Rede zur Debatte zu den Schlussfolgerungen aus dem Medikamenten-Skandal um die Firma Lunapharm

Rede zur Debatte zu den Schlussfolgerungen aus dem Medikamenten-Skandal um die Firma Lunapharm

Im Landtag fand heute eine Debatte zu den Schlussfolgerungen aus dem Medikamenten-Skandal rund um die Firma Lunapharm statt. Dazu lagen bier Anträge vor: ein Antrag von LINKE, SPD und Grünen, ein Antrag der CDU sowie zwei Anträge der AfD (hier und hier).

Meine Rede dazu ist hier als Video zur Verfügung.

 

Das Manuskript meiner Rede stelle ich außerdem hier im Wortlaut zur Verfügung:

„Dieser Skandal um in Griechenland und womöglich anderen Ländern gestohlenen und illegal nach Deutschland importierten Medikamenten hat wohl alle Abgeordneten, die sich damit etwas intensiver beschäftigt haben, ziemlich fertig gemacht. Ist doch mittlerweile klar, dass staatliches Handeln hier nicht so funktioniert hat, dass die Bürgerinnen und Bürger effektiv geschützt wurden.

Neben der Verantwortung als Abgeordnete, habe ich aber auch einen persönlichen Zugang dazu, weil ich eines der Medikamente, die illegal gehandelt wurden, selbst seit mehreren Jahren nehme. Als ich dieses Medikament auf der veröffentlichten Liste des MASGF entdeckte, bin ich sofort in meine Apotheke gegangen und habe nachgefragt, ob es von Lunapharm bezogen wurde. Vor allem, weil ich im vergangenen Jahr eine Medikamentenpackung hatte, bei der sowohl die Nebenwirkungen ausgeblieben sind als auch die Wirkung. Und obwohl mir in der Apotheke versichert wurde, dass es keine direkte Handelsbeziehung zu Lunapharm gibt, bleibt ein Restrisiko. Ich weiß aus den gesichteten Akten: Noch kennen wir nicht alle Lieferbeziehungen und Lieferketten, die teilweise über vier oder fünf Zwischenlieferanten gelaufen sind. Wir wissen noch nicht einmal genau, welche Medikamente wirklich betroffen sind und ob es nicht möglicherweise noch mehr Arzneimittel gibt, die aus weiteren illegalen Quellen stammten und hier bei uns auf den Markt gelangt sind. Ich weiß also bis heute nicht mit Sicherheit, ob alle Medikamente, die ich bekommen habe, auch wirklich wirksam waren, ob sie legal gehandelt wurden oder aus illegalen Quellen stammten. Und ich kann Ihnen sagen, auch wenn meine Krankheit nicht lebensbedrohlich ist – ich bin verunsichert. Ich frage mich, immer wieder: Hast du vielleicht doch ein Medikament bekommen, was nicht sauber war. Ist die Wirkung das eine Mal ausgeblieben, weil es woher auch immer stammte oder weil die Kühlkette unterbrochen war? Und wenn ja, war es vielleicht sogar schädlich? Mit welchen Folgen für meine Gesundheit?

Und welche Fragen stellen sich erst die Patientinnen und Patienten, die mit dem Tod ringen? Die jeden Tag hoffen, dass ihre Chemotherapie anschlägt und sie geheilt werden oder ihnen zumindest noch ein bisschen länger Leben bleibt?

Ich will mich darauf verlassen können, wenn ich in eine Apotheke gehe und ein Medikament bekomme, dass dieses auch auf jeden Fall wirkt.  Bei meiner Krankheit reden wir nur über Lebensqualität, aber bei vielen potentiellen betroffenen Patienten und ihren Angehörigen reden wir über Leben und Tod. Ich kann ein klein bisschen nachfühlen, was in denjenigen vorgeht, die auf eines der betroffenen Krebsmedikamente  angewiesen sind. Zu der Angst vor der Krankheit kommt die Angst, dass das lebenswichtige und lebenserhaltende Arzneimittel vielleicht nicht die erwünschte Wirkung erzielen könnte. Und genau das darf nicht sein. Es darf nicht sein, dass Menschen Angst davor haben, dass ihre lebensrettende Therapie möglicherweise nicht anschlägt, weil kriminellen Machenschaften kein Riegel vorgeschoben wird. Und es darf nicht sein, dass Patientinnen und Patienten nicht sicher sein können, dass die Arzneimittel, die sie bekommen, auch wirklich wirken.

Dieser Skandal hat tatsächlich zu einer tiefen Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. Der Staat hat in einem so sensiblen Bereich nicht funktioniert: Er war nicht in der Lage, schwerst kranke Menschen wirksam vor kriminellen Machenschaften zu schützen. Das ist der schlimmste anzunehmende Unfall. Weil genau das ist die Aufgabe des Staates: Seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, zu schützen vor allem in ihrer körperlichen Unversehrtheit.

Und deshalb glaube ich, dass es jetzt vor allem darum geht, Vertrauen wieder zu gewinnen. Und das ist unser aller Aufgabe. Es ist unsere Verantwortung als gewählte Vertreterinnen und Vertreter, es ist die Aufgabe der Landesregierung und hier insbesondere des MASGF und des Landesgesundheitsamts dafür zu sorgen, dass dieses Vertrauen, Vertrauen in staatliches Handeln, wieder hergestellt wird. Dafür brauchen wir Sensibilität, Empathie für die Betroffenen und Transparenz für die Öffentlichkeit. Gerade in diesen Bereichen besteht aus meiner Sicht noch einiger Nachholbedarf.

Und genau deshalb eignet sich dieses Thema nicht für Parteienstreit. Niemandem ist geholfen, wenn wir hier über die Zusammensetzung der Taskforce, die mit ihrer Arbeit fast fertig ist, reden sollen, mit dem Ziel, dass eine Person dort nicht mitarbeiten darf. ­

Es kann und darf gerade nicht darum gehen, sich in politischem Geplänkel zu verlieren. Es stehen jetzt mehrere Aufgaben vor uns, die wir als Politik und als Verwaltung nur Hand in Hand lösen können. Das sind aus meiner Sicht:

  1. Eine wirksame Arzneimittelaufsicht sicher zu stellen. Dazu gehört eine gute Personalausstattung und als Parlament erwarten wir, dass die nun vorhandenen Stellen schnell und kompetent besetzt werden. Dazu gehört auch eine vorausschauende Personalplanung und Personalentwicklung und auch die Sicherstellung der notwendigen Fortbildungen.
  2. Die notwendigen Schlussfolgerungen innerhalb des Ministeriums und des Landesgesundheitsamts bei Organisation und Arbeitsweise müssen schnellstmöglich gezogen werden. Der Taskforce-Bericht hat aufgezeigt, und wer sich die Akten angeschaut hat, sah den Bericht bestätigt, dass schwerwiegende Mängel in der Arbeitsweise des Landesgesundheitsamts und der zuständigen Aufsicht im MASGF vorliegen. Das betrifft vor allem die Dokumentation und Aktenführung, aber auch den Informationsaustausch und die Einhaltung von Informationswegen. Und auch die Zusammenarbeit mit anderen Behörden und der Staatsanwaltschaft gehört auf den Prüfstand.
  3. Es muss alles, aber auch wirklich alles dafür getan werden, dass möglicherweise noch auf dem Markt befindliche illegal gehandelte Medikamente zurückgerufen oder unter Quarantäne gestellt werden. Es gab bereits zwei Rückrufe von Arzneimitteln, ein weiterer ist wohl in Vorbereitung. Es steht aber zu befürchten, dass dies noch nicht alles war und weitere Medikamente, die Lunapharm von anderen Firmen des kriminellen Netzwerks bezogen hat, hier noch auf dem Markt sind und möglicherweise auch weiterhin Patientinnen und Patienten solche Arzneimittel erhalten. Deshalb ist es absolut notwendig, schnell die Strukturen des hier tätigen europaweiten kriminellen Netzwerks aufzuklären und sicherzustellen, dass durch Vernetzung der Aufklärungserkenntnisse des Landesgesundheitsamts, anderer Landesbehörden, des Bundes und auch anderer Länder geklärt wird, welche illegal gehandelten Arzneimittel möglicherweise noch im Umlauf sind und diese schnellstmöglich dem Markt zu entziehen. Diese Strukturaufklärung ist aus meiner Sicht die wichtigste Aufgabe zum Schutz der Bevölkerung, und diese muss noch geleistet werden.
  4. Dazu gehört auch, noch stärker daran zu arbeiten, dass Patientinnen und Patienten, die Medikamente bezogen haben, die möglicherweise illegalen Quellen entstammen, identifiziert und durch ihre behandelnden Ärzte informiert und aufgeklärt werden. Dazu braucht es auch Beratungsstrukturen, die einerseits den behandelnden Ärzten die notwendigen Informationen und Sicherheit bei der Aufklärung der Patienten geben, und die andererseits Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen offen stehen für ihre Sorgen und Hilfestellung geben bei potentieller und tatsächlicher Betroffenheit und allen damit verbundenen Folgen.
  5. Einen letzten Punkt will ich nennen: Diese kriminellen Machenschaften wurden begünstigt durch europäische und bundesdeutsche Regelungen im Arzneimittelrecht. Ein Beispiel dafür ist die Importquote für Apotheken, die unbedingt abgeschafft werden muss. So lange auf Kosten der Patientensicherheit, um ein paar Euro im Gesundheitswesen einzusparen, Arzneimittel quer durch Europa gekarrt werden, werden sich illegale Geschäfte wie die von Lunapharm lohnen. Und dass Apotheken gezwungen werden, solche Reimporte einzukaufen, ist eines der Grundprobleme. In unserem Antrag fordern wir deshalb die Landesregierung auf, hierzu im Bundesrat eine Initiative zu starten.
    Allerdings glaube ich, dass das nicht alles sein kann. Die Aufarbeitung dieses Skandals muss zu weiteren Initiativen führen. Dazu gehört aus meiner Sicht, dass die Hürden für die Aussetzung der Betriebs- oder Herstellungserlaubnisse und für das unter Quarantäne stellen bzw. den Rückruf von Arzneimitteln gesenkt werden, die Standards bei der Kontrolle der Betriebe gehören auf den Prüfstand und die Zuständigkeiten, Informationswege zwischen anderen Staaten, Bund und Ländern müssen optimiert werden. Auch deshalb erwarte ich von der Landesregierung, dass sie mit allen notwendigen Kräften und vor allem transparent die weitere Aufklärung betreibt und die notwendigen Schlussfolgerungen zieht.

Dieser Skandal hat nicht nur Patientinnen und Patienten sondern sehr viele Menschen in unserem Land in ihrem Vertrauen in das Handeln des Staates erschüttert. Es wird uns alle, uns Abgeordnete, die Landesregierung und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung sehr viel Kraft kosten, dieses Vertrauen wieder herzustellen. Mit unserem Antrag heute gehen wir den ersten Schritt. Ich bitte um breite Zustimmung zu diesem Antrag, auch um ein Zeichen zu setzen, dass das Parlament hier einig ist und die notwendigen Schlussfolgerungen gemeinsam zieht.“