Corona, Krieg und Preisexplosion und nun auch noch eine Flüchtlingskrise?

Corona, Krieg und Preisexplosion und nun auch noch eine Flüchtlingskrise?

Angesichts der vielfältigen Krisenszenarien – Corona, Krieg in der Ukraine, Engpässe und Kostensteigerungen im Energiebereich, Lieferkettenprobleme, Inflation usw. – ist ein Bereich aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt worden, der jedoch gerade jetzt unsere Aufmerksamkeit verdient: die Fluchtbewegungen nach Europa, Deutschland und damit auch nach Brandenburg. In den vergangenen Tagen ist dies wieder ein wenig in den Fokus geraten. Gut so, denn es drohen im Winter überall in Deutschland und auch in Brandenburg Engpässe bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten.

Seit einiger Zeit steigen die Zahlen der in Deutschland ankommenden Geflüchteten wieder stark an. Das liegt natürlich vor allem am Krieg in der Ukraine. Vor allem in den ersten Monaten des Krieges kamen viele Ukrainerinnen und Ukrainer ins Land. Nach Brandenburg bis Ende August mindestens 27.000 – wobei das niemand so genau weiß, da nicht alle aus der Ukraine geflohenen Personen erfasst wurden und ca. 80% von ihnen privat untergekommen sind.

Hinzu kommen jedoch weitere Fluchtbewegungen. Seit einiger Zeit erreichen wieder deutlich mehr Geflüchtete über die Balkanroute Deutschland. Wobei das Wort Route nicht ganz stimmt, es sind verschiedene Routen über die Balkanhalbinsel, die aktuell genutzt werden. Da ursprüngliche Wege nicht mehr funktionieren, haben sich Ausweichrouten vor allem über Bulgarien und Serbien etabliert. Der größte Teil der aktuell nach Angaben des Innenministeriums monatlich ca. 1.500 bis 2.000 Personen, die in Brandenburg ankommen, sind denn auch Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, die über diese Routen geflüchtet sind. Vor allem zunehmender Druck auf Geflüchtete in der Türkei führt zu dieser Fluchtbewegung.

Zu all dem kommt noch ein erhöhter Migrationsdruck aus Russland (dieser ist noch nciht spürbar, wird aber kommen) sowie die jahreszeitlich bedingten Fluchtbewegungen.

Aktuell schlagen Kommunen bundesweit Alarm und warnen davor, dass die Kapazitäten für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten nahezu erschöpft sind. Dies ist auch in Brandenburg so. Das Aufnahmesoll für die Landkreise und kreisfreien Städte wurde seitens des Landes in diesem Jahr mehrfach nach oben korrigiert. Aktuell liegt es bei 35.900 Personen, die bis Jahresende durch die Kommunen aufgenommen werden müssen. Zum Vergleich Im Jahr 2015 wurden in Brandenburg ca. 28.000 Personen aufgenommen. In Jahren ohne besondere Fluchtbewegungen erreichen etwa 6.000 Menschen Brandenburg.

Dass die Kommunen im Land überhaupt noch Kapazitäten für die Unterbringung und Versorgung haben, liegt einzig und allein an der großen Solidarität der Brandenburger Bevölkerung, die es ermöglicht hat, dass etwa 80% der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in privaten Unterkünften unterkommen konnten. Dennoch war bereits Ende Juni absehbar, dass die Aufnahmekapazitäten der Kommunen nur noch sehr gering sind. Zum 30.6.2022 standen 25.443 Plätze in den Landkreisen und kreisfreien Städten für die Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung, davon waren 22.034 Plätze belegt. Aktuellere Zahlen gibt es leider noch nicht, es ist aber davon auszugehen, dass die Zahl der freien Plätze sich seitdem deutlich verringert hat. Einige Landkreise berichten bereits keine oder nur noch unter 100 Plätzen zur Verfügung zu haben. Nach meiner Schätzung haben die Kommunen in Brandenburg noch ca. 1.500 freie Plätze – wobei niemals 100% der vorhandenen Plätze belegt werden können (bspw. kann in ein Vierbettzimmer, in dem bereits eine dreiköpfige Familie lebt, keine vierte Person unter´gebracht werden).

In den Erstaufnahmeeinrichtungen schwankt die Belegung je nachdem, wie viele Personen in andere Bundesländer oder in die Kommunen „verteilt“ werden. In der Märkischen Allgemeinen[1] ist von folgenden aktuelle vrohandenen Kapazitäten die Rede: „In den Erstaufnahmeeinrichtungen gebe es noch „einige freie Plätze“, so Grünewald. So sei die Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt mit 1381 von 1850 Plätzen belegt; in Frankfurt (Oder) seien es 444 von 605, in Wünsdorf 679 von 791 und in Doberlug-Kirchhain 543 von 860.““ Das wären weniger als 1.000 freie Plätze – zumal das Innenministerium gerade Kapazitäten in Doberlug-Kirchhain abbaut: zum 1. Oktober wurde das „Männerwohnheim“ mit 400 Plätzen leergezogen, so dass die Einrichtung nun eine deutlich niedrigere Kapazität hat. Vor dem Hintergrund der schwierigen Situation in den Kommunen ist dieser Schritt des Innenministeriums fahrlässig und unverantwortlich. Das kann bedeuten, dass das Land Geld spart, indem es ein Haus für 400 Geflüchtete leer stehen lässt, während in den Kommunen Notunterkünfte errichtet werden müssen. Denn die Erstaufnahmeeinrichtungen können zumindest eine gewissen Zeit als Puffer fungieren, bis in den Kommunen neue Unterbringungsmöglichkeiten erschlossen werden können.

Mit der Schließung eines Teils der Einrichtung in Doberlug-Kirchhain kann man davon ausgehen, dass in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Brandenburg aktuell weniger als 1.000 freie Plätze vorhanden sind. Zwar ist eine Verteilung in die Kommunen möglich, es ist aber eine einfache Rechenaufgabe, dass bei ca. 1.500 Plätzen in den Kommunen und weniger als 1.000 Plätzen in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Kapazitätsgrenzen bei der Unterbringung der Geflüchteten schnell erreicht sind, vor allem wenn die Annahme des Ministeriums stimmt, dass etwa 1.500 bis 2.000 Personen monatlich Brandenburg erreichen – und in diesen Schätzungen sind eine mögliche weitere Eskalation des Krieges in der Ukraine oder auch Versorgungsengpässe über den Winter noch gar nicht eingepreist. Zwar werden auch immer mal wieder Plätze in den Kommunen frei, weil Menschen in eine eigene Wohnung ziehen, dieser Aspekt ist jedoch angesichts der angespannten Wohnungslage in fast allen Teilen des Landes vernachlässigbar. Wir werden – wenn die Landesregierung nicht schnellstens Maßnahmen ergreift – nicht ohne Notunterkünfte über den Winter kommen.

Bemerkenswert ist, mit welcher Gelassenheit die Landesregierung in dieser Situation agiert. Im Innenausschuss in der vergangenen Woche wollten die Vertreter*innen des Innenministeriums kein Problem erkennen und versicherten, die Unterbringungskapazitäten wären ausreichend. Und die Sozialministerin hat leider erst Ende Oktober Zeit für ein Spitzengespräch mit den Kommunen, die bereits Ende September intern deutlich gemacht haben, dass die Kapazitätsgrenzen erreicht sind.

Dabei spitzt sich die Situation weiter zu. Im bereits oben erwähnten Artikel der Märkischen Allgemeinen sagt der Vorsitzende des Landkreistages, Sigurd Heinze: „Die Kapazitäten der Unterbringung sind weitgehend ausgeschöpft, vielfach stehen nur noch vereinzelte Plätze zur Verfügung.“ Und der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Jens Graf, sagt: „Es müsse jetzt von der Bundesregierung und vom Land alles getan werden, „damit es in Brandenburg nicht erneut zu Schließungen von Turnhallen kommt, um dort Geflüchtete unterzubringen““. Die Lage ist dramatisch. Und das Agieren der Landesregierung ist katastrophal: erneut verlässt man sich darauf, dass die Kommunen das Problem schon lösen werden und tut einfach nichts.

Was wäre stattdessen nötig? Die Schließung eines Teils der Erstaufnahmeeinrichtung in Doberlug-Kirchhain muss sofort rückgängig gemacht werden, um wenigstens etwas Puffer zu haben, wenn es in den Kommunen eng wird. Gleichzeitig braucht es schnell verbindliche Finanzierungszusagen für die Schaffung weiterer regulärer Unterbringungsmöglichkeiten in den Kommunen und auch für ggf. notwendige Notunterkünfte. Dazu müssen sich alle Beteiligten zeitnah – also nicht erst Ende Oktober – zusammensetzen und verbindliche Verabredungen treffen.

Diese Maßnahmen werden aber leider nur zum Teil helfen – und auch das ist hausgemacht. Schon seit Jahre weisen wir als LINKE-Fraktion darauf hin, dass es Lösungen braucht, wie Unterbringungskapazitäten auch in Zeiten geringeren Migrationsdrucks in den Kommunen dauerhaft vorgehalten werden können, um schnell reagieren zu können. Das würde Geld kosten, weil es Finanzierung seitens des Landes bräuchte, wäre aber am Ende deutlich preiswerter, würde mehr Flexibilität bei der Aufnahme schaffen und könnte dazu führen, dass im Fall stärkeren Migrationsbewegungen weniger oder keine provisorischen Notunterkünfte notwendig wären. Und auch das Land muss seiner Verantwortung gerecht werden und darf nicht aus kurzfristigen und kurzsichtigen finanziellen Erwägungen Kapazitäten in der  Erstaufnahme abbauen.  

Ich persönlich hoffe, dass der Druck aus Öffentlichkeit, Kommunen und Opposition im Landtag die Landesregierung schnell zum Handeln zwingt. Ansonsten werden wieder die Kommunen die Hauptlast tragen, ohne sicher sein zu können, dass das Land für einen angemessenen finanziellen Ausgleich sorgt.


[1] https://www.maz-online.de/brandenburg/fluechtlingszahlen-brandenburgs-landkreise-sehen-sich-am-limit-73S67SPYX5RQDUVMEDWRWF2SZ4.html