Das Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheinsberg ist in Gefahr

Das Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheinsberg ist in Gefahr

Geben Sie einmal „Tucholsky Museum“ bei Google ein. Alle Ergebnisse werden Sie auf das Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheinsberg verweisen, denn es gibt nur dieses eine Tucholsky Museum in Deutschland – und weltweit. Zum Museum gehört eine wissenschaftliche Sammlung, die zweitgrößte nach der von Tucholskys zweiter Frau Mary Gerold zusammengetragenen Sammlung in Marbach. Was für ein Schatz für eine Stadt! Gerade für eine wie Rheinsberg, die vom Tourismus lebt. Und was für ein Schatz für die Region, die für Besucherinnen und Besucher aus nah und fern zwar wundervolle Natur, aber eben auch leider nicht allzuviele kulturelle Highlights bietet.

Da möchte man meinen, die Stadt Rheinsberg würde diesen Schatz hegen und pflegen, weiterentwickeln und fördern. Möchte man meinen… Doch die Stadt hat wenig Geld und dem einen oder anderen ist das Museum schon länger ein Dorn im Auge, und so hat die Stadtverordnetenversammlung am 23. Oktober 2023 auf Antrag des Bürgermeisters Schwochow mit den Stimmen der Freien Wähler die Stelle des Museumsleiters kurzerhand gestrichen. Die anderen Parteien haben dagegen gestimmt, hatten aber keine Mehrheit. Künftig wird es eine Stelle für einen Manager für Tourismus, Kultur und Wirtschaftsförderung geben, der sowohl das Museum als auch die Tourist-Information der Stadt leitet. Aus ursprünglich zwei Leitungsstellen wird also eine. Da sagen die einen: Das ist doch nicht schlimm, ist doch nur eine strukturelle Veränderung. Ich dagegen sage: Das ist der Anfang vom Ende des Museums.

So sieht es auch der Deutsche Kulturrat. Dieser hat bereits reagiert: Er führt eine Rote Liste bedrohter Kultureinrichtungen, in Analogie zur Roten Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Am 2. November 2023 gab er bekannt, dass er das Kurt Tucholsky Museum Rheinsberg dieser Roten Liste hinzugefügt hat.

Um zu verstehen, warum ich schon in der Überschrift von einer Gefahr für das Museum spreche, muss man sich ein bisschen näher mit der Frage auseinandersetzen, was das Literaturmuseum und hier vor allem dessen bisheriger Leiter, Herr Dr. Böthig, geleistet haben und weiter leisten. Es ist eben nicht damit getan, morgens das Museum aufzuschließen, Eintritt zu kassieren, ein paar Fragen der Besucherinnen und Besucher zu beantworten, die Vitrinen zu putzen und abends wieder zuzuschließen.

Dr. Peter Böthig formuliert es so: „Das Museum wurde 1991 eröffnet, damals noch eine kleine „Gedenkstätte“ mit geringer eigener Sammlung. Seither wurde durch kontinuierliche Arbeit das Profil des Museums in allen Teilen geschärft und zu einer deutschlandweit anerkannten musealen und literarischen Einrichtung entwickelt. Seit 1991 bis heute wurden (etwa monatlich) 472 Lesungen mit GegenwartsautorInnen durchgeführt (u.a. mit Christa Wolf, Fritz J. Raddatz, Louis Begley, Günter de Bruyn, Peter Bichsel, Rolf Hochhuth, Günter Kunert, Freya Klier, Jan Philipp Reemtsma, Claudia Roth, Regina Scheer oder Jenny Erpenbeck). Und in der Galerie für zeitgenössischen Bildende Kunst wurden 165 Ausstellungen gezeigt (u.a. Angela Hampel, Cornelia Schleime, Barbara Klemm oder Werner Stötzer). Für die Akademie der Künste ist das Museum der Leuchtturm in Brandenburg, sie zeigt (und finanziert) seit 2002 jährlich eine Ausstellung eines ihrer Mitglieder – für 2024 geplant ist der weltbekannte Pop-Art Künstler Jim Dine!

Seit 1995 lädt das Museum jährlich zwei Rheinsberger Stadtschreiber ein, die mit ihrer Präsenz und ihren Texten Rheinsberg und der Mark Brandenburg einen Platz auf der geistigen Landkarte Deutschlands sichern. Unter ihnen waren so bedeutende AutorInnen wir Wolfgang Hilbig, Volker Braun, Katja Lange-Müller, Marion Poschmann, Uwe Kolbe oder Jan Faktor, „migrantische“ AutorInnen wie Rajvinder Singh (Indien, 1997), Stevan Tontic (Bosnien, 1999), Apti Bisultanov (Tschetschenien, 2006), Widad Nabi (Syrien, 2020), oder zur Zeit der 58. Stadtschreiber Massum Faryar (Afghanistan), aber auch brandenburgische DichterInnen wie Jürgen Israel, Julia Schoch, Martin Ahrends, Antje Ravic Strubel oder Grit Poppe.

Die Sammlungen des Museums umfassen – digital erfasst – etwa 8.000 wertvolle Artefakte. Darunter befinden sich 42 Autographen und 246 Erstdrucke von Tucholsky, 286 Zeitschriften-Konvolute (vor 1945), 736 Bücher auch Tucholskys Bibliothek, 5 Erstdrucke (und drei handschriftliche Briefe!) von Theodor Fontane, 14 von Erich Arendt, 4 von Armin T Wegener und 401 Exponate von Alfred Wegener. Hinzu kommt die Sammlung der „Weltbühne“ mit 694 Heften vor 1945 und 3.089 Heften von 1946 bis 1993 und weitere Bestände. Eine Sammlungskonzeption beschreibt die Strategie bei der kontinuierlichen Erweiterung der Sammlung. Alle Sammlungsgegenstände werden digital inventarisiert, beschrieben und über Signaturen in Sachbereichen erfasst. Die bedeutendsten Teile der Sammlung werden auf den Plattformen „museum-digital“ und der „Deutschen Digitalen Bibliothek“ als open source-Quellen kostenlos der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt (z.Z. über 550 Datensätze).

Seit 2009 übernimmt das Museum auch die Regie und die wissenschaftliche und museale Betreuung des kleinen Alfred Wegener Museum in Zechlinerhütte, einem bekannten Urlauberort.

Das Museum ist vernetzt mit allen relevanten – regionalen und nationalen – Einrichtungen und Verbänden, wie der ALG (in deren Vorstand ich von 2000 bis 2019 mitwirkte), dem Brandenburgischen Museumsverband, der Akademie der Künste Berlin u.v.a.m, es kooperiert mit den Kultureinrichtungen der Region (Musikkultur Rheinsberg, Evang. Gymnasium Neuruppin) und landes- bzw. bundesweit (Brandenburgisches Literaturbüro, Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk u.a.).

Das Museum erhält seit 2018 eine Geschäftsstellenförderung durch das Land Brandenburg (65.000 Euro, davor Projektförderungen) und durch den Landkreis OPR (18.000 Euro). Weitere projektbezogene Förderungen werben wir beim Bund, bei der Sparkasse und anderen Förderern ein. Die jährlichen Besucherzahlen lagen „vor Corona“ bei ca. 9.000 zahlenden Gästen (mit den „freien Eintritten“ knapp 10.000), diese Zahlen wurden im letzten Jahr noch nicht ganz, aber zu ca. 85 % wieder erreicht.

2004 wurde das Kurt Tucholsky Literaturmuseum in das „Blaubuch“ der Bundesregierung aufgenommen als ein „Kultureller Gedächtnisort mit nationaler Bedeutung“.“

Und all das steht auf dem Spiel, wenn die Stelle des Leiters des Literaturmuseums nachdem Peter Böthig in den Ruhestand geht, nicht adäquat wieder besetzt wird. Auch her soll noch einmal Herr Böthig zu Wort kommen, der es so beschreibt: „Niemand wird dann das monatliche Lesungsprogramm, die Ausstellungen in der Galerie, dem Archivschaufenster und der Remise und das Stadtschreiber-Programm kuratieren, die Sammlung erhalten und entwickeln, die wissenschaftliche Betreuung des Alfred Wegener Museums übernehmen oder die zwingend notwendige Netzwerkarbeit erledigen. Ohne Leitung wird das Museum einen langsamen, qualvollen und unansehnlichen Tod sterben. Es wird dahinsiechen, bis es niemand mehr braucht und vermisst. (…) Eine schleichende Abwicklung des Museums würde den Verlust einer einmaligen Sammlung und eines großen kulturpolitischen Potentials, einer wichtigen erinnerungspolitischen und demokratiefördernden Institution im Land Brandenburg bedeuten. Schade für die Menschen, für Rheinsberg, den Landkreis und für das Land.“

Und ich möchte hinzufügen: Dieser Umgang der Freien Wähler in der Stadtverordnetenversammlung und des Bürgermeisters der Stadt Rheinsberg, Rudi Schwochow, mit einer solchen national bedeutenden kulturpolitische Institution ist unverantwortlich! Damit wird nicht nur die Jahrzehnte lange herausragende Arbeit, die hier geleistet wurde, aufs Spiel gesetzt, sondern auch den Ruf der Stadt und deren touristische Anziehungskraft.

Und es ist geschichtsvergessen: Gerade in der jetzigen Zeit, wo Rechtspopulisten und Rechtsextreme wieder auf dem Vormarsch sind, wo Hass gegen Fremde wieder zum Alltag gehört und Antisemitismus wieder aufflammt, wird das Erbe eines der bedeutendsten antifaschistischen, jüdischen Publizisten der Weimarer Zeit und der ersten Jahre des Nationalsozialismus auf diese Weise aufs Spiel gesetzt. Es ist beschämend!

Aber was tun?

Zuerst ist es wichtig, Bewusstsein zu schaffen, in der Stadt, in der Region, im Land. Die bisherigen Presseartikel zu diesem Vorgang sprechen nicht dafür, dass den Journalistinnen und Journalisten die kulturpolitische Dimension dieser Entscheidung der Freien Wähler in der Stadtverordnetenversammlung bewusst ist. Und auch in der politischen Öffentlichkeit und der aktiven Zivilgesellschaft fehlt es bisher an Information. Auch deshalb schreibe ich diesen Blog-Artikel. Und ich wünsche mir sehr, dass er weite Verbreitung findet!

Detlef Fuchs bei seiner Rede zur Eröffnung der Langen Nacht der Künste am 4. November 2023.

Und dann braucht es Empörung. Empörung in der Stadt, hier haben sich schon einige zu Wort gemeldet, bspw. der Vorsitzende des Kunst- und Kulturvereins Rheinsberg, Detlef Fuchs, der bei der Eröffnung der Langen Nacht der Künste in bewegenden Worten davor gewarnt hat, das Museum nicht sterben zu lassen. In der Stadt haben auch die ersten Aktivitäten bereits begonnen, bspw. mit einer Unterschriftensammlung für das Museum. Aber auch weitere Aktivitäten sind in Planung.

Es braucht aber auch Empörung, Protest und Solidarität in der Region und aus Land und Bund. Von den Touristikern der Region, weil ein kulturelles Highlight und kultureller Anziehungspunkt aufs Spiel gesetzt wird. Vom kulturell interessieren Publikum und den Kulturschaffenden, weil es kulturell ärmer wird in der Region. Und natürlich von der Politik, die kein Interesse daran haben kann, dass eine solche Institution den Tod auf Raten stirbt. Lasst uns gemeinsam mit Veranstaltungen, Briefen, Artikeln, Aktionen auf die Situation hinweisen und alle unsere Kanäle nutzen, die zu einem Umdenken führen könnten. Wenn alle mitmachen, wird es eine Lösung geben, die sichert, dass das einzigartige Kurt Tucholsky Literaturmuseum Rheinsberg auch weiterhin ein Ort lebendiger Kultur in der Region bleibt!