Ein kleiner Rückblick auf den Tag, an dem Nauen traurige Berühmtheit erlangte

Ein kleiner Rückblick auf den Tag, an dem Nauen traurige Berühmtheit erlangte

Gestern Abend kam ich nach Hause und war nach den Ereignissen des Tages so fertig, dass ein Blogbeitrag nicht mehr drin war. Und ich gebe zu, dass ich die Ereignisse emotional auch noch nicht völlig verarbeitet habe. Insofern kann es sein, dass dieser Beitrag auch weniger geordnet ist, als andere Blogbeiträge. Sorry, wenn dem so ist.

In der Kurzzusammenfassung sah mein Tag wie folgt aus: 6 Uhr Aufstehen, auf dem Handy die Nachricht lesen, dass in Nauen die Turnhalle abgebrannt ist, die ab September als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt werden sollte, sofort anziehen und los nach Nauen, dort der Blick auf die ausgebrannte Turnhalle und die Einsatzkräfte beim Löschen.

Dann schnell Informationen einholen und schon folgten die ersten Gespräche mit Journalisten. Meine erste Reaktion war ungefähr diese: „Ich bin fassungslos über diese Tat. Das ist rechter Terror, das kann man nicht anders bezeichnen. Ich hoffe, die Täter werden schnell gefasst. Jetzt kommt es darauf an, dass alle gemeinsam – Politik, Medien und Zivilgesellschaft – daran arbeiten, dass ein Klima von Toleranz und Weltoffenheit wieder hergestellt wird. Nur in einem solchen Klima, wo klar ist, dass solche Taten geächtet sind, wird so etwas nicht mehr stattfinden. Die Polizei und die Sicherheitsbehörden werden nicht jede Flüchtlingsunterkunft im Land jederzeit schützen können. Deshalb braucht es eine Zivilgesellschaft, die Flüchtlingen ein gutes Willkommen bereiten will. Die Nauenerinnen und Nauener müssen sich jetzt entscheiden, ob sie in einer von Hass zerfressenen Stadt oder in einer Stadt leben wollen, in der alle gut miteinander klar kommen, egal, woher sie kommen oder wie sie aussehen.“ Diese Sätze habe ich gestern gefühlte 100 mal gesagt. Und ich hoffe, dass es zumindest ein paar Menschen gibt, die ich damit aufrütteln konnte.

Es folgten unzählige Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Journalisten, anderen Politikern, Feuerwehmännern, Polizisten, Lehrern, dem Schulleiter des OSZ usw. Um 10.30 Uhr fand eine Pressekonferenz statt, bei der erste Ermittlungsergebnisse bekannt gegeben wurden.

Es folgten weitere Gespräche, irgendwann bin ich dann zu meinem Büro gefahren, um wenigstens ein paar Minuten Ruhe zu bekommen und nachzudenken, was an einem solchen Tag irgendwie nicht klappt. Eigentich wollte ich dann noch nach Potsdam, gerade auf der Autobahn erreichte mich aber die Nachricht, dass der rbb dringend ein Interview will. Also wieder zurück. Zwischendurch eine Pressemitteilung, dann hab ich mich eine halbe Stunde in ein Café gesetzt um wenigstens kurz ein wenig Abstand zu kriegen und nachzudenken.  Und dann bin ich noch mal zur Turnhalle gefahren. Dort waren die Ermittler noch immer bei der Sache.

Von da aus ging es zur eilig organisierten Mahnwache, die eigentlich eine Kundgebung war und an dem Ort stattfand, an dem eine Asylsuchendenunterkunft gebaut werden wird. Ich war wirklich überrascht, wie viele Menschen zu dieser Kundgebung kamen. Man sieht das auf den Bildern nicht so schön, aber ich denke, es waren ca. 400 TeilnehmerInnen, darunter Landtagsabgeordnete, Kreistagsmitglieder, Stadtverordnete, die Bürgermeister der Gemeinden und Städte des Havellands, Bürgerinnen und Bürger und viele Aktive aus Nauen und dem Havelland und UnterstützerInnen von weiter her.

Während der Kundgebung wurde klar, dass viele TeilnehmerInnen sich wünschen, eine Demonstration durch die Stadt zu machen, das fand dann auch statt. Auf Wunsch der Aktiven vor Ort habe ich die Demonstration angemeldet und gemeinsam ging es durch die Innenstadt zum Bahnhof. Es war ein gutes Gefühl, an einem solchen Tag gemeinsam mit vielen Menschen unterwegs zu sein und Gesicht zu zeigen.

(meine Bilder von der Demo sind nicht so toll geworden. Bessere gibt es hier.)

(An der Stelle muss ich noch eine persönliche Bemerkung einfügen. Ich hatte bei dieser Demo erstmals einen „eigenen“ Kontaktbeamten bei der Polizei. Wir waren uns schon morgens an der Turnhalle über den Weg gelaufen. Leider hab ich keine Kontaktdaten vom Herrn Schäfer, deshalb hier, vielleicht liest er es ja: Ich will Ihnen herzlich danken: Für den Humor auch nach 14 Stunden Dienst an diesem für uns alle so schwierigen Tag, das nette Gespräch und die freundliche Begleitung beim abendlichen Spaziergang. Danke! Und: Ich habe Wort gehalten 😉 )

Nach der Demonstration war ich einfach nur noch fertig und bin nach Hause gefahren.

 

Und nun? Was ist einen Tag danach die Einschätzung? Nun, ich glaube, dass meine erste Reaktion völlig richtig war und dazu stehe ich. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass klar wird, dass diese Taten nicht toleriert werden und die Täter sich außerhalb der demokratischen Gesellschaft positionieren. Ich frage mich aber, woher so viel Hass kommt. Das macht mich nach wie vor fassungslos. Wie viel Hass muss da sein, wenn jemand eine Turnhalle abfackelt, nur um Menschen Angst zu machen und zu verhindern, dass Flüchtlinge dort einziehen. Zumal eine Turnhalle nun wirklich keine wünschenswerte Unterkunft ist.

Was mich aber zusätzlich geschockt hat, waren die Reaktionen einiger Nauenerinnen und Nauener. Heute habe ich mir ein paar Berichte von gestern angeschaut und da war das ca. 8-jährige Mädchen, dass Journalisten im Beisein ihres Vaters erzählte, sie wolle keine Ausländer in ihrer Schulklasse. Da war die Frau, die sagte, das wäre doch absehbar gewesen und die nähmen uns die Arbeitsplätze weg. Und da war der Mann, der erklärte, ihm sei das egal, wenn eine solche Tat begangen wird, er verstünde das aber, was wollten die „Asylanten“ auch hier. Als ich das gesehen und gehört habe, fragte ich mich ernsthaft, was eigentlich die Grundwerte unseres Zusammenlebens sind.

Zum Glück gab es auch viele andere Reaktionen und ich hoffe, dass all diejenigen, die ein gutes Miteinander in unserem Land wollen, diese abscheuliche Tat zum Anlass nehmen, Gesicht zu zeigen oder zumindest ein wenig lauter zu sein als bisher und zu widersprechen, wenn Hass verbreitet wird.

Das alles zeigt auch, dass es weiterhin wichtig ist, dass wir aufklären und Fragen beantworten und versuchen, einen Teil der Ängste, die es gibt, abzubauen. Lasst uns Begegnungsräume schaffen, lasst uns reden und zuhören. Und lasst uns sie stärken, die Flüchtlingen ein gutes Willkommen bereiten wollen.

Ich danke allen, die gestern in Nauen waren und uns, die wir vor Ort seit Monaten versuchen, ein Klima von Toleranz und Weltoffenheit zu schaffen, unterstützt haben. Ihr habt mir, habt uns Mut gegeben, weiter zu machen, auch wenn es manchmal in Nauen nicht ganz leicht ist, Gesicht zu zeigen gegen den Hass. Und ihr habt uns an dem für alle schweren Tag geholfen durchzuhalten.

Danke! No pasaran! Refugees welcome!