Rede zur Aktuellen Stunde "Gedenken an die "Reichspogromnacht" vor 80 Jahren - Jüdisches Leben in Brandenburg heute"

Rede zur Aktuellen Stunde „Gedenken an die „Reichspogromnacht“ vor 80 Jahren – Jüdisches Leben in Brandenburg heute“

Heute fand im Brandenburger Landtag eine Aktuelle Stunde „Gedenken an die „Reichspogromnacht“ vor 80 Jahren – Jüdisches Leben in Brandenburg heute“ statt.Es lag ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vor, der mit breiter Mehrheit beschlossen wurde (bei Enthaltungen der AfD).

Meine Rede in dieser Aktuellen Stunden ist bei YouTube verfügbar. Außerdem dokumentiere ich hier mein vorbereitetes Skript:

„Vor 80 Jahren brannten die Synagogen. Sie brannten in Potsdam, in Eberswalde und in Cottbus. 25 Synagogen und Gebetshäuser im heutigen Land Brandenburg wurden im Zuge der Novemberpogrome geschändet, 19 davon zerstört. Organisierte Schlägertrupps setzen jüdische Geschäfte in Brand, überfielen Jüdinnen und Juden in ihren Wohnungen, tausende jüdische Männer wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt – auch in das KZ Sachsenhausen in Oranienburg.

Bereits wenige Tage zuvor, Ende Oktober 1938, hatten die Nazis im Rahmen der sogenannten Polenaktion kurzfristig mindestens 17.000 im Deutschen Reich lebende, aus Polen eingewanderte Jüdinnen und Juden verhaftet und über die deutsch-polnische Grenze abgeschoben.

Am 9. November 1938 wurde jedem in Deutschland offenbar, dass Antisemitismus bis hin zum Mord nun staatsoffizell war.

Diese Nacht war der Wendpunkt von der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden hin zu ihrer Vernichtung, hin zum größten Völkermord in der Geschichte.

Am Ende der Shoa waren sechs Millionen Menschen ermordet, davon eine Million Kinder – zu Tode geprügelt, geschunden, vergast.

Heute – 80 Jahre danach – stehen wir noch immer fassungslos vor dem staatlich organisierten Terror, vor diesem unfassbaren, unsagbaren Verbrechen.

Heute – 80 Jahre danach – stehen wir hier und sagen:

Kein Vergeben, kein Vergessen!

 

Aber, wer hätte gedacht, dass wir 73 Jahre nach Ende der Shoa erleben können, dass jüdisches Leben in Brandenburg wieder sichtbar wird. Dass wir wieder lebendige jüdische Gemeinden haben, dass in Cottbus eine Synagoge existiert und wir erst vor wenigen Tagen, am 9. November, den symbolischen Grundstein für die Errichtung der Synagoge in Potsdam erleben durften.

Was für ein Glück für Brandenburg.

 

Voller Dankbarkeit sehen wir, dass Menschen jüdischen Glaubens wieder Vertrauen in unsere Gesellschaft und in unsere Demokratie haben.

Dass sie daran glauben, dass es neben Vergangenheit und Gegenwart auch eine Zukunft für jüdisches Leben in Brandenburg gibt.

Wie dankbar können wir sein, dass jüdisches Leben in Brandenburg wieder erlebbar ist,  dass wir gemeinsam mit Jüdinnen und Juden Kabbalat Shabbat feiern können, dass hier, mitten in Potsdam, Rabbinerinnen und Rabbiner ausgebildet werden, um ihren Dienst in Gemeinden weltweit anzutreten.

Wie schön war es, beim Rabbiner-Treffen im Sommer diesen Jahres Juden auf Potsdams Straßen tanzen zu sehen.

Und wie großartig ist es zu erleben, dass Christen, Juden und Atheisten miteinander ins Gespräch kommen oder wie sich Kirchengemeinden und jüdische Gemeinden gemeinsam in der Flüchtlingsarbeit engagieren.

Es gibt so viele kleine und große Aktivitäten, die Akzeptanz und Respekt schaffen. Ein Beispiel ist das gemeinsame Projekt der Union Progressiver Juden und des Zentralrats der Muslime, die mit jüdischen und muslimischen Jugendlichen nach Auschwitz reisten, und dort gemeinsam der Opfer gedachten.

Oder das Projekt der Johanniter in Finsterwalde, bei dem mit muslimischen Jugendlichen das Laubhüttenfest gefeiert wurde.

Interreligiöser Dialog kann Vorbehalte abbauen, Akzeptanz und Solidarität schaffen und ich danke allen, die sich in diesem Bereich engagieren.

 

Ich bin sehr dankbar dafür, dass viele Menschen in den vergangen Jahren so viel für die Zukunft des jüdischen Lebens in Brandenburg getan haben.

Als Landespolitik haben wir unseren Beitrag geleistet und tun es auch weiterhin: Wir werden in den Haushaltsverhandlungen das Geld für die Einrichtung einer Fachstelle Antisemitismus beim Moses-Mendelson-Zentrum bereitstellen.

Und erst in diesem Jahr haben wir im Landtag den Freundeskreis Israel gegründet, der es sich unter anderem zum Ziel gesetzt hat, jüdisches Leben, Religion und Kultur in Brandenburg nach Kräften zu fördern und wo nötig zu schützen.

Und doch wissen wir, dass allen Anstrengungen zum Trotz der Konsens, dass Jüdinnen und Juden selbstverständlich zu uns gehören, in Gefahr ist: Wir haben es heute wieder verstärkt mit Antisemitismus in unserem Land zu tun.

Da sind die Veränderungen in den Worten, in der Sprache. Wir hören vom „Denkmal der Schande“ oder vom „Vogelschiss der Geschichte“, wir hören von der Verharmlosung des unfassbaren Terrorregimes der Nationalsozialisten oder dem Infragestellen der Existenz von Gaskammern ausgerechnet in einer KZ-Gedenkstätte.

Und da müssen wir erleben, wie Menschen jüdischen Glaubens auf der Straße beschimpft oder jüdische Geschäfte angegriffen werden.

Es ist unerträglich, wenn ein jüdischer Restaurant-Besitzer in Berlin darüber nachdenken muss, ob er hier noch eine Heimat hat, weil er die Angriffe, die Drohungen, die Beleidigungen nicht mehr aushält. Es ist eine Schande, dass Kinder in der Schule ihre Religion geheim halten oder auf der Straße nicht mehr hebräisch sprechen, weil sie Angst haben, dass sie verhöhnt oder gar angegriffen werden.

 

In der vergangenen Woche haben wir überall im Land der Opfer der Shoa gedacht. Wir standen gemeinsam an den Orten der Erinnerung und haben uns ins Gedächtnis und ins Bewusstsein gerufen, zu welch unfassbaren Verbrechen die Menschen in Deutschland zwei Generationen vor uns fähig waren. Es begann damit, dass Menschen ausgegrenzt, diffamiert und als fremd und andersartig definiert wurden. Es begann damit, dass sie für alle Probleme verantwortlich gemacht wurden.

Wir wissen heute, dass diese jahrelange gezielte Ausgrenzung, zum Schweigen bei den Novemberpogromen führte.

Erst die ausbleibende Solidarisierung der Bevölkerung mit ihren jüdischen Mitbürgern hat den Nationalsozialisten ermöglicht, die vollständige Vernichtung zu beginnen.

Welch Leid wäre den Menschen erspart geblieben, hätte es mehr Zivilcourage, hätte es lauten Protest, hätte es Widerstand gegen diese unfassbare Gewalt in diesen Novembertagen gegeben.

 

Hätten die Menschen gesagt: Nein! Wir lassen nicht zu, dass unseren Nachbarinnen und Nachbarn solche Gräuel angetan werden.

Hätten die Kirchen gesagt: Nein, wir lassen nicht zu, dass Gotteshäuser angezündet werden. Hätte die Bevölkerung gesagt: Nein, wir wollen friedlich miteinander leben.

Hätten mehr Menschen nein gesagt, wäre der nationalsozialistische Terror, wäre der Massenmord an den Jüdinnen und Juden nicht möglich gewesen. Und genau hierin liegt unser aller Auftrag.

Dieser Auftrag heißt: Nie wieder!

Das bedeutet für uns, dass wir nie wieder zulassen, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden.

Nie wieder werden wir Menschen allein lassen, die in die Schusslinie von Nazis geraten.

Und nie wieder werden wir schweigen, wenn Bevölkerungsgruppen diffamiert und zum Sündenbock gemacht werden sollen.

Und eines sei gewiss: Sie mögen in die Parlamente einziehen, aber wir werden nicht zulassen, dass sie mit ihrem Hass und ihrer Hetze jemals wieder die Köpfe und Herzen der Menschen in unserem Land gewinnen.

 

Ich will einen positiven Ausblick wagen: In der vorigen Woche hat erstmals ein jüdischer Zukunftskongress in Berlin stattgefunden.

Hier haben Jüdinnen und Juden aller Altersgruppen, gesellschaftliche, religiöse und politische Akteure gemeinsam Perspektiven für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland entwickelt.

Es stimmt mich hoffnungsvoll, dass dieser Zukunftskongress unter dem Motto „Weil ich hier leben will“ stattgefunden hat.

Und anknüpfend daran, will ich sagen:

Ich möchte, dass Jüdinnen und Juden hier in Deutschland, hier in Brandenburg leben wollen.

Dazu gehört, dass sie tatsächlich ohne Diskriminierung und ohne Angst hier leben können.

Das ist unsere Verantwortung als Politik und als Gesellschaft und genau daran werden wir uns messen lassen.“