Liste der Grausamkeiten - Eine Bewertung des Papiers zur Flüchtlingspolitik der CDU/CSU-Fraktion

Liste der Grausamkeiten – Eine Bewertung des Papiers zur Flüchtlingspolitik der CDU/CSU-Fraktion

Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hat am Mittwoch ein Positionspapier zur Flüchtlingspolitik beschlossen und hier veröffentlicht. Das war übrigens genau der Tag, an dem das Bild des kleinen kurdischen Jungen Aylan, der auf der Flucht gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder kurz vor der rettenden Küste ertrank und an den Strand gespült wurde. Das war auch der Tag, dem Italien die Brenner-Autobahn auf Drängen Bayerns dicht machte, Estland und Lettland beschlossen, ihre Grenzen zum nichteuropäischen Ausland zu verstärken, Flüchtlinge in Budapest am Bahnhof weiterhin an der Ausreise gehindert wurden. An einem solchen Tag, der eingebettet ist in Tage voll mit Meldungen von massenhaft ertrunkenen Menschen im Mittelmeer, an der mazedonischen Grenze auf Flüchtlingsfamilien prügelnden Polizisten, von einem Kühltransporter in dem 70 Frauen, Männer und Kinder qualvoll starben und vielen ähnlichen Meldungen mehr, veröffentlichen die deutschen Fraktionen mit dem C im Namen ein Positionspapier zur Flüchtlingspolitik.

Man würde erwarten, dass in einem solchen Papier irgend etwas zu der humanitären Katastrophe, die sich aktuell überall und vor allem an den Außengrenzen Europas abspielt, gesagt wird. Man würde erwarten, ein Wort des Bedauerns zu finden, über das eigene Versagen als maßgebliche Mitverantwortliche der europäischen Flüchtlingspolitik, deren Abschottungsstrategie das Sterben Tausender auf dem Weg nach Europa verursacht. Man hofft, ein Bekenntnis zu finden, dass das Sterben ein Ende haben muss. Und man erwartet Lösungen, wie diese schändliche Situation zumindest bekämpft werden kann.

Doch von all dem findet sich nichts im Papier der CDU/CSU-Fraktion. Nichts! Stattdessen findet man schon in den ersten Absätzen Sätze, die von Formulierungen wie „Leistungsfähigkeit erreicht“, „Flüchtlingswelle“, „Flüchtlingsproblematik“, „tatsächlich politisch Verfolgten“, „wirklich Schutzbedürftigen“, „Zahlen dieser Größenordnung nicht schultern können“, „wirtschaftliche Notlage ist kein Asylgrund“ usw. nur so strotzen. Empathie? Entsetzen? Wut? Bedauern? Mitgefühl? Verständnis? – Nichts davon findet man in diesem Papier. Weder am Anfang, noch in der Mitte und auch nicht am Ende.

Wenn man sich durch die kalten, völlig empathielosen ersten Absätze zur „Ausgangslage“ gequält hat, ahnt man bereits, dass dieses Papier nichts mit einer humanen, menschenrechtsbezogenen Flüchtlingspolitik zu tun hat. Und diese Befürchtung bewahrheitet sich dann auch in der Folge.  Immerhin findet sich eine Würdigung des ehrenamtlichen Engagements der vielen Menschen, die den bei uns Zuflucht Suchenden in allen Lebenslagen helfen. Und auch ein kleiner Absatz zu den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünften und ein kleines Bekenntnis zur Bekämpfung von Fluchtursachen findet sich. Das wars dann aber auch schon mit so ein klein wenig positiven Nachrichten.

Übergangslos geht es zum „Maßnahmenkatalog“. Und hier offenbart sich dann, wo es hingehen soll. Ich schreibe hier nicht zu allen „Maßnahmen“ etwas, es sind sicher auch einige unstrittige dabei, wie bspw. die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements oder die Erleichterungen im Vergaberecht, um schneller Flüchtlingsunterkünfte zu errichten. Ich will mich hier auf die beschränken, die aus meiner Sicht indiskutabel sind.

  1. Durch das ganze Papier zieht sich ein weiteres Mal der Versuch, der Ungleichbehandlung von Flüchtlingsgruppen. In einem Blogartikel hatte ich vor ein paar Wochen prophezeit, dass die aktuelle Diskussion um weitere sogenannte sicher Herkunftsländer nicht das Ziel hat, Verfahrenslaufzeiten zu verringern, sondern der rechtlichen Definition verschiedener Flüchtlingsgruppen dient, um diese unterschiedlich behandeln zu können. Damals ging ich noch davon aus, dass es um einen längeren Verbleib in der Erstaufnahme oder auch Leistungseinschränkungen geht. Nun weiß ich, dass ich leider Recht hatte, ich konnte mir aber nicht vorstellen, welche Maßnahmen dann tatsächlich folgen sollen, gegen diejenigen aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern: keine Beschäftigungserlaubnis und Wiedereinführung der Residenzpflicht. Selbiges gilt für alle im Dublin-Verfahren befindlichen Menschen, was ein völliger Irrsinn ist, angesichts der geringen tatsächlich durchgeführten „Überstellungen“.
  2. Ich habe mich geirrt hinsichtlich meiner Vermutung, dass für diejenigen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen, Sachleistungen oder längerer Verbleib in der Erstaufnahme drohen. Allerdings auch nur, weil die CDU/CSU dies in diesem Papier für alle im Verfahren befindlichen Menschen fordert. Obwohl nun wirklich jeder, der sich ein wenig mit Asyl- und Flüchtlingspolitik beschäftigt weiß, dass die Verfahrenslaufzeit aktuell bei durchschnittlich ca. 5 Monaten liegt, was allerdings nur der Priorisierung bestimmter Gruppen (also derjenigen, die mit ziemlicher Sicherheit einen Schutzstatus sowie derjenigen, die sehr wahrscheinlich keinen Schutzstatus erhalten). Obwohl bekannt ist, dass dadurch alle anderen deutlich länger auf eine Entscheidung warten müssen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aktuell noch Verfahren aus dem Jahr 2013 offen hat. Obwohl all das bekannt ist, will die CDU/CSU-Fraktion nun für alle Schutz suchenden durchsetzen, dass diese bis zum Verfahrensabschluss in der Erstaufnahme verbleiben sollen und dort ausschließlich Sachleistungen erhalten. Also keinen einzigen Cent für ein kleines persönliches Bedürfnis. Mal unabhängig davon, dass kein Bundesland auf die Schnelle die dafür benötigten Kapazitäten in der Erstaufnahme vorhält und diese auch nicht mal schnell schaffen kann, würde diese Maßnahme jegliche Integrationsbemühungen konterkarrieren. Wer einmal eine Erstaufnahmeeinrichtung besucht hat, weiß, dass dort viele Hundert bzw. teils mehrere Tausend Menschen auf engstem Raum ohne Privatsphäre untergebracht sind. Zelte und Turnhallenbelegung sind bereits jetzt an der Tagesordnung. Es gibt gute Gründe, dass aktuell die maximale Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme auf drei Monate beschränkt ist. Ein wirkliches Ankommen, ein zur Ruhe kommen und ein auch nur ein klein wenig selbstbestimmtes Leben ist erst nach dem Ankommen in den Kommunen möglich!
  3. Diese Grausamkeiten reichen der CDU/CSU aber noch lange nicht. Unter der Überschrift „Keine falschen Anreize schaffen“ lehnen sie die von vielen Ländern geforderte Gesundheitskarte ab. Flüchtlinge haben in Deutschland bereits jetzt nur einen Anspruch auf eine Akut- und Schmerzversorgung, also nur auf sehr eingeschränkte medizinische Versorgung, die in der Regel durch Behören genehmigt werden muss. Wer ein wenig die Medien verfolgt, hat die Fälle mitbekommen, wo aufgrund eines fehlenden „Scheins“ vom Amt selbst schangeren Frauen oder totkranken Menschen die Behandlung erweigert wurde. Die Gesundheitskarte, die diese Genehmigung durch eine Behörde aufheben und die Feststellung der Behandlungsnotwendigkeit in die Hände eines Arztes legen und die nebenbei auch erheblichen Erwaltungsaufwand in den Kommunen abbauen würde, lehnt die CDU/CSU ab. Weil es zu starke Anreize schaffen würde. Als würde jemanden, dessen Haus gerade weggebombt wurde, interessieren, ob es eine Gesundheitskarte gibt oder nicht, nach dem Motto, „Oh, Deutschland hat keine Gesundheitskarte. Hm, dann bleibe ich mal lieber hier und lasse mich und meine Familie abschlachten.“
  4. So verwundert es auch nicht, dass im Papier eine Absage an eine Arbeitserlaubnis ab dem ersten Tag erteilt wird.
  5. Duldungen und Abschiebungshindernisse sind der CDU/CSU ebenfalls ein Dorn im Auge. Aktuell dürfen Menschen in bestimmten Fällen auch nach Ablehnung ihres Asylantrages nicht abgeschoben werden. Das können persönliche Gründe sein wie bspw. Krankheit, aber auch zielstaatsbezogene, wie bspw. die Verschlechterung der Lage im Herkunftsstaat. Bei all den Grausamkeiten, die im Papier enthalten sind, scheint es nahezu folgerichtig, dass also auch Abschiebungshindernisse eingeschränkt werden sollen.
  6. Fast überflüssig zu erwähnen, dass die rechtsstaatlichen Mittel gegen Entscheidungen eingeschränkt und Wiedereinreisesperren ausgeweitet werden sollen. Auch eine einheitliche Abschiebepraxis (also in der Konsequenz die Verhinderung von Abschiebestopps durch die Länder bspw. in Wintergebiete) sowie verstärkter Einsatz gegen „Schleuserkriminalität“ verstehen sich nach all dem, fast von selbst.
  7. Interessant wird es noch einmal bei der „Gemeinsame(n) europäische(n) Asylpolitik“. Hier gibt es natürlich keine Aussagen zu Seenotrettung oder der Eröffnung sicherer Fluchtwege. Es geht um Einheitlichkeit, lernen wir hier: bei den sogenannten sicheren Herkunftsländern, den Sozialleistungen (was in der Konsequenz zwingend einen Abbau selbiger bedeutet), Aufnahmezentren in Italien und Grieschenland (was zumindest nach aktueller Rechtslage bedeuten würde, dass genau diese Länder nach dem Dublin-Abkommen für die Flüchtlinge zuständig sind). Da wirkt der Hinweis, man stelle das Schengen-Abkommen nicht infrage, schon wie eine Drohung, dass sich das sehr schnell ändern kann.
  8. Und dann gibt es noch eine „Maßnahme“ „Fluchtursachen bekämpfen“. Es klingt zumindest erst einmal gut, wenn von Programmen, die den Menschen in der Heimat Entwicklungsperspektiven, die Stabilisierung fragiler staatlicher Institutionen, Konflikt- und Gewaltminderung oder die Stabilisierung von Nachbarregionen die Rede ist. Im Vergleich zum Rest des Papiers, bleibt hier allerdings das meiste unkonkret. Und es fehlen jegliche Verweise darauf, in der Außenpolitik statt der oraktizierten Kriegslogik Deutschlands und seiner Bündnispartner künftig auf zibile Konfliktlösungen zu setzen. Und auch ein sehr einfach zu realisierender Stopp von Waffenexporten findet sich selbstverständlich nicht. Unterstützung ziviler Organisationen in Konfliktregionen, Verstärkung der Selbsthilfe vor Ort, wirtschaftliche Stabilisierung oder Verhinderung der Ausplünderung ganzer Staaten durch weltweit agierende Konzerne kommen der CDU/CSU ebenfalls nciht in den Sinn.

Fazit: Dieses Papier folgt nur einer einzigen Logik: Der Abschreckung. Restriktion und Abschottung statt Humanität. Das alles zeugt von einem Menschenbild, das mich zutiefst erschreckt. Es geht nicht um die Menschen, um deren Schicksale. Es geht nur darum, die „Flüchtlingszahlen“ zu verringern und von denen, die es bis nach Deutschland schaffen, so viele wie möglich so schnell wie möglich wiedrer los zu werden.

Damit bewegt sich die CDU mehrere Schritte nach rechts; dieses Papier hätte 1:1 von der AfD kommen können. Und gleichzeitig muss man der CDU/CSU-Fraktion sagen: Dies alles wird nicht helfen, euer Ziel, Fluchtbewegungen nach Deutschland einzudämmen, zu erreichen. Hier findet eine jahrzehntelange Ausbeutungs- und Kriegslogik ihren Ausdruck. Dagegen helfen keine Zäune und keine Abschreckung, weil es schlicht um das nackte Überleben geht. Im Übrigen auch bei einem großen Teil der Flüchtlinge vom Balkan. Auch bei der Destabilisierung dieser Region hat deutsche Außenpolitik einen großen Anteil.

Allerdings: Setzt sich diese Flüchtlingspolitik durch, werden wir weiterhin die Meldungen massenhaften Verreckens von Menschen an den EU-Außengrenzen ertragen müssen. Wir werden ertragen müssen, dass Menschen in Deutschland über Jahre in Massenunterkünften leben ohne Chance auf Integration und Teilhabe, ohne die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Ich bin sicher, dass ein Teil der Vorschläge schlicht verfassungswidrig ist, hat doch das Bundesverfassungsgericht festgestellt: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Und dennoch müssen wir alles dafür tun, dass dies nicht Realität wird. Die CDU/CSU hat sich entschieden. Nun müssen wir alle gemeinsam politischen Druck auf die SPD ausüben, damit diese in der schwarz-roten Koalition diese Liste der Grausamkeiten verhindert!