Gastbeitrag: Videoüberwachung ist kein wirksames Mittel zur Terrorbekämpfung

Gastbeitrag: Videoüberwachung ist kein wirksames Mittel zur Terrorbekämpfung

Francesco Pillinini

Andreas Büttner

Dieser Text zweier LINKER Polizisten ist auch in der Tageszeitung neues deutschland in gekürzter Fassung erschienen. Er ist eine sehr wohltuend unaufgeregte und sachliche Stimme in der aufgeheizten Debatte um die Ausweitung der Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Deshalb finde ich, dass er möglichst weit verbreitet werden sollte und danke den beiden Autoren Andreas Büttner und Francesco Pillinini (Polizeibeamte in Berlin und aktiv im Arbeitskreis LINKE Polizist*innen Berlin-Brandenburg) für die Veröffentlichungsgenehmigung hier im Blog.

 

Videoüberwachung ist kein wirksames Mittel zur Terrorbekämpfung

Von Andreas Büttner und Francesco Pillinini

Mehrere schwere Gewalttaten erschütterten in den vergangenen Wochen die Hauptstadtregion: Der Anschlag auf dem Breitscheidplatz, der 12 Menschen das Leben kostete und bei dem mehrere Dutzend Personen verletzt wurden, aber auch der Tritt eines Täters in den Rücken einer völlig unbeteiligten Frau, die daraufhin die Treppe in einem U-Bahnhof herunterstürzte und der versuchte Mord an einem Obdachlosen, bei dem sieben Täter versuchten, diesem Menschen anzuzünden und dessen Habe bei dieser Tat in Brand geriet. Diese Taten haben uns sprachlos und fassungslos gemacht und wir haben gehofft, dass die Debatte in Medien und Politik, wie solche Gewalttaten künftig verhindert werden können, von Sachlichkeit und Fachlichkeit geprägt ist. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt und so beobachten wir aktuell einen Diskurs, der nur auf den kurzen medialen Erfolg setzt.  Einige scheinen ihre Sprachlosigkeit jedoch durch Empathielosigkeit zu ersetzen. Insbesondere Politiker der konservativen und rechten Parteien sind der Auffassung, man müsse jetzt um jeden Preis die Eingriffsbefugnisse der Polizei erweitern und die Videoüberwachung des öffentlichen Raums massiv ausweiten, um diese Taten verhindern zu können.

Das ist eine einigermaßen schräge Argumentation. Sie macht vor allem eines – sie geht nicht von dem präventiven Ansatz aus sondern setzt rein auf Repression. Damit geht es also gerade nicht um die Verhinderung von Straftaten. Natürlich ist auch Aufklärung ein wichtiges Anliegen. Die Bevölkerung wird jedoch vor allem dadurch geschützt, dass solche  Straftaten nicht verübt werden. Das alleine schützt die Bevölkerung.

Aus vielen Ländern – Großbritannien, Frankreich, Belgien – sehen wir, dass Videoüberwachung, die dort deutlich weiter verbreitet ist als in Deutschland, eben nicht dazu führt, dass Straftaten oder gar Terroranschläge verhindert werden.

Von Studien wissen wir, dass Videoüberwachung keine abschreckende Wirkung hat. Unbestritten ist dies auch die herrschende Meinung der Fachwissenschaft. Es ist eine Mär konservativer Politik, dass Videoüberwachung oder härtere Strafen abschrecken und Täter davon abhalten würden, Straftaten zu begehen. Mit dieser Argumentation müsste man davon ausgehen, dass die finale Strafe, die Todesstrafe, dazu führt, dass keine Tötungsdelikte mehr begangen werden. Das Beispiel USA lehrt uns etwas anderes.

Warum also schreien konservative Politiker reflexhaft nach mehr Überwachung und Repression? Weil sie genau das wollen! Es passt in ihr politisches Konzept, Eingriffsbefugnisse des Staates auszuweiten und Datensammlungen weiter zu verstärken.

Und die Politik kann mit solchen Mitteln schnelle Reaktion zeigen auf das vermutete Gefühl der Bevölkerung. Sie legen simple Kausalitätsstränge an, die von keiner Wissenschaft gedeckt sind, die aber dazu führen, dass die Bevölkerung sich sicherer fühlen soll und diese Politiker als schnell handelnde Personen dastehen. Man kann es auch simpler formulieren: diese Politiker nutzen schamlos das Gefühl der Bevölkerung für ihre eigenen Interessen aus. Das eigentliche Problem hierbei ist, dass sie mit ihren durchgeführten Maßnahmen die subjektive Nachfrage der Bevölkerung nach der Verbesserung des Sicherheitsgefühls zwar decken können, und die Bevölkerung darin eine Lösung sieht. Objektiv ändert sich allerdings nichts an der Sicherheitslage, da der Fokus an der falschen Stelle gesetzt wurde, wie folgend noch beschrieben wird. Am Ende wird unter dem Vorwand mehr Sicherheit schaffen zu wollen, keine objektive Sicherheit geschaffen, sondern lediglich eine für die Gewalt- und Terrorprävention nutzlose Einschränkung unserer Freiheit in Form der Überwachung.

Dabei wollen sie uns weismachen, dass ein Mehr an Sicherheit ein Mehr an Freiheit bedeutet. Das Gegenteil ist der Fall. Freiheit stirbt immer scheibchenweise – hier etwas mehr Videoüberwachung, dort eine Eingriffsbefugnis für die Sicherheitsorgane mehr. Ziel linker Politik kann nicht sein, die Sicherheit auf Kosten der Freiheit uneingeschränkt zu verteidigen.  Vielmehr ist immer zu fragen, ob eine vorgeschlagene Maßnahme tatsächlich dazu führt, dass Straftaten verhindert werden und inwiefern der Eingriff in Relation zum erwünschten Ergebnis steht.

Die Vorfälle in Berlin, aber auch in anderen Städten in Europa, zeigen, dass Videoüberwachung keinen Anschlag verhindern kann. Es ist gerade das Ziel von Terroristen, mit diesen Anschlägen möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen. Sie wollen dabei gefilmt werden, sie wollen, dass ihre Tat in ihrer „Welt“ verbreitet wird und sie wollen den Märtyrertod. Auch das Hinterlassen von Ausweisdokumenten, welches wir mehrfach erlebt haben, bestätigt diese These. Sie wollen, dass ihre „Brüder“ von ihren Taten erfahren. Sie lassen sich nicht von Videoüberwachung abschrecken.

Auch die Taten auf den U-Bahnhöfen zeigen: Videoüberwachung schreckt nicht ab. Alle Berliner U-Bahnhöfe, fast alle Busse und 80 % der Straßenbahnen sind videoüberwacht. Taten verhindert haben sie bisher nicht. Aber sie haben in vielen Fällen zu einem schnelleren Aufklären der Taten geführt. Jedoch bestreitet auch niemand, dass das Überwachen von kritischer Infrastruktur in Ordnung ist. Uns geht es um die Verhinderung der Überwachung von öffentlichen Plätzen und Straßen.

Und: Man wird niemals alles überwachen können – es sei denn, man will in der Tat den Überwachungsstaat. Ein Blick nach London zeigt es. Die Videoüberwachung dort wurde eingeführt, um Terror zu verhindern. Genutzt wird sie, um Falschparker zu verfolgen. Man zoomt die Kennzeichen ran und schreibt dann die Tickets.

Was also ist die Alternative?

Die beste, aber eben auch langfristigere Alternative ist es, dem Terror den Boden zu entziehen. Mit Vermögensabschöpfung, mit einer starken und wirksamen Entwicklungshilfe und mit Bildung und Chancen für die Menschen in den Regionen, die vom Terror am meisten bedroht sind. Das sind insbesondere die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, aber auch Staaten wir Afghanistan und Pakistan oder Staaten auf dem afrikanischen Kontinent. Chancen und Gerechtigkeit für die Menschen, Zukunftsperspektiven und faire Behandlung führen langfristig dazu, dass den Terrorpaten der Boden entzogen wird. Menschen, die für sich eine Zukunft sehen, sprengen sich nicht in die Luft.

Auch für Deutschland gilt: Chancen und Bildung insbesondere für die junge Generation, insbesondere für die Menschen, die zu uns gekommen sind und unsere Hilfe benötigen.

Für Berlin gilt auch: Menschen verhindern Straftaten. Wenn wir dazu kommen, dass wir auf den U-Bahnhöfen wieder Sicherheitspersonal der BVG haben und wenn wir endlich den Abbau der Polizei in Berlin stoppen – was die neue Regierungskoalition will – damit wir wieder Polizeibeamte auf der Straße haben, die den Menschen tatsächliche Sicherheit geben können, wenn wir es dann noch schaffen, unsere Polizei gut und solide auszubilden und auszustatten, dann haben wir deutlich mehr erreicht, als nur Kameras in der Stadt aufzuhängen.

Die Forderung nach mehr Videoüberwachung ist der hilflose Versuch von Politikern, ihre eigene Unzulänglichkeit, ihre Unwissenheit und ihren Handlungsdrang zu befriedigen. Mehr nicht!