Rede zum Antrag "Den Geflüchteten aus Moria schnell helfen!"

Rede zum Antrag „Den Geflüchteten aus Moria schnell helfen!“

Wir haben als LINKE einen Antrag „Den Geflüchteten aus Moria schnell helfen!“ in den Landtag eingebracht. Die Kenia-Koalition hat daraufhin einen Entschließungsantrag eingebracht, der im Gegensatz zu unserem Antrag beschlossen wurde.

Meine Rede dazu ist beim rbb als Video verfügbar.

In Reaktion auf meine Rede machte der Abgeordnete Wilko Möller (AfD) eine (unfassbar peinliche) Kurzintervention, auf die ich reagiert habe. Beide sind hier anzuschauen.

 

Das Skript meiner Rede stelle ich natürlich auch gern zur Verfügung:

„Moria. In der christlich-jüdischen Tradition steht das Land Moria für eine Geschichte über ein Opfer, das im letzten Moment gerettet wurde. Wie durch ein Wunder, so erzählt es die Thora bzw. das Alte Testament, haben Abraham und Sara ein Kind bekommen. Eigentlich war Sara unfruchtbar. Doch im hohen Alter bekamen sie den lang ersehnten Sohn, aus dem ein ganzes Volk entstehen sollte. Doch dann fordert Gott Abraham auf, mit seinem Sohn Isaak auf den Berg Moria zu steigen und seinen Sohn als Opfer darzubringen. Im letzten Moment gebot ein Engel Abraham Einhalt. Gott reichte es aus, dass Abraham Gottesfürchtigkeit bewiesen hatte, und er schickte einen Engel, der verhinderte, dass es zum Menschenopfer kam. Und damit handelte Gott zutiefst humanitär. Er machte klar: Über dem Recht auf Leben gibt es keine höhere Macht, gibt es kein höheres Gut.

Im griechischen Moria gibt es keinen Engel. Seit mehr als fünf Jahren werden Menschen in Moria systematisch zu Opfern gemacht, entrechtet und in Not und Elend gefangen gehalten, auch deren Tod in Kauf nehmend. All jene, die dort seit Jahren ausharren müssen, hofften umsonst, dass ihnen die Humanität zuteil wird, die Gott gegenüber Isaak walten ließ.

Die Hölle von Moria gibt es schon seit vielen Jahren. Und die Zustände verschlimmerten sich mit jedem Monat. Im Frühjahr 2020 waren mehr als 20.000 Menschen in der Hölle Moria. 170 Menschen teilten sich eine Dusche, bei Toiletten war es nicht besser und Wasser gab es nur drei Stunden am Tag.

Als das Virus Moria erreichte, brach Panik aus unter den Bewohner*innen. Zu den katastrophalen hygienischen Bedingungen kam diese Bedrohung, gegen die es keinen Schutz gab. Als die Feuer ausbrachen, war es wie eine „Hölle in der Hölle“, berichten Geflüchtete. Die Zelte brannten lichterloh und nicht wenige verloren alles, was sie hatten. Aber das reichte noch nicht. Nicht nur mussten sie auf der Straße und auf Friedhöfen schlafen, nicht nur kamen die Helfer*innen teilweise mit dem Nötigsten zum Leben nicht zu ihnen durch. Nein, sie wurden auch mit Tränengas der griechischen Behörden daran gehindert, die Hölle zu verlassen.

Soweit so bekannt. Aber warum weigert sich die Europäische Union, weigern sich die europäischen Staaten und auch Deutschland, dieses Lager und die anderen Hotspots sofort zu evakuieren? Warum ist es erst so weit gekommen? Warum waren die Zustände in den griechischen Hotspots so katastrophal, auch schon vor Corona? Darauf gibt es – leider – eine ganz einfache wie erschreckende Antwort: Weil es nicht um Humanität und universelle Menschenrechte geht! Darum ging es nie! Es geht seit Jahren nur um eines: um die Abschottung Europas. Die Hotspots sind Abschreckung! Sie sollen signalisieren: Kommt bloß nicht nach Europa.

Und dieses System der Hotspots ist krachend gescheitert. Was uns mit dem Türkei-Deal als Lösung der sogenannten Flüchtlingskrise präsentiert wurde, hat uns nicht nur dem Diktator Erdogan ausgeliefert, es hat auch nie funktioniert. Das Hotspot-System hat Orte der Entrechtung, der Not und des Elends geschaffen. Das System sollte schnelle Asylverfahren an den Außengrenzen ermöglichen, die Menschen sollten dann schnell auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgeteilt werden. Das hat nie funktioniert und das wird auch nicht funktionieren. Und wer heute noch über eine europäische Lösung fabuliert – wie Sie es in Ihrem Entschließungsantrag tun – der verschließt die Augen vor der europäischen Realität. Sich hinter einer europäischen Lösung zu verstecken, mag einfach sein. Es ist aber auch feige und es bedeutet, sich aus der humanitären Verantwortung zu stehlen. Die Europäische Union hat es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, eine europäische Lösung zu finden und sie wird es auch in den nächsten Jahren nicht schaffen, wenn es nicht Regionen und Länder in Europa gibt, die durch Handeln eine Lösung erzwingen.

Und wenn man sich die neuesten Vorschläge der EU-Kommission anschaut, dann ist auch klar: Es wird nicht besser. Sie bedeuten das weitere Aushöhlen des individuellen Rechts auf Asyl und sie sind die Abkehr von der Genfer Flüchtlingskonvention. Aber das passt ins Bild, schon seit Jahren macht die Europäische Union Menschen, die versuchen nach Europa zu flüchten, bewusst zu Opfern – sie braucht diese Menschen als Symbol dafür, dass niemand mehr kommen möge. Die Logik der Abschottung, die bei der systematischen Unterbindung der Seenotrettung als bewusste unterlassene Hilfeleistung offenbar ist, kommt auch bei dem unbedingten Festhalten am Hotspot-System zur Anwendung: Eine Evakuierung von Moria und der anderen Hotspots käme einer Bankrotterklärung des Abschottungssystems gleich. Sie wäre das Eingeständnis für das, was jeder, der hinschaut seit Jahren weiß: dass die Europäische Union in der Humanität versagt und ihre gemeinsamen Werte im Mittelmeer ersäuft.

Und deshalb liefert die Landesregierung lieber Betten nach Moria, anstatt die Menschen aus der Hölle zu befreien. Und deshalb hilft die Bundesregierung den griechischen Behörden, ein neues Lager der Entrechtung auf Lesbos zu bauen. In der Europäischen Union leben 446 Millionen Menschen. Es wäre nicht das geringste Problem, die etwa 40.000 Menschen aus den Hotspots auf den griechischen Inseln sofort zu evakuieren und in Europa aufzunehmen. Dass dies nicht passiert hat einen einfachen Grund: Das Hotspot-System soll um jeden Preis aufrecht erhalten werden.

Und auch die Koalition ist in dieser Logik gefangen. Wieder sind sie nur bereit, Kinder und ihre Angehörigen in Brandenburg aufzunehmen. Das mag humanitär erst einmal gut klingen. Es offenbart aber ein Kernproblem. Die Menschen dort sind vollständig entrechtet und nicht mehr die Menschenrechte ermöglichen ihnen ein Leben in Würde, sondern nur noch Vulnerabilitäten. Das Recht auf ein menschenwürdiges Leben ist nicht mehr universal sondern wird – auch von Ihnen –anhand willkürlicher, wenn auch gut klingender, Kriterien gewährt. Humanitäre Nothilfe vor Ort und die Aufnahme von Kindern und ihrer Familien aus humanitären Gründen darf niemals als Antwort auf Moria genügen. Der politische Wille muss sein, die systematische Entrechtung von Menschen zu stoppen, der politische Wille muss sein, die Unantastbarkeit der Menschenwürde wieder herzustellen – auch für nicht vulnerable Gruppen.

Anrede, es braucht nicht Gottes Hilfe, um für Abhilfe zu sorgen. Es braucht politischen Willen. Das, was in der Hölle Moria, das, was auf Lesbos passiert, ist menschengemacht. Und es kann jederzeit beendet werden. Dafür braucht es den Druck, dieses Lager wie auch die anderen Hotspots zu evakuieren und damit die Logik zu durchbrechen, dass Menschen zu Opfern gemacht werden, um der Abschottung und Abschreckung wegen.

Wir alle wissen, dass Brandenburg nicht allein dafür sorgen kann, der Entrechtung an den europäische Außengrenze ein Ende zu setzen. Aber es kann – gemeinsam mit anderen Bundesländern den Druck auf den Bund erhöhen, mit dem Ziel, das Hotspot-System zu beenden. Brandenburg kann das Zeichen setzen, dass es bereit ist 350 Menschen der Hölle zu entreißen, um der Menschen Willen und nicht aufgrund willkürlich festgelegter Kriterien. Es kann dazu  beitragen, dass wenigstens einem Teil der Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird.

Und, um die Rede mit der Allegorie zum alttestametarischen Geschehen zu vollenden, Brandenburg kann dazu beitragen, dass  Menschen nicht mehr aufgrund eines höheren Ziels zu Opfern gemacht werden. Es kann dazu beitragen, dem Recht auf Leben, dem Recht auf  Würde, wieder zu dem zu machen, was es sein muss: ein universelles Recht. Und: Brandenburg kann der rettende Engel zumindest für einen Teil der Menschen in Moria sein.

Und deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag“