17. Sitzung vom 8. Dezember 2017 – Mehr Fragen als Antworten: Carsten Szczepanski und die Brandenburger Behörden

17. Sitzung vom 8. Dezember 2017 – Mehr Fragen als Antworten: Carsten Szczepanski und die Brandenburger Behörden

Dieser Artikel ist im Blog der Linksfraktion im Brandenburger Landtag als Bericht über die Ausschusssitzung erschienen. Die Berichte sind gemeinsam von den Referenten und den Abgeordneten der LINKEN im Ausschuss erarbeitet. 

 

Mehr Fragen als Antworten: Carsten Szczepanski und die Brandenburger Behörden

In seiner 17. Sitzung am 8. Dezember widmete sich der Untersuchungsausschuss erstmals in Gänze dem Komplex um den V-Mann „Piatto“ alias Carsten Szczepanski, nachdem das Thema schon in der vergangenen Sitzung im November mit der Befragung zweier BKA-Beamter sowie des Bundesanwalts a. D. Dieter Beese angeschnitten wurde. Der Fokus der Abgeordneten lag dabei heute auf den Kontakten Szczepanskis zu den Behörden Anfang der 1990er Jahre und den Umständen, die zu seiner Anwerbung als V-Mann während seiner U-Haft im Jahre 1994 führten.

Als Zeugen wurden gehört: Klaus Schulz, ehemaliger Beamter des LKA Berlin, Frank Henkel, ehemaliger Leiter der Untersuchungshaftanstalt Königs Wusterhausen und Oberstaatsanwältin Petra Marx, die in zwei Prozessen mit Szczepanski zu tun hatte.

Carsten Szczepanski war die Top-Quelle des Brandenburger Verfassungsschutzes in der rechten Szene. Er wurde von seinen V-Mann-Führern zielgerichtet auch in das Umfeld der später als „NSU“ bekannt gewordenen Terrorstruktur gesteuert. Dabei lieferte er schon im Sommer 1998 Informationen, die weit vor Beginn der Mordserie zur Ergreifung der Untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten führen können.

Rückblende:

Am 20. September 1991, während 100 km südlich in Hoyerswerda die rassistischen Pogrome gegen Vertragsarbeiter und Flüchtlinge im vollen Gange sind, verbrennen vermummte KKK-Anhänger in einem Wald bei Halbe ein Kreuz. Initiator ist Carsten Szczepanski, der schon damals Kontakte zur internationalen Neonaziszene pflegte, wie dem ebenfalls teilnehmenden Dennis Mahon, einem KKK-Clanführer aus dem mittleren Westen der USA. Kurze Zeit später berichten RTL und DER SPIEGEL über diese Kreuzverbrennung sowie weitere Aktivitäten von KKK-Gruppen in Deutschland. Durch Zufall kommen Ermittler des LKA Berlin Szczepanski auf die Spur. Am 8. Dezember 1991 wird seine Wohnung im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg durchsucht. Es werden halbfertige Rohrbomben, Chemikalien zum Bombenbau (Nitro-Methan), Briefverkehr mit Neonazi-Kadern, Flugblätter der „White Knights“ und die Zeitschrift „Das Feuerkreuz“ gefunden. Szczepanski flieht noch am selben Tag und taucht in Königs Wusterhausen unter. Am 13. Februar 1992 leitet der Generalbundesanwalt ein Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung (§129a StGB) gegen Carsten Szczepanski und  später 34 weitere mutmaßliche KKK-Mitglieder ein. Gut eine Woche später wird nach einem „dienstlichen Hinweis“ die Wohnung von Erik O. in Königs Wusterhausen durchsucht, in der auch Carsten Szczepanski wohnt. Der Tipp kam vom Brandenburger VS, der Szczepanski damals schon observierte. Szczepanski wird festgenommen und drei Tage verhört. Er berichtet ausgiebig über andere Klan-Mitglieder und belastet sich selbst schwer,  kommt jedoch wieder auf freien Fuß. (mehr dazu in: Generation Hoyerswerda, Dirk Laabs: Die V-Mann-Karriere des Carsten Szczepanski.)

In den darauffolgenden Wochen werden zwei Menschen von KKK-Anhängern ermordet, zwei weitere überleben schwer verletzt. Auch Szczepanski ist bei einem der Angriffe dabei: Am 9. Mai 1992 wird Steve Erenhi in Wendisch-Rietz von Carsten Szczepanski und einer Gruppe Neonazis in einer Disko rassistisch beleidigt, vor die Tür verfolgt, brutal zusammen geschlagen und in Tötungsabsicht in einen See geworfen, wo er nur durch das Eingreifen eines Türstehers knapp dem Tod entgeht. Szczepanski gilt als Kopf dieser Gruppe, Ermittlungen gegen ihn bleiben jedoch zunächst aus.

Anfang September 1992 dann die abrupte Wendung im KKK-Verfahren. Obwohl das BKA zahlreiche Beweise gegen dessen Mitglieder gesammelt hat und der KKK seine Gefährlichkeit in der Zwischenzeit unter Beweis gestellt hat, stellt die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen Szczepanski mit abenteuerlicher Begründung ein. Die Flucht aus seiner Wohnung wird ihm als „freiwilliger Rücktritt“ ausgelegt und von den vielen Verdächtigen bleiben angeblich nur noch zwei übrig, was dann keine „Vereinigung“ mehr wäre.

Am 31. Oktober 1992 zündet der Neonazi Silvio J., ein Bekannter Sczcepankis, in Dolgenbrodt ein Asylbewerberheim an, in das kurze Zeit später die ersten Geflüchteten einziehen sollten. Angestiftet und bezahlt wird er dafür von Bewohnern des Dorfes. Szczepanski wird später im Prozess gegen ihn aussagen.

Erst am 29. Juli 1994, mehr als zwei Jahre nach dem versuchten Mord an Steve Erenhi, wird am Amtsgericht Fürstenwalde gegen Szczepanski wegen gefährlicher Körperverletzung Anklage erhoben, nachdem er bereits am 2. Mai 1994 in der JVA Königs Wusterhausen in U-Haft genommen wurde. Ab August 94 bekommt Szczepanski in der JVA regelmäßigen Besuch von einem VS-Mitarbeiter mit dem Decknamen „Maslow“ und durfte einen als Sozialarbeiter legendierten Mitarbeiter des VS wöchentlich anrufen. Zuvor hat Szczepanski von sich aus aus der U-Haft Kontakt mit dem Brandenburger Verfassungsschutz aufgenommen.

Carsten Szczepanski? Nie gehört…

Als erster Zeuge der 17. Sitzung des Untersuchungsausschusses war Klaus Schulz geladen, ein Mitarbeiter des LKA Berlin in der Abteilung Staatsschutz. Nach Aktenlage bekam Generalbundesanwalt Beese Anfang Februar 1992 von ihm telefonisch die Mitteilung, dass Carsten Szczepanski bei Erik O. in Königs Wusterhausen wohnen würde. Woher er diese Information hatte, konnte der Zeuge nicht aufklären, jedoch verneinte er vehement jegliche Kontakte zum Verfassungsschutz. Nur vage erinnerte sich Schulz an die Kreuzverbrennung des KKK in Halbe und meinte, diese sei „für einen Kasten Bier“ für die Presse inszeniert worden. Das Neonazi-Heft „Feuerkreuz“ sagte ihm nichts, dafür kannte er die Flugblätter von den „White Knights“, die Anfang der 1990er Jahre massenhaft in Berlin in Umlauf gebracht wurden.  Allerdings sei ihm kein fremdenfeindlicher Hintergrund dieser Schriften erinnerlich. Wie wir aber von Dirk Laabs und Stefan Aust wissen, enthielten die Flugblätter der „White Knights“ Parolen wie „Stop der Fremdeinwanderung!“ oder „Stop der multikulturellen Gesellschaft!“ (siehe „Heimatschutz“, S. 31).

Auch der zweite Zeuge konnte oder wollte kein Licht ins Dunkel der komplexen Thematik „Carsten Szczepanski“ bringen. Geladen war Frank Henkel, während Szczepanskis U-Haft Leiter der Untersuchungshaftanstalt Königs Wusterhausen. Er konnte sich selbst auf Vorlage eines Fotos Szczepanskis durch die Abgeordnete Andrea Johlige nicht an Szczepanski erinnern, begründete dies mit dem Durchlauf von etwa 200 Insassen pro Jahr in der U-Haftanstalt. Aber war Szczepanski wirklich ein Häftling wie jeder andere? Seine Versuche mit dem Verfassungsschutz Verbindung aufzunehmen mussten auffallen beziehungsweise bedurften sogar der Genehmigung durch die JVA-Leitung. Auch die Erlaubnis eines wöchentlichen Telefonats mit einem „Sozialarbeiter“ ist ein sehr unüblicher Vorgang, zumal Szczepanski diese Anrufe scheinbar ohne Aufsicht führen durfte. Des weiteren wurde Szczepanski mindestens zwei Mal Sonderausgang aus der U-Haft gewährt. Abgerundet wird das Bild gesonderter U-Haftbedingungen Szczepanskis  durch die ab August 1994 stattfindenden wöchentlichen Besuche des Brandenburger V-Mann-Führers „Maslow“ und Anrufe bei seinem „Sozialarbeiter Egbert Schulz“. Auf Nachfrage der Abgeordneten Isabelle Vandre, ob er sich wenigstens daran noch erinnern konnte, verwies er darauf, dass Besuche von der Staatsanwaltschaft zu genehmigen waren und er nichts damit zu tun gehabt habe. Wirklich glaubhaft waren diese Einlassungen Henkels nicht.

Großer Auftritt, gewichtige Lücken: Oberstaatsanwältin Marx

Oberstaatsanwältin Petra Marx war die dritte Zeugin des Tages. Sie war als Staatsanwältin in Frankfurt (Oder) sowohl am Prozess zu Wendisch-Rietz als auch am Dolgenbrodt-Prozess beteiligt. Im Gegensatz zu den ersten beiden Zeugen konnte sie sich durch gute Aktenvorbereitung an viele Details erinnern und war auch weitaus redseliger als Schulz und Henkel. Sobald es jedoch um Fragen zur aktenkundigen Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz ging wurde die Zeugin Marx einsilbig und führte ebenfalls Erinnerungslücken an. Auf Nachfrage des Obmanns Dr. Volkmar Schöneburg konnte sie sich an keine Kontaktanbahnung des Verfassungsschutzes mit dem U-Haft-Insassen Szczepanski erinnern. Ebenso streikte ihr Gedächtnis bei Fragen zum Berliner „Sozialarbeiter“ Schulz, den Szczepanski während der U-Haft einmal wöchentlich ohne Aufsicht anrufen durfte. Wir wissen aus einem Brief Szczepanskis, dass es sich bei ihm um einen Mitarbeiter des Brandenburger Verfassungsschutzes handelt. Nachfragen zu Verbindungen der Staatsanwaltschaft zum Verfassungsschutz aber schob sie auf ihren damaligen Vorgesetzten, den leider verstorbenen LOStA Lehmann. So hätte Lehmann wohl mit dem VS Gespräche über Szczepanski geführt, weil dieser ein „so großer Fisch“ gewesen sei.

Der Zeugin Marx ist allerdings zu Gute zu halten, dass sie die Anklage gegen Szczepanski von gefährlicher Körperverletzung zu versuchtem Mord heraufgestuft hatte. Sie hatte sich über die Akten der Bundesanwaltschaft kundig gemacht, da die Akten der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) keine Erkenntnisse über den politischen Zusammenhang der Tat in Wendisch-Rietz enthalten haben. Als überaus problematisch werten die Ausschussmitglieder der LINKEN an dieser Stelle, dass die Staatsanwaltschaften Potsdam und Frankfurt (Oder) sowie die Bundesanwaltschaft scheinbar nicht informatorisch verbunden gewesen sind und auch keine Vernetzung zwischen Verfassungsschutz und dem Staatsschutz bestanden haben. Vielmehr wurden Erkenntnisse der einen Abteilung der jeweils anderen vorenthalten. Mit „Futterneid“ ist das Handeln der Akteure wohl adäquat umschrieben. Auch wertete Marx die Einstellung des KKK-Verfahrens durch den Generalbundesanwalt als schwierig, denn die Einstellung hätte Szczepanski zum Weitermachen ermuntert.

Eine bis dato unbearbeitete Spur im Dolgenbrodt-Verfahren ergab damals, dass Carsten Szczepanski den Angeklagten Silvio J. zu weiteren Straftaten drängte. Also wollte die damalige Staatsanwältin Szczepanski mit in das Verfahren einbinden, zumindest als Zeuge. Angeblich wurde ihr dann später im Laufe des Dolgenbrodt-Prozesses gegen Silvio J. klar, dass Carsten Szczepanski für den Verfassungsschutz arbeitet und er durch seine Aussage enttarnt werden könnte. Der Verfassungsschutz wollte dies verhindern, drohte der Staatsanwaltschaft sogar, die Kosten für den nötigen Zeugenschutz der Justiz in Rechnung zu Stellen, was die Zeugin Marx auch Richter Müller offenbart hatte. Am Ende sagte Carsten Szczepanski zwar gegen Silvio J. aus, jedoch war diese Aussage im Dolgenbrodt-Prozess nicht für die Verurteilung nötig, wie der Richter Andreas Müller in seinem Buch „Schluss mit der Sozialromantik“ (S. 26ff.) ausführte. Enttarnt wurde er dadurch auch nicht.

Zu klären wird allerdings noch die Zusage der Hafthalbierung an Szczepanski sein, die ihm angeblich von der Staatsanwaltschaft für eine Aussage im Dolgenbrodt-Prozess gemacht worden ist. Marx selbst hätte Szczepanski diese Hafthalbierung „natürlich nicht“ versprochen, schon gar nicht bei einem Delikt wie versuchtem Mord. Eine Hafthalbierung ist nach den Verfahrensregeln bis zu einer Strafe von zwei Jahren möglich, Szczepanski war jedoch zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Einzig eine Begnadigung durch den Justizminister wäre hier denkbar gewesen, was aber bei Szczepanskis Vita und Strafe nicht realistisch erscheint. Also fragen wir uns an dieser Stelle: Wer hat dies versprochen und mit wem wurde das abgestimmt? Wurden dem V-Mann hier Zusicherungen gemacht, von denen man vorher wusste, sie nicht halten zu können? Denn dass es dieses Versprechen gegeben haben muss, ist den Akten zu entnehmen.