Winterappell: Menschen nicht erfrieren lassen!

Winterappell: Menschen nicht erfrieren lassen!

Zum sogenannten „Winterappell“ erklärt die flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Andrea Johlige

Menschen nicht erfrieren lassen! Deutschland muss Schutzsuchende von der polnisch-belarussischen Grenze aufnehmen!

Für einige Zeit war die lebensgefährliche Situation der Geflüchteten an der belarussisch-polnischen Grenze im Fokus der Aufmerksamkeit. Dann wurden Sanktionen gegen Fluggesellschaften ins Gespräch gebracht und gegen Vertreter*innen des Lukaschenko-Regimes verhängt, und die Aufmerksamkeit schwand.

Die Lage ist aber nicht besser geworden, im Gegenteil. Inzwischen sind mindestens 17 Menschen gestorben, darunter auch Kinder. Die Temperaturen sind eisig. Vor unseren Augen findet ein kalkuliertes Leiden und Sterben statt.

Migrationspolitisch aktive Abgeordnete der LINKEN haben deshalb einen Winterappell veröffentlicht – darunter auch Abgeordnete der Linksfraktion im Brandenburger Landtag: https://winterappell.de/

Es gilt, jetzt zu handeln, um weitere Todesopfer und massive Menschenrechtsverletzung zu verhindern.

Der Text des Winterappells wird hier dokumentiert:

Menschen nicht erfrieren lassen! Deutschland muss Schutzsuchende von der polnisch-belarussischen Grenze aufnehmen!

An der östlichen EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab: Seit Monaten befinden sich Menschen zwischen Polen und Belarus in einer extremen Notlage. Sie drohen im Grenzgebiet zu erfrieren oder zu verhungern. Mittlerweile schneit es an der Grenze, die Temperaturen sind im Minusbereich – es droht akute Lebensgefahr. Mindestens 17 Menschen sind bereits gestorben, darunter auch Kinder. Mitten in Europa. Die Situation reiht sich ein in die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schutzsuchenden an anderen Teilen der EU-Außengrenze, wie die gewaltvollen Zurückweisungen in Marokko, an der türkisch-griechischen oder der kroatisch-bosnischen Grenze.Die Zurückweisung von Geflüchteten ohne individuelle Prüfung im Asylverfahren ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und geltendes EU-Asylrecht. Diese Rechte können nicht durch nationale Gesetzgebung ausgehebelt werden, wie es Polen derzeit versucht. Deutschland und die Europäische Union müssen alles dafür tun, damit keine Menschenrechte mehr an der polnisch-belarussischen Grenze verletzt werden. Es darf nicht zugelassen werden, dass an der EU-Außengrenze rechtsfreie Räume geschaffen werden, wie die militärischen Sperrzonen in Polen, die auch gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip der EU verstoßen. Geflüchtete, die jetzt drohen zu erfrieren oder zu verhungern, müssen sofort Zugang zu humanitärer Versorgung und fairen Asylverfahren in der EU bekommen. Deutschland muss solidarisch zusammen mit anderen EU-Staaten eine Vorreiterrolle einnehmen und Polen anbieten, Asylsuchende zu übernehmen. Dabei kann sich die Bundesregierung auf die Hilfsangebote vieler aufnahmebereiter Städte und Kommunen stützen („Sichere Häfen“).Die Europäische Union braucht Humanität, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit in der Flüchtlingspolitik, nicht Härte und Abschottung. Wir erwarten, dass die neue Bundesregierung sich für eine strikte Einhaltung der Menschenrechte und des EU-Asylrechts und für einen menschenwürdigen Umgang mit Schutzsuchenden an der polnisch-belarussischen Grenze einsetzt. Vorschlägen der EU-Kommission, asylrechtliche Standards mit Verweis auf eine angebliche existenzielle Notlage abzusenken, muss die Bundesregierung entschieden entgegentreten. Die Aufnahme, Versorgung und Asylprüfung für tausende Schutzsuchende sind keine Bedrohung oder unmögliche Aufgabe, sondern eine humanitäre Selbstverständlichkeit und menschenrechtliche Verpflichtung!

Als asylpolitische Sprecher:innen der LINKEN, als linke Abgeordnete des Europäischen Parlaments, der Bundesländer und des Bundestages, als Engagierte fordern wir:

1. Die Schutzsuchenden müssen sofort humanitäre Hilfe erhalten! Ärzt:innen und Hilfsorganisationen müssen im polnisch-belarussischen Grenzgebiet unverzüglich und ungehindert ihre wichtige Arbeit leisten können. Nur so können weitere Tote verhindert werden. Rechtsanwält:innen und Journalist:innen müssen ebenfalls ungehinderten Zugang erhalten.

2. Nicht Grenzen schützen, sondern Menschen schützen! Die Menschenrechte beinhalten das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Verbot, Menschen in Gefahr zurückzudrängen (“Push-Backs”) und das Verbot von Folter bzw. unmenschlicher Behandlung. Diese Menschenrechte gelten absolut und dürfen nicht willkürlich oder mit außenpolitischer Begründung außer Kraft gesetzt werden.

3. Das Asylrecht ist ein Menschenrecht! Für eine solidarische Verantwortungsteilung. Kein Mensch flieht ohne Grund. Menschen, die Schutz in der EU suchen, haben ein Recht auf individuelle Prüfung ihres Asylgesuchs. Das Ersteinreiseprinzip der Dublin-III-Verordnung sorgt für eine ungerechte Verteilung Schutzsuchender in der EU und muss deshalb dringend durch eine solidarische Regelung zur Verantwortungsteilung ersetzt werden. Bis dahin müssen die Ersteinreiseländer durch ad-hoc-Übernahmen Schutzsuchender in andere EU-Mitgliedstaaten unterstützt werden.

4. Aufnahme durch „sichere Häfen“-Städte ermöglichen! Schutzsuchende, die sich jetzt noch im Grenzgebiet aufhalten, dürfen wir nicht zurücklassen. Deutschland muss als bevölkerungsreiches und wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas mit gutem Beispiel vorangehen und einen großen Teil der Geflüchteten aufnehmen. Hierfür stehen hunderte Städte und Kommunen als “Sichere Häfen” bereit, die entsprechend unterstützt werden müssen. Auch Landesaufnahmeprogramme einzelner Bundesländer muss die neue Bundesregierung aktiv fördern, anstatt sie wie bisher zu blockieren.

5. Menschen dürfen nicht zum Spielball von Politik gemacht werden! An der polnisch-belarussischen Grenze wiederholen sich Szenen wie an der griechisch-türkischen Grenze, in der Ägäis, an der bosnisch-kroatischen Grenze und auf dem zentralen Mittelmeer. An all diesen Orten werden Schutzsuchende von staatlichen „Sicherheitskräften“ misshandelt und widerrechtlich zurückgewiesen. Geflüchtete werden damit zu bloßen Objekten einer menschenrechtswidrigen und vielfach tödlichen Abschottungspolitik bzw. außenpolitischer Interessen, diese Verletzung der Menschenwürde widerspricht grundlegenden Werten der EU. Wir erwarten von der neuen Bundesregierung, dass sie dieser Politik auf europäischer Ebene entschieden entgegentritt und sich für eine grundlegende Neuausrichtung der EU-Asylpolitik einsetzt.

6. Keine Kriminalisierung von Fluchthilfe! Solidarität und Fluchthilfe dürfen nicht kriminalisiert werden. Ob humanitäre Hilfe in der polnischen Sperrzone oder die Fluchthilfe über mehrere Ländergrenzen hinweg Richtung Westeuropa – Solidarität darf nicht strafrechtlich verfolgt werden. Wo die EU-Mitgliedstaaten versagen, humanitäre Korridore von den EU-Außengrenzen ins Innere des Staatenbunds einzurichten, schaffen Aktivist:innen und Zivilgesellschaft kleine Fluchtfenster für wenige. Dieses Engagement gehört nicht kriminalisiert, es muss in eine staatliche Aufnahmepolitik verwandelt werden!

Cornelia Ernst, MdEP

Gökay Akbulut, MdB

Henriette Quade, MdL (Sachsen-Anhalt)

Juliane Nagel, MdL (Sachsen)

Elif Eralp, MdA (Berlin)

Carola Ensslen, MdHB (Hamburg)

Saadet Sönmez, MdL (Hessen)

Katharina König-Preuss, MdL (Thüringen)

Sofia Leonidakis, MdBB (Bremen)

Isabelle Vandre, MdL (Brandenburg)

Patrick Beier, MdL (Thüringen)

Andrea Johlige, MdL (Brandenburg)

Clara Bünger, Anwältin und Aktivistin