Warum ich heute dem umstrittenen Polizeigesetz zugestimmt habe

Warum ich heute dem umstrittenen Polizeigesetz zugestimmt habe

Das war heute einer der schwierigsten Tage, seitdem ich Abgeordnete des Landtags bin und die Zustimmung zum Brandenburgischen Polizeigesetz ist ganz sicher niemandem in der Landtagsfraktion leicht gefallen.

Ich weiß, dass diejenigen, die sagen, keinerlei Verschärfung in Polizeigesetzen ist eine rote Linie linker Politik, ganz sicher nicht zu überzeugen sind. Dennoch will ich erklären, weshalb ich dies heute getan habe und der festen Überzeugung bin, dass dies die richtige Entscheidung war.

Politik von Parteien ist immer Interessenabwägung. Ich verstehe Misstrauen in polizeiliches Handeln, gerade weil ich in meinem Leben in genügend Situationen war, in denen Polizei nicht so gehandelt hat, wie ich es mir gewünscht hätte. Gleichzeitig ist aber polizeiliches Handeln auch Schutz der Bevölkerung vor Kriminalität durch Prävention ebenso wie durch Aufklärung, Strafverfolgung und Gefahrenabwehr. Polizei muss Bevölkerung schützen und gleichzeitig muss Bevölkerung vor zu vielen Eingriffsbefugnissen geschützt werden. Und hier beginnt der erste Teil der Abwägung – Freiheit und Sicherheit sind abzuwägen. Da kann man leugnen, dass Gefahrenlagen, dass Kriminalität sich verändert. Dann kann man zu der Abwägung kommen, es muss alles so bleiben wie es ist. Wobei man dann auch ehrlich sei muss, dass das eigentlich ein Abwehrkampf ist aus Angst, wenn man ein Gesetz aufmacht, würden mehr Befugnisse kommen, als man sich wünscht. Oder warum wird von LINKEN in Regierung zwar gefordert, die Quellen-TKÜ zu verhindern, wenn sie noch nicht im Gesetz steht, jedoch bspw. von der LINKEN Thüringen nicht verlangt, die dort bereits im Gesetz enthaltene Quellen-TKÜ zu streichen? Man kann aber auch zu der Abwägung kommen, dass veränderte Lagen und Kriminalitätsformen eine veränderte Gesetzgebung erfordern.

Uns lag ursprünglich ein Gesetzentwurf vor, dem ich mit Sicherheit nicht hätte zustimmen können. Die Landtagsfraktion hat sich, gemeinsam mit den LINKEN Regierungsmitgliedern und dem Landesvorstand dafür entschieden, die Diskussion dazu zu führen und den Kampf aufzunehmen, dieses – von der SPD unbedingt gewollte – Gesetz in eine Form zu bringen, die die Eingriffsbefugnisse im polizeilichen Handeln mit der aktuellen Kriminalitäts- und Sicherheitslage abwägt und Bürger*innenrechte so weit wie irgend möglich sichert. Deshalb war für uns klar, was alles nicht geht:

  • Elektronische Fußfessel
  • Online-Durchsuchung
  • Quellen-TKÜ bzw. Staatstrojaner
  • Verdeckte Wohnungsdurchsuchungen, ohne, dass die Betroffenen es wissen
  • Genetische Untersuchungen
  • Umfassende Meldeauflagen bei Verstößen gegen das Versammlungsrecht
  • Verlängerter Gewahrsam für Terrorverdächtige ohne anwaltlichen Beistand
  • Den Einsatz von Spreng- und Explosivmitteln gegen Personen

All das ist im Gesetz – entgegen einiger Behauptungen offener Briefe  – auch nicht enthalten. Es gab weitere Punkte, die umstritten waren, bspw.:

  • Es war im ursprünglichen Entwurf eine deutliche Ausweitung der Schleier-Fahndung vorgesehen. Hier konnten zumindest Verbesserungen hinsichtlich des Ausschlusses von racial profiling unter Verweis auf de Antirassismusklausel der Landesverfassung und weitere kleinere Verbesserungen erreicht werden.
  • Einsatz von Body-Cams. Ich persönlich teile die grundsätzliche Ablehnung von Body-Cams nicht, wie einige sie vertreten. Der Einsatz kann im Gegenteil auch Bürgerinnen und Bürger vor willkürlichem Handeln schützen. Deshalb war uns wichtig einerseits klar zu stellen, dass sie bspw. in Wohnungen nicht eingesetzt werden dürfen und sie Aufnahmen andererseits auch auf Verlangen des Betroffenen zur Überprüfung des rechtmäßigen Handelns von Polizei herangezogen werden können.
  • Die Ausweitung der Speicherfristen bei der Video-Überwachung. Auch das kann man kritisieren, hier gab es allerdings auch praktische Erwägungen, die vor allem darauf abzielten, dass zu kurze Speicherfristen zu Löschungen führen, bevor eine Sichtung, wenn tatsächlich etwas passiert ist, stattfinden kann.

Es gibt weitere Punkte, über die man sich streiten kann. Im Rahmen dieses Textes soll jedoch vor allem deutlich gemacht werden, dass nicht alles, was gerade öffentlich herumgeistert im beschlossenen Gesetz enthalten ist und zudem will ich klar machen, dass wir sehr wohl – zumindest für mich – erstaunliche Verhandlungserfolge erzielt haben. Denn all das oben aufgeführte haben wir als LINKE weg verhandelt. Und zwar hart verhandelt über mehrere Monate! Dabei war es extrem wichtig, dass es außerparlamentarischen Druck gab.

Das Gesetz ist nicht, wie uns vorgeworfen wird, in einer Reihe mit dem bayrischen zu sehen. Wer das behauptet argumentiert einfach nur platt und ist nicht bereit zur Differenzierung. Es ist auch jetzt noch eines der liberalsten Polizeigesetze aller Bundesländer und Brandenburg ist damit eines der ganz wenigen Bundesländer, die bspw. keinen Staatstrojaner im Polizeigesetz haben! Noch etwas mehr Information zum Inhalt als hier im Text gibt es in einer Zusammenfassung der Landtagsfraktion.

Nun hätte all das dennoch nicht zu einer Zustimmung der LINKEN im Brandenburger Landtag zu diesem Gesetz geführt, wenn es denn nicht in einer konkreten Situation zu einer konkreten Zeit zur Diskussion gestanden hätte.

Deshalb auch dazu ein paar Sätze, weil Politik eben nicht im luftleeren Raum stattfindet. Ich erwähne nur kurz die gesellschaftliche Situation, deren Diskurs in weiten Teilen der Gesellschaft aktuell sicher nicht geprägt ist vom Kampf um Freiheitsrechte. Das sollte man zumindest als Rahmenbedingung akzeptieren. Gleichzeitig ist auch innerhalb der Partei die Diskussion um die Abwägung von Sicherheit und Freiheit nicht so eindeutig, wie es die aktuelle Diskussion glauben machen möchte. Ich habe bereits vor einigen Jahren zu diesem Spannungsfeld einen längeren Artikel geschrieben, in dem ich eingefordert habe, dass wir als LINKE in Brandenburg uns mit der aktuellen Sicherheitslage, der Stimmung in der Bevölkerung und unserer Reaktion und politischen Konsequenzen darauf beschäftigen. Dieser Diskurs fand nicht statt und das war ein Fehler. Und das müssen sich auch die, die jetzt die Zustimmung zum Gesetz falsch finden, auf die Fahnen schreiben. Dass wir keine LINKE Strategie entwickelt haben und es deshalb bis auf die Einführung eines Polizeibeauftragten keine LINKE Forderung für die Ausgestaltung eines Polizeigesetzes gibt, hat mit dieser nicht geführten Debatte zu tun. Und genau deshalb befanden wir uns in einem reinen Abwehrkampf gegen die Ausweitung von Befugnissen. Und auch von der außerparlamentarischen Linken kamen diesbezüglich keine Vorschläge. Einen Abwehrkampf zu führen ist immer schwieriger, als eigene Vorstellungen zu haben und diese in die Waagschale zu werfen und das war in der ganzen Debatte Teil unseres Problems.

Luftleerer Raum war aber auch nicht angesichts der Konstellation in der wir uns befinden. Die SPD als Koalitionspartner wollte eine Neufassung des Polizeigesetzes um jeden Preis und diese war auch im Koalitionsvertrag verankert. Wer geglaubt hat, es ginge dabei um ein paar Anpassungen, die sich aus Bundesgesetzen ergeben war blauäugig und naiv. Und insofern wusste auch jeder, dass dieses Gesetz noch kommen wird, inkl. einer harten Auseinandersetzung. Umso sträflicher, dass die oben erwähnte eingeforderte Debatte nicht stattgefunden hat.

Hinzu kam die Debatte um mehr Stellen beim Verfassungsschutz, die wir nicht verhindern konnten, weil der Innenminister einen haushaltsrechtlichen Spielraum ausgenutzt und uns vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Und hinzu kam unsere Forderung nach der Umsetzung der Konsequenzen des NSU-Untersuchungsausschusses. Die SPD will (bis auf wneige Ausnahmen) kein neues Verfassungsschutzgesetz, das wussten wir. Wir wollten jedoch eine deutlich verbesserte parlamentarische Kontrolle mit Ausweitung der Rechte von PKK und G10-Kommission, eine Innenrevision beim Verfassungsschutz und eine Einschränkungen beim Einsatz von V-Leuten, bspw. die Klarstellung, dass diese keine Straftaten begehen dürfen. Auch daran kann man Kritik haben. Die Maximalforderung nach de Abschaffung des Verfassungsschutzes hilft an der Stelle aber nur insoferm weiter, als dass dies die Maximalforderung ist, für die es keinerlei gesellschaftliche und parlamentarsche Mehrheit gibt. Es gibt bisher kein Land, das aus dem NSU-Skandal dereit weit reichende Konsequenzen beim Verfassungsschutz gezogen hat, wie wir es hier wollen und nun auch werden.

Heute befanden sich alle Abgeordneten in einem differenzierten Abwägungsprozess, die sowohl die inhaltlichen Fragen als auch die der spezifischen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen umfassten. Und ja, auch taktische und strategische Abwägungen spielten eine Rolle. Wäre das Polizeigesetz heute nicht in dieser Form verabschiedet worden, hätte sich LINKE für nicht nur eine Wahlperiode in Brandenburg aus dem Spiel genommen. Man kann nicht mehr als ein halbes Jahr verhandeln, fast alle Punkte, die man sich vorgenommen hat erreichen und am Ende des Prozesses sagen: Ach nee, doch nicht. Damit macht man sich unglaubwürdig und zeigt, dass man nicht politikfährig ist. Denn Politik ist eben Interessenabwägung, Verhandlung und Kompromissfindung. Da kann man einwenden, dann hättet ihr halt gar nicht erst verhandeln dürfen, es war klar, dass es keinen guten Kompromiss geben kann. Das kann sein, hinterher ist man immer schlauer. Ich glaube aber eher, dass LINKE in Rechnung stellen muss, dass gesellschaftlich und politisch gerade keinerlei Mehrheiten in Sicht sind, die die Abwägung von Freiheit und Sicherheit vorrangig im Sinne der Freiheit beantworten. Wir müssen bei jeder Entscheidung den Handlungsspielraum, der tatsächlich vorhanden ist, in Rechnung stellen. Und dieser ist angesichts eines solchen gesellschaftlichen Diskurses, wie er gerade stattfindet, deutlich eingeschränkt.

Und dann steht die Frage, ob ein – auch nach diesem Beschluss – deutlich liberaleres Polizeigesetz als in den meisten anderen Bundesländern (und das ist es!) dann nicht eben doch zu ertragen ist angesichts des Gestaltungsspielraums, den die Regierungskoalition insgesamt ergeben hat und noch ergeben wird. Ich werde jetzt hier nicht aufzählen, was LINKE in Regierung in Brandenburg alles für die Menschen in diesem Land erreicht hat, das würde diesen Text hier sprengen. Es ist beachtlich.

Und ja, auch wenn der eine oder andere bei diesem Argument „Regieren um jeden Preis“ schreien wird, es ist heute auch eine Entscheidung gewesen, ob wir Gestaltungsmöglichkeiten aufgeben. In einer Situation wo völlig klar ist, dass, wäre dieses Polizeigesetz heute nicht beschlossen worden, eine künftige Regierungskoalition (die dann mit Sicherheit ohne LINKE Beteiligung wäre), ein deutlich härteres Polizeigesetz auf dem Weg gebracht hätte. Ich teile nicht die Ansicht einiger, dass in dem Fall noch ein Polizeigesetz in dieser Wahlperiode nach dem Vorbild des vorliegenden CDU-Gesetzentwurfs verabschiedet worden wäre. Aber welches Polizeigesetz in einer Konstellation nach der Wahl unter Beteiligung von CDU und SPD kommen würde, kann man sich gut anhand der Überschneidungen des ursprünglichen Entwurfs des Innenministers und des der CDU anschauen. Das kann natürlich dennoch nach der Wahl passieren. Nur hat sich DIE LINKE mit der heutigen Entscheidung eben nicht in die Opposition verabschiedet und bleibt damit weiterhin berechenbare Kraft und hält genau damit eine rot-rot-grüne Option offen.

Ich glaube auch nicht, dass es, wäre es heute zum Koalitionsbruch gekommen, und das wäre die Nichtzustimmung gewesen, vorgezogene Neuwahlen gegeben hätte. Die SPD hätte unsere Minister*innen entlassen und als Minderheitsregierung bis September weiter gemacht. Eine Chance zur Auflösung des Landtages gibt es schlicht nur dann, wenn zumindest ein Teil der SPD fürdie Auflösung stimmen würde. Das wäre nicht passiert, weil die SPD kein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen hat, und so wäre das kommenden halbe Jahr bis zur Wahl am 1. September ein einziges Geschenke verteilen und Erfolge einheimsen der SPD gewesen. DIE LINKE wäre in dieser Situation diejenige gewesen, die als unzuverlässig und nicht regierungsfähig, alles das abfangend, was der Regierung schlechtes zugeschrieben wird und jedes Handungsspielraums beraubt hätte Wahlkampf führen mussen. Man kann zu einer anderen Auffassung kommen als ich, aber ich bin sicher, dass uns ein Manövrieren in diese Situation deutlich mehr schwächen würde als die Zustimmung zu diesem umstrittenen Gesetz. Zumal wir – nebenbei gesagt – in der öffentlichen Wahrnehmung als diejenigen aus den Verhandlungen zum Polizeigesetz hervorgegangen sind, die sich durchgesetzt haben (und das ist auch objektiv so!). In dieser Situation wäre eine Nichtzustimmung und das Platzen lassen der Koalition an diesem Punkt in der Öffentlichkeit nicht vermittelbar gewesen.

Insofern geht es auch nicht um ein paar Monate Regierung, sondern um das Offenhalten der strategischen Option einer rot-rot-grünen Regierung und damit der Gestaltungsoption nach der Wahl. Auch diese Abwägung mussten die Abgeordneten heute treffen, unter Einbeziehung der politischen Stimmung im Land und der Gefahr, dass die AfD im September stärkste Kraft wird. Wenn wir als LINKE uns jetzt herausnähmen aus der strategischen Position ein verlässlicher Regierungspartner zu sein, könnte dies nach der Wahl auch bedeuten, dass eine Regierungsbeteiligung der AfD wahrscheinlicher wird.

In Abwägung all dieser – hier kurz zusammengefasster Überlegungen – bin ich heute zu der Entscheidung gekommen, dem Polizeigesetz zuzustimmen, obwohl auch ich daran auch einige Kritik habe. Das kann man kritisieren, man kann auch zu anderen Abwägungen kommen und ich bin sicher, dass nicht alle Genossinnen und Genossen zu der gleichen Einschätzung kommen. Ich bin gern bereit, dazu ins Gespräch zu kommen.