Bildungsreise europäisches Grenzregime, Tag 5: Jahrestag der Katastrophe vor Lampedusa

Bildungsreise europäisches Grenzregime, Tag 5: Jahrestag der Katastrophe vor Lampedusa

Vom 29.9. bis 4.10.2015 bin ich auf Bildungsreise zum EU-Grenzregime in Tunis und Palermo. Ich habe bereits Berichte von Tag 1, 2,  3 und 4 online gestellt.

Am 3. Oktober 2013 ging vor Lampedusa ein Schiff mit ca. 550 Flüchtlingen unter, nur 155 konnten gerettet werden. Während in Deutschland der 3. Oktober nur als Tag der deutschen Einheit wahrgenommen wird, ist der Jahrestag dieser Katastrophe in der italienischen Politik präsent. So stand dieser Tag der Reise auch ganz im Zeichen dieses Jahrestags.

Dieser letzte Tag der Reise begann in Palermo mit einer Diskussion mit zwei Vertretern von NGO´s – Borderline Sizilien und Emergency –  die sich mit dem Monitoring von MIgrationsbewegungen und der kritischen Beobachtung von Polizei und Justiz im Umgang mit MigrantInnen sowie mit der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen beschäftigen. Beide Diskussionspartner sind mit großem welchem Engagement dabei, MigrantInnen zu schützen und ihnen Unterstützung zu geben. Gleichzeitig wurde deutlich, wie viel Kraft sie investieren müssen, um gegen staatliche Hürden anzukämpfen.

Dem schloss sich eine Diskussionsrunde mit dem sizilianischen Politiker Erasmo Palazzotto von der Sinistra Ecologia Libertà (2009 gegründete linksgerichtete und ökologische italienische Partei) und Yodit Abraha, der Leiterin eines kommunalen Flüchtlingszentrums in Palermo, die vor etwa zehn Jahren selbst aus Eritrea nach Italien kam, sowie dem Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Landtag Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert, an. Anlass der Podiumsdiskussion war der 2. Jahrestag der Katastrophe vor Lampedusa. Im Mittelpunkt standen die Ursachen der derzeitigen Flüchtlingssituation und die notwendigen Antworten der Europäischen Union darauf.

Erasmo Palazzotto macht fünf Forderungen an die europäische Politik auf, die ich hier dokumentieren will, weil sie zeigen, dass es in der migrationspolitischen Debatte sehr viel Übereinstimmung mit den Debatten der deutschen LINKEN gibt:

  • Legale Flucht- bzw. Zugangswege nach Europa, bspw. über humanitäre Visa, die im Herkunfts- oder einem Anrainerstaat beantragt werden können, keine Aufteilung von Flüchtlingen in „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Kriegsflüchtlinge“
  • Sofortige Abschaffung von Dublin
  • Europäisches Asylgesetz – wir brauchen gleiche Standards und Verfahren
  • Außerordentlicher europäischer Aufnahmeplan finanziert durch europäische Fonds
  • Entwicklungspolitik verändern, weg von wirtschaftlichen Interessen in der Entwicklungspolitik hin zu Hilfe zur Selbsthilfe, Ernährungssouveränität (statt Ernährungssicherheit) und nachhaltiger ökologischer Entwicklung in den armen Ländern
Danach trafen wir uns mit dem Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando. Der in Europa als Mafiajäger bekannte Politiker hat mit der Charta von Palermo ein radikales Papier gegen Ausgrenzung und für eine menschliche Aufnahme von Flüchtlingen ohne Bedingungen entwickelt und in der Stadt Palermo mehrheitsfähig gemacht. Damit unterscheidet er sich nicht nur im Anspruch sondern auch im politischen Wirken fundamental von dem Mainstream deutscher Politik. Die Carta ist hier als PDF hinterlegt.

Letzter offizieller Termin war der Besuch unserer Delegation beim Rat der Kulturen. Dieses Gremium setzt sich aus gewählten Vertretern aller in Palermo aktiven MigrantInnengruppen zusammen. Diese nutzten die Gelegenheit, die PolitikerInnen aus Deutschland ausführlich nach der Position der Bundesregierung und der Haltung der deutschen Linken zu fragen. Und es passierte das, was uns oft auf diesre Reise passierte: Aus der ursprünglich geplanten Stunde wurden durch die intensive Diskussion zwei Stunden.

Zum Abschluss der Reise folgte noch ein gemeinsames Abendessen im Gästehaus der Stadt Palermo.

Es wird sicher eine ganze Weile dauern, bis ich alle Eindrücke der Reise verarbeitet habe. Es waren fünf sehr intensive Tage, voll mit politischen Debatten und Informationen zur Situation von MigrantInnen in Europa und der EU-Politik. Auch emotional schwer zu verarbeitende Dinge waren dabei. Wir werden nun die Aufgabe haben, daraus politische Schlussfolgerungen zu ziehen.