Straftaten in der Silvesternacht in Köln - Der Versuch einer Positionierung

Straftaten in der Silvesternacht in Köln – Der Versuch einer Positionierung

Seit einigen Tagen erreichen mich vermehrt Anfragen, wie ich die Ereignisse am Silvesterabend in Köln, bei denen zahlreiche sexuelle Übergriffe, Diebstähle und weitere Straftaten aus einer Menschenmenge heraus, begangen wurden, einschätze. Ich gebe zu, ich musste darüber auch erst einmal einen Moment nachdenken. Mittlerweile bin ich aber so weit, dass ich ein paar Gedanken dazu aufschreiben kann.

Zuerst einmal ist zu sagen: Jede Straftat, wo auch immer sie geschieht und von wem auch immer sie begangen wird, muss konsequent verfolgt und im Rahmen der geltenden Gesetze bestraft werden. Insofern könnte ich es mir jetzt einfach machen und sagen, das ist die Antwort und gut ist. Allerdings gibt es weitere, eher gesellschaftspolitische Dimensionen, die beleuchtet werden wollen.

Es war zu lesen, diese Straftaten wären aus einer 1000-köpfigen Menschenmenge heraus begangen worden, die vor allem aus Personen „aus dem nordafrikanischen Raum“ stammten. Mittlerweile gibt es nach Angaben der Polizei mehr als 150 Anzeigen, drei Viertel beziehen sich auf sexuelle Übergriffe, darunter zwei Vergewaltigungen. Es ist völlig egal, ob die Täter aus dem „nordafrikanischen Raum“ kommen oder nicht – die Taten sind zu verurteilen, ohne Wenn und Aber.

Natürlich ist eine solche Nachricht aber auch gut, um fremdenfeindliche Ressentiments zu schüren und natürlich ist dies in der aktuellen gesellschaftlichen Situation Sprengstoff für die Debatte um die Aufnahme von Geflüchteten. Ist dies doch geeignet, gleichmehrere Vorurteile zu bedienen, von „die sind alle kriminell“ über „die akzeptieren Frauen nicht“ bis hin zu „die vergewaltigen unsere Frauen“.

Müssen wir deshalb Asylgesetze verschärfen, schneller abschieben oder die Grenzen dicht machen? Nein! Vor allem müssen wir die vorhandenen rechtsstaatlichen Mittel anwenden. Klar ist: Haben sich Flüchtlinge (ob nun anerkannt oder noch im Verfahren) an dieses Straftaten beteiligt, droht ihnen die Abschiebung. Die Gesetzeslage ist hier eindeutig. Das Asylrecht duldet niemanden, der im aufnehmenden Land schwere Straftaten begeht. Das ist übrigens keine deutsche Erfildung, sondern steht in der Genfer Flüchtlingskonvention. Dort heißt es in Artikel 33 Absatz 2, dass sich derjenige Flüchtling auf die Vergünstigungen der Konvention nicht berufen kann, „der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde“.  Der Rechtsstaat ist insofern auf solche Situationen vorbereitet. Der Ruf nach härteren Gesetzen ist deshalb bestenfalls eigene Profilierung, in der Regel aber wohl vor allem der willkommene Anlass für eh geplante Gesetzesverschärfungen.

Das Hauptproblem in der Situation der Silvesternacht scheint mir jedoch zu sein, dass staatliches Handeln die Straftaten nicht verhindern konnte und nicht einmal ausreichte, die Täter dingfest zu machen. Ich kann nicht beurteilen, ob dies an der polizeilichen Einsatztaktik lag oder nicht. Klar ist, diese Bilder verstärken den Eindruck, dass staatliches Handeln die Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend schützen kann. Nicht Gesetze verschärfen sondern die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, solche Situationen zu bewältigen und die wo möglich im Vorfeld zu verhindern, sind deshalb die Herausforderungen. Das gilt übrigens gleichermaßen für andere geänderte gesellschaftliche Entwicklungen wie die zunehmenden Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Flüchtlinge und deren HelferInnen oder  das verstärkte Demonstrationsgeschehen – all dies sorgt dafür, dass Polizei und Justiz extrem belastet sind. Und Politik, auch linke Politik, muss darüber nachdenken, was zu tun ist. Die Antwort kann sicher nicht allein sein, dass es mehr Polizisten und Richter braucht, und dann wird alles gut. Aber gehört es nicht zumindest dazu?

Gleichzeitig gilt es – und das ist übrigens viel schwerer als Polizisten einzustellen – ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem Straftaten, egal von wem sie begangen werden, geächtet sind; eine Gesellschaft, in der alle daran arbeiten, gemeinsam gut miteinander zu leben ohne die Rechte des Anderen zu beschränken.

Ja, die Ereignisse der Silvesternacht haben Rassisten und Fremdenfeinden in die Hände gespielt. Fremdenfeindlichkeit lebt von Verallgemeinerung und Schubladen. Insofern werden die Debatten für all jene, die sich gegen rassitische Ressentiments wehren, in den kommenden Wochen nicht einfacher. Und natürlich entdecken sich nun die „besorgten Bürger“, Pegida, AfD & Co als neue Kämpfer für die Rechte der Frauen. Der deutschen Frau versteht sich. Nicht weil es ihnen darum geht, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen, sondern weil es ihren Zielen und der Hetze gegen alles was „fremd“ ist, dient. Wir dürfen nicht zulassen, dass die aktuellen Debatten als Rechtfertigung für weitere Asylrechtsverschärfungen herangezogen werden. Es gibt in Deutschland aus gutem Grund keine Sippenhaft, wie das Asylrecht ist auch das Strafrecht ein individuelles Recht, das den Täter bestraft, nicht diejenigen, die in der gleichen Straße wohnen oder im gleichen Ort geboren sind. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass Tausende für die Taten weniger in Haftung genommen werden, indem die Ereignisse der Silvesternacht nun als willkommener Vorwand dienen, das Asylrecht weiter zu verschärfen, wie CDU und CSU es mit Rückendeckung der AfD und Pegida & Co nun versuchen.

Es gibt aber weitere Dimensionen der aktuellen Debatte. Klar ist, es war in der Silvesternacht massiv Alkohol im Spiel. Das entschuldigt nichts, es erklärt aber vielleicht ein wenig die Situation. Es ist bekannt, dass gruppendynamische Prozesse unter Alkoholeinfluss schneller und stärker eskalieren können. Alkohol ist eine der größten Geißeln der modernen Gesellschaft. Als kulturell anerkannte Droge macht sie Menschen kaputt und sorgt nicht selten für Enthemmung, die zu körperlicher und sexueller Gewalt führen kann. Das ist bei „deutschen Männern“ (und Frauen!) genauso wie bei denjenigen anderer Herkunft. Da hilft aus meiner Sicht nur Prävention und Aufklärung – für alle Bevölkerungsteile.

Und nun mal zu der Dimension der sexualisierten Gewalt: Es ist bekannt, dass bei großen Menschenansammlungen, bei denen viele Menschen gemeinsam Alkohol konsumieren, exzessive Situationen entstehen können. Nehmen wir einmal das Münchner Oktoberfest (ich weiß, das wurde in den vergangenen Tagen häufig herangezogen, es passt aber eben auch in diese Diskussion..). Hier kommt es in jedem Jahr zu massig Straftaten: Bierkrugschlägereien, Prügeleien, sexuelle Übergriffe von Grapschen und manchmal auch Vergewaltigungen. Es ist bekannt, dass Frauen in dieser Zeit in München nachts besondere Vorkehrungen treffen, da vor allem der Nachhauseweg von der Wiesn als nicht sicher gilt. Gesellschaftspolitisch interessant ist, dass der bundesweite Aufschrei, den wir nach Köln erlebt haben, beim alljählichen Oktoberfest ausbleibt. Gewalt und vor allem sexualisierte Gewalt ist nie zu tolerieren. Was also sorgt dafür, dass bei dem einen die Presse voll ist und quasi jeder drüber redet, beim anderen aber vielleicht ein oder zwei Artikel erscheinen und in diesen teilweise sogar noch Frauen mitgeteilt wird, auf der Wiesn gehe es nunmal ruppiger zu und wenn man da hin gehe, wisse man das auch. Beim Oktoberfest scheint es die kulturelle Vereinbarung zu geben, dass es ok ist, mal hier der einen Frau an den Po zu grapschen und dort der anderen ins Dekollete zu greifen. Ist ein sexueller Übergriff auf dem Oktoberfest weniger zu ächten als einer vor dem Kölner Hauptbahnhof?

Dazu kann ich nur ganz klar sagen: Nein. Jede sexualisierte Gewalt ist ein massiver Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau und wird physisch, vor allem aber psychisch Spuren hinterlassen. Fast jede zweite Frau hat bereits einmal sexualisierte Gewalt erlebt, oft in der Familie oder im Freundeskreis, also dem engsten Rückzugsraum, aber eben auch bei Gelegenheiten in der Öffentlichkeit. Welche Frau kennt nicht die anzüglichen Sprüche und wann fängt sexualisierte Gewalt an? Beim nicht gewollten Kuss oder beim Grapschen? Oder doch erst beim erzwungenen Sex? Diese Frage beantwortet sicher jede Frau anders und aus ihrer eigenen Erfahrung heraus. Klar ist aber, sexualisierte Diskriminierung und Gewalt ist in der Bevölkerung lange nicht so tabuisiert, wie es aktuell erscheint. Und deshalb widert mich die aktuelle Debatte in Teilen einfach nur an. Kein Mensch redet über die Opfer, vielmehr werden sie und das, was ihnen passiert ist, missbraucht für fremdenfeindliche Ressentiments. Hat irgend jemand in den vergangenen Tagen mal gefragt, wie diesen Frauen geholfen wird, welche psychologische Hilfe ihnen angeboten wird? Ich habe nirgends dazu entwas gelesen. Geht es also eigentlich gar nicht um die Opfer? Das passt ins Bild, wird doch Gewalt gegen Frauen seit Jahrzehnten in Deutschland verharmlost. Auch hier braucht es einen gesellschaftlichen Klimawandel: Männer, die Frauen belästigen, begrapschen, vergewaltigen und schlagen sind Arschlöcher und ihre Taten müssen verhindert und geächtet werden. Immer und überall und egal woher sie kommen.