Sachleistungen für Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern? - Anmerkungen zur Debatte

Sachleistungen für Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern? – Anmerkungen zur Debatte

Es ist Sommerloch. Auch deshalb hält sich eine Debatte in den Medien, die eigentlich erledigt sein sollte. Aber das ist nicht der einzige Grund. Sie hält sich auch in den Medien, weil der Innenminister Karl-Heinz Schröter seine Forderungen nach Sachleistungen für Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern wiederholt und verteidigt. Und das, nachdem die eigene Fraktion, also die SPD, und auch der Koalitionspartner, also DIE LINKE, mitgeteilt haben, dass sie nichts davon halten und deshalb die Chancen sehr gering sind, dass er sich durchsetzt. Auch die Grünen haben mitgeteilt, dass sie dies für keine gute Idee halten. Lediglich der CDU-Generalsekretär Steeven Bretz sprang dem Innenminister bei.

Vorab: Sachleistungsvergabe für Flüchtlinge, egal welcher Herkunft, sind immer diskriminierend und ausgrenzend. Es gab viele, die sich an die Gutscheinpraxis des Landkreises Oberhavel (wo der Innenminister ja Landrat war) erinnert fühlten, obwohl er in der aktuellen Debatte gar nicht von Gutscheinen gesprochen hat. Ich befürchte aber, dass er dies ausdrücklich nicht meinte. Er sprach in seinem Interview davon, die Grundleistungen als Sachleistungen ausgeben zu wollen. Dies sind nach Asylbewerberleistungsgesetz „Grundleistungen für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege, Gebrauchs- und Verbrauchsgüter im Haushalt“. Darüber hinaus erhalten die Asylsuchenden ein Taschengeld, dieses will er aber ausdrücklich nicht antasten. Deshalb glaube ich nicht daran, dass es ihm um Gutscheine geht. Ich glaube eher, er will diese als Grundleistungen definierten Dinge als Sachleistungen direkt zur Verfügung stellen. Ohne auch nur die geringste Wahlmöglichkeit, wie sie Gutscheine (bei aller völlig berechtigten Kritik) noch sichern würden.

Ich glaube allerdings, es geht hier nur vordergründig um die Frage der Sachleistungen. Die Motivation hinter dieser Forderung ist eine andere: es geht darum, Flüchtlinge in Gruppen einzuteilen, um perspektivisch eine weitere Verschärfung des Asylrechts in Deutschland mehrheitsfähig zu machen. Ich hatte mich vor ein paar Tagen bereits zu den unsäglichen Forderungen aus Bayern zu den Aufnahmelagern für einzelne Flüchtlingsgruppen hier im Blog geäußert. In dem Zusammenhang hatte ich auch einiges zu sogenannten sicheren Herkunftsländern und dem Hang deutscher Politik, steigenden Flüchtlingszahlen durch Gesetzesverschärfungen und nicht durch Bekämpfung der Fluchtursachen zu gegegnen, geschrieben. Dies soll hier nicht wiederholt werden. Als ich den Artikel schrieb, hatte ich auch nciht geglaubt, dass ich kurze Zeit später schon wieder dazu etwas schreiben muss. Ich wurde eines Besseren belehrt,denn in genau dieser dort beschriebenen perfiden Logik bundesrepublikanischer Asylpolitik bewegt sich Karl-Heinz Schröter. Nicht seine Forderung nach Sachleistungen ist das eigentliche Problem, auch wenn diese natürlich abzulehnen ist. Das eigentliche Problem ist die Einteilung in „gute“ und „schlechte“, in „richtige“ und „falsche“ Flüchtlinge!

Das wird im Wortlaut des Interviews des Innenministers deutlich: er beginnt mit einer Definition verschiedener Flüchtlingsgruppen: „Fast die Hälfte der Ankommenden hat keinen Asylgrund. Armutsflüchtlinge vom Balkan machen inzwischen 40 Prozent der Asylbewerber aus. Ihre Anträge sind nahezu aussichtslos, aber auch sie haben ein Recht auf Prüfung ihrer Anträge. Dieser Aufwand geht zulasten der Berechtigten, denen wir Schutz vor Krieg und Verfolgung schulden.“ – Wir sollen daraus lernen, dass die Asylsuchenden aus dem Balkan a) zu viele sind, b) eh keinen Grund haben, zu uns zu kommen und c) den „richtigen“ Flüchtlingen den Platz weg nehmen.

Schröter weiter: „Wir müssen die wirtschaftlichen Anreize herabsetzen. Wenn Armutsflüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern die Erstaufnahme nach drei Monaten verlassen, sollten sie statt Bargeld wieder Gutscheine oder Sachleistungen erhalten. Damit kann man keine Schleuserbanden bezahlen. Zurzeit sind die Schlepper die großen Gewinner.“ – Nun kommen noch die Schlepper ins Spiel. Daraus sollen wir lernen: a) Die „Armutsflüchtlinge“ kriegen viel zu viel Geld, wirtschaftliche Anreize halt. b) Wer aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommt, ist ein „Armutsflüchtling“. Und c) die „Schleuserbanden“ werden durch die „Geschleusten“ im Nachhinein bezahlt und zwar von unseren Steuergeldern.

Schröter geht, weitgehend unbeachtet von den Medien aber noch weiter: „In den ersten drei Monaten trennen wir nur zwischen Familien, allein reisenden Männern und Traumatisierten, nicht nach Herkunftsländern. Danach müssen wir die Asylbewerber im Land verteilen. Aber es muss uns gelingen, die Armutsflüchtlinge schon aus der Erstaufnahme wieder in ihre Heimat zu bringen. Weil die Asylverfahren länger als drei Monate dauern, sollte der Bund den Verbleib in der Erstaufnahme auf bis zu sechs Monate ausdehnen.“ Hieraus sollen wir lernen: Wir wollen nicht nur Sachleistungen für die, die wir als „Armutsflüchtlinge“ brandmarken, wir behandeln sie auch bei der Unterkunft anders, indem wir für sie den Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung verlängern.

Das Schlimmste an diesem Interview ist aus meiner Sicht, dass es denen das Wort redet, die von „massenhaftem Asylmissbrauch“ schwadronieren und dies als Rechtfertigung zu rassistischer und fremdenfeindlicher Hetze heranziehen. Mich ärgert aber besonders, dass Herr Schröter bewusst alle Flüchtlinge vom Balkan als „Armutsflüchtlinge“ verunglimpft. Dem ist nicht so, und das weiß er auch. Er weiß sehr genau, dass ein guter Teil der Flüchtlinge vom Balkan Roma sind, die systematisch und aus ethnischen Gründen diskriminiert werden. Sie leben in Siedlungen, die nicht genehmigt sind und die es offiziell nicht gibt, sie haben deshalb oft keine Papiere, können bestenfalls in Sonderschulen gehen und finden deshalb keine Arbeit. Wenn ihre Siedlungen abgerissen werden, sind sie obdachlos und wenn sie überfallen, ausgeraubt oder verprügelt werden, hilft ihnen niemand. Sie sind die Sündenböcke auf dem Balkan, sie erhalten keinerlei staatlichen Schutz. Und ja, genau das ist Mehrfachdiskriminierung und der Staat ist nicht willens und in der Lage sie vor Gewalt und Verfolgung zu schützen. Und genau das rechtfertigt die Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Und all das weiß Herr Schröter sehr genau.

Und, zur Klarstellung: Natürlich gibt es Menschen, die nach Deutschland kommen, um sich hier ein besseres Leben aufzubauen und die keinen Fluchtgrund haben, der einen Aufenthaltsstatus im Sinne des Grundgesetzes oder der GEnfer Flüchtlingskonvention rechtfertigen würde. Um dies festzustellen gibt es eine Einzelfallprüfung im Asylverfahren. Asyl ist ein individuelles Recht. Keines, das ganzen Volksgruppen verwehrt oder gewährt werden kann. Eine Sortierung kommt genau deshalb nicht in Frage. Weder im Verfahren, noch in der Unterbringung und Versorgung und auch nicht bei der Beschränkung gesetzlich definierter Leistungen.

Mich ärgert auch, dass er seine Forderung nach Sachleistungen mit den „Schleuserbanden“ begründet. Die Abschottung Europas und Deutschlands führt dazu, dass Menschen ohne Fluchthelfer keine Chance haben, nach Europa zu flüchten. Natürlich ist das ein Geschäft. Es wäre übrigens keines, wenn es sichere Wege nach Europa gäbe. Wenn nur der Weg über das Mittelmeer möglich ist, wird es immer diejenigen geben, die die Boote zur Verfügung stellen. Das wäre nur zu verhindern, wenn es einen legalen Weg auf legalen Booten gäbe. Und wenn man immer höhere Zäune um Europa baut, dann wird ein Flüchtling allein diese nicht überwinden können sondern auf Menschen angewiesen sein, die die Schlupflöcher kennen. Die europäische und deutsche Abschottungspolitik schafft erst das Geschäft, das die Fluchthelfer machen.

Allerdings, und das ärgert mich dann noch ein bisschen mehr, passen die „Schleuserbanden“ eigentlich so gar nicht in die Argumentation, wenn man Sachleistungen an Flüchtlinge in Deutschland rechtfertigen will. Herr Schröter tut so, als würden die Fluchthelfer noch monatelang aus Deutschland Geld erhalten. Und er weiß sehr genau, welch Unsinn das ist. Fluchthelfer werden vor der Flucht bezahlt. Schlicht, weil sie sehr genau wissen, dass sie nach der Flucht keine Chance mehr haben, an das Geld zu kommen. Flüchtlinge in Deutschland haben in den ersten Wochen nicht mal ein Konto, von dem aus sie üerweisen könnten und es wird auch kein Fluchthelfer durch die Erstaufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünfte trampeln, um Geld für eine geglückte Flucht einzusammeln. Deshalb ist Schröters Argumentation an den Haaren herbei gezogen und es macht den Eindruck, dass er seinen eigenen Argumenten für Sachleistungen nicht traut, wenn er die „Schleuserbanden“ rauskramen muss. (Im Übrigen gäbe es eine Stelle, wo Flüchtlinge in Deutschland auf Fluchthelfer zurück greifen. Das ist der Bereich des Familiennachzugs. Das meint Herr Schröter aber nicht, wäre aber durch humanere Regelungen in diesem Bereich ebenfalls überflüssig.)

Mich ärgert auch, dass der Innenminister suggeriert, dass die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes so hoch wären, dass davon Dritte bezahlt werden könnten. Der Vergleich zum Einkommen in den Herkunftsländern, den er aufmacht, hinkt, da die Asylsuchenden ihren Lebensunterhalt hier bestreiten müssen. Von den Leistungen, die sie erhalten, müssen sie Kleidung, Nahrungsmittel und die Dinge des täglichen Bedarfs zahlen. Nicht in ihrem Herkunftsland sondern hier! Die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes liegen unter denen des SGB II. Und auch das weiß der Innenminister sehr genau!

Der letzte Punkt, der mich ärgert und zu dem ich deshalb hier etwas schreiben will, ist der des verlängerten Aufenthalts in der Erstaufnahme, damit diejenigen, die keinen Aufenthaltsstatus erhalten, direkt von dort aus abgeschoben werden können. Mal unabhängig davon, dass er dies auch wieder nur bei den „Armutsflüchtlingen“ machen will. Er versucht damit von zwei Tatsachen abzulenken:

  1. Das BAMF schiebt aktuell mehr als 230.000 Asylanträge vor sich her. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit liegt bei ca. fünf Monaten. Dies aber auch nur, weil Verfahren von Personen, die aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und auch diejenigen, die aus Ländern stammen, die eien sehr hohe Anerkennungsquote haben, bevorzugt bearbeitet werden. Andere Antragsteller warten teilweise mehr als ein Jahr, umüberhaupt erst einmal angehört zu werden. Die Länge der Verfahrensdauer hat nur bedingt etwas mit den stegenden Flüchtlingszahlen zu tun. Diese 230.000 offenen Verfahren haben sich über Jahre angesammelt, auch als es noch niedrige Flüchtlingszahlen gab. Das Problem liegt beim BAMF, das nicht genügend Entscheider hat und sich mit ineffizienten Dingen beschäftigt, wie dem Dublin-Verfahren, bei dem Aufwand und Nutzen selbst aus Sicht eines Verteilungsbürokraten in keinem Verhältnis zueinander stehen. Die Verfahrensdauer ist zu lang, aber das liegt nicht an den Flüchtlingen und auch nicht daran, ob sie vom Balkan oder von irgendwoanders her kommen. Dies liegt am BAMF, der Verfahrensorganisation und der unzureichenden Personalausstattung.
  2. Aktuell reichen die Kapazitäten der Erstaufnahme in Brandenburg bei Weitem nicht aus. Eine längere Verweildauer von Flüchtlingen aus einzelnen Herkunftsländern würde eine deutliche Kapazitätssteigerung in der Erstaufnahme in allen Bundesländern erfordern. Brandenburg bringt bereits jetzt Flüchtlinge in Zelten unter, weil nicht genügend Plätze da sind. Und auch die geplante Kapazitätssteigerung würde bei Weitem nicht ausreichen, wenn Flüchtlinge länger bleiben müssten. Damit würde Schröters Idee die Situation zumindest in der Erstaufnahme sogar noch verschärfen. Gleichzeitig würde dies, das muss man zugestehen, den Kommunen ein wenig den Aufnahmedruck nehmen.

Es bleibt also nicht viel übrig an Substanz, wenn man über das Interview des Innenministers etwas genauer nachdenkt. Seine Vorschläge lösen kein Problem sondern schaffen neue. Und deshalb bin ich ziemlich sicher, dass es auch hier nur um eines geht: Die bundesdeutsche Öffentlichkeit darauf vorzubereiten, weitere Länder als sichere Herkunftsländer einzustufen. Das bringt zwar nicht den gewünschten Effekt der Abschreckung, denn die Erfahrung zeigt, dass dadurch nicht weniger Menschen aus den jeweiligen Ländern zu uns flüchten. Ein Land wird eben nicht sicher, nur weil wir das beschließen. Es bringt auch nicht den Effekt der kürzeren Verfahrensdauer, wie gern suggeriert wird. Es spart bei einem Entscheider beim BAMF nur wneige Minuten und nimmt gleichzeitig das individuelle Recht auf Asyl. Es tut aber eines: Es suggeriert, die Politik würde etwas tun gegen die steigenden Flüchtlingszahlen. Und auch das bedient die Stammtische und all jene, die vor der „Asylflut“ warnen. Es verkennt aber, dass es nur einen Weg gibt, Flüchtlingszahlen dauerhaft zu reduzieren, nämlich die Ursachen, weshalb Menschen flüchten, zu bekämpfen, indem man bspw. die Kriegslogik in der Außenpolitik aufgibt, Waffenlieferungen in Krisengebiete sein lässt, mit der Ausbeutung ganzer Staaten durch multinationale Konzerne Schluss macht und vor Ort Infrastruktur und tragfähige regionale Wirtschaftskreisläufe unterstützt. Damit endlich anzufangen, das wäre ein Weg.