Zerstörtes Leben - Verlorene Welt - Die Sperrzone um Tschernobyl - Ein Bericht meiner zweiten Reise im April 2018

Zerstörtes Leben – Verlorene Welt – Die Sperrzone um Tschernobyl – Ein Bericht meiner zweiten Reise im April 2018

Bereits im Oktober/November 2016 bin ich in die Sperrzone um Tschernobyl gereist. Ein ausführlicher Bericht der damaligen Reise findet sich hier. Ich möchte die allgemeinen Informationen über die Sperrzone nicht wiederholen, diese sind dort nachzulesen. In den auf die Reise folgenden Monaten habe ich mit meinen Fotos aus der Zone Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema gemacht und Vorträge und Workshops gestaltet und bin mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen. Immer wieder stand die Frage: Welches Risiko sind wir als Gesellschaft bereit zu tragen für unsere Energiegewinnung. Meine Antwort ist klar: Eine Technologie, die solch katastrophale Folgen für eine Region hat, die nicht vollständig beherrschbar ist und auch niemals sein wird, deren Gefahren vor keiner Grenze halt machen und von der wir im Übrigen auch bis heute nicht wissen, was wir mit deren Überbleibsel (Atommüll) machen, kann nicht die Antwort sein. Bei einem Unfall drohen Zehntausende Todesopfer und Gebiete, in denen Jahrtausende niemand gesund leben kann. Gebiete, wie die Sperrzone von Tschernobyl. Und weil mich das Thema nicht los lässt, wuchs der Wunsch, erneut in die Zone zu reisen, erneut vor Ort die Auswirkungen des Unfalls direkt zu sehen und zu spüren und auch um die Autenzität des direkten Erlebnisses in den Diskussionen und Veranstaltungen aufzufrischen.

Und so besuchte ich am 14. und 15. April 2016 – wenige Tage bevor sich die Katastrophe am 26. April 2018 zum 32. Mal jährt – erneut die Sperrzone von Tschernobyl.

Hinweis: unter „weitere Fotos“ verbirgt sich jeweils ein Link zu Flickr, wo weitere Bilder der jeweiligen Stationen hinterlegt sind.

 

12. und 13. April 2018

Kiew am Maidan

Wir flogen am 12. April von Berlin über Riga nach Kiew und haben eineinhalb Tage in Kiew verbracht. Neben dem Maidan und Babyn Yar, besuchten wir weitere interessante Orte in der Stadt.

Unter anderem besuchten wir das Tschernobyl-Museum. Einen Besuch dort hatte ich bei der ersten Reise nicht geschafft und ich war gespannt, wie in der ukrainischen Hauptstadt eine Rezeption der Katastrophe stattfindet. Offen gestanden war ich vom Konzept der Ausstellung etwas enttäuscht. Zwar ist der Eingangs- und Ausgangsbereich sehr einprägsam und symbolisch mit Ortsschildern aufgelassener Orte gestaltet, was mir gut gefallen hat. Allerdings fand ich die Ausstellung selbst ein wenig enttäuschend. Zwar gab es sehr viele autentische Exponate, jedoch fehlten erklärende Hinweise und Beschriftungen zu den Bildern, Gegenständen und Schriftstücken. Auch eine Übersetzung fehlte. Das fand ich schade, die Ausstellung wäre sicher um einiges interessanter und aussagekräftiger gewesen. Nichtsdestotrotz war der Besuch im Museum eine gute Vorbereitung auf die beiden folgenden Tage.

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14. April 2018

Am frühen Morgen trafen wir uns mit den mitreisenden Fotografen am Kiewer Hauptbahnhof, starteten von dort mit einem Kleinbus und erreichten nach ca. 1 1/2-stündiger Fahrt die Grenze der 30 km-Sperrzone. Hier wurden die Pässe kontrolliert (man darf nur mit besonderer Genehmigung in die Zone einreisen), was schneller ging als erwartet.

Kurz nach der Einfahrt in die Zone hatten wir das große Glück, einer Herde Przewalski-Pferde zu begegnen. Dieses Wildpferd hat bis heute in ihrer ursprünglichen Form überlebt, gilt aber als vom Aussterben bedroht. In Deutschland wurden bspw. in meinem Wahlkreis in der Döberitzer Heide Przewalski-Pferde angesiedelt, um die Rasse zu retten. In der Sperrzone leben sie faktisch (wieder) in freier Wildbahn.

Die erste Location, die wir besuchten, war das Ferien-. bzw. Freizeitlager „Isumrudnyi“, übersetzt „Smaragdgrün“. Es bafindet sich am Ufer des Kühlbeckens, direkt aqn der Straße zur Duga-3-Station und hat den Dowschenko Filmstudios und wohl auch dem Personal des AKW und den Offizieren der DUGA-3-Station zur Erholung gedient. Solche Freizeitlager, bestehend aus kleinen, einfachen Holzhütten, gab es überall in der UdSSR. Dieses Lager hatte ich bei meiner ersten Reise nicht besucht und ich war überrascht, dass man sich selbst nach 32 Jahren und den entsprechenden Veränderungen noch gut vorstellen kann, welch idyllischer Ort dies für die Erholung suchenden war.

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Orteingangsbereich des Ortes Tschernobyl.

Nach einem kurzen Stopp im Ort Tschernobyl, in dem sich unser Hotel befand, ging es weiter zu den unfertigen Kühltürmen für die zum Zeitpunkt der Katastrophe im Bau befindlichen Blöcke 5 und 6 des Kernkraftwerks Tschernobyl. Gemeinsam mit weiteren Anlagen werden sie in den kommenden Jahren zurück gebaut. Im Inneren des Kühlturms vom Block 5 befindet sich ein großartiges Graffiti. Ich finde es extrem ausdrucksstark, gerade an solch einem Ort!

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Wir besuchten dann den Frachthafen von Pripyat. Von hier aus hat man einen guten Blick auf die Stadt. Da die Strahlung hier deutlich höher ist als an anderen Stellen der Zone, ist zu vermuten, dass der Hafen bei den Aufräumarbeiten nach der Katastrophe eine Rolle gespielt hat.

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Ein Höhepunkt jeder Reise in die Zone ist der Besuch am havarierten Reaktor selbst. Bei meinem ersten Aufenthalt war noch der alte, einsturzgefährdete Sarkophag zu sehen. Mittlerweile ist der neue, durch die internationale Gemeinschaft finanzierte neue Sarkophag installiert. Dieser soll für die kommenden 100 Jahre dafür sorgen, dass keine Radioaktivität austritt. Der alte Sakophag im Innern des neuen soll nun schrittweise abgebaut werden, da bei einem Einsturz Schäden entstehen können.

Im Umfeld des Reaktors gibt es einige Denkmale und Erinnerungsstätten, die an die Katastrophe und den Einsatz der vielen Liquidatoren erinnern, die zu einem großen Teil ihr Leben und/oder ihre Gesundheit dafür gegeben haben, viel schlimmere Auswirkungen des Super-Gaus zu verhindern.

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Mittlerweile war es Nachmittag und wir mussten dringend etwas essen. Das nachmittägliche Mittagessen nahmen wir in der Kantine des Kraftwerks ein, die ansonsten vor alem von den Arbeitern, die in der Zone den Rückbau von Anlagen und die Arbeiten am Sarkophag vornehmen.

Hier muss man, bei Betreten der Kantine, durch ein Gerät gehen, das die aufgenommene Radioaktivität misst. Regelmäßig bei Verlassen der inneren 10-km-Zone und auch bei Verlassen der Sperrzone als solche muss man ebenfalls mit solchen Geräten überprüfen, ob man möglicherweise zu viel Radioaktivität aafgenommen hat.

Die letzte Station an diesem Tag war die Überhorizont-Radaranlage am Rand der Sperrzone. Es gab drei solcher Anlagen in der UdSSR, diese hier trägt den Namen Duga 3. Sie ist ca. 150 m hoch und musste nach der Katastrophe von Tschernobyl aufgegeben werden.

In der Umgebung der Anlage gibt es noch diverse Gebäude, in denen sich Schulungs- und Steuerungsräume aber auch Unterkünfte für das Personal befanden. Die zivilen und militärischen Arbeiter der Anlage lebten in unmittelbarer Umgebung, deshalb gibt es hier Wohnhäuser, ein kleines Krankenhaus, eine Schule, einen Kindergarten, ein Kino und ein Kasino. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit konnten wir bei diesem Besuch nicht alle diese Gebäude im Umfeld der Anlage anschauen.

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Den Abend verbrachten wir im Hotel im Ort Tschernobyl. Dort gibt es mittlerweile zwei Hotels, die vom Standard her eher mit Jugendherbergen zu vergleichen sind. Leider habe ich vergessen vom Hotel ein Foto zu machen.

 

15. April 2018

Ortseingangsschild

Am Sonntag, den 15. April wurde sehr früh im anderen Hotel im Ort gefrühstückt, da unser Hotel keine Verpflegung anbietet. Dann fuhren wir nach Pripyat. Die Stadt ist der am nächsten gelegene Ort am Kernkraftwerk. Alle ca. 50.000 Einwohner*innen wurden (erst) 46 Stunden nach dem Super-Gau evakuiert. Pripyat wurde 1970 für die Arbeiter*innen im Kraftwerk gegründet und man kann es als sowjetische Musterstadt beschreiben. Hier gab es neben modernen Wohnungen ein Hotel, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurant und Café, Kino, Musikschule, Schwimmbad, Stadion usw. Es gab mehrere Schulen und Kindergärten für die insgesamt ca. 15.000 Kinder und auch eine Post, eine Polizeistation und eine Feuerwehr fehlten nicht.

Da wir nur einen Tag Zeit hatten, haben wir einige Orte mit dem Bus angefahren, sind aber im Zentrum auch viel gelaufen. Hier erst einmal ein paar allgemeine Eindrücke von der Stadt. Man kann davon ausgehen, dass die Bäume vor 32 Jahren alle noch nicht da waren. Hier ist gut zu beobachten, wie schnell die Natur ein Gebiet zurück erobert, wenn der Mensch sich zurück zieht.

Am Zentralen Platz der Stadt sind ein Restaurant, der Kulturpalast, ein Einkaufszentrum, ein Hotel und diverse weitere wichtige Gebäude angesiedelt gewesen.

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Der Rummel von Pripyat mit Autoscooter und Riesenrad wurde zu dem Symbol der Katastrophe. Am 1. Mai 1986 sollte dieser Freiteizattraktion eröffnen. Durch die Katastrophe kam es dazu nicht mehr und so wurde vor allem das Riesenrad  als wohl das meistfotografierte Riesenrad der Welt, mit dem niemals Menschen gefahren sind – zum Anziehungspunkt für alle Besucher*innen der Zone.

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Beim Spaziergang kamen wir auch am Café Pripyat vorbei. Dieses war idyllisch am Fluss gelegen.

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Die nächsten Stationen waren das Kino und die Musikschule.

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Und auch der Schwimmhalle haben wir einen Besuch abgestattet. Diese Schwimmhalle wurde nach der Katastrophe noch einige Zeit von Liquidatoren genutzt.

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Das Krankenhaus von Pripyat war ein sehr modenes für diese Zeit in der Sowjetunion. Im Keller sind Kleidungsstücke der Liquidatoren engelagert. Was mich schon beim ersten Besuch besonders fasziniert hat war, dass völlig unklar ist, nach welchen Kriterien Gegenstände aus dem Krankenhaus nach der Katastrophe entfernt wurden, während andere im Haus verblieben.

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In Pripyat lebten ca. 15.000 Kinder. Wir besuchten einen Kindergarten. Einen weiteren wollte ich nicht betreten, habe aber von außen en paar Fotos gemacht. Wie bei meinem ersten Besuch in der Zone fand ich die Kindergärten besonders beklemmend. Die Gegenstände, die man dort noch findet, machen bewusst, wie schnell die Menschen die Zone verlassen mussten.

Wir besuchten auch zwei Schulen. Hier hat man teilweise das Gefühl, dass es erst ein paar Tage her ist, als die Kinder die Schule verließen. Teilweise finden sich noch Kinderzeichnungen. Die Kinder, die diese Bilder geschaffen haben, sind inzwischen ca. 40 Jahre alt, viele von ihnen leben nicht mehr.

Eigentlich mag ich arrangierte Fotos nicht. Bei der ersten Reise konnte ich beim Besuch der einen Schule noch widerstehen, weil die Szenerie hier rein gar nichts mehr mit Autenzität zu tun hat. Gasmasken gab es in jeder Schule der Sowjetunion, diese haben nichts mit der Katastrophe zu tun. Und als ich nun wieder dort war dachte ich mir, ein paar total gestellte Fotos kann man ja mal machen…

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Der Tag war schnell vorüber und wir waren allesamt ziemlich geschafft. Allerdings hatte ich mir noch gewünscht, eine Kirche zu sehen. Und so fuhren wir zum Abschluss noch zur orthodoxen Kirche im Ort Tschernobyl. Dort leben Menschen, die in der Zone arbeiten jeweils für einige Tage in einigen Wohnblöcken, deren Infrastruktur aufrecht erhalten wird. Es gibt auch ein Geschäft für Güter des täglichen Bedarfs, eine Post und die bereits erähnten Hotels. Die Kirche wird insofern weiter genutzt.

Danach fuhren wir zurück nach Kiew. An dem Abend war nur noch schnell was essen und dann schlafen drin. Am nächsten Tag sind wir dann gegen Mittag zum Flughafen gefahren und waren abends wieder in Berlin.

Ich bin sehr froh, diese zweite Reise unternommen zu haben. Neue Eindrück aber auch aufgefrischte Erinnerungen werden Veranstaltungen und Diskussionsrunden autentischer machen. Spannend fand ich, wie sehr sich durch den zunehmenden Toursimus die Locations verändert haben. Auf einmal sind da Gegenstände in einem Raum, die vor eineinhalb Jahren noch nicht da waren, anderes ist verschwunden oder zerstört. Und auch der Zahn der Zeit hat weiter genagt. In einigen Jahren wird man nicht mehr in die Gebäude gehen können, schon jetzt war es mir teilweise „zu heiß“, manche Räume zu betreten.

Das beklemmende Gefühl, dass ich beim ersten Besuch in der Sperrzone hatte, war auch dieses Mal allgegenwärtig. Damals habe ich es beschrieben als „Zerstörtes Leben – verlorene Welt“. Viele zerstörte Leben – und da smeint nicht nru die vielen Todesopfer sondern auch die Lebenswelten für Tausende Familien, die neu anfangen mussten, nachdem sie ihre Heimat verlassen mussten. Und es ist eine verlorene Welt, die immer mehr von der Natur zurück erobert wird und die nie wieder so sein wird, wie sie war. Und deshalb habe ich entschieden, bei der Überschrift für diesen Beitrag auf die gleichen Worte zurück zu greifen wie damals: „Zerstörtes Leben – verlorene Welt“.