Konferenz "LGBTI + History in the baltic states: situation and prospects" im Seimas in Vilnius

Konferenz „LGBTI + History in the baltic states: situation and prospects“ im Seimas in Vilnius

Gestern fand im Seimas, dem litauischen Parlament, die Konferenz „LGBTI + History in the baltic states: situation and prospects“ statt. Hier trafen sich am Tag vor dem Baltic Pride, der abwechselnd in Litauen, Estland und Lettland stattfindet, Aktivist*innen aus diesen Ländern und verständigten sich gemeinsam zur aktuellen Situation der LGBTI in den baltischen Staaten, zu Vorhaben und Entwiclungen im gesellschaftlichen und politischen Bereich. Ich habe die internationale Perspektive in diese Konferenz eingebracht. Meine Rede ist unten dokumentiert.

Zuerst einmal aber hier ein paar Eindrücke vom Seimas:

Und ein paar Eindrücke von der Konferenz:

Und hier nun mein Redebeitrag:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bedanke mich herzlich für die Einladung zu dieser Konferenz und bin gespannt auf die Informationen und die Diskussion, die ich hier erhalte.

Ich bin Andrea Johlige, Mitglied des Landtages Brandenburg in der Fraktion der Partei DIE LINKE. Brandenburg ist ein Bundesland in Deutschland, in dem ca. 2,5 Millionen Menschen leben. Im Parlament beschäftige ich mich vor allem mit Fragen der Migrationspolitik, dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus und der Stärkung von Minderheitenrechten. Dabei spielen natürlich auch die Rechte und die Emanzipationsbewegung der Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) eine Rolle.

Die Diskriminierung von LGBTI ist ein weltweites Thema. Wir wissen, dass es in 72 Ländern Homosexualität unter Strafe steht, in 13 Ländern gilt gar die Todesstrafe für homosexuellen Handlungen. Die Situation der LGBTI in diesen Ländern ist teils katastrophal, ein Kuss, eine Berührung kann den Tod bedeuten. Doch selbst wo nicht die Todesstrafe gilt, sind die Betroffenen teils langen Haftstrafen, Folterungen, Gewalt ausgesetzt und wir tun gut daran, hier als internationale Gemeinschaft unseren Einfluss geltend zu machen, um die Rechte von LGBTI zu verbessern.

In Europa sind solch drastische Zustände zum Glück nicht vorherrschend, doch wir wissen, dass die Situation für LSBTI in einigen Ländern nach wie vor sehr angespannt ist und neben Diskriminierungen in allen Lebenslagen und mangelnder rechtlicher Gleichstellung nach wie vor in einigen Ländern auch staatliche und nchtstaatliche Verfolgung drohen. Und auch deshalb bin ich sehr dankbar für die Einladung zu dieser Konferenz. Ich glaube, es ist wichtig und notwendig, dass sich all diejenigen, die sich für die Rechte der LGBTI einsetzen, europa- und weltweit vernetzen und gegenseitig unterstützen, voneinander wissen und von den Erfahrungen der anderen lernen. Dazu leisten wir heute einen Beitrag.

Dabei haben wir in den vergangenen Jahrzehnten auch schon viel erreicht. In nunmehr 125 Ländern steht Homosexualität nicht bzw. nicht mehr unter Strafe und in neun Ländern, bspw. Schweden und Südafrika, gibt es sogar gesetzliche Diskriminierungsverbote. Der Kampf um Diskriminierungsverbote, die Lesben und Schwule wirksam vor Benachteiligungen durch staatliche Institutionen und auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt schützen, ist aus meiner Sicht wichtig, angesichts der auch in fortschrittlichen Staaten anhaltenden Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität.

Mittlerweile gibt es in 24 Ländern die Ehe für alle, die eine weitreichende rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare mit heterosexuellen Paaren garantiert. In Europa war das erste Land, dass die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubte, die Niederlande, es folgten Belgien, Spanien, Norwegen, Schweden, Portugal, Island, Dänemark, Frankreich, Großbritannien (mit Ausnahme Nordirlands), Luxemburg, Irland, Finnland und Malta und schließlich am 1. Oktober 2017 auch endlich Deutschland. Dem vorausgegangen war ein Jahrzehnte langer Kampf der Aktivisten und Verbände der LGBTI in Deutschland, unterstützt durch Teile der Politik, Medien und Kultur für die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensmodelle. Am Ende war es eine Mischung aus starkem zivilgesellschaftlichem Druck und einer kaum vorhersehbaren glücklichen Fügung im politischen Betrieb, die etwas überraschend dazu führte, dass der Deutsche Bundestag den Weg für die Ehe für alle frei machte. Das war ein ganz wichtiger Schritt zur Emanzipation der LGBTI und garantiert endlich auch in Deutschland gleichgeschlechtlichen Paaren Rechtssicherheit und steuerliche Gleichbehandlung.

Damit verbunden sind auch Fragen des Adoptionsrechts. In Europa gewähren die Niederlande, Dänemark, Schweden, Spanien, Belgien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland homosexuellen Paaren das volle Adoptionsrecht. Auch diese Rechts zu erkämpfen war ein langer Weg und die Aufzählung der Länder, die diese Rechte gewähren, zeigt, dass es weltweit aber gerade auch in Europa noch sehr viel zu tun gibt und wir müssen uns leider darauf einstellen, dass es noch Jahrzehnte dauern wird, bis wir endlich sagen können, dass LGBTI überall in Europa die gleichen Rechte in allen Lebensbereichen erhalten wie andere Paare.

In Deutschland haben wir in den vergangenen Jahrzenten sehr viel bewegt. Man kann klar sagen, dass die Lage der LGBTI heute sehr viel besser ist als noch vor einigen Jahren. Die Gesellschaft ist bunter und offener geworden, sie akzeptiert verschiedene Lebensmodelle sehr viel stärker und die Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen für LGBI sind geringer geworden. Und dennoch ist noch nicht alles gut. Noch immer haben Lesben und Schwule mit Vorurteilen zu kämpfen, noch immer gibt es junge Menschen, die ihre sexuelle Orientierung weder ihren Freunden noch ihren Eltern offenbaren, noch immer gibt es homophobe Verbalattacken bis hin zu körperlicher Gewalt.

Aber es ist besser geworden. Und das ist jedoch auch Jahrzehnte andauernden Kämpfen zu verdanken. Ein Beispiel ist der Kampf gegen den §175 des deutschen Strafgesetzbuchs. Er existierte vom 1. Januar 1872 bis zum 11. Juni 1994 und stellte homosexuellen Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Am 1. September 1935 verschärften die Nationalsozialisten den §175, unter anderem durch Anhebung der Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis. Mit der Reform des Strafgesetzbuches im Jahr 1969 wurde der § 175 entschärft aber erst 1994 wurde er endgültig abgeschafft. Auf seiner Basis wurden Schätzungen zufolge 64 000 Menschen in Deutschland verurteilt und erst im Jahr 2017 rehabilitierte der Deutsche Bundestag die auf Grundlage dieses § verurteilten Justizopfer und bewilligte Entschädigungszahlungen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts forderten Wissenschaftler um Magnus Hirschfeld die Abschaffung des § und die Sozialdemokratische Partei war die erste Partei, die diese Forderung aufgriff. Es dauerte als fast 100 Jahre, diesen diskriminierenden Paragraphen, der für unfassbares Leid bei den Betroffenen führte, wieder abzuschaffen. Und es dauerte deutlich mehr als 100 Jahre, die Betroffenen zu rehabilitieren.

Dieses Beispiel zeigt nicht nur, wie lange die Emanzipationsbewegung der LGBTI bereits existiert, es zeigt auch, wie wichtig es ist, einen langen Atem zu haben und nicht nachzulassen im Kampf um gleiche Rechte und wie wichtig es ist, Bündnisse mit fortschrittlichen gesellschaftlichen und politischen Kräften zu schließen.

Und es zeigt auch, dass es Rückschläge und Niederlagen gibt. Gerade jetzt sehen wir auch in europäischen Ländern, dass erkämpfte Rechte nicht selbstverständlich sind und konservative, reaktionäre und rechtsnationale Kräfte auch heute noch die Diskriminierung von Lesben und Schwulen politisch vorantreiben und für ihre politischen Zwecke missbrauchen. Das muss nicht immer in Form juristischer Einschränkung von Rechten geschehen. Jedoch heizt es gesellschaftliche Stimmungen an und sorgt für verstärkte Diskriminierung im Alltag bis hin zu offener Abneigung und Gewalt. Europaweit sind Rechtspopulisten und Rechtsextreme auf dem Vormarsch und dies führt in einigen Ländern auch dazu, dass wieder mehr Angst in der LGBTI-Community herrscht, dass das Outing schwieriger und das offenen Leben der sexuellen Identität eingeschränkter wird und dass homophobe Gewalterfahrungen wieder häufiger werden.

Meine Erfahrung aus Deutschland ist, dass nur breite gesellschaftliche Bündnisse aus Politik, Zivilgesellschaft, Medien und Kultur helfen, solche Stimmungen und Tendenzen zurück zu drängen. Damit verbunden ist Aufklärungsarbeit und Bildung, umfassende Beratungsangebote sowohl hinsichtlich der sexuellen Orientierung und dem Outing, als auch der Gesundheitsprävention. Und es braucht eine bewusste Antidiskriminierungspolitik, die sich nicht nur auf Diskriminierung wegen Herkunft, Geschlecht und Religion sondern auch auf die sexuelle Identität bezieht.

Ich will mit einer kleinen Geschichte enden, die ein wenig Mut machen soll. Im vergangenen Jahr war ich beim Pride in Jerusalem. Israel ist traditionell ein Land, in dem die Akzeptanz von Homosexualität recht fortgeschritten ist. Jedoch gibt es dort vor allem religiös begründete Vorurteile und Diskriminierungen. Vor vier Jahren stach ein ultra-orthodoxer Mann auf sechs Teilnehmer der Pride Parade ein. Die 16-jährige Shira Banki starb.

Der Angriff wurde von großen Teilen der israelischen Gesellschaft und Politik verurteilt. Doch dabei ist es nicht geblieben. Als ich im vergangenen Jahr am Pride teilnahm, wunderte ich mich erst über die vielen heterosexuellen Paare und Familien aber auch zivilgesellschaftlichen Organisationen, die nicht der LGBTI-Community zuzuordnen waren, die bei der Parade mitliefen, weil das bei den meisten Prides ja eher nicht so ist. Ich habe einige davon angesprochen und gefragt. Eine Frau sagte mir, für sie ist der Umgang mit gesellschaftlichen Minderheiten der Gradmesser für eine liberale Gesellschaft und eben weil bekannt ist, dass der Pride umstritten ist und immer wieder angegriffen wird, will sie durch ihre Anwesenheit Solidarität mit den andere Teilnehmern zeigen, will sagen, ihr seid nicht allein, wir sind bei euch, ihr gehört zu uns, ihr seid Teil unserer Gesellschaft und wir werden diskriminierte Minderheiten beschützen. Ich finde, diese kleine Geschichte macht Mut und zeigt, wie wichtig Solidarität beim Kampf um Minderheitenrechte ist. In Europa und weltweit.

In diesem Sinne freue ich mich auf eine spannende Konferenz, freue mich auf spannende Informationen und Diskussionen, die ich gern mit nach Deutschland nehmen werde. Und ich freue mich auf den Pride morgen!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“