Interview über die Lage der Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan

Interview über die Lage der Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan

Vom 17. bis 24. Dezember war ich in der Autonomen Region Kurdistan um mich über die aktuelle Lage der Minderheiten dort zu informieren (ausführlicher Reisebericht folgt!). Mit Benjamin Lassiwe sprach ich nach meiner Rückkehr darüber. Das Interview ist hier veröffentlicht. Ich dokumentiere hier meine Freigabe für das Interview. Es wurde in der Veröffentlichung leicht gekürzt und auch die Schreibweisen weichen teilweise leicht ab.

 

Frau Johlige, was macht eine Brandenburger Landtagsabgeordnete über Weihnachten in Kurdistan?

Der Anlass der Reise war, dass das Menschenrechtszentrum Cottbus eine Kirche in Telskof saniert hat, die dort am 22. Dezember geweiht wurde. Mir ging es mit der Reise aber vor allem um die Frage, wie es den verfolgten Minderheiten in der Region, also Yeziden und Christen, heute geht.

Haben Sie Projekte besucht, die Brandenburg im Irak fördert?

Das Land fördert ja ein größeres Projekt im Shingal-Gebirge, der Heimat der Yeziden. Das wollten wir eigentlich besuchen. Dort finden aber wieder Kämpfe statt. Deswegen bin ich dort nicht hingefahren. Die eigene Sicherheit geht hier immer vor.

Im Khanky-Camp im Distrikt Dohuk leben ca.15.000 Menschen, die vor dem Genozid aus dem Shingal geflohen sind, nun seit mehr als fünf Jahren.

Was haben Sie über die Lage der Yeziden insgesamt erfahren? 

Wir waren in mehreren Flüchtlingscamps, die wir auch schon im Jahr 2017 besucht haben. Die Menschen können immer noch nicht in ihre Heimatdörfer zurück. Sie leben größtenteils schon seit über fünf Jahren in diesen Lagern. Es war deutlich zu spüren, dass es eine große Resignation gibt. Gesprächspartner haben uns gesagt, dass sie sich von der internationalen Gemeinschaft alleingelassen fühlen, auch gerade angesichts des Einmarsches der Türkei in das kurdische Gebiet Rojava. Man spürt da ganz viel Hoffnungslosigkeit vor Ort.

Welchen Eindruck haben Sie von der Lage der christlichen Minderheit bekommen?

Alqosh ist ein christlicher Ort mit Kirchen und Klöstern. Diesen Ort haben wir ebenfalls besucht, und dort mit den Menschen gesprochen. Ihnen geht es etwas besser, als den Yeziden. Das hat auch damit zu tun, dass es ein großes Engagement der christlichen Kirchen vor Ort gibt, weshalb es mehr internationale Hilfsarbeit gibt als in den yezidischen Camps. Wir konnten sehen, dass Kirchen und Klöster saniert werden, und dass von außen Hilfe kommt. Nach dem Völkermord 2014 gab es auch für die Yeziden ein starkes internationales Engagement, das lässt aber nach. Aber auch die Christen haben, wie alle Minderheiten im Irak, Angst. Auch sie fürchten, nicht dauerhaft in der Region leben zu können. Wir haben gehört, dass viele Menschen am Liebsten nach Europa flüchten wollen.

Mädchen mit Hilfspaketen im Khanky-Camp.

Sehen Sie für die Region eine Perspektive?

Man muss vor allem sicherstellen, dass in der Region dauerhaft Frieden geschaffen wird. Das ist das Einzige, was den Menschen helfen kann. Immer wenn es zu Kriegshandlungen kommt, werden Lebensperspektiven zerstört. Im Nordirak leben 600.000 Flüchtlinge bei fünf Millionen Einwohnern. In den Camps werden sie etwas unterstützt, aber die, die außerhalb der Camps in den Dörfern leben, unterstützt niemand. Wir brauchen hier ein stärkeres Engagement der internationalen Gemeinschaft, um den Menschen das Grundlegende zu sichern. Wir haben auf der Reise erfahren, dass sich ein Teil der internationalen Hilfsorganisationen zum Jahresanfang aus der Region zurückziehen will, weil das Geld ausgeht. Das ist ein Alarmsignal.

Was kann Deutschland tun, was kann Brandenburg tun?

Deutschland und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnen mittlerweile fast 100 Prozent der Yeziden ab, wenn sie hier Asyl beantragen. Das sind politische Entscheidungen. Das kann und muss man ändern, denn im Irak können diese Menschen dauerhaft nicht leben. Auch Brandenburg sollte sich weiter für diese Menschen engagieren. Wir haben das Projekt im Shingal, wir haben das Landesaufnahmeprogramm für yezidische Frauen, die Opfer des IS wurden. Dieses Programm sollten wir fortsetzen: Es sind noch immer 3000 Yezidinnen nicht aus der Versklavung durch den IS zurückgekehrt. Brandenburg wird es nicht überfordern, diesen Menschen weiter zu helfen – denn vor Ort haben sie keine Lebensperspektiven mehr.

Das Interview führte Benjamin Lassiwe