Rede zur Aktuellen Stunde "Brandenburgs Position vor dem Flüchtlingsgipfel"

Rede zur Aktuellen Stunde „Brandenburgs Position vor dem Flüchtlingsgipfel“

In der heutigen Aktuellen Stunde ging es im Brandenburger Landtag um die Positionen Brandenburgs beim Flüchtlingsgipfel der Bundeskanzlerin mit den MinisterpräsidentInnen der Länder.

Zum Mitschnitt des rbb geht es hier.

Das Manuskript meiner Rede dokumentiere ich hier:

„Herr Präsident, meine Damen und Herren,

in dieser Debatte geht es um Menschen. Um Menschen die vor Gewalt, Terror und Krieg zu uns kommen. Dass sie flüchten, hat übrigens sehr viel mit uns zu tun. Sehr viel mit der europäischen und deutschen Außenpolitik, die zu oft wirtschaftliche und geopolitische Interessen über das Interesse des Friedens stellt. Die Kriege überall in der Welt unterstützt und die unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung weite Teile dieser Welt destabilisiert hat. Es hat etwas mit uns zu tun, wenn multinationale Konzerne ganze Gegenden dieser Welt ausbeuten, unser Konsumdrang wirtschaftliche Kreisläufe in den armen Ländern zerstört und Landgrabbing die Nahrungsmittelproduktion zum Erliegen bringt.

Das, meine Damen und Herren sind übrigens die Gründe, weshalb Menschen fliehen müssen. Und die haben wir selbst mit verursacht. Es ist an der Zeit, dass wir mit dieser Logik brechen, lassen Sie uns endlich beginnen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Lassen Sie uns Waffenexporte verbieten! Lassen Sie uns ernsthaft daran arbeiten, den fürchterlichen Bürgerkrieg in Syrien zu beenden. Lassen Sie uns aus der Kriegslogik ausbrechen und die Ausbeutung weiter Teile der Welt unterbinden. Und lassen Sie uns in eine Entwicklungshilfe einsteigen, die darauf ausgerichtet ist vor Ort nachhaltige lebensfähige Strukturen aufzubauen. Das ist die einzige Chance, mittel- und langfristig die Zahl der weltweit auf der Flucht befindlichen Menschen zu reduzieren und ihnen dort eine Chance zu geben, wo sie am liebsten leben würden: bei sich zu Hause.

Egal wie hoch manche die Grenzen oder Zäune bauen wollen, egal wie viele Länder wir einfach für „sicher“ erklären – die Menschen werden zu uns kommen. Weil sie eben nicht wegen ein paar Euro Taschengeld flüchten, sondern weil sie in bitterster Not sind. Die jüngsten Zahlen in der ersten Septemberhälfte zeigen: fast drei Viertel aller Flüchtlinge kommen aus Krisen- und Kriegsgebieten. Die weit überwiegende Zahl der zu uns geflüchteten Menschen wird dauerhaft bei uns bleiben. Die aktuelle Herausforderung ist schon deshalb schneller Schutz, gute Unterbringung und Betreuung und Integration. Wie eine Gesellschaft mit den Schwächsten umgeht, sagt viel darüber aus, wohin sie sich entwickelt. Humanität, Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität – das sind Werte, für die es zu kämpfen lohnt in allen Lebensbereichen.

Meine Damen und Herren, in einer Situation, in der die Frage, ob Menschen zu uns kommen, beantwortet ist, kann es nur noch darum gehen, sie zu integrieren. Doch wenn man sich die Vorschläge des Bundes anschaut, dann gehen diese in eine andere Richtung. Eigentlich ist es in der aktuellen Debatte wie immer. Es kommen mehr Flüchtlinge, also versuchen Konservative die Bedingungen so zu verschlechtern, dass weniger kommen und denen, die dennoch gekommen sind, das Leben schwer zu machen. Das war Anfang der 90er mit dem damaligen sogenannten Asylkompromiss so, und das wird nun wieder versucht. Ein gutes Beispiel dafür sind die sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Es ist bekannt, dass dieses Konzept nicht zur Verkürzung der Verfahrenslaufzeiten führt. Es dient einzig und allein der Einteilung in „erwünschte“ und „nicht erwünschte“ Flüchtlinge, um letztere so schnell wie möglich wieder los zu werden. Und da ist dann auch jedes Mittel Recht: Ausweitung des Sachleistungsprinzips, längere Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme, schnellere Abschiebungen, Verschlechterung des Zugangs zu den Härtefallkommissionen, Residenzpflicht usw.

Das suggeriert vielleicht der Bevölkerung, die Regierung würde etwas tun, dass die Flüchtlingszahlen sinken. Es löst aber kein einziges Problem. Sie wissen genauso gut wie ich, dass nicht Abschreckung und Abschottung sondern Integration die Lösung ist. Und die gelingt nicht per Beschluss, sondern muss gelebt werden. Sie muss gewollt sein und von unten wachsen. Und überall in unserem Land findet sie aktuell statt. Vor Ort, in den Kommunen, in den Vereinen, in den Kitas und Schulen. Überall dort wo Menschen sind.

Wir alle müssen verstehen, dass sich unsere Gesellschaft verändern wird und dass wir nicht so weiter machen können wie bisher. Wir sind Lernende und wir sollten diese Situation als eine Chance dafür ansehen, die Probleme, die wir eh haben, bei Bildung, Mobilität, Wohnen usw., jetzt vorrangig zu bearbeiten. Lassen Sie uns die Lebensbedingungen für alle Brandenburgerinnen und Brandenburger verbessern, für die, die schon da sind und für die, die zu uns kommen.

Heute Abend beim Flüchtlingsgipfel besteht die Chance, die Rahmenbedingungen für Integration zu verbessern. Dazu gehören ein Anspruch auf Teilnahme an den Integrationskursen des Bundes für Asylsuchende und Geduldete, ein besserer Arbeitsmarktzugang, eine gezielte Berufsförderungeine bessere Berufsanerkennung und ein sicheres Bleiberecht für Jugendliche in Ausbildung und danach. Dazu gehört die Schaffung von Wohnraum und wir müssen weg kommen von der starren Verteilung hin zur Möglichkeit, dass Menschen bei Verwandten oder Freunden unterkommen können, die sich bereits in Deutschland befinden. Und dazu gehört die Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung, die Integration der Geflüchteten in die Regelsysteme und die Abschaffung des diskriminierenden Asylbewerberleistungsgesetzes.

Und ja, wir müssen die Asylverfahren beschleunigen, schon um die kaum erträgliche Situation der Unsicherheit für die Flüchtlinge zu verkürzen, die teils mehrere Jahre auf eine Entscheidung warten müssen. Das vom Bund vorgelegte Gesetz trägt zwar den Namen „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“, nur drin ist keine Verfahrensbeschleunigung sondern Asylrechtsverschärfung und Leistungseinschränkung. Dabei gibt es sehr wohl Vorschläge, die praktikabel wären: die Abschaffung der automatischen Widerrufsverfahren, die Aussetzung der Dublin-Prüfungen und die Aufstockung des Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Und auch die dringend notwendige Verbesserung der technischen Ausstattung wäre eine wichtige Maßnahme. Aktuell arbeiten Polizei und Bundesamt mit unterschiedlichen Software-Systemen, so dass ein Datenaustausch nur per Mail bzw. händisch möglich ist. Das muss man sich mal vorstellen, was das an Zeit kostet!

Einer der wichtigsten Punkte sind jedoch die Finanzen. Seit Monaten beobachten wir, dass der Bund nach wie vor zu wenig tut, , wenn es darum geht, die Herausforderungen der Flüchtlingssituation finanziell zu meistern. Die Länder und Kommunen tragen 95% der Kosten. Und es läuft immer wieder nach dem gleichen Muster: Wenn der politische Druck zu hoch wird, sagt der Bund eine finanzielle Entlastung zu und erkauft sich damit die Zustimmung zu Asylrechtsverschärfungen. Der Bund allein hat übrigens im ersten Halbjahr 2015 einen Überschuss von 10,5 Milliarden Euro erzielt. Damit es das letzte Mal ist, dass wir ein solches unsägliches Geschacher nach dem Motto „Geld gegen Grundrechte“ erleben müssen, sollte vordringliches Ziel heute Abend sein, dass der Bund sich nicht nur einmalig beteiligt, sondern dass er endlich strukturell, berechenbar und dauerhaft in die Finanzierung der Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten einsteigt. Wenn auch der Bund endlicher seiner Verantwortung gerecht wird, ja, meine Damen und Herren, dann können wir es schaffen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkein.