Umstrittene Beschlagnahme eines Kunstkatalogs der "Freunde der toten Kinder" in Rathenow

Umstrittene Beschlagnahme eines Kunstkatalogs der „Freunde der toten Kinder“ in Rathenow

fdtk_booklet_2121_klein-1Am 26.10.2016 verschaffte sich die Polizei in Rathenow kurz nach 18 Uhr Zugang zum Kulturzentrum, indem sie eine Auszubildende der Gaststätte, die sich im Kulturhaus befindet. Der Zugang war möglich, da eine Auszubildende der Gaststätte die Beamten durch die Gasträume und eine Nebentür führte, die eine Verbindung zu den Räumen des Kulturhauses darstellt. Die Leiterin des Kulturhauses wurde nicht informiert und die Beamten nahmen eine Broschüre der Künstlergruppe „Freunde der toten Kinder“ zu Beweiszwecken an sich. Zu Beweiszwecken, weil dieser Aktion eine Anzeige des des „Kopfes“ des rechten „Bürgerbündnis Rathenow“ – Christian Kaiser – vorausging, da er sich durch die im Kulturzentrum stattfindende Ausstellung dieser Künstlergruppe beleidigt fühlte. Dieses Bürgerbündnis überzieht die Stadt seit Monaten mit wöchentliche Demonstrationen, bei denen die mittlerweile nicht einmal mehr 30 Teilnehmer ungeniert gegen Geflüchtete, PolitikerInnen und JournalistInnen hetzen.

Die Künstlergruppe „Freunde der toten Kinder“, die mit ihrem Namen auf die Schicksale der ertrunkenen Flüchtlingskinder im Mittelmeer aufmerksam machen will, hat sich durch vielfältige künstlerische Aktionen dem Bürgebündnis entgegen gestellt.

fdtk_booklet_2121_klein-13Bereits vor einigen Monaten war am Kulturzentrum ein Transparent der Künstlergruppe mit einer Karrikatur, auf der auch Kaiser abgebildet war, durch die Polizei beschlanahmt worden. Bereits diese Beschlagnahmung hatte für Empörung in Rathenow gesorgt, ob sie rechtmäßig war, ist noch unklar. In der Ausstellung, wie in der begleitenden Broschur findet sich eine Abbildung dieses Transparents.

Die beschlagnahmte Broschur kann man sich übrigens hier anschauen.

Ein sehr guter Artikel über die Ereignisse des 26.10. findet sich in den Potsdamer Neuesten Nachrichten. Die Ereignisse, wie sie dort beschrieben sind, werden von keiner Seite in Frage gestellt. Es gibt aber einige Fragen, die bisher unbeantwortet sind. Beispielsweise, weshalb die Polizei sich keinen Durchsuchungsbeschluss besorgte. Das Eindringen in verschlossene Räume ist erst einmal Hausfriedensbruch. Es ist unklar, weshalb dies an diesem Abend erfolgte, Gefahr war nicht in Verzug, da die Ausstellung ja geschlossen war und ob die Verhältnismäßigkeit polizeilichen Handelns hierbei gewahrt wurde, darf getrost bezweifelt werden. Von einer Zustimmung der Leitung beim Betreten der Räume durch die Gaststätte auszugehen, da diese ja durch eine Auszubildende (!) gewährt wurde, dürfte eine Fehleinschätzung sein, zumal die Auszubildende ein Namensschild mit der Aufschrift „Auszubildende“ trug. Insofern wäre ein Durchsuchungsbeschluss von Nöten gewesen, oder aber man hätte einfach bis zur Öffnung des Kulturzentrums am Folgetag gewartet.

Völlig unklar ist außerdem, weshalb bei der Durchsuchung der Anzeigende dabei war. Und noch schwieriger wird es, wenn nach der Durchsuchung einerseits ein einschlägiger Aufkleber an einer Ausstellungstafel angebracht wurde und andererseits nicht nur eine Broschur sondern mindestens 20 verschwunden sind. Hat also der Chef des Bürgerbündnisses diese Broschüren entwedet, wenn die Polizei nur eine beschlagnahmt hat? Ist das dann möglicherweise ein Fall von Dienstahl unter den Augen der Polizeibeamten?

Und: Wie ist es eigentlich mit der grundgesetzlich geschützten Freiheit der Kunst? Eine Person, die sich über Monate bei flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen, über die Medien und die sozialen Medien in den Vordergrund schiebt, muss damit rechnen kritisiert zu werden. Auch in künstlerischer Form. Ich erwarte, dass – gerade nach der Kritik an der Beschlagnahme des Transparents im April – seitens der Beamten Sensibilität für die zu schützende Kunstfreiheit vorhanden ist.

Es mag sein, dass dem einen oder der anderen diese Geschichte als Lappalie erscheint. Jedoch hat der Bürger das Recht vor unbefugtem staatlichen Handeln geschützt zu sein. Gerade wenn es um den Schutz der Freiheit der Kunst geht, ist besondere Sensibilität zu wahren. Und auch ein unbefugtes Eindringen in Räumlichkeiten ohne Gefahr im Verzug und ohne einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss ist keine Lappalie, sondern ein harter staatlicher Engriff.

Insgesamt ist dieser Polizeieinsatz aus meiner Sicht deshalb in mehrfacher Hinsicht kritikwürdig und ich habe am Donerstag im Landtag dazu den Innenminister befragt. Dazu gibt es einen Videomitschnitt (ab Minute 15:45).

Ich finde die Erklärung des Innenministers völlig unbefriedigend und werde an dem Thema dran bleiben. Das habe ich auch der Märkischen Allgemeinen gesagt, die dazu einen Artikel veröffentlicht hat. Ich will, dass Konsequenzen aus diesen Vorkommnissen gezogen werden, die sicher stellen, dass wir uns mit einem solchen Vorkommnis nicht noch einmal auseinandersetzen müssen.