Bewertung des Referentenentwurfs „Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ vom 16.11.2015

Bewertung des Referentenentwurfs „Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ vom 16.11.2015

Am 5. November 2015 haben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD weitere Asylrechtsverschärfungen verabredet, die nun auf den parlamentarischen Weg gebracht werden. Der Referentenentwurf setzt einen Teil davon um, geht aber in Teilen auch über die Einigung der Parteivorsitzenden hinaus.

Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass die umfassenden Asylrechtsänderungen aus dem Oktober gerade erst in Kraft getreten und noch nicht einmal im Ansatz umgesetzt sind. Erneute Verschärfungen und Änderungen werden vor allem weitere Verunsicherung schaffen und das bereits überlastete System weiter chaotisieren. Eine erneute Änderung – egal welchen Inhalts – ist deshalb zu aktuellen Zeitpunkt nicht sinnvoll, um das Asylsystem zu stabilisieren. Gleichzeitig sind die Vorschläge darauf gerichtet, weitere Abschreckungsmechanismen zu schaffen und der Öffentlichkeit vorzugaukeln, die aktuellen Probleme wären durch Verschärfungen des Asylrechts lösbar. Gleichzeitig stellt die Einführung eines beschleunigten Verfahrens einen massiven Eingriff in das individuelle Recht auf Asyl dar, der nicht nur (wie öffentlich diskutiert), Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten, sondern diverse weitere Asylsuchende treffen wird, so dass davon auszugehen ist, dass das beschleunigte Verfahren faktisch zu einem Standardverfahren werden wird.

Zu den einzelnen im Referentenentwurf enthaltenen Regelungen:

  • Beschleunigtes Asylverfahren
    • Soll angewendet werden auf Asylsuchende
      • die nur Umstände vorgebracht haben, die für Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nicht von Belang sind,
      • aus sicheren Herkunftsländern,
      • die falsche Angaben über Identität oder Staatsangehörigkeit gemacht haben,
      • ihr Reisedokument mutwillig vernichtet oder beseitigt haben oder Umstände diese Annahme rechtfertigen,
      • eindeutig unstimmige, widersprüchliche, falsche oder unwahrscheinliche Angaben gemacht haben,
      • einen Folgeantrag gestellt haben,
      • den Antrag nur zur Verzögerung einer drohenden Abschiebung stellen,
      • unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist ist oder Aufenthalt unrechtmäßig verlängert hat, ohne zum frühestmöglichen Zeitpunkt bei den Behörden vorstellig zu werden
      • erkennungsdienstliche Maßnahmen verweigert oder
      • die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet.
    • BAMF entscheidet innerhalb einer Woche nach Aufnahme in besonderer Aufnahmeeinrichtung
    • Asylsuchende müssen während des Verfahrens in besonderer Aufnahmeeinrichtung wohnen

Es ist davon auszugehen, dass die umfassenden und teilweise auch recht unbestimmten Formulierungen dazu führen werden, dass das beschleunigte Verfahren faktisch zum neuen Standardverfahren wird. Vor allem die Einreise ohne Reisedokumente trifft sehr viele Asylsuchende und die Abgrenzung zwischen denjenigen, die ihren Pass tatsächlich weggeworfen oder vernichtet haben und denjenigen, die diesen verloren haben oder auf ihre Flucht nicht mitnehmen konnten, dürfte fast unmöglich sein. Und auch bei denjenigen, die während ihrer Flucht ihre Identität bewusst verschleiern mussten, wird künftig das beschleunigte Verfahren Anwendung finden.

Auch die Rechtfertigung der Anwendung des beschleunigten Verfahrens bei Menschen, die nur Gründe vorgebracht haben, die im Asylverfahren nicht von Belang sind, ist unbestimmt und dürfte in der Praxis zu sehr hohen Fallzahlen im beschleunigten Verfahren führen. Selbiges gilt bei denjenigen, die falsche oder widersprüchliche Angaben gemacht haben.

Damit wird das quasi umstrittene Flughafenverfahren, dass in der Praxis häufig zu Fehlentscheidungen führt, weiter ausgeweitet. Das Verfahren steht in der Kritik, da keine Zeit ist, Fluchtgründe ausreichend zu überprüfen, oftmals keine spezialisierten Entscheider zur Verfügung stehen, die Anhörungen am „Fließband“ wenig sensibel und oft zu kurz geführt werden und die Bescheide oberflächlich sind. Es sind in einer Studie von Pro Asyl eklatante Fehlentscheidungen dokumentiert, die nach der Abschiebung zu Verhaftungen im Herkunftsstaat führten. All diese Kritikpunkte am Flughafenverfahren sind 1:1 auf das beschleunigte Verfahren übertragbar. Die individuelle Prüfung von Fluchtgründen wird in diesem Schnellverfahren nicht möglich sein. Damit wird das Grundrecht auf Asyl ein weiteres Mal massiv ausgehöhlt.

  • Nichtbetreiben des Verfahrens
    • Antrag gilt als zurückgenommen, wenn Verfahren nicht betrieben wird. Nichtbetreiben wird angenommen wenn:
      • Wesentliche Informationen nicht vorgelegt oder Aufforderung zur Anhörung nicht nachgekommen wird
      • Asylsuchender untergetaucht ist oder seinen Melde- und Mitteilungspflichten nicht nachgekommen ist
      • Gegen räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung (Residenzpflicht) verstoßen wurde
    • Antrag gilt auch als zurückgenommen, wenn Asylsuchender in seinen Herkunftsstaat reist
    • Bei zurückgenommenem Antrag stellt BAMF Asylverfahren ein und erlässt Abschiebeandrohung, von Feststellung von Abschiebeverboten kann abgesehen werden, Ausreisefrist eine Woche
    • Wiederaufnahme des Verfahrens kann beantragt werden

Diese Regelung, dass bereits wegen eines Verstoßes gegen die Residenzpflicht oder des Versäumens einer Anhörung der Antrag als zurückgenommen gilt und damit die Abschiebung droht, verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist mit der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar. Die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verletzung der Residenzpflicht sind zudem von der EU-Aufnahmerichtlinie nicht gedeckt.

 

  • Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte
    • Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte erst nachdem er zwei Jahre lang eine Aufenthaltserlaubnis besessen hat

Anders als noch im Papier der Parteivorsitzenden vorgesehen handelt es sich jedoch nicht um eine vorübergehende Aussetzung des Familiennachzugs sondern um die Festschreibung einer grundsätzlichen zweijährigen Wartefrist. Diese Frist gilt jedoch nicht ab Einreise sondern ab Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, also nach Abschluss des Verfahrens, was in der Praxis dazu führt, dass Familien mindestens vier Jahre (ohne die Zeit der Flucht gerechnet) getrennt sind, denn auch das Botschaftsverfahren dauert in der Regel ca. ein Jahr.

Subsidiär geschützte Personen sind jene, die zwar nicht als Asylberechtigte anerkannte bzw. keinen Flüchtlingsstatus nach Genfer Flüchtlingskonvention erhalten haben, die jedoch einen Aufenthaltsstatus erhalten, weil ihnen im Herkunftsland Tod, Folter oder ernsthafte Bedrohung drohen. Mit der Gesetzesänderung im August wurde ihr rechtlicher Status dem der anerkannten Flüchtlinge angepasst. Zwar handelt es sich aktuell um eine recht kleine Gruppe von Geflüchteten, bis Oktober erhielten im Jahr 2015 lediglich 1.366 Personen, vorrangig aus Eritrea und Afghanistan diesen Status. Allerdings ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Verweigerung des Familiennachzugs für jede und jeden Einzelnen eine extreme persönliche Härte darstellt, die auch schwerwiegende psychische Probleme zur Folge haben kann. Und gleichzeitig wurde wenige Tage nach der Verkündung des Papiers der Parteichefs deutlich, wohin die große Koalition steuert: als bekannt wurde, dass der Innenminister das BAMF angewiesen hat, Syrerinnen und Syrern vorrangig nur noch subsidiären Schutz zu gewähren. Zwar wurde diese Maßnahme eilig zurück genommen, es wurde dadurch jedoch deutlich, dass zumindest die Unions-Seite durchaus das Ziel verfolgt, Flüchtlingen massenhaft den Familiennachzug zu verwehren.
Dies hätte weitreichende Auswirkungen: Bereits jetzt ist zu beobachten, dass immer mehr Frauen und Kinder sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen. Die Verweigerung des Familiennachzugs wird – neben den beschriebenen Härten für diejenigen, die bereits hier sind – zur Folge haben, dass noch mehr Frauen und Kinder, Alte und Kranke sich auf den für sie besonders lebensgefährlichen Weg begeben.
Hinzu kommt, dass eine solche Maßnahme integrationsfeindlich ist. Einerseits ist gewollt, dass Asylsuchende in den Arbeitsmarkt integriert werden, andererseits wird ihnen aber mitgeteilt, dass ihre Familien in den Kriegsgebieten verbleiben müssen. Das ist nicht nur widersinnig sondern auch unmenschlich.

Und: In der Begründung zum Gesetzentwurf wird ausdrücklich darauf abgehoben, dass auch der Familiennachzug von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eingeschlossen ist, was faktisch die dauerhafte Trennung von Eltern und Kind bedeutet.

  • Eigenbeteiligung an den Integrationskursen aus dem soziokulturellen Existenzminimum für BezieherInnen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und nach SGB II in Höhe von 1,39 Euro monatlich

Das soziokulturelle Existenzminimum dient der Sicherung der Teilhabe an der Gesellschaft. Gleichzeitig besteht nach Abschluss des Asylverfahrens für diejenigen, die einen Status erhalten haben, eine Teilnahmeverpflichtung, es sei denn, sie befinden sich in Ausbildung oder besuchen vergleichbare Kursen (§44a Aufenthaltsgesetz). Das bedeutet dann rein praktisch, dass diejenigen, die auf einen Integrationskurs angewiesen sind, Beschneidung des soziokulturellen Existenzminimums hinnehmen müssen, während diejenigen, die einen Kus über die Bundesagentur für Arbeit erhalten, keine Einbußen haben. Diejenigen, die für den Arbeitsmarkt interessant scheinen, würden also besser gestellt als diejenigen, von denen dies nicht angenommen wird.

Der Betrag in Höhe von 1,39 Euro monatlich ist so gering, dass eine politische Auseinandersetzung nicht lohnt. Aktuell ist mir unklar, weshalb dies hier eingeführt wird. Ggf. geht es um eine grundsätzliche Regelung, bei der der Betrag später erhöht werden soll?

  • Abschiebungshindernis Krankheit
    • Erhebliche konkrete Gefahr, die Abschiebungshindernis darstellt, liegt nicht vor bei
      • Nicht lebensbedrohlichen Krankheiten und
      • Bei Abschiebung in Staat mit ausreichender medizinischer Versorgung (was auch gilt, wenn es in einem Teil des Staates eine ausreichende medizinische Versorgung gibt), dies nimmt Gesetzgeber bei allen Staaten an, die
        • Der EU bzw. dem europäischen Wirtschaftsraum angehören
        • Den Beitrittskandidaten
        • Den G20-Staaten,
        • Der europäischen Region der WHO und
        • Per Gesetz festgelegten Staaten, hier Ghana und Nigeria

Das bedeutet, dass auch lebensbedrohlich erkrankte Personen abgeschoben werden, wenn eine ausreichende medizinische Versorgung im Herkunftsstaat gegeben ist. Dabei ist es unerheblich, ob die jeweilige Krankheit dort wirklich behandelt werden kann. Eine individuelle Prüfung, ob ein Abschiebeschutz besteht, findet damit nur noch im Ausnahmefall statt.

  • Psychische Erkrankungen (bis auf wenige Ausnahmen) und Krankheiten, die bereits im Herkunftsland bestanden, sind kein Abschiebungshindernis

Dies betrifft vor allem Personen, die ggf. bei Abschiebung Suizid begehen. Dies wird künftig in Kauf genommen.

  • Nur noch vom Bundesinnenministerium bestellte Ärzte entscheiden über die „Reisefähigkeit“, Widersprüche und Klagen gegen Entscheidungen dieser Mediziner haben keine aufschiebende Wirkung

Nicht Mediziner, die mit dem jeweiligen Krankheitsbild vertraut sind sondern vom Bundesministerium bestellte Mediziner entscheiden darüber, ob jemand abgeschoben werden darf oder nicht. Es steht zu befürchten, dass dies zu einer sehr rigiden Praxis führen wird.