Rede zum Antrag Verschwörungserzählungen bekämpfen! Friedliches Zusammenleben sichern!
Gemeinsam mit den Freie Wählern haben wir einen gemeinsamen Antrag eingebracht, der sich damit beschäftigt, Verschwörungserzählungen zu bekämpfen.Die Regierungskoalition hat dazu einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt. Letzterer wurde beschlossen.
Meine Einbringungsrede ist hier als Video verfügbar.
Meine Rede am Ende der Debatte ist hier als Video verfügbar.
Mein Skript der Einbringungsrede dokumentiere ich hier:
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„Angela Merkel ist Hitlers Tochter“, „Die Eliten der Welt sind in Wahrheit Echsenmenschen, die die Menschheit unterdrücken“, „Eine weltweite Finanzelite will die Neue Weltordnung schaffen“, „Regierungen versprühen Chemikalien aus Flugzeugen, um die Menschen gefügig zu machen“, „Unter der Führung von Hilary Clinton existiert ein weltweiter Kinderschänderring“, „Das Corona-Virus wurde frei gesetzt, um eine Diktatur zu errichten“, „Bill Gates nutzt das Corona-Virus – wenn er es nicht sogar erfunden hat – um seine Chips in die Menschen zu spitzen“, und „Die Erde ist doch eine Scheibe“. So krude all das klingt, so bitter ist es sagen zu müssen, daran glauben Menschen, auch in Brandenburg. Sie glauben daran nicht nur, sie sind der festen Überzeugung, dass es genau so ist, und alle anderen es nur noch nicht verstanden haben. Sie sind die Erleuchteten und die anderen sind Schlafschafe, denen durch Agitation und Propaganda die Einsicht in das wahre Gesicht der Welt gegeben werden kann.
All das sind Verschwörungserzählungen, und dieses boomen gerade. Das ist nicht vollständig verwunderlich. Krisenzeiten sind Hochzeiten von Verschwörungsideologien. Und da verwundert es nicht, dass angesichts der Verunsicherung durch die Pandemie, der Verschwörungsglaube weltweit auf dem Vormarsch ist. Nun ist es aber nicht so, dass das am Ende einer Krise einfach wieder verschwindet. Und deshalb muss man dieser Entwicklung entgegen wirken.
Entgegenwirken muss man auch aus einem weiteren Grund: Es bleibt etwas in der Gesellschaft zurück. Dazu ein Beispiel: Die Protokolle der Weisen von Zion, veröffentlicht Anfang des vergangenen Jahrhunderts, waren eine Fälschung und wurden recht schnell als solche entlarvt. Diese Verschwörungserzählung ist wohl die, die den größten Schaden angerichtet hat. Sie traf auf Jahrhunderte gewachsene antisemitische Ressentiments, bediente und verschärfte diese und trug letztlich dazu bei, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, die Shoah, möglich zu machen. Und bis heute berufen sich Antisemiten weltweit auf diese Verschwörungserzählung. Es bleibt also etwas zurück in der Gesellschaft für sehr lange Zeit, und auch deshalb muss man etwas tun.
Aus der Geschichte wissen wir, dass es eigentlich immer Verschwörungserzählungen gab. Es gab Zeiten, da waren sie quasi Volksglaube, im Nationalsozialismus sogar Staatsideologie. Gerade in den vergangenen zwei Jahrhunderten war die intensive Beschäftigung mit Verschwörungserzählungen jedoch oft in der oberen Mittelschicht verortet. Das hatte etwas mit der Verfügbarkeit zu tun. Wer an eine Verschwörung glaubt, will es ganz genau wissen, braucht Erklärungen, die von der offiziellen Erzählung abweichen. Das war vor der Verbreitung des Internets nicht immer einfach. Heute ist das anders. Jede und jeder kann sich in wenigen Stunden im Internet in die Welt der Verschwörungserzählungen versenken. Andere Interessierte zu finden ist über die sozialen Medien ebenfalls keinerlei Problem. Die Verfügbarkeit ist also viel größer als in früheren Jahrhunderten. Und auch deshalb müssen wir etwas tun.
Verschwörungserzählungen wirken nicht nur im Denken. Sie werden auch zu Taten. Nicht erst seit der Pandemie. Anders Breivik, der Attentäter von Utoya war nicht nur verwurzelt im rechtsextremen Milieu, er glaubte auch an Verschwörungserzählungen, ebenso wie die Attentäter von Halle oder Hanau. Aktuell beobachten wir vor allem eine starke Radikalisierung bei QAnon-Anhängern und auch in der Querdenker-Szene. Und das nicht erst seit dem Stürmchen auf den Reichstag oder Sturm auf das Capitol. Der Verfassungsschutz hat gerade vorgestern in seiner Vorabveröffentlichung auf die Gefahren, die sich mit QAnon verbinden, aufmerksam gemacht. Wir beobachten also eine Radikalisierung der Szene, eine starke Verankerung in rechtsextremen Netzwerken und es kam auch schon zu massiven Gewalttaten von Verschwörungsgläubigen. Und auch deshalb besteht Handlungsbedarf.
Und es gibt einen weiteren Grund, warum wir etwas tun müssen. Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit Verschwörungserzählungen. Ich habe viele Menschen in die Szene hineingeraten sehen, und nur wenige konnten sich daraus wieder befreien. Sie haben teilweise ihr gesamtes soziales Umfeld verloren, Familien, Freundeskreise, Beziehungen gingen zu Bruch. Und ihre Familien, Freunde und Partner wollten etwas dagegen tun, wollten sie aus dem Sumpf wieder raus ziehen, und wussten nicht wie. Sie haben es mit Fakten versucht, mit Bitten und Flehen und manchmal auch mit der Drohung den Kontakt abzubrechen. Und oft haben sie es damit noch schlimmer gemacht, den Betroffenen noch stärker in die Szene getrieben.
Und genau das passiert aktuell jeden Tag in Deutschland. Und diejenigen, die ihre Freunde oder Familienangehörigen da wieder raus holen wollen, sind nahezu allein. Zwar gibt es mittlerweile einige gute Internetseiten zum Thema, aber spezifische Informations- und Beratungsangebote sucht man vielerorts und auch in Brandenburg vergebens.
Niemand wacht morgens auf und glaubt auf einmal an Verschwörungserzählungen. Gerade in der Anfangsphase des Abrutschens kann entgegengewirkt werden. Dafür müssen aber Freundinnen und Freunde, Familienangehörige, aber auch Lehrerinnen, Kolleginnen, Ärztinnen, Trainer oder auch Behördenmitarbeiterinnen in die Lage versetzt werden, die Anzeichen zu erkennen und schnell und sachkundig entgegen zu wirken.
Der vorliegende Antrag will deshalb, Beratungsangebote für Betroffene und deren Umfeld, Fortbildungsangebote für Multiplikator*innen sowie Aufklärungs- und Informationsangebote schaffen. Er will die Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden und eine wirksame Unterstützung der Akteure vor Ort. Und er will die Forschung in diesem Bereich stärken, die antisemitischen Konnotationen besonders in den Blick nehmen und vor allem diejenigen unterstützen, die zu Opfern der Verschwörungserzählungen werden, also von Verschwörungsideologen mit Hetze und Drohungen überzogen werden und damit erst einmal allein sind.
Nun hat dieser Antrag eine längere Vorgeschichte. Den ersten Antrag zum Thema haben wir bereits im Februar vorgelegt. Ich freue mich sehr, dass sich jetzt augenscheinlich etwas bewegt und die Koalition einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt hat, der in den vorgeschlagenen Maßnahmen nur wenig hinter unserem Antrag zurück bleibt. An einigen Stellen fügen sie sogar Maßnahmen hinzu, die in unserem Antrag fehlen, bspw. bei der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft, die sich ja bekanntlich im Fall Attila Hiltmann nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Wenn man die Anträge nebeneinander legt, erschließt sich allerdings nicht, weshalb es nicht zu einer gemeinsamen Initiative der demokratischen Fraktionen gekommen ist, weil zumindest in den angestrebten Maßnahmen sind wir recht nah beieinander.
Allerdings habe ich mich über Ihre Problembeschreibung gewundert. Sie kommt eher unpolitisch daher und beschäftigt sich fast nur mit den Phänomenen im Internet, also mit den Auswirkungen, nicht jedoch mit den stattfindenden gesellschaftlichen Entwicklungen und deren Ursachen. Es macht fast den Eindruck, als würden Verschwörungsideologien aus dem Nichts kommen. Und so bleibt in Ihrem Antrag unterbelichtet, dass der Antisemitismus der Kitt ist, der die Szene zusammenhält, die entstehenden Mischszenen und die daraus erwachsenden Netzwerke in den organisierten Rechtsextremismus bleiben ebenfalls außen vor. Letztlich entpolitisieren Sie das Phänomen. Dennoch bin ich froh, dass Sie als Koalition nun doch bereit sind, sich dem Problem zuzuwenden und trotz der abweichenden Problembeschreibung ebenfalls Maßnahmen ergreifen wollen, die wir auch vorgeschlagen haben. Ich freue mich auf die Debatte.“