Völlig fassungslos nach der Kreistagssitzung

Völlig fassungslos nach der Kreistagssitzung

Wir haben im Kreistag Havelland schon viel erlebt. Wir gingen schon öfter mal frustriert raus, weil Landrat und Zählgemeinschaft einfach jeden Antrag, den wir als LINKE stellen, ablehnen. Und auch weil die Begründungen oftmals sowas von an den Haaren herbei gezogen sind, dass es weh tut. Heute aber hat mich das Agieren des Landrats und der Zählgemeinschaft einfach nur fassungslos gemacht.
Was ist passiert?
Als LINKE haben wir uns gedacht, dass, wenn der Kreistag schon tagen muss, während in Nauen beim Toleranzfest Menschen Gesicht zeigen gegen Nazis, es gut wäre, wenn aus dem Kreistag an diesem Tag ein Signal für Weltoffenheit und Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gesendet würde. Als ich deshalb im Kreisausschuss vor drei Wochen nachfragte, ob es nicht gut wäre, eine gemeinsame Positionierung zu erarbeiten, reagierte darauf niemand aus den anderen Fraktionen. Da wir als LINKE dies dennoch wichtig fanden, haben wir folgenden Antrag in den Kreistag eingebracht (der Antrag wurde in der Sitzung auf Wunsch der Fraktion der Grünen leicht verändert, hier ist die veränderte Fassung dokumentiert, die auch zur Abstimmung kam):

„Solidarisch mit Hilfe suchenden Menschen – Entschlossen gegen Rassismus

Der Kreistag möge beschließen:

1. Die Mitglieder des Kreistages Havelland erklären sich mit allen Menschen solidarisch, die von rassistischer Stimmungsmache, Anfeindung, Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt betroffen sind.

2. Der Kreistag Havelland dankt allen engagierten Menschen im Landkreis, insbesondere den ehrenamtlich in Initiativen, Bündnissen, Vereinen und Verbänden aktiven, die sich für ein solidarisches und friedliches Miteinander sowie gegen Rassismus und Ausgrenzung stark machen.

3. Der Kreistag Havelland begrüßt die vielerorts in der Region entstandenen Willkommensinitiativen für geflüchtete Menschen und Asylsuchende und unterstützt eine gelebte Willkommenskultur in allen Teilen des Landkreises.

4. Der Kreistag Havelland stellt fest, dass die Vielfalt der religiösen Bekenntnisse und weltanschaulichen Überzeugungen ein Teil der Identität unseres Landkreises ist.

5. Der Kreistag Havelland beauftragt die Kreisverwaltung, zur Kreistagssitzung am 21. September einen Entwurf für ein Integrationskonzept für den Landkreis vorzulegen. Dieses Konzept soll dann in einem breiten gesellschaftlichen Dialog mit VertreterInnen von Kommunen, Vereinen, Verbänden und Initiativen sowie den BürgerInnen und geflüchteten Menschen intensiv diskutiert werden, um dann, nach Überarbeitung, vom Kreistag Havelland verabschiedet werden zu können.

Begründung:

Auch im Havelland haben neonazistische Einschüchterungsversuche und Kundgebungen gegen geplante Unterkünfte für geflüchtete Menschen und Asylsuchende zugenommen. Hierbei möchten wir insbesondere an die Tumulte während der BürgerInnensprechstunde der Stadtverordnetenversammlung am 12. Februar in Nauen und deren Räumung durch die Polizei, an die Neonazikundgebung am 14. März mit 80 TeilnehmerInnen in Nauen sowie an den Anschlag auf das Büro der LINKEN in Nauen in Nacht vom 24. auf den 25. März erinnern.

Nach Ansicht der einbringenden Fraktion ist es geboten, dass sich der Kreistag Havelland mit dieser Situation befasst und auseinandersetzt und darüber hinaus ein eindeutiges Signal der Anerkennung der in diesem Bereich geleisteten ehrenamtlichen Arbeit und deren Unterstützung aussendet.“

Der Antrag war bewusst so formuliert, dass eigentlich niemand etwas dagegen haben kann, außer vielleicht die Abgeordneten aus AfD und NPD. Im Vorfeld hatte auch niemand signalisiert, ein Problem mit dem Antrag oder einzelnen Punkten zu haben. Auch Änderungsanträge gab es keine. Hätte man eine Positionierung des Kreistags gewollt, wären all dies Wege gewesen, die man hätte gehen können. Wir wären kompromissbereit gewesen.

Nach meiner Einbringungsrede (die ich ganz unten dokumentiere), erlebten wir dann allerdings ein Schauspiel, das seines Gleichen sucht. Herr Dombrowski (CDU) meldete sich als erstes, erklärte, man dürfe einem Antrag keine Überschrift geben, in der von Rassismus die Rede sei, weil der Landtag ganz bewusst im vorletzten Jahr die Landesverfassung geändert habe, dahingehend, dass dort das Wort Rasse nicht mehr auftauche und es demnach auch keinen Rassismus gäbe. Wohlgemerkt, der Mann ist Landtagsabgeordneter und Vizepräsident des Landtages! Ich habe ihm dann die Passage aus der Landesverfassung, auf die er sich wohl bezog, in Reaktion auf seine Rede im Kreistag vorgelesen:

„Artikel 1

Änderung der Verfassung des Landes Brandenburg

Die Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992 (GVBI. I S. 298), die zuletzt durch Gesetz vom 19. Dezember 2011 (GVBI. I Nr. 30) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Dem Artikel 2 Absatz 1wird folgender Satz 2 angefügt:

„Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.“

2. Artikel 12 Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Niemand darf wegen der Abstammung, Nationalität, Sprache, des Geschlechts, der sexuellen Identität, sozialen Herkunft oder Stellung, einer Behinderung, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder aus rassistischen Gründen bevorzugt oder benachteiligt werden.“ „

Da die Kollegen der CDU im Landtag der Antirassismusklausel nicht zugestimmt haben, sei Herrn Dombrowski verziehen, dass ihm nicht bewusst war, dass hier gleich zwei Mal von „Rassismus“ die Rede ist.

Weiter erklärte Herr Dombrowski, die CDU sähe das alles unaufgeregter als wir und im Havelland laufe doch alles super, deshalb würde man unserem Antrag nicht zustimmen. Ach ja, und man solle nicht bei jeder Kritzelei gleich eine Pressemitteilung machen. Es bleibt Herrn Dombrowskis Geheimnis, ob er damit die Pressemitteilung meint, die wir abgegeben haben, nachdem die Scheiben unseres Büros mit 29 Hammerschlägen malätriert wurden oder ob er damit die Pressemitteilung des Mikado e.V. meint, nachdem die Reifen seines Busses zerstochen und ein Zettel mit dem Inhalt „Liebe Asylantenfreunde! Tröglitz ist auch hier. Bis bald!“ hinterlassen wurde.

Es folgte der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Kollege Buchta. Er erklärte, die Punkte 1 bis 4 unseres Antrags wären unstrittig und würden von der SPD unterstützt, den Punkt 5 lehne man ab, weil es keines Integrations- und Unterbringungskonzeptes bedürfe (zu diesem Zeitpunkt stand das Wort Unterbringungskonzept noch im Antrag, dieses haben wir im Laufe der Debatte als Brücke für die anderen Fraktionen gestrichen), da ja alles toll laufe und wir nicht erst ein Konzept ewig diskutieren könnten, bevor wir Unterkünfte bauen. Auch eine Intervention meines Fraktionskollegen Harald Petzold konnte Herrn Buchta nicht überzeugen.

Der Lichtblick in der Debatte war der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Felix Doepner, der klar sagte, er habe den Eindruck, die Zählgemeinschaft ziehe Argumente an den Haaren herbei, um unserem Antrag nicht zustimmen zu müssen. Er machte in seiner Rede kleine Änderungsvorschläge, die wir sofort übernommen haben.

Der Landrat machte dann deutlich, dass er unseren Antrag für „nicht reparabel“ halte und der Punkt 5 den „Ansatz von Gefährlichkeit“ habe. Außerdem könnten Ehrenamtler nicht die Verwaltungsmitarbeiter ersetzen, es laufe alles gut und wir hätten der Verwaltung ja auch mal danken können.

Es gab weitere Redebeiträge ähnlichen inhaltlichen Gehalts, die ich im Einzelnen hier nicht dokumentiere. Ich habe zwischenzeitlich nochmals interveniert, den KollegInnen der demokratischen Fraktionen die einzelnen Sätze des Antrags vorgelesen und sie gefragt, ob sie mir wirklich sagen wollen, dass sie diesen nicht zustimmen können. Habe sie auch darauf hingewiesen, dass sie den 5. Punkt auch mittels Änderungsantrag streichen könnten, um dem Kreistag die Peinlichkeit zu ersparen, einem solchen Antrag nicht zuzustimmen. Nun, es half alles nichts. In der durch uns beantragten namentlichen Abstimmung konnte sich kein einziger Abgeordneter von SPD, CDU, FDP und Bauern dazu durchringen, unserem Antrag zuzustimmen. Versteht sich von selbst, dass AfD und NPD ihn ebenfalls abgelehnt haben.

Ich habe wirklich mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass SPD, CDU, FDP und Bauern gemeinsam mit AfD und NPD diesen Antrag ablehnen und damit denjenigen ihre Solidarität verweigern, die von rassistischer Stimmungsmache, Anfeindung, Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt betroffen sind und denjenigen den Dank verwehren, die sich im Landkreis, insbesondere den ehrenamtlich in Initiativen, Bündnissen, Vereinen und Verbänden aktiven, die sich im Landkreis für ein solidarisches und friedliches Miteinander sowie gegen Rassismus und Ausgrenzung stark machen. Ich habe nicht für möglich gehalten, dass man sich dagegen verwehrt, die vielerorts in der Region entstandenen Willkommensinitiativen für geflüchtete Menschen und Asylsuchende zu begrüßen und eine gelebte Willkommenskultur in allen Teilen des Landkreises zu unterstützen. Ich habe nicht für möglich gehalten, dass man nicht anerkennt, dass die Vielfalt der religiösen Bekenntnisse und weltanschaulichen Überzeugungen ein Teil der Identität unseres Landkreises ist. Und ich habe auch nicht für möglich gehalten, das sman sich dagegen verwehrt, in einem breiten gesellschaftlichen Dialog mit VertreterInnen von Kommunen, Vereinen, Verbänden und Initiativen sowie den BürgerInnen und geflüchteten Menschen ein Integrationskonzept intensiv zu diskutieren, um dann, nach Überarbeitung, vom Kreistag Havelland zu verabschieden.

Diese Debatte im Kreistag war der Tiefpunkt dessen, was ich bisher in diesem Gremium erlebt habe. Es ist eine Schande für den Kreistag und für jeden Demokraten und es ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich stark machen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und die Gesicht zeigen für Flüchtlinge und ihnen ein gutes Willkommen bieten wollen. Die Arroganz der Zählgemeinschaft hat heute nur zu einem geführt: Dass Nazis sich die Hände reiben und freuen. Wir können sicher sein, dass sie genau diesen nicht erfolgten Beschluss in den nächsten Monaten als Waffe benutzen gegen alle, die sich ihnen und ihrer menschenverachtenden Ideologie entgegen stellen. SPD, CDU, FDP und Bauern haben genau das in Kauf genommen und das alles nur, um bloß keinem LINKEN Antrag zuzustimmen. Armselig und unverantwortlich.

Heute bin ich zu weiterer politischer Schlussfolgerung nicht in der Lage, ich bin einfach zu aufgewühlt. Deshalb dokumentiere ich hier nur noch meine Rede und mache dann Schluss für heute. Es gab noch weiteres Berichtenswertes von der Kreistagssitzung. Dazu dann in den folgenden Tagen mehr.

„Anrede,
während wir hier tagen zeigen in Nauen Bürgerinnen und Bürger beim Toleranzfest Gesicht gegen Fremdenhass und Gewalt. Sie zeigen, dass das Havelland bunt und weltoffen ist und hier kein Ort für Nazis ist. Das mindeste, was wir von hier aus tun können, um diesem Menschen unsere Unterstützung zu zeigen, ist, ihnen zu danken für ihr Engagement und für ihren Mut.
Ja, leider erfordert es Mut, offen zu zeigen, dass man sich für Flüchtlinge einsetzt, dass man ihnen ein Willkommen bieten will. Wir haben in den letzten Wochen erlebt, dass Menschen, die diesen Mut haben, bedroht werden. Aber wir müssen dazu nicht bis nach Tröglitz in Sachsen-Anhalt gucken. Auch hier im Havelland, in Nauen werden UnterstützerInnen von Flüchtlingen bedroht. Die Ereignisse bei der Stadtverordnetenversammlung in Nauen, als es um den Verkauf eines Grundstücks zur Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft ging oder der Angriff auf das Büro meiner Partei in Nauen, wo die Scheiben mit 29 Hammerschlägen traktiert wurden und oder auch die Ereignisse nach der Kundgebung gegen die „Nein zum Heim“-Demonstration, wo die Reifen des Busses von Mikado e.V. zerstochen und ein Zettel hinterlassen wurde, auf dem stand: „Liebe Asylantenfreunde! Tröglitz ist auch hier. Bis bald!“ zeigen, dass auch im Havelland die Gewaltbereitschaft gegen Flüchtlinge und ihre UnterstützerInnen wächst. Deshalb bedarf es eines Zeichens dieses Kreistages, dass diese Menschen unsere Solidarität und Unterstützung haben. Dass wir sie nicht allein lassen in ihrem Einsatz für Weltoffenheit und Toleranz!

Anrede,
wir alle stehen gemeinsam vor großen Herausforderungen. Die Zahl der Menschen, die aus Not und Verzweiflung nach Deutschland, nach Brandenburg und somit auch ins Havelland kommen, ist in den vergangenen Monaten stark gestiegen. Die Anstrengungen im Landkreis, diesen Menschen eine würdige Unterkunft in unseren Städten und Gemeinden zu bieten, sind fast täglich in den Medien zu verfolgen. Neben den bestehenden Unterkünften in Rathenow, Premnitz und Friesack werden in den kommenden Monaten weitere in Nauen, Falkensee, Friesack und sicher auch an anderen Orten hinzukommen. Das ist gut so und ein selbstverständlicher Akt der Menschlichkeit.

Anrede,
mit großer Freude nehmen wir zur Kenntnis, dass sich an vielen Orten des Havellandes Willkommensinitiativen gegründet haben. So feierten zum Beispiel vor gut einer Woche rund 300 Menschen aus mehr als 20 Ländern ein Willkommensfest hier in Rathenow. Heute findet in Nauen das bereits erwähnte Toleranzfest statt. Auch in vielen anderen Gemeinden haben sich Initiativen und Runde Tische gegründet, um geflüchtete Menschen und Asylsuchende im Havelland willkommen zu heißen und sie zu unterstützen. Sie geben Deutschkurse, helfen den Kindern bei den Hausaufgaben, begleiten die Erwachsenen zu Ämtern oder Ärzten und helfen den Menschen, sich in einer für sie völlig neuen Umgebung zurecht zu finden. All diesen Menschen gebührt unser besonderer Dank und Respekt. Sie lassen ein Klima des gegenseitigen Respekts, des Mitgefühls und der Solidarität entstehen, das wir nur unterstützen und befördern können. Deshalb halten wir es für angebracht und notwendig, das Engagement dieser Havelländerinnen und Havelländer als Kreistag zu würdigen, diesen Menschen den Rücken zu stärken und ein ganz klares Signal der Anerkennung und Unterstützung in die Städte und Gemeinden des Havellandes zu senden.

Anrede,
wir werden uns in diesem Kreistag sicher noch häufiger mit allen Fragen der Betreuung und Unterbringung von Flüchtlingen im Havelland beschäftigen. Wir müssen uns bewusst sein, so wie wir heute Flüchtlinge unterbringen, werden sie im Havelland in den nächsten 20 Jahren untergebracht sein. Aus unserer Sicht werden wir nur gemeinsam mit allen AkteurInnen im Landkreis dauerhaft tragfähige und akzeptierte Lösungen finden. Deshalb möchten wir, dass in einem breiten gesellschaftlichen Dialog mit den Städten und Gemeinden, mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren, mit den Vereinen und Verbänden und mit den vielfältigen Willkommensinitiativen ein Konzept für die Unterbringung, Betreuung und Integration von Flüchtlingen entwickelt wird. Nur mit Beteiligung und gemeinsamen Lösungen werden wir Akzeptanz in der Bevölkerung schaffen. Wir sind angewiesen auf vielfältiges ehrenamtliches Engagement aber auch auf das Engagement der Verwaltungen in den Städten und Gemeinden, um Integration zu ermöglichen. Deshalb möchten wir, dass ein Integrations- und Unterbringungskonzept für das Havelland erarbeitet, diskutiert und verabschiedet wird.“