Nachgefragt: Schutz jüdischer Einrichtungen und antisemitische Straftaten 2014 bis 2019  in Brandenburg

Nachgefragt: Schutz jüdischer Einrichtungen und antisemitische Straftaten 2014 bis 2019 in Brandenburg

Anlässlich des Anschlags auf die Synagoge in Halle im Oktober haben mein Abgeordnetenkollege Andreas Büttner und ich eine Anfrage zum Schutz jüdischer Einrichtungen an die Landesregierung gestellt. Die Antwort sowie Anlage 1, Anlage 2 und Anlage 3 liegen nun vor.

Die Landesregierung teilt mit, dass sie bereits vor dem Anschlag in Halle die Gefährdungseinschätzung hatte, dass Gewalttaten gegen jüdische Einrichtungen durch rechtsextreme Kleingruppen und  Einzeltäter drohen. Sie sieht zwar keine stärkere Geführdung infolge des Anschlages, spricht jedoch von einer „abstrakten Gefährdung“, die nun nachhaltig manifestiert sei.

Zwar macht die Landesregierung nur allgemein Aussagen zum Schutz jüdischer Einrichtungen, die vor allem durch unregelmäßige und regelmäßige Bestreifung aber auch ständigen Objektschutz gewährleistet werden, konkrete Maßnahmen beschreibt sie jedoch mit Verweis auf die Sicherheitsrelevanz nicht.

Man gewinnt den Eindruck, dass der Schwerpunkt des Handelns der Landesregierung auf polizeilichen Maßnahmen liegt, sich das Land jedoch bei der Förderung anderer Sicherheitsmaßnahmen zu sehr zurück hält. So wurden zwar Maßnahmen zur Erhöhung des materiell-technischen Grundschutzes der Synagoge in Cottbus sowie die bauliche Ausstattung des Abraham-Geiger-Kollegs gefördert, für weitere Objekte verweist die Landesregierung jedoch auf die Verantwortung von Eigentümern und Vermietern der jeweiligen Objekte. Dies ist aus meiner Sicht nicht ausreichend. Angesichts der bestehenden Bedrohung ist es fahrlässig, die jüdischen Gemeinden und weiteren Einrichtungen jüdischen Lebens in Brandenburg mit dem Problem der technischen und baulichen Schutzmaßnahmen alleine zu lassen. Hier braucht es unbedingt mehr Sensibilität!

Dass die Bedrohung nicht nur abstrakt ist, machen die durch uns abgefragten Vorfälle deutlich. So wurden in den Jahren 2014 bis Mitte Oktober 2019 23 jüdische Einrichtungen bzw. Objekte angegriffen. In der Regel handelt es sich dabei um Sachbeschädigungen und Propagandadelikte (siehe zu Sachverhaltsdarstellungen Anlage 1). Den Sachverhaltsdarstellungen kann man entnehmen, welch Hass hinter diesen Taten steckt.

Mich hat bereits der Blick in diese erste Anlage erschreckt. Der Blick in Anlage 2 brachte mich jedoch kurzzeitig außer Fassung. Hier haben wir nach weiteren antisemitischen Straftaten in Brandenburg in den Jahren 2014 bis Mitte Oktober 2019 gefragt. Mir war bewusst, dass wir ein Problem in diesem Bereich haben, dass jedoch 510 weitere antisemitische Straftaten (inkl. der Angriffe auf jüdische Einrichtungen also 533 Straftaten) in nicht einmal sechs Jahren in Brandenburg verübt wurden, hatte ich nicht erwartet! Und die Zahlen steigen. Es ergibt sich folgendes Bild, wenn man die Straftaten nach Jahren aufschlüsselt (in der Übersicht sind jeweils die Angriffe auf jüdische Einrichtungen und die weiteren antisemitischen Straftaten addiert):

2014: 94
2015: 83
2016: 86
2017: 69
2018: 95
2019 (bis Mitte Oktober): 100.

3 dieser 533 antisemitischen politisch motivierten Straftaten werden dem Phänomenbereich „Ausländerkriminalität“, 7 dem Phänomenbereich „Religiöse Ideologie“ und 514 dem Phänomenbereich „Rechts“ zugeordnet. 9 dieser Straftaten konnten keinem Phänomenbereich zugeordnet werden.

Unter diesen Straftaten sind nicht etwa „nur“ Propagandadelikte. Es finden sich unter anderem 1 Herbeiführen einer Spregstoffexplosion, 44 Sachbeschädigungen, 51 Beleidigungen, 11 Bedrohungen und – besonders erschreckend – 15 Körperverletzungsdelikte. Das zeigt, dass Jüdinnen und Juden in Brandenburg Anfeindungen ausgesetzt sind, auch Gefahr laufen, körperlich angegriffen zu werden und jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten ebenso wie Einrichtungen jüdischen Lebens angegriffen werden. Das darf nicht sein! Gerade aufgrund der deutschen Gesichte haben wir eine besondere Verantwortung dafür, dass Jüdinnen und Juden nicht in Angst leben müssen und ihre Einrichtungen wie auch die Gedenkstätten der Shoa geschützt werden.

Wir werden den in der Antwort der Landesregierung genannten schweren Straftaten durch Nachfragen weiter nachgehen. Gleichzeitig werden wir künftig regelmäßig nach antisemitischen Vorfällen fragen, um die Entwicklung im Blick zu behalten und die Sensibilität der Öffentlichkeit wie der Sicherheitsbehörden für diese Straftaten zu erhöhen. Und wir werden darauf dringen, dass die Landesregierung ein umfassendes Konzept zur Sicherung jüdischer Einrichtungen in Brandenburg unter Einbeziehung der jüdischen Akteur*innen entwickelt.

 

Für die Presse haben wir zu dieser Anfrage folgende Zitate frei gegeben:

Andreas Büttner: „Die vom Innenministerium mitgeteilten Zahlen sind erschreckend und zeigen, dass die Bedrohungslage für jüdische Einrichtungen weiter hoch ist. Ich erwarte ein umfassendes Neukonzept zum Schutz jüdischer Einrichtungen in Brandenburg.“

Andrea Johlige: „Über 500 antisemitische Straftaten in Brandenburg in nicht einmal sechs Jahren zeugen davon, dass jüdische Einrichtungen und Jüdinnen und Juden eines besonderen Schutzes bedürfen. Gleichzeitig braucht es den breiten Willen aller Akteure in Politik, Kultur und Zivilgesellschaft, ein lebendiges jüdisches Leben in Brandenburg zu ermöglichen, und antisemitischen Ressentiments, die tief in der Gesellschaft verankert sind, entschlossen entgegen zu treten.“