Was machen die Bayern da eigentlich? Oder: Die perfide Logik bundesrepublikanischer Asylpolitik

Was machen die Bayern da eigentlich? Oder: Die perfide Logik bundesrepublikanischer Asylpolitik

Aktuell tobt die Debatte in der Bundesrepublik, wie der Beschluss der bayrischen Staatsregierung zu bewerten ist, für Geflüchtete aus Balkanländern „Abschiebelager“ zu schaffen, da diese ja eh keine Chance auf Asyl haben und mit dem Ziel, deren Asylanträge bevorzugt zu bearbeiten und sie dann so schnell wie möglich „zurückzuführen“. Nun wird munter diskutiert, ob das nicht ein Modell für alle Länder wäre und der Städte- und Gemeindebund hat schon Beifall geklatscht, weil dies die Kommunen entlasten würde. Zu Recht haben SPD, Grüne und LINKE aber auch zivilgesellschaftliche Akteure aus Kirchen und Vereinen und Verbänden diesen „Vorstoß“ kritisiert. Und dennoch kratzt die Debatte an der Oberfläche. Und deshalb will ich einige Punkte zur Debatte beitragen, die aus meiner Sicht bisher zu kurz gekommen sind.

Es ist, das will ich vornweg signalisieren, völlig richtig, dass der CSU vorgeworfen wird, mit diesem Agieren die Stammtische zu bedienen und Vorurteile und Ressentiments zu schüren und zu bestätigen. Und es ist auch richtig, der CSU vorzuwerfen, sich in gefährliche (rhetorische)Nähe zu Nazis zu begebene, wenn ihre Maßnahmen durch „massenhaften Asylmissbrauch“ gerechtfertigt werden soll. Das allein ist schon schlimm genug.

Mir geht es aber um einen anderen Punkt: Erneut reagiert ein Teil der Politik auf steigende Flüchtlingszahlen mit Abschreckung und Verschärfung des Rechts nach dem Motto: Wenn zu viele Flüchtlinge kommen, dann schränken wir einfach das Asylrecht ein und dann sind es weniger oder sie sind wenigstens schneller wieder weg und wir haben weniger Probleme.

Das war schon die Logik Anfang der 90er Jahre mit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl in Deutschland. Da es sich um ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht handelt, konnte man es nicht so einfach abschaffen. Deshalb hat man sich damals die sogenannten „sicheren Drittstaaten“ ausgedacht. Es wurde einfach festgelegt, dass nur diejenigen ein Recht auf Asyl haben, die nicht bereits während ihrer Flucht in Sicherheit in einem als „sicher“ eingestuften Land. Nur wer nicht über einen solchen Staat eingereist ist, kann seitdem politisches Asyl in Deutschland erhalten.

Nun war das ziemlich perfide, denn rund um Deutschland gibt es nur als „sicher“ eingestufte Länder. Die einzigen „legalen“ Einreisewege sind demnach der Luftweg oder der Weg über die Nord- und Ostsee, letzteren kann man allerdings praktisch vollständig vernachlässigen. Und um es noch ein bisschen schwerer zu machen, Asyl in Deutschland zu bekommen, hat man Schnellverfahren an Flughäfen eingerichtet, die unter erschwerten Bedingungen und verkürzten Fristen stattfinden.

Insofern ist in den 90er Jahren nicht etwa die Verfolgung von Menschen zurückgegangen, sondern der deutsche Staat hat das Grundrecht auf Asyl in Deutschland faktisch dadurch abgeschafft, dass er die Bedingungen des Verfahrens so verändert hat, dass viele, die sehr wohl in ihren Heimatländern verfolgt werden, aus formalen Gründen abgelehnt werden. Das ist auch der Hintergrund für die sehr geringen Anerkennungsraten als politisch Verfolgte. Diese liegen in der Regel unter 2% der AntragstellerInnen. Nebenbei: Auf diese Zahl beziehen sich Nazis besonders gern, taugt es doch für ihre Zwecke, wenn man behaupten kann, dass fast niemand, der zu uns kommt, tatsächlich politisch verfolgt wird. „Massenhafter Asylmissbrauch“ eben.

Nach den im Vergleich sehr niedrigen Flüchtlingszahlen in den 90ern und Anfang der 2000er Jahre steigt die Anzahl derer, die bei uns Zuflucht suchen in den letzten Jahren rasant an. Das hat sehr viel mit Kriegsherden, bewaffneten Konflikten, systematischer Verfolgung und Ausgrenzung zu tun, aber nicht nur. Ich will hier ausdrücklich nicht auf die verschiedenen Fluchtursachen eingehen, das würde diesen Artikel sprengen. Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Industrienationen einen großen Anteil daran haben, dass mehr als 50 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, weil sie bewaffnete Konflikte anheizen und Waffen in Krisengebiete liefern und auch weil sie und ihre Konzerne aus wirtschaftlichen Interessen ganzen Regionen dieser Welt und den dort lebenden Menschen die Lebensgrundlagen entziehen. Damit haben es übrigens auch die Industrienationen in der Hand, etwas gegen die weltweiten Fluchtbewegungen zu tun. Nicht Abschreckung und Abschottung werden Menschen hindern, sich nach Europa zu flüchten, sondern die konsequente Bekämpfung der Ursachen der Flucht. Hilfe zur Selbsthilfe, Stopp von Waffenlieferungen und die konsequente Bekämpfung von Krisen durch friedliche Mittel wären ein Anfang.

Aber zurück zum Thema. Nun steigen also die Flüchtlingszahlen aufgrund weltweit anwachsender Fluchtbewegungen auch in Europa und Deutschland. Und neben dem im Grundgesetz garantierten Recht auf politisches Asyl gibt es auch noch die Genfer Flüchtlingskonvention, der Deutschland beigetreten ist. Diese sieht vor, dass als Flüchtlinge diejenigen sind, die sich aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung außerhalb des Staats befinden, dessen Staatsangehörigkeit die besitzen. Anzuerkennen sind Flüchtlinge, die verfolgt werden wegen ihrer „Rasse“, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung. Anerkannten Flüchtlingen sind durch den aufnehmenden Staat bestimmte Rechte zu gewähren, bspw. das Schutz vor Diskriminierung, Zugang zu Gerichten, Garantie der Religionsfreiheit usw. Zentraler Bestandteil des Flüchtlingsschutzes ist aber vor allem der Grundsatz des Nichtzurückschiebens: Er darf nicht in ein Land zurückgeschoben werden, in dem sein Leben wegen der o.g. Verfolgungstatbestände in Gefahr ist.

Auch diese Flüchtlingseigenschaft wird im Asylverfahren geprüft und da internationale Abkommen einzuhalten sind, ist es für deutsche Politiker nicht so leicht wie beim politischen Asylrecht, dieses auszuhebeln. Allerdings hat man auch hier Wege gefunden. Das unsägliche Dublin-Abkommen bspw. das maßgeblich von Deutschland vorangebracht wurde und das (vereinfacht gesagt) festlegt, dass innerhalb der EU Asylverfahren in dem Staat stattzufinden haben, in denen der Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten hat. Dies führt dazu, dass einerseits die Länder an den EU-Außengrenzen sehr viel mehr Flüchtlinge zu versorgen haben als die Länder im Innern Europas. Es führt aber vor allem auch zu einem unfassbaren Hin- und Hergeschiebe innerhalb der EU zu Lasten der Flüchtlinge. Flüchtlinge, die teils seit Monaten in Deutschland und endlich ein wenig zur Ruhe gekommen sind, die Sprache begonnen haben zu lernen und vielleicht sogar bereits einen Job gefunden haben, werden zurückgeschoben in Länder wie Griechenland, Ungarn oder Italien, wo sie teils unter menschenunwürdigen Bedingungen, obdachlos oder in Gefängnissen, oft ohne Nahrung und teilweise auch der Gewalt der Polizei ausgesetzt sind, auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten müssen. Übrigens egal, ob sie aus Kriegsgebieten oder vom Balkan kommen. Hauptsache weg, ist das Motto der bundesrepublikanischen Politik. Zynisch und menschenverachtend ist dieses System Dublin, allen Beteuerungen, dass man Flüchtlinge willkommen heißen will zum Trotz.

Und wenn man aktuell von allen Seiten hört, das Dublin-System würde nicht funktionieren und wäre gescheitert, so stimmt das zwar. Es sind aber unterschiedliche Motivationen, die zu dieser Feststellung führen. Die einen meinen, dass man das Scheitern vor allem daran festmachen kann, dass es unmenschliche Härten gegenüber den Flüchtlingen bedeutet. Die anderen meines etwas anderes: Bspw. hat Ungarn teilweise Flüchtlinge nicht mehr zurück genommen und Italien lässt oft Flüchtlinge einfach weiter reisen ohne sie zu erfassen und umgeht damit die Rücknameverpflichtung gegenüber anderen EU-Staaten. Beides führt dazu, dass man die Flüchtlinge, die man gern los werden würde, nicht zurück überstellen kann. Das meint die CDU, wenn sie sagt, Dublin ist gescheitert und nicht etwa die Härten, die Menschen nach einer jahrelangen Flucht zusätzlich zugemutet werden. Und wer das unsägliche Geschacher der EU-Staaten in den vergangenen Wochen um die Verteilung von 40.000 Flüchtlingen, die bereits in der EU sind, und von 20.000 Flüchtlingen aus Lagern an der syrischen Grenze, ein wenig mitverfolgt hat, der weiß, dass Humanität und Empathie nicht der Handlungsleitfaden der europäischen Regierungen ist.

Aber auch im deutschen Recht fand die Bundesregierung Möglichkeiten, das Recht auf Asyl weiter zu beschränken. Und so erfand sie die „sicheren Herkunftsstaaten“. Dabei wird unterstellt, dass es in diesen als „sicher“ eingestuften Ländern vom Grundsatz her keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gibt. Die Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern werden grundsätzlich abgelehnt, es sei denn, die können nachweisen, dass sie, entgegen dieser Annahme, doch verfolgt werden. Damit wird das individuelle Recht ausgehebelt und diejenigen, die aus diesen Staaten stammen, haben nur sehr sehr geringe Chancen, Asyl in Deutschland, ob nun als politisch Verfolgte im Sinne des Grundgesetzes oder als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, zu erlangen. Bis vor knapp einem Jahr galten lediglich die Länder der EU sowie Ghana und Senegal als „sicheren Herkunftsstaaten“. Im vergangenen Herbst, als die Flüchtlingszahlen stiegen, kam die Bundesregierung dann auf die Idee, dass man ja ein paar mehr Länder als „sicher“ einstufen könnte, um dem „Problem“ besser Herr werden zu können. Gesagt, getan: Die Staaten Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien wurden durch den Bundestag zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt und der Bundesrat stimmte dem – wenn auch knapp – zu. Es war der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, der aus der vereinbarten Linie der rot-rot-grünen Bundesländer ausscherte und damit dafür sorgte, dass künftig auch für Menschen aus diesen Ländern das Recht Schutz vor Verfolgung quasi abgeschafft wurde.

Es sind vor allem die Roma, die damit weitgehend schutzlos und nahezu ohne Chance auf Anerkennung als Flüchtlinge einer extremen Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt sind, die sehr wohl in sehr vielen Fällen das Zusprechen der Flüchtlingseigenschaft nach Genfer Flüchtlingskonvention rechtfertigen würde. Systematische Ausgrenzung, kein Zugang zu sauberem Trinkwasser, kein Zugang zu Bildung und oftmals nicht mal ein eigener Pass sind in der Summe sehr wohl Verfolgungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

Winfried Kretschmann hat in der aktuellen Debatte übrigens gerade mitgeteilt, er wäre bereit über die Ausweisung weiterer Balkanstaaten als „sichere Herkunftsstaaten“ mit der Bundesregierung zu verhandeln, schließlich habe er schon einmal einem solchen Ansinnen zugestimmt.

Und da ist sie wieder, diese perfide Logik. Es kommen viele Menschen aus dem Kosovo und Albanien, also erklären wir diese Länder als „sicher“ und lösen damit unser Problem. Dabei sollte eines klar sein: Nur weil deutsche Politik ein Land als „sicher“ einstuft, sind Menschen dort noch lange nicht sicher vor Verfolgung und finden dort auch weiterhin Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen ganzer Bevölkerungsgruppen statt.

Schauen wir mal über den bundesrepublikanischen Tellerrand, stellen wir fest, dass zwar in Deutschland bei den Asylsuchenden aus dem Kosovo und Albanien die Anerkennungsquoten bei deutlich unter 1% liegen. Das ist aber nicht überall in Europa so. Bspw. liegen die Anerkennungsquoten für Flüchtlinge aus dem Kosovo in der Schweiz und in Finnland bei ca. 40%; in Großbritannien werden knapp 20% der Asylsuchenden aus Albanien als Flüchtlinge anerkannt. Ist man in diesen Ländern also sicher vor Verfolgung? Nein! Die Bundesregierung will uns dies glauben lassen. Fakt ist, ob jemand verfolgt wird oder nicht kann man nur nach individueller Prüfung seiner ganz persönlichen Lebensumstände feststellen und nicht durch die bloße Festlegung nach dem Motto, wir sagen da ists sicher und dann ist das auch so.

In diesem Licht betrachtet, sieht man beim Blick auf die bayrischen Planungen zur Errichtung von Abschiebelagern für Flüchtlinge aus Balkanländern dann auch Folgendes: Nach aktueller Rechtslage gibt es für Menschen aus dem Kosovo und aus Albanien gar keine rechtliche Möglichkeit für Schnellverfahren, wie die bayrische Staatsregierung sie will. Auch diese Anträge müssen individuell geprüft werden wie jeder andere Antrag auch, den Menschen stellen, die nicht aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das zuständig ist für die Bearbeitung von Asylverfahren, schiebt aktuell mehr als 230.000 offene Verfahren vor sich her und selbst bei bevorzugter Bearbeitung von Anträgen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ beschieden werden, ist es rechtlich unmöglich, die Verfahren so schnell abzuschließen, wie suggeriert wird. Schon aus verfahrensrechtlichen Gründen. Und nebenbei gibt es ja auch noch einen Rechtsweg, der ebenfalls Fristen vorsieht, die nicht durch Beschluss einfach mal ausgehebelt werden können.

Und auch andere Maßnahmen, die die bayrische Staatsregierung plant, sind schlicht rechtswidrig: Weder ist eine Kürzung der Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz wegen der Herkunft oder der Bleibeperspektive einer Person zulässig, noch ist die Verkürzung des Rechtswegs in der Kompetenz des Bundeslandes. Und ein generelles Arbeitsverbot für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern widerspricht aktuellem bundesrepublikanischen und europäischem Recht.

Und deshalb bin ich auch der festen Überzeugung, dass es Bayern mit diesem Vorstoß vor allem um eines geht: Den Boden bereiten für die Ausweisung weiterer Herkunftsstaaten als „sicher“. Es wird versucht, die öffentliche Meinung zu manipulieren, indem suggeriert wird, diese Menschen wären ja eh nur „Wirtschaftsflüchtlinge“ und würden die Unterkünfte für die „richtigen“ Flüchtlinge blockieren. Damit wird nicht nur den Nazis faktisch Recht und den Stammtischen Bestätigung gegeben. Damit wird vor allem versucht, die Logik, die in der bundesdeutschen Politik wie dargestellt Tradition hat, ein weiteres Mal durchzusetzen: Wenn die Krisen dieser Welt dazu führen, dass mehr Flüchtlinge zu uns kommen, dann verändern wir die Verfahren so, dass sie zumindest schnell wieder weg sind.

Fakt ist: Asyl ist Menschenrecht! Und Menschenrechte sind individuell. Es gibt keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse, es gibt nur Menschen. Und deshalb will ich mit einem Zitat des Bundesverfassungsgerichts aus einem Urteil schließen: „Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Und ich füge hinzu: Auch nicht durch die bayrische Staatsregierung!