Rede auf dem Landesparteitag der LINKEN Sachsen-Anhalt zur Situation nach der Landtagswahl in Brandenburg

Rede auf dem Landesparteitag der LINKEN Sachsen-Anhalt zur Situation nach der Landtagswahl in Brandenburg

Foto: DIE LINKE Sachsen-Anhalt

Rede beim Landesparteitag der LINKEN Sachsen-Anhalt in Quedlinburg. (Foto: DIE LINKE Sachsen-Anhalt)

Landesparteitag der LINKEN Sachsen-Anhalt

Landesparteitag der LINKEN Sachsen-Anhalt

Der Landesparteitag der LINKEN Sachsen-Anhalt fand am Samstag im Quedlinburg statt. Ich habe einen Abstecher dorthin gemacht und die GenossInnen über die Situation nach der Landtagswahl in Brandenburg informiert. Meine Rede dokumentiere ich hier:

„Liebe Genossinnen und Genossen,

ich freue mich sehr, mal wieder bei euch zu sein. Beim letzten Mal, das ist jetzt wohl ein Jahr her, war ich noch optimistisch, dass man als LINKE in Regierung bei Wahlen nicht verlieren muss und dass wir in Brandenburg den Beweis antreten wollen, dass dies kein Naturgesetz ist. Nun, ich verraten kein Geheimnis, wenn ich sage, der Beweis ist nicht gelungen. Ihr ward sicher genauso erschrocken wie wir am Wahlabend, als der Balken bei 18,6% stehen blieb. Das hervorragende Ergebnis der Thüringer Genossinnen und Genossen ist dabei zwar ein Trost. Dennoch ist es für uns als Brandenburger LINKE eine herbe Niederlage. Und das, obwohl die Ausgangslage gut war. Mehr als 60% der Brandenburgerinnen und Brandenburger waren mit der rot-roten Landesregierung zufrieden, die Bilanz der fünf Jahre Regierungszeit war gut, eine Wechselstimmung nicht vorhanden. Warum aber dieses Ergebnis? Wir sind noch nicht fertig mit der Analyse, und aufgrund der Zeit kann ich nur einige Punkte anreißen. Ich beschränke mich deshalb auf die, die aus meiner Sicher für DIE LINKE auch in anderen Landesverbänden Relevanz haben.

  1. Wir hatten ganz klar ein Mobilisierungsproblem. Unsere WählerInnen sind einfach zu Hause geblieben. Es gab natürlich auch Wählerwanderungen im demokratischen Lager und auch zur AfD, das Hauptproblem sind aber 120.000 unserer Wählerinnen und Wähler, die es dieses Mal nicht wichtig fanden, zur Wahl zu gehen. 120.000 Menschen, die wir enttäuscht haben, die aber gleichzeitig auch keiner anderen Partei ihr Vertrauen geben wollten.
  2. Ich glaube, unser Hauptproblem war: Wir sind in die Glaubwürdigkeitsfalle gelaufen. Wir dachten immer, so lange wir vor allem bei unserer Kernkompetenz – dem Sozialen – glaubwürdig bleiben, ist alles gut. Das reicht aber nicht. Die Diskussionen um die Entscheidungen zur Braunkohle, die bundesweit in den Medien waren, haben uns unglaubwürdig gemacht. Das Thema selbst war nicht wahlentscheidend, es hat aber unsere WählerInnen, die von uns höchste Integrität erwarten, enttäuscht und den Eindruck, wir seien auch nicht anders als die anderen, erweckt.
  3. Damit im Zusammenhang steht: Wir hatten einige Diskussionen um Personen und personelle Wechsel in diesem Jahr. Wir artikulieren beständig einen hohen moralischen Anspruch und damit werden wir auch genau daran gemessen. Wenn dann Fehler passieren, werden sie uns besonders negativ zugeschrieben. Auch dies ist schwer zu beheben, denn eine Partei besteht aus Menschen, und Menschen sind natürlich auch fehlbar. Und so hat sich auch dadurch bei vielen Wählerinnen und Wählern der Eindruck noch verfestigt, dass wir nicht anders als die anderen Parteien sind.
  4. Wir haben die Ängste der Menschen unterschätzt bzw. falsch eingeschätzt. Es war weniger die Angst vor dem sozialen Abstieg, sondern, und das sicher befeuert durch eine fast gemeinsame Kampagne von CDU und AfD, die Angst vor Kriminalität und Grenzkriminalität, aber auch vor Flüchtlingen. Diese Ängste aufzunehmen, aber nicht vor ihnen zu kapitulieren, das wird für uns eine politische Daueraufgabe werden. Und wir müssen darüber reden, woran es liegt, dass bei den drei Landtagswahlen im Herbst in allen Ländern das Lager rechts der SPD stärker geworden ist. Ost die Gesellschaft insgesamt nach rechts gerückt? Und wenn ja, was machen wir als LINKE mit so einem Befunde?
  5. Hinzu kommt, in Brandenburg ist deutlich geworden: Wir waren nicht nah genug an der Lebenswirklichkeit der Menschen dran. Das wird auch immer schwieriger, das kennt ihr auch. Unsere Stärke in den 90er Jahren war, dass wir in quasi jedem Verein, jeder Initiative verankert und erlebbar waren. Das sind wir nicht mehr und werden wir auch so einfach nicht wieder werden, angesichts sinkender Mitgliederzahlen und älter werden wir alle ja auch. Wie also schaffen wir es, dennoch an den gesellschaftlichen Konflikten vor Ort dran zu bleiben? Hier ist es das Windrad, dort die Diskussion um eine Straße und 10 km weiter die Diskussion zu einer Schule oder Kita. Wie schaffen wir es wieder, hier erlebbar zu sein? Daran müssen wir arbeiten, in allen Landesverbänden.
  6. Und einen sechsten Punkt will ich sagen: Der ist fast schon tragisch, aber wir müssen uns damit auseinandersetzen. Das sind unsere Kompetenzzuschreibungen. Diese werden immer noch vor allem über die Bundespolitik geprägt. Helmuth Markov und Christian Görke haben als Finanzminister nicht, wie alle brandenburger Landesregierungen zuvor, 19 Mrd. Schulden aufgehäuft, sondern wir haben Schulden getilgt, und letztes Jahr über 500 Millionen Überschuss erwirtschaftet. Kompetenzzuschreibung in der Haushaltspolitik: 5%!
    Wir haben die Förderpolitik verändert, haben die Arbeitslosigkeit deutlich reduziert, haben die Klein- und mittelständischen Unternehmen gestärkt und gelten als das attraktivste ostdeutsche Land für Investoren. Das alles geschah unter einem linken Wirtschaftsminister. Kompetenzzuschreibung in der Wirtschaftspolitik bzw. der Schaffung von Arbeitsplätzen: 5%.
    Liebe Genossinnen und Genossen, ja, wir haben nicht ausreichend rüber bringen können, was unser konkreter Anteil an der rot-roten Landespolitik war. Wie wir das besser hinkriegen, das wird eine Aufgabe für die nächsten Jahre sein.

Und da bin ich bei der Zukunft. Am Wahlabend und die ersten Tage danach war der Reflex bei uns im Landesverband aber auch in der Bundespartei: Dann doch lieber wieder Opposition und die Partei in Opposition regenerieren. Das mag naheliegend sein, inzwischen hat sich die Stimmung im Landesverband aber gedreht. Das liegt auch an den Ergebnissen der Sondierungen und der Koalitionsverhandlungen, vor allem aber liegt es am Gestaltungsanspruch, den wir nach wie vor haben. Wir haben in den letzten Jahren Brandenburg sozialer und gerechter und auch ökologischer gemacht. Und damit wollen wir weiter machen und wir wollen und wir werden das Land nicht der CDU überlassen.

Vor einem Jahr habe ich auf eurem Parteitag gesagt: Die SPD ist immer nur so sozial wie ihre Partnerin. Und ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass das stimmt: Ohne uns würde das Vergabegesetz, das einen Mindestlohn bei öffentlichen Vergaben vorsieht, wieder abgeschafft, das hat die CDU deutlich im Wahlkampf gesagt. Ohne uns würde die Wirtschaftsförderung nicht mehr an soziale Kriterien wie Tarifbindung und eine niedrige Leiharbeiterquote gebunden. Ohne uns wäre auch kein Einstieg in längeres gemeinsames Lernen von der 1. Klasse bis zum Abitur möglich, und genau diesen haben wir jetzt im Koalitionsvertrag verankert. Ohne uns würde der Ausbau erneuerbarer Energien gestoppt und der Kahlschlag bei Kultur und Wissenschaft wäre vorprogrammiert. Ohne uns würden auch die Maßnahmen zur Schaffung einer Willkommenskultur für Flüchtlinge nicht so aussehen, wie sie jetzt vereinbart sind und gentechnikfreie Landwirtschaft und die Ablehnung von Biopatenten würden sicher nicht festgeschrieben werden. Und auch die Kommunen würden nicht wie bisher jedes Jahr besser finanziell ausgestattet sondern die Sanierung des Landeshaushalts auf Kosten der Kommunen würde wieder Regierungspolitik. Das sind nur einige wenige Beispiele, die aber zeigen, was die Alternative wäre, wenn wir uns jetzt in die Schmollecke zurückziehen würden.

Liebe Genossinnen und Genossen, ich freue mich, dass wir in Thüringen nun erstmals die Chance haben, dass ein LINKER Ministerpräsident wird. Und wenn unser Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag Erfolg hat, dann wird es künftig zwei Länder geben, in denen LINKE in Regierungsverantwortung ist. Die ersten Reaktionen der CDU – man könnte sie mit schierer Verzweiflung umschreiben – zeigen, wie sehr die CDU Angst hat vor genau dieser Situation. Eine Machtoption für die SPD jenseits der CDU in den Ländern ist ein Problem für die CDU, weil sie die angebliche Alternativlosigkeit der Merkelschen Politik auch auf Bundesebene in Frage stellt – und das nicht nur über den Bundesrat. Insofern haben wir als LINKE in Brandenburg und Thüringen eine Verantwortung auch für die Bundespolitik.

Liebe Genossinnen und Genossen, ihr wie wir kämpft für gesellschaftliche Mehrheiten. Bei allen Rückschlägen – und da weiß ich gerade sehr genau, wovon ich rede – ist am Ende die Frage, ob wir als LINKE es schaffen, glaubhafte Alternativen zur herrschenden Politik aufzuzeigen. Es ist unser Job, in der Gesellschaft und in den Parlamenten Mehrheiten jenseits des konservativen und neoliberalen Zeitgeists zu gewinnen. In eurem Leitantrag habt ihr solche Alternativen formuliert. Ihr werdet 2016 in den Kampf ziehen, in Sachsen-Anhalt den Politikwechsel möglich zu machen. Ich kann euch hier alle Unterstützung dabei zusagen, im Vorfeld der Wahlen, im Wahlkampf und natürlich auch danach. Unsere Erfahrungen, auch die, wie man es nicht machen bzw. was man vermeiden sollte, bieten wir euch an. Und wenn ich dann in zwei Jahren wieder hier bin, würde ich mich freuen, wenn ich Wulf und Birke viel Spaß und Erfolg beim Politikwechsel ein einer dunkelrot-roten Landesregierung wünschen könnte und wir gemeinsam sagen können: Der Osten ist rot! Zumindest in Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt!

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit und wünsche euch einen erfolgreichen Parteitag!“