Rede zur zweiten Lesung der Kommunalverfassung
Dem Landtag lag der den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Modernisierung des Kommunalrechts vor. Er war in den Ausschüssen diskutiert worden und wurde nun in zweiter Lesung verabschiedet.
Die Debatte, in der ich neben meiner Rede in einer Reaktion auf eine Kurzinterventionen und auch eine eigene Kurzintervention auf Probleme im Gesetz hingewiesen habe, ist hier als Video verfügbar.
Meine Rede und die Kurzinterventionen, zitiert nach vor vorläufigen stenografischen Niederschrift dokumentiere ich hier:
„Die Kommunalverfassung ist die Grundlage der Arbeit der Kommunen, der Verwaltungen und der ehrenamtlichen Vertreterinnen und Vertreter. Einen breiten Beteiligungsprozess gab es für Verwaltungen – schon im Vorfeld durch das Ministerium, mehrfach bei den Eckpunkten und beim Gesetzentwurf, dann im Ausschuss in zwei Anhörungen. Das Problem: Es gab keine Beteiligung der Tausenden Ehrenamtlichen, die jeden Tag mit der Kommunalverfassung arbeiten müssen.
Als uns in der Anhörung auch die kommunalen Spitzenverbände sagten, dass ihrerseits keinerlei Beteiligung der Vertreterinnen und Vertreter stattgefunden hat, haben wir Linke einen praktischen Vorschlag gemacht, wie dieses Defizit zu beheben wäre. Doch es passierte genau das, was wir in diesem Prozess mehrfach mit der Koalition erlebt haben: Erst hieß es, ja, müsste man machen, dann hatte irgendeiner der Koalitionspartner Bedenken, und am Ende passierte gar nichts.
So ist es das erste Mal in der Geschichte des Landes Brandenburg, dass eine solch umfangreiche Änderung der Grundlage der Arbeit der Kommunen beschlossen wird, ohne dass die Tausenden Ehrenamtlichen in den Ortsbeiräten, in den Gemeindevertretungen, in den Stadtverordnetenversammlungen und in den Kreistagen auch nur ein Mal ihre Meinung dazu sagen konnten. – Meine Damen und Herren von der Koalition, das ist wirklich ein Armutszeugnis!
Das sieht man auch an den Regelungen, denn zumindest hinsichtlich der Demokratieentwicklung zeugt diese Kommunalverfassung von Kraft- und Mutlosigkeit. Wer gehofft hatte, dass die kommunale Demokratie gestärkt würde, wurde enttäuscht: Bürgerräte als Instrument der Beteiligung – abgelehnt! Stärkung der Beauftragten – abgelehnt! Kürzung des Ausschlusskatalogs bei Bürgerbegehren – abgelehnt! Verankerung von Integrationsbeiräten – abgelehnt! Senkung der Mindesteinwohnerzahl, ab der eine hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte eingesetzt werden muss – abgelehnt! Grundsätzliches Teilnahmerecht für Gemeindevertreter amtsangehöriger Gemeinden an Sitzungen des Amtsausschusses oder von Ortsvorstehern an Sitzungen der Gemeindevertretungen – abgelehnt! Informationsverpflichtung der Hauptverwaltungsbeamten über Änderungen in der Struktur der Verwaltung gegenüber der Gemeindevertretung – abgelehnt! Die Kommunalaufsicht als Vermittlerin bei Streitigkeiten zwischen Organen der Gemeinde – abgelehnt! Und auch die Festschreibung einer Beratungsfunktion für die kommunalen Vertreterinnen und Vertreter – abgelehnt!
Schade, dass wir genau dazu im Ausschuss kaum diskutieren konnten, denn abgesehen von der SPD waren leider nur Abgeordnete der Koalition anwesend, die nicht an beiden Anhörungen teilgenommen hatten. Wie so im Ausschuss eine wirklich fachliche Diskussion über die beste Lösung stattfinden kann, bleibt das Geheimnis von CDU und Grünen.
Aber, meine Damen und Herren, um dem allen noch die Krone aufzusetzen, wurde auch noch unser Änderungsantrag abgelehnt – wir wollten § 69 Abs. 6 abschaffen. Diese Regelung sieht vor, dass Kommunen, die zu Beginn des Haushaltsjahres nicht mindestens einen Jahresabschluss des vorvergangenen Jahres aufgestellt oder des vorvorvergangenen Jahres beschlossen haben, automatisch in die vorläufige Haushaltsführung gelangen.
Das wurde bereits vor zwei Jahren von der Koalition beschlossen – wir haben damals davor gewarnt – und soll ab 01.12.2024 gelten. Würde diese Regelung heute schon gelten, hieße das, dass mehr als 70 % der Städte und Gemeinden und auch einige Landkreise aktuell in der vorläufigen Haushaltsführung wären, ausweislich einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage von mir.
Meine Damen und Herren, das wären unter anderem alle Kommunen in Ostprignitz-Ruppin, alle Kommunen in Oberspreewald-Lausitz und alle Kommunen – bis auf eine einzige amtsangehörige Gemeinde – in Oder-Spree. Sie können sich gerne diese Anfrage anschauen – dann sehen Sie, wer noch betroffen wäre.
Heute habe ich in der Zeitung gelesen, dass Herr Redmann sagte, das alles sei nicht schlimm – die dürften dann einfach nur nichts Neues mehr anfangen. Mit Verlaub, Herr Redmann, Sie haben keine Ahnung. Da empfehle ich einen Blick in den Runderlass des Innenministeriums zum Thema – das hilft an der Stelle wirklich weiter.
Diese Kommunen befinden sich quasi in einer haushaltslosen Zeit. Da geht gar nichts mehr: keine freiwilligen Ausgaben, keine neuen Investitionen, keine neuen Stellenausschreibungen, keine Neueinstellungen. Oder – praktisch ‑, für Herrn Redmann: Die Gemeinde – nennen wir sie einmal „Rote Heide“ – hat 2017 ihren letzten Jahresabschluss vorgelegt. Der Kämmerer war leider lange krank – und in der Peripherie von Brandenburg gibt es in diesem Bereich ja auch einen gewissen Personalmangel. Vielleicht hätte die Gemeinde Rote Heide es geschafft, bis Ende 2024 die fehlenden Jahresabschlüsse zu erstellen. Dann kamen aber die Grundsteuerreform, die Umsatzsteuerreform und die Softwareumstellung, und wegen dieser Reformen dauert es bis heute an. So wird das nichts! So wird das mit dem Aufholen bei den Jahresabschlüssen bis Ende 2024 nichts – es ist absehbar, dass es bis 2025 dauert, wahrscheinlich bis zum Ende des Jahres.
Was heißt das denn praktisch für die Gemeinde Rote Heide? Der Sportverein besteht seit hundert Jahren und will feiern – die Gemeinde darf aber leider kein Geld dafür geben, weil es eine freiwillige Aufgabe ist. Deshalb gibt es 2025 in Rote Heide auch kein Stadtfest – und auch der Weihnachtsmarkt muss leider ausfallen. Die Vereinsförderung liegt auf Eis. Endlich hat sich für das Bauamt ein Ingenieur gefunden – er darf aber nicht eingestellt werden, weil es keinen Haushalt gibt.
Das Land hat für Jugendclubs ein neues Förderprogramm aufgelegt – mit einer 95‑prozentigen Förderung. Aber es gibt keinen Haushalt, und neue Investitionen sind nicht möglich. Deshalb verfallen die Fördermittel leider. Investitionen in die IT‑Technik, in Straßen oder in die Infrastruktur – Fehlanzeige. Die neuen Gemeindevertreter, die im Juni gewählt wurden, haben leider nichts zu entscheiden – weil es nichts zu entscheiden gibt, weil völlig klar ist: Das nächste Jahr ist eine haushaltslose Zeit.
Meine Damen und Herren, was das für die kommunale Demokratie in diesem Land bedeutet, können Sie sich alle vorstellen – viele von Ihnen sind Gemeindevertreter. Deshalb noch einmal die dringende Bitte: Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu. Schaffen Sie diese unsägliche Regelung ab. Sie bewirkt in unseren Kommunen Stillstand und Handlungsunfähigkeit – das kann niemand wollen. Wer diesem Antrag nicht zustimmt, handelt unverantwortlich. – Herzlichen Dank.“
Meine Reaktion auf die Kurzinternetion von Herrn Noack (SPD) folgt hier:
„Herr Noack, wir alle haben Vertreterinnen und Vertreter unserer Parteien beteiligt. Wir wissen aber, dass es inzwischen sehr viele parteiungebundene Vertreterinnen und Vertreter in den Kommunen gibt. Sie hatten an keiner Stelle die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Sie haben übrigens auch keine kommunalpolitische Vereinigung – und das ist ein Problem.
Zweiter Punkt. Herr Noack, ich weiß gar nicht, wie oft ich das schon gesagt habe: Kommunen sind keine Unternehmen. Und das müssen wir dann auch mal lernen. Nun kann man sich oft über den Sinn oder Unsinn von Doppik streiten. Es gibt sicherlich einen Grund dafür, dass wir auf Landesebene keine Doppik haben; im Übrigen ist das ein anderer Punkt.
Wenn aber die vorläufige Haushaltsführung der Normalzustand werden wird – und dahin treiben Sie die Kommunen gerade, selbst wenn der Druck auf dem Kessel bleibt und es nur noch 50 % der Kommunen und nicht 70 % sind -, haben wir immer noch ein flächendeckendes Problem.
Wenn die vorläufige Haushaltsführung zum Normalzustand in diesem Land wird, hat das Auswirkungen. Das hat Auswirkungen auf die Kommunen. Das hat aber auch Auswirkungen auf die Wirtschaft, wenn hier nicht mehr investiert werden kann. Und es hat im Übrigen auch Auswirkungen auf die Wahlgeschenke der Koalition, wenn die nämlich am Ende nicht alle ausgegeben werden können, weil die Kommunen handlungsunfähig sind. Das ist doch das Problem!
Ich möchte aus dem Runderlass des Innenministers nur einen Satz zitieren, weil der alles sagt: „Der finanzwirtschaftliche Handlungsspielraum einer Kommune mit genehmigtem HSK ist wesentlich weitreichender als für Kommunen in haushaltsloser Zeit […].“
Und genau das tun Sie gerade. Wir wissen alle, dass Haushaltssicherung nicht schön ist. In die haushaltslose Zeit treiben Sie aber gerade 70 %, vielleicht auch „nur“ 50 % aller Kommunen. Das ist Stillstand, und das ist Handlungsunfähigkeit. Darüber werden wir hier noch mehrfach reden müssen.“
Und dann habe ich noch eine Kurzintervention zur Rede des Innenministers gemacht. Diese ist hier dokumentiert:
„
Herr Minister, dass die Kommunen gerade ganz doll aufholen würden, hören wir von Ihnen schon seit Jahren. Das Problem ist, dass dies die Zahlen Ihrer Antwort nicht hergeben. Es sind eher mehr geworden, übrigens vor allem im Bereich der Landkreise. Nun können wir als Gesetzgeber natürlich – die Koalition wird es ja vermutlich tun – nach dem Prinzip Hoffnung gehen. Nachdem wir nun auch den Änderungsantrag der Koalitionsfraktion gesehen haben, weiß die Koalition sehr genau, dass sie da gerade Mist baut, aber sie beauftragt jetzt auch noch die Landesregierung, diesen Mist zweieinhalb Jahre lang zu beobachten, indem sie eine Evaluationsregelung hineinbringt.
Ich sage es noch einmal: Wir brauchen mindestens – mindestens – eine Regelung für diejenigen, die es immer schaffen und die immer gut gearbeitet haben, die den Termin aber nicht schaffen, aus welchen Gründen auch immer: weil der Kämmerer krank ist, weil sich der Gesetzgeber mal wieder überlegt hat, dass eine Grundsteuer- oder eine Umsatzsteuerreform kommt oder Ähnliches, weil die Softwareumstellung nicht hinterherkommt usw. Zumindest für diese gesunden Kommunen, die immer ihre Aufgaben erledigt haben, auch im finanziellen Bereich und in der Haushaltswirtschaft, sollte es eine Ausnahmeregelung geben. Das haben wir im Haushaltsausschuss als Kompromiss vorgeschlagen, aber die Kollektion hat es abgelehnt. Das wird sehr vielen Kommunen im nächsten Jahr auf die Füße fallen. Ich werde Sie daran erinnern, das verspreche ich.“