Rede zu den Berichten zu den Handlungskonzepten Tolerantes Brandenburg und gegen Antisemitismus

Rede zu den Berichten zu den Handlungskonzepten Tolerantes Brandenburg und gegen Antisemitismus

Dem Landtag lagen zwei Berichte vor: der 11. Bericht der Landesregierung zur Umsetzung des Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“ und das Handlungskonzept der Landesregierung gegen Antisemitismus.

Die Debatte dazu kann man sich hier anschauen.

Meine Rede, zitiert nach der vorläufigen stenografischen Niederschrift, dokumentiere ich hier:

„Die uns vorliegenden Berichte zeigen erneut, wie umfassend und konsequent das Land Brandenburg gemeinsam mit den Akteuren der Koordinierungsstelle des Beratungsnetzwerks und der Kooperationspartner des Toleranten Brandenburgs den Kampf gegen rechtsextreme, rassistische und fremdenfeindliche gesellschaftliche Entwicklung führt. Er zeigt auch, wie weit verzweigt und vielfältig das zivilgesellschaftliche Engagement in Brandenburg ist. Das Ziel, ein tolerantes und weltoffenes Brandenburg ohne Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt, ohne Hetze gegen gesellschaftliche Gruppen und mit einer Kultur des Miteinanders, des Einanderzuhörens und Aufeinandereingehens zu schaffen, eint die Akteurinnen und Akteure des Toleranten Brandenburgs. Wir können stolz darauf sein, und wir tun gut daran, allen, die hier ehrenamtlich und hauptamtlich ihren Beitrag leisten, danke zu sagen.

Gleichzeitig müssen wir feststellen: Wir sind von diesem Ziel so weit entfernt wie lange nicht. Es ist niemandem verborgen geblieben, dass die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den vergangenen Monaten und Jahren an Schärfe zugenommen haben. Es ist auch niemandem verborgen geblieben, dass wir es mit einer Verrohung der politischen Kultur, mit einer Verschiebung des Sagbaren und auch des Machbaren zu tun haben. Wir beobachten eine Polarisierung der Positionen und müssen feststellen, dass der Versuch, gesellschaftliche Konflikte durch Dialog – Gespräch und Konsensfindung – zu klären, zurzeit scheitert. Die rechtsextreme Landnahme nimmt zu, Verschwörungserzählungen – in der Regel antisemitisch konnotiert – erleben Hochkonjunktur, und wir beobachten eine geringere Hemmschwelle bei verbaler und körperlicher Gewalt – und im Übrigen auch weniger gesellschaftliche Ächtung solcher
Taten.

1998, als das Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg entwickelt wurde, gab es eine ähnliche gesellschaftliche Situation. Handlungsleitend war damals und ist heute, dass Kräfte für Toleranz, Solidarität und Weltoffenheit sowie gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt gebündelt, unterstützt und gestärkt werden sollten bzw. sollen – und das ist vielleicht der größte Unterschied zur Situation von vor etwas mehr als 25 Jahren: Es gibt in Brandenburg jetzt eine über Jahre gewachsene, starke Zivilgesellschaft, die bereit ist, für ein solidarisches Brandenburg zu kämpfen.

Meine Damen und Herren, wir wissen nicht, wo wir stünden, gäbe es das Tolerante Brandenburg nicht. Allerdings merken wir zurzeit auch, dass wir nicht genug getan haben. Derzeit übernehmen einige politische Kräfte des demokratischen Lagers in Deutschland wohl aus der Hoffnung heraus, die Akteure rechts von sich zurückzudrängen, deren Geschäft. Eine Politik jedoch, die das Ende der offenen Gesellschaft einläutet und im Übrigen auch die Europäische Union an den Rand des Scheiterns bringt, kann niemals die Lösung sein. Wir müssen der Versuchung widerstehen, einfache Antworten auf schwierige Fragen unserer globalisierten Welt zu geben.

Meine Damen und Herren, alle gesellschaftlichen und politischen Akteure stehen deshalb vor Herausforderungen, die ich hier kurz umreißen möchte: Wir haben die Aufgabe, gesellschaftlichen Frieden herzustellen; gesellschaftlichen Frieden schafft man aber ganz sicher nicht, indem man nach unten tritt – mit der Diskreditierung von armen Menschen und der Ausgrenzung von Minderheiten. Wir müssen garantieren, dass in unserer Gesellschaft niemand zurückbleibt. Die Zurückdrängung von Armut, die Chance für jede und jeden, sich ein selbstbestimmtes und auskömmliches Leben aufzubauen, mit fairen Arbeitsbedingungen und Löhnen, mit bezahlbaren Wohnungen und gesicherter Mobilität in allen Landesteilen – so schafft man gesellschaftlichen Frieden.

Wir müssen, zweitens, um unsere Demokratie kämpfen: Es braucht gesellschaftliche Teilhabe für alle hier lebenden Menschen – egal, woher sie kommen, und egal, wie viel Geld sie haben. Das erfordert Dialogbereitschaft und die Bereitschaft zum Kompromiss. Zurzeit sind die Fronten oft verhärtet, und selbst beim Zuhören hapert es. Der Kampf um Demokratie braucht Engagement, Mut und Beharrlichkeit, und er braucht eine verlässliche Finanzierung, auch die langfristige Sicherung zivilgesellschaftlicher Strukturen.

Es geht, drittens, um die Zurückgewinnung von Humanität: Die gesellschaftlichen und politischen Debatten sind derzeit weit entfernt von Humanität. Wen interessiert es denn derzeit noch, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken oder in der Sahara verdursten? Stattdessen: Stimmenfang am rechten Rand mit Bezahlkarte und Abschiebeinsel. Das Erstarken des Rechtsextremismus wird damit nicht gestoppt – im Gegenteil. Empathie und Humanität müssen zurückgewonnen werden, und dafür brauchen wir ehrliche und sachliche Auseinandersetzungen ohne Nebelkerzen aus politischem Kalkül.

Und, viertens: Wir müssen gruppenbezogene Ausgrenzung, Menschenfeindlichkeit und Gewalt zurückdrängen. Wir beobachten eine hohe Zahl von rassistischen und fremdenfeindlichen Gewalttaten. Antisemitische Ressentiments sind auf dem Vormarsch, und Jüdinnen und Juden fühlen sich bei uns nicht mehr sicher. All das sind Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die nicht selten in Gewalt
münden. Hier sind wir alle gefordert, deutlich zu machen, dass es dafür keinen Platz in unserer Gesellschaft gibt.

Meine Damen und Herren, für all diese Herausforderungen brauchen wir das Engagement von jeder und jedem Einzelnen von uns. Eine starke und lebendige Demokratie lässt sich nicht herbeibeschließen. Sie lässt sich aber aktiv fördern und sie ist es wert, dass wir gemeinsam um sie kämpfen – gerade jetzt, wo sie bedroht ist wie lange nicht. Haltung und Anstand, Mut und Humanität – das sind die Gebote der Stunde.

Auch in Bezug auf unsere Demokratie gilt das Wort von Bertolt Brecht: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren! – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!“