warum anlässlich der Durchsuchungsserie gegen die rechte Szene in Potsdam am 9. Juni 2000 ausgerechnet die beiden Neonazis Wiesner und Wenndorf auf Weisung des Ministerialdirigenten Dr. Förster in „Schutzhaft“ genommen, Uwe Menzel dagegen entlassen wurde, so dass der zuständige Staatsanwalt ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung einleiten wollte, konnte Wegesin nicht erklären. Vermutlich sollte damit Szczepanski beschützt werden.

„Piatto“ hat seine Schuldigkeit getan, „Piatto“ kann gehen

Als Szczepanski am 30. Juni 2000 seine Unterschrift unter eine Entpflichtungserklärung setzte, erklärten ihm V-Mann-Führer R.G. und Beschaffungsleiter Giebler, er solle sich Gedanken machen, wie er in Zukunft „gedenke“ seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Auf Frage von Ursula Nonnemacher (B90/Grüne), ob das nicht zynisch sei, erwidert Wegesin, dass er dies „ambivalent“ finde und er eine andere Auffassung von „Zynik“ habe.

Wenn der VS über Szczepanskis V-Mann-Führer auch ein Postfach als Adresse für das britische „NSM“ und anderer rechtsextremistische Propaganda betrieben habe, sei dies eben das „Borderlinesyndrom“ der Arbeit der Nachrichtendienste. Bedenken gegen solche Praktiken habe er nicht.

Wie er das Risiko der Anstiftung militanter Aktionen durch V-Leute bewerte? „Es ist leider so, dass man im Straßenverkehr auch angefahren werden kann, dann dürfen sie nicht auf die Straße gehen. Das ist nun mal ein Risiko der Einrichtung von Nachrichtendiensten und auch der polizeilichen Gefahrenabwehr. Wenn sie das nicht wollen, müssen sie diese abschaffen.“

Ein allwissendes Unschuldslamm: Henning P.

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurde der für diese Sitzung letzte Zeuge im Ausschuss nur als „Henning P.“ vorgestellt. P. war seit den frühen 1990er Jahren bis zu dessen Enttarnung eng mit Szczepanski befreundet und spielte eine maßgebliche Rolle in der rechten Szene. Kennengelernt hätten sie sich über Szczepanskis Fanzine „United Skins“ schon vor seiner U-Haft in Königs Wusterhausen.

schien sich für die Vernehmung vorgenommen zu haben, seine eigene Rolle innerhalb der rechten Szene sowie das Wirken von mit ihm befreundeten Menschen – hier sind vor allem Jan Werner und Antje Probst zu nennen – herunterzuspielen. Seine Einlassungen waren für unsere Abgeordneten insoweit nicht glaubhaft. Szczepanski erhielt während der Haftzeit einen Großteil seiner Information über den Zeugen P., so dass sich über die Akten des VS ein guter Einblick auch in dessen Wirken ergibt.

Neues aus der Anstalt

Szczepanski sei nach seiner Verurteilung in der Szene als Held gefeiert worden, Skinheadbands hätten Lieder über ihn geschrieben. Da P. in der Nähe der JVA Brandenburg wohnhaft war, besuchte er den dort Einsitzenden regelmäßig etwa einmal im Monat. Er brachte Szczepanski auch CDs in die Haftanstalt, die an den Kontrollen vorbei gingen. Die Wärter hätten „nicht so gut Englisch gesprochen“ und oftmals nicht verstanden, um welche Art Musik es sich dabei handelte. Auf die fast schon siegessichere Frage von Dr. Redmann (CDU), ob denn auch „linksextremistische“ Musik darunter gewesen sei, antwortete P.: „Ja.“ Herr Szczepanski habe auch so etwas gehört. Er erinnert sich an CDs von „Slime“ und einem „linken Liedermacher“, die er in der Hand gehabt und Szczepanski überbracht habe. Diese hätten ja „auch sozialkritische Texte“ beinhaltet. Die CDs habe er aber überwiegend von Michael Probst bekommen, nicht von Jan Werner.

In der Rückschau seien die Haftbedingungen doch recht merkwürdig gewesen. Szczepanski hatte so viele Freiheiten, dass er manchmal Probleme hatte, dies „draußen“ zu erklären. Vor allem die frühe Möglichkeit von Freigängen sei einigen Leuten komisch vorgekommen. Man habe Szczepanskis Ausreden aber stets geglaubt. Auch das Praktikum im Sonnentanz-Laden fand P. merkwürdig, weil das zeitlich nicht gepasst habe. Dass Szczepanski sich während der Haftzeit ein Auto anschaffte – wie wir wissen, bezahlt vom VS –, kam P. dagegen nicht komisch vor. Dies sei ja nur ein kleiner Golf gewesen, vor der JVA hätten auch „ganz andere Schlitten“ gestanden.

Ob denn das Gerücht stimme, die Fanzines „United Skins“ und „Der Weiße Wolf“ seien in der Haftanstalt hergestellt worden? Das sei kein Gerücht, „Das war so“, erklärte P. lachend. „Die gucken da gar nicht hin, die überfliegen das nur“, habe Szczepanski ihm erklärt. Die Artikel zu „United Skins“ würde er zugesandt bekommen und dann in der Gefängnisdruckerei drucken lassen. „Der Weiße Wolf“ sei von Maik Fischer hergestellt worden. Diesen und seine spätere Frau Sylvia habe er später zusammen mit seiner Exfreundin mal in Bayern besucht.

Der Zeuge P. gab weiterhin an, bei anderen Besuchern Szczepanskis auch mal logistisch geholfen zu haben. So fuhr er zwei englische Mitglieder der Band „Razors Edge“ in die JVA. Auf Nachfrage unserer Abgeordneten Andrea Johlige gab er an, dass Dirk S. aus Nauen bei dieser, wie auch bei einigen anderen Bands mitgespielt habe.

Ab und zu habe er auch andere Szeneangehörige in die JVA gefahren. Auch mit Antje Probst will er dort gewesen sein. Szczepanski habe ihm immer per Post einen „Sprecher“ (Besuchserlaubnis) geschickt und daraufhin wäre er dann in die JVA gefahren. Dies ist übliche Praxis der JVA.

Szczepanski habe sich später auch den Laden „Sonnentanz“ der Probsts zum Vorbild genommen. P. sei da aber nur einmal drin gewesen.

„Blood & Honour“, „Combat 18“ in Brandenburg

P. bezichtigte Szczepanski auch, „Combat 18“ in Brandenburg etabliert zu haben. Dies habe an seinen guten Kontakten nach England gelegen, insbesondere zu Charlie Sargent und anderen Führungskadern der Bewegung. Dass Sargent auch bei einem Konzert Ende September 1998 im sächsischen Munzig anwesend war, konnte der Zeuge nicht erinnern. Wir wissen jedoch, dass P. selbst anwesend war.

Die Spaltung der „Blood & Honour“-Bewegung, aus welcher „C-18“ als militanter Arm hervorging, sei in Deutschland erst mal nur in Fanzines behandelt worden, gerade in Brandenburg sei alles so weiter gegangen wie vorher. Man schaute zwar nach England, aber einen bewaffneten Kampf habe in seinem Umfeld „niemand so richtig gewollt“. Szczepanski habe ihm aber mal im Gespräch Waffen angeboten und sinngemäß gesagt, wenn er eine Pistole brauche, habe er Leute im Knast kennengelernt, die so etwas besorgen könnten.

P. gab auf Vorhalt unserer Abgeordneten Isabelle Vandre an, Marcel Schilf noch aus Kindertagen zu kennen, bevor dieser nach Dänemark ausreisen durfte. Er habe auch zum Umfeld der „Blood & Honour“-Vorzeigeband „Thorshammer“ gehört, deren Mitglieder er bis heute gut kenne. An der Produktion der Band sei er aber nie beteiligt gewesen. Genauso wenig habe er mal ein Master-Band von „Landser“ besessen. Er habe sich lediglich von Werner zum Eigengebrauch eine „Kassette überspielt“.

Das Konzert in Hirschfeld: Krawalle „wie am 1. Mai in Kreuzberg“

An das Konzert am 5. September 1998 in Hirschfeld, das im Ausschuss schon häufiger Thema war, hatte der Zeuge gute Erinnerungen. Das sei „wie am 1. Mai in Kreuzberg“ gewesen, so etwas „vergisst man nicht mehr“. Szczepanski sei jedenfalls nicht dabei gewesen, das wisse er genau. Er sei mit Jan Werner, dessen Freundin Steffi und Uwe Menzel in einem Auto zum Konzert gefahren.

Nach der zweiten oder dritten Band habe die Polizei „auf der Matte gestanden“, jedoch hätten die Einheiten nicht gestürmt, sondern vor dem Objekt gewartet. Draußen haben Haufen mit Pflastersteinen gelegen, die dann von den Skinheads auf die Polizei geworfen worden seien. Das sei eine Weile hin und her gegangen. P. selbst habe mit Menzel oben an der Bar noch etwas getrunken, dann seien sie auch raus gegangen und verhaftet worden. Mit ca. 50 anderen Neonazis seien sie dann in eine Großraum-Zelle in Cottbus verbracht worden. Nach ihrer Entlassung am nächsten Tag hätte sie Manuela W. aus Potsdam mit dem Auto abgeholt, da Menzel „nicht so gut zu Fuß gewesen sei“.

Auf Vorhalt unserer Abgeordneten Isabelle Vandre bestätigte P. auch die in den Berichten Szczepanskis an den VS erwähnten Konzertteilnehmer, Dirk S., Dirk H., Christian W., Jan Werner und Thomas Starke – sie alle wären dabei gewesen. Wie Szczepanski trotz seiner Abwesenheit an die Details des Konzerts kam, könne P. nicht sagen. Erst auf hartnäckiges Nachfragen Isabells gesteht er ein, dass er es selbst gewesen sein könne, der Szczepanski bei einem darauffolgenden Besuch in der JVA erzählt habe. An einen Auftrag Werners zur Waffenbeschaffung könne sich aber nicht erinnern. Werner habe auch gute Kontakte nach Polen gehabt, da hätte er locker Waffen beschaffen können, nicht auf „anderem Wege“.

Es war alles ganz anders

Bei anderen Themen war P. weit weniger detailgenau und auskunftsfreudig. So will er bei Blood & Honour nie mitgemacht haben, das wäre ihm „zu strukturiert“ gewesen. Auch Aktenvorhalte, in denen regelmäßig über P.s Einstellungen zu B&H und seine Teilnahme an Treffen berichtet wurde, ließ er nicht gelten: Er hätte diese Leute schon vorher gekannt, deshalb wäre er wohl auch mal bei Treffen anwesend gewesen. Auch wie es dazu kam, dass er in der Anti-Antifa-Struktur „Rollkommando / Terrormaschine“ als Verantwortlicher für Rathenow und Brandenburg a. d. Havel in die VS-Akten Eingang fand, konnte sich der Zeuge nicht erklären. Er kenne den Namen gar nicht, da sei er ganz sicher nicht dabei gewesen.

Auch weitere Aktenvorhalte, die nahe legen, dass P. über kompromittierende Fotos von Polizisten des Staatsschutzes verfügte, auf denen diese in rechtsextremem Posen zu sehen sind, konnten den Zeugen nicht aus der Ruhe bringen. Er leugnet alles. Auch, dass er von diesen Polizisten vor Wohnungsdurchsuchungen gewarnt worden sei. Die Abgeordneten glaubten ihm dies jedoch nicht und auch die Aktenlage stellt sich anders dar. Unsere Abgeordnete Andrea Johlige machte sich Luft: „Wir haben den Eindruck, sie wissen unheimlich viel über die militante rechte Szene, waren aber selbst ein Unschuldslamm!“.

Doch P. blieb bei seiner Rolle. Beim zentralen B&H-Label „Movement Records“ will er nicht gearbeitet haben, obwohl er offenbar wusste, dass dieses „inoffiziell“ die Band „Landser“ produziert habe. Mit Jan Werner habe ihn nur eine Freundschaft verbunden, keine Geschäftspartnerschaft. Er sei auch auf Werners Verlobungsfeier mit Steffi F. gewesen. Diese sei dann später aber mit Dirk S. aus Nauen zusammen gekommen.

P. gab zu, selbst sechs bis sieben Konzerte mit bis zu 1500 Besuchern organisiert zu haben. Geld sei da jedoch keines „hängen geblieben“, das will er komplett an die Bands abgegeben haben. Gemeinsam mit einem Freund will er sogar die Idee zu „Movement Records“ gehabt haben, diese aber aus Gefälligkeit an Werner abgetreten haben.

P.s Ausführungen passten an vielen Stellen nicht zusammen. Unserer Abgeordneten beantragten daher seine Vereidigung, die auch erfolgte.