Der Truppenübungsplatz Döberitz – eine politisch-historische Einordnung im Kontext der aktuellen Diskussion um die geplante Sammelstandortschießanlage der Bundeswehr

Der Truppenübungsplatz Döberitz – eine politisch-historische Einordnung im Kontext der aktuellen Diskussion um die geplante Sammelstandortschießanlage der Bundeswehr

Nun also eine Sammelstandortschießanlage der Bundeswehr. Der Truppenübungsplatz Döberitz und seine angegliederten Einrichtungen haben schon vieles gesehen. Vieles, das den meisten Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde Dallgow-Döberitz und auch denen der Stadt Potsdam (und der direkt an die Döberitzer Heide angrenzenden Ortslagen) nicht bewusst sein dürfte. Der aktuellen Diskussion um die geplante Sammelstandortschießanlage der Bundeswehr kann dieser Text den Aspekt der Kontinuität von militärischer Nutzung des Gebiets hinzufügen und vielleicht auch regionalgeschichtliches Bewusstsein wecken.

Geschichtsvergessenheit ist ein schlechter Berater. Schon seit Jahren kämpfe ich dagegen an, dass das historische Erbe der Region, das nun einmal stark durch Militarismus und Krieg gekennzeichnet ist, dem Vergessen anheim fällt oder unter den Tisch gekehrt wird. Vielen der Einwohnerinnen und Einwohner von Dallgow-Döberitz ist bspw. nicht bewusst, dass der Ort, in dem sie ihren Lebensmittelpunkt gewählt haben, ohne die militärische Nutzung der Döberitzer Heide seit mehr als einem Jahrhundert vielleicht gar nicht existieren würde, mindestens aber anders aussehen würde, als sie es kennen. Die Gemeinde und mit ihr die GemeindevertreterInnen haben bspw. gerade eines der letzten Zeugnisse der militärischen Vergangenheit, das wunderschöne und unter Denkmalschutz stehende Offiziercasino erst verfallen lassen und dann abgerissen, obwohl der Erhalt möglich gewesen wäre und auch brauchbare Nachnutzungskonzepte vorlagen. Es wäre eine Chance gewesen, zeit- und regionalgeschichtlicher Bewusstseinsbildung einen Raum zu geben.

Die Geschichte des Truppenübungsplatzes ist vordergründig schnell erzählt. Bereits seit ca. 1750 wurde das Gelände um Döberitz für Truppenübungen und Manöver genutzt. 1894 beschloss das Kaiserreich die Errichtung des Truppenübungsplatzes. Anlässlich dessen wurden die Einwohnerinnen und Einwohner des Dorfes Döberitz enteignet und umgesiedelt. Umgesiedelt vorrangig an den 1870/71 entstandenen Bahnhof zwischen den Dörfern Rohrbeck und Dallgow. Die Siedlung, die so entstand hieß Kolonie Neu Döberitz, in unmittelbarer Nähe wurde das Truppenlager errichtet. Mehr als ¾ des dicht bewaldeten Gebiets des Truppenübungsplatzes wurden abgeholzt, um das Gebiet zur sogenannten „Wüste Döberitz“ (der Kalahari nachgestaltet) umzuwandeln. Praktischerweise konnte man das anfallende Holz gleich gut gebrauchen für die Errichtung des Truppenlagers. Es folgte die nun mehr als ein Jahrhundert dauernde ununterbrochene militärische Nutzung des Geländes, durch die Truppen des Kaisers, der Weimarer Republik, der Nationalsozialisten, der sowjetischen Truppen und später der Bundeswehr. Zwar wurde in den 1990er Jahren ein großer Teil des ehemaligen Truppenübungsplatzes der zivilen Nutzung übergeben, den Standort vollständig aufgeben wollte die Bundeswehr jedoch nicht: im südlichen Teil der Heide zwischen Seeburg, Groß-Glienicke und Krampnitz werden nach wie vor ca. 600 Hektar als Standortübungsplatz Berlin/Döberitzer Heide militärisch genutzt. Gleichzeitig wurde nach dem Abzug der Roten Armee das Truppenlager abgebrochen. Auf diesem Gelände entstand die Einfamilienhaussiedlung Neu-Döberitz. Die Munitionsberäumung der Heide ist bei weitem nicht abgeschlossen. Die Sielmann-Stiftung hat das Gebiet mit einer Wildniskern- und einer Naturerlebniszone zu einem bedeutenden Naturschutz- und Naherholungsgebiet entwickelt.

Die militärische Nutzung eines Gebiets geht an diesem nicht spurlos vorbei. Und damit meine ich ausdrücklich nicht die noch heute im Überfluss vorhandenen Überbleibsel in Form von Munition und Ruinen. Vielmehr wird bereits durch die lose schlaglichtartige Aneinanderreihung historischer Ereignisse, die mit dem Truppenübungsplatz in Verbindung standen, deutlich, wie sehr Militär im letzten Jahrhundert Politik gestaltet und beeinflusst hat:

  • 1898: nach der Erklärung von Südwest-Afrika als „Deutsches Schutzgebiet“ 1894 wird 1898 die „Schutztruppe“ gebildet, die in Döberitz eingekleidet und sodann nach Afrika entsandt wird
  • 1901: Döberitz wird Standort des Luftschifferbatallions Nr. 1, daraus wird später die Versuchskompanie für Motorschiffahrt, Zeppeline sind das Stichwort
  • 1910: Provisorische Militärfliegerschule Döberitz, die Wiege des deutschen Militärflugwesens, hier werden die ersten Militätpiloten ausgebildet, unter ihnen auch Freiherr von Richthofen
  • 1918: der am 8.11. gebildete Soldaten- und Matrosenrat wird zum Brückenkopf der Novermberrevolution am Schienenweg nach Berlin
  • 1919: Friedrich Ebert weilt im Truppenlager Döberitz, während in Berlin der Spartakusaufstand zwischen 6. und 8.1. tobt
  • 1920: die in Döberitz stationierte Marinebrigade Ehrhardt rückt am 13.3. nach Berlin aus um der Regierung ein Ultimatum zu stellen und das Regierungsviertel zu besetzen (Kapp-Putsch), im Zuge dessen wird KPD-Mitbegründer und Minister der Thüringer Landesregierung, Hermann Duncker, in Döberitz interniert
  • 1935: Hitler inspiziert am 28.3. das Richthofen-Geschwader, welches anlässlich dessen über Berlin kreist und damit den ersten Fliegeralarm in Berlin auslöst
  • 1936: am 31.7. wird in Döberitz die „Legion Condor“ verabschiedet
  • 1936: Das Olympische Dorf Döberitz dient Sportlern aus aller Welt als Unterkunft während der Olympischen Spiele. Danach wird es der militärischen Nutzung zugeführt. Einige olympische Wettkämpfe wie der moderne Fünfkampf, der Geländeritt der Military und das 100 km Radrennen finden auf bzw. in der direkten Umgebung des Truppenübungsplatzes statt.
  • 1938: Truppenteile aus Döberitz nehmen an der Besetzung des Sudetenlandes teil, in der Folge werden Truppenteile aus Döberitz an allen Fronten des zweiten Weltkriegs eingesetzt
  • 1944: 400 Soldaten des Infanterie Lehrregiments Döberitz besetzten am 20.7. im Rahmen des Putsches gegen Hitler die Reichsrundfunkzentrale
  • 1945: in der Nacht vom 2. zum 3. Mai finden Kampfhandlungen mit 20.000 Toten in der Nähe von Dallgow und bei Alt-Döberitz statt, als aus Berlin heraus ein Ausbruchsversuch zur vermeintlichen Armee Wenk gestartet wird
  • 1953: Am 17. Juni rollen Panzer aus Döberitz nach Berlin um den Aufstand niederzuschlagen
  • 1966: am 15. November stürzt eine mit Postsäcken beladene amerikanische PanAm-Maschine über der Döberitzer Heide aus ungeklärten Umständen ab, nur ein Teil des Wracks wurde durch das sowjetische Militär den Amerikanern übergeben
  • 1968: alle in Döberitz stationierten Truppen werden zur Niederschlagung des Prager Aufstands gesandt, bei ihrer Rückkehr findet eine Jubelfeier statt
  • 1991: die sowjetische Armee verlässt den Standort, Beendigung der Nutzung als Truppenübungsplatz, weitere militärische Nutzung eines Teils im Süden der Heide durch den Standortübungsplatz Berlin/Döberitzer Heide durch die Bundeswehr

 

All diese Ereignisse bilden den historischen Kontext, wenn wir jetzt über die Ausweitung der militärischen Nutzung des Standortübungsplatzes Berlin/Döberitzer Heide durch den Bau einer Sammelstandortschießanlage der Bundeswehr reden. Es ist eben nicht nur die Frage von Lärm- oder Naturschutz, auch wenn diese derzeit die Debatte bestimmen und ohne Zweifel ihre Berechtigung haben. Es ist aber auch eine zutiefst friedenspolitische Frage, ob wir uns den Plänen der Bundeswehr hier in den Weg stellen.

Trotz Abschaffung der Wehrpflicht und geringerer Truppenzahl ist der Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren immer stärker gewachsen. Die Bundeswehr ist schon lange keine Verteidigungsarmee mehr sondern sie wird durch die Bundesregierung zu einer Armee im globalen Dauereinsatz umgebaut. Dies geht einher mit einer zunehmenden Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Schon längst ist Krieg wieder ein Mittel der Politik der Bundesregierung, zahlreiche Auslandseinsätze und Waffenexporte in quasi jede Krisenregion dieser Welt belegen dies.

Es ist unsere Aufgabe als LINKE, die Diskussion um die geplante Sammelstandortschießanlage der Bundeswehr zu nutzen, diesen Kontext herzustellen und deutlich zu machen, dass auch dieses Vorhaben Teil des Ausbaus der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee ist. Wir müssen die grundsätzliche Frage stellen, wozu die Bundeswehr diesen Ausbau des Standorts für ihre Strategie benötigt. Und wir müssen darum kämpfen, dass der Widerstand gegen den Bau neben der regionalpolitischen Debatte um Lärm- und Naturschutz und die Nähe zur Wohnbebauung auch die grundsätzlichen friedenspolitischen Fragen berührt. Dafür kann die Herstellung des regionalgeschichtlichen Kontexts ebenso hilfreich sein wie die grundsätzliche Thematisierung der Militarisierung deutscher Außenpolitik.