Auf den Spuren der Minderheiten im Irak - Reise in die Autonome Region Kurdistan - Reisetagebuch

Auf den Spuren der Minderheiten im Irak – Reise in die Autonome Region Kurdistan – Reisetagebuch

Vom 20. bis 28. Juli 2017 bin ich erneut in die Autonome Region Kurdistan im Irak gereist. Meine erste Reise in die Region fand im Rahmen eines Friedensmarsches im April diesen Jahres statt. Ein Reisebericht zum damaligen Aufenthalt ist hier verfügbar. Mit dabei waren dieses Mal zwei politisch aktive Freunde und Polizisten: Andreas Büttner und Francesco Pillinini.

Ziele der Reise waren – neben der Erkundung des Landes – vor allem, mehr zu erfahren über die politische Situation, die Situation der Minderheiten, vor allem der Yeziden und Christen im Irak und in der Autonomen Region und über die Flüchtlingssituation vor Ort.

Wir wollten ausloten, wie wir am besten den Menschen helfen können. Viele reden über die Bekämpfung von Fluchtursachen, über Hilfe direkt in den Krisenregionen. Nur Taten folgen dem meist nicht. Wir wollten uns anschauen, wo Hilfe am dringendsten benötigt wird, um unbürokratisch organisieren zu können, was gebraucht wird.

Und das ist die „Reisegesellschaft“: Andreas (r.), Francesco und ich.

Gleichzeitig wollten wir für all jene, die eine solche Reise nicht unternehmen können oder wollen, dokumentieren, welche Auswirkungen Krieg und Terror für Menschen, für die Städte und Dörfer, für die Kulturgüter einer Region hat. Um dies erfahrbar zu machen, plane ich eine Fotoausstellung über von der Terrormiliz Islamischer Staat zerstörte Ortschaften, die im September im Brandenburger Landtag zu sehen sein wird.

Da hatten wir uns ganz schön viel vorgenommen für ein paar Tage. Die Tage waren deshalb auch vollgepackt mit Terminen, Besichtigungen und Besuchen. In diesem ersten Blog-Artikel zu der Reise sind deshalb nur kurz die einzelnen Stationen, die wir absolviert haben, geschildert. Die Texte entstammen vor allem meinem Reisetagebuch, das ich während der Reise täglich bei Facebook veröffentlicht habe, sind jedoch an vielen Stellen ergänzt und an einigen stilistisch bereinigt. In den folgenden Wochen werden hier im Blog dann weitere Artikel zu der Reise erscheinen, die sich Schwerpunktthemen wie der Flüchtlingssituation oder der Situation der Minderheiten im Irak widmen.

Im Artikel finden sich viele Fotos der einzelnen Stationen. Diese sind vorrangig mit Handys aufgenommen. Teilweise sind sie deshalb nicht von bester Qualität, vor allem bei den vielen Gesprächen war es kaum möglich, ausgiebig zu fotografieren. Allerdings sollen sie ja vor allem der Illustration dienen und keine Kunstpreise gewinnen 😉

Wo es möglich war, habe ich auch mit der Spiegelreflexkamera fotografiert. Diese Fotos sind qualitativ deutlich hochwertiger, sie sind jedoch in der Regel außerhalb der Gesprächssituationen entstanden, weshalb sie vor allem die besuchten Orte dokumentieren. Diese ca. 650 Fotos sind bei Flickr veröffentlicht.

Zur großen Belustigung unserer yezidischen Freunde hbe ich auch mal ausprobiert, ob mir die traditionalle Kopfpebedeckung yezidischer Frauen steht.

Bevor es aber zum Tagebuch der Reise geht, möchte ich die Gelegenheit nutzen, allen, die zum Erfolg beigetragen haben, zu danken. Eine Tour durch die Autonome Region Kurdistan funktioniert nicht einfach, indem man mal hinfliegt und guckt was passiert. Vielmehr braucht man Support von Menschen vor Ort, schon um die vielen Militärkontrollen zu passieren, aber vor allem auch um die richtigen Gesprächspartner  und private Quartiergeber (Hotels gibt es nur in den großen Städten) zu finden und in die für nicht Jeden zugänglichen Gebiete zu kommen. Deshalb möchte ich danken:
– Zêdo Baedrî für den großartigen Support, schade, dass du nicht dabei warst, beim nächsten Mal stimme ich den Termin vorher mit dir ab und ich hoffe, wir sehen uns bald wieder!
– Holger Geisler, der von Deutschland aus immer, wenn wir Fragen hatten, bereit stand und uns half, das Erlebte einzuordnen.
– Dr. Hemn Omer und Zhegr Herkî für die Organisation, Begleitung und Übersetzung an den ersten Tagen!

Unsere „ständigen“ Begleiter, General Mirza (r.), Abo (5.v.l.), Sleman (4.v.l.), Hussein (3.v.l.) und (l.) سعيد حجي تمر التمر

– General Mirza, Sleman Omar Ali, Albert Pike (Hussein), Abo Ebed, Haje Qasso, سعيد حجي تمر التمر und den anderen, die uns in den letzten Tagenbegleitet und alles organisiert haben. Nicht selten dachten wir, „das klappt nie“ und dann hat es doch immer funktioniert. Danke für Alles! Ich liebe euch und ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen!

Im Gespräch mit Dasin Faroq Beg (r.) und seiner Frau (l.)

– Den Obdachgebern, allen voran Dasin Faroq Beg und seiner wunderbaren Familie. Danke, dass wir euch kennen lernen durften!
– Den Yeziden, denen wir begegnen durften, Baba Sheikh und Sheikh Xalat Sixani und den vielen anderen, die uns die Situation der Yeziden, ihre Religion und ihr Leben nahe gebracht haben. Die Yeziden sind das freundlichste Volk, das mir bisher begegnet ist. Ich wünsche euch so sehr, dass ihr endlich in Frieden leben könnt!
– Den Christen, die uns von ihrer Situation berichtet haben, hier vor allem Erzbischof Mor Thimotaeus Mosa Alshamany und Mönch Fr-Andrew Ben Toma, die eindringlich auf die notwendige Hilfe für verfolgte religiöse Minderheiten hinwiesen.
– Den Angehörigen der Turkmenischen Minderheit, die uns eindringlich aufforderten, das Schicksal der Turkmenen im Irak in Europa bekannt zu machen.

Hopeless – hoffnungslos. Flüchtlingscamp Ba´adre.

– Den Geflüchteten und den Opfern des IS, die bereit waren, mit uns über ihre Erlebnisse und ihr Leben zu sprechen! Und den vielen Menschen, mit denen wir sprechen konnten, denen wir begegnet sind, die uns halfen, Orte zu besuchen, zu denen man sonst eher nicht kommt, Dinge zu sehen, die für Touristen wie uns sonst nicht zu sehen sind und unsere Fragen geduldig zu beantworten! Ich kann sie nicht alle aufzählen, aber sie alle haben dafür gesorgt, dass wir einen guten Einblick in die kurdische Gesellschaft bekommen haben. Stellvertretend seien hier genannt: Liza Kakei, Idres Sabah Barsereny, Edham AL Hkary, Anmar Al Rashidani und Diyar Shekhany.
– Mahdi Hamid und Karim Chemanki, die wir leider nicht geschafft haben zu treffen, bei meiner nächsten Reise wird es klappen!
Euch allen und allen denen, denen wir darüber hinaus begegnet sind: Danke! Es war eine unfassbar spannende Reise mit Eindrücken, die ich wohl niemals vergessen werde. Ich komme garantiert wieder!

 

Aber nun zum Tagebuch:

Tag 1, Donnerstag, 20.7.2017:

Dr. Hemn Omer und seine Nichte begrüßen uns am Flughafen.

Am frühen Morgen ging es von Berlin Tegel aus los. Die Flüge nach Wien und dann weiter nach Erbil verliefen völlig problemlos. Am Flughafen wurden wir vom Vorsitzenden der Kurdisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft, Dr. Hemn Omer, und seiner Nichte mit Rosen begrüßt.

Gleich vom Flughafen aus ging es zum ersten Termin: ein Gespräch mit der kurdisch-deutschen Freundschaftsgesellschaft. Diese Organisation will die Freundschaft zwischen Kurden und Deutschen stärken. In ihr arbeiten Muslime, Yeziden und Christen zusammen. Wir wurden unfassbar freundlich aufgenommen und nach dem ersten Kennenlernen ging es in die Stadt. Hier schauten wir uns vor allem die Zitadelle von Erbil an. Diese ist wohl die älteste ununterbrochen bewohnte Siedlung der Welt. Aktuell wird die Weltkulturerbestätte umfassend saniert, wodurch sie ein wenig ihre Ursprünglichkeit verliert. In der Zitadelle gibt es mehrere Museen, unter anderem das Kurdische Textilmuseum, in dem man viel über kurdisches Brauchtum und kurdische Kultur lernen kann.

Danach ging es auf den Basar, wo wir allerdings nur irakische SIM-Karten für unsere Handys kauften, zu ausgiebigem Shopping hatte niemand von uns Lust. Und eigentlich dachten wir auch, dass sich noch viele Gelegenheiten ergeben würden, wo wir Mitbringsel für die Deheimgebliebenen besorgen könnten. Dass dies dann später aufgrund unserer Termindichte nicht so war, wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Am Abend waren wir in der Nähe von Erbil zum Abendessen eingeladen. Im Freien wurde gegrillt und den ganzen Abend geredet. Angesichts der tollen Gespräche haben wir sogar vergessen Fotos zu machen (was eigentlich niemals passiert, weil immer und überall auch mit wildfremden Menschen Fotos gemacht werden müssen). Die Gastfreundschaft ist unglaublich und es war ein wundervoller Abend mit vielen Gesprächen, die jedoch auch deutlich machten, dass in dieser Region vieles nicht in Ordnung ist. Vor allem die Schilderung einer kurdischen Christin zur Situation der Christen im Irak hat uns sehr bedrückt.

Und so ging es an diesem ersten Abend mit gemischten Gefühlen ins Bett bzw. auf die Isomatte.

 

Tag 2, Freitag, 21.7.2017:

Der Freitag ist im Irak ein freier Tag (quasi wie Wochenende). Dennoch haben wir uns mit dem stellvertretenden Bürgermeister von Rawanduz, Idres Sabah Barsereny, getroffen und waren dann mit ihm unterwegs. Rawanduz ist eine kleine Stadt im Norden der Autonomen Region, nahe der Grenzen zur Türkei und zum Iran. Es wird versucht die Stadt touristisch zu erschließen, was augenscheinlich auch zumindest für Tagestouristen gelingt. In der Stadt selbst gibt es einige Attraktionen für Familien, Fahrgeschäfte bspw.

Die Umgebung der Stadt ist geprägt von einer wirklich atemberaubenden Landschaft. Ich habe selten etwas so großartiges gesehen wie die Schlucht von Rawanduz. Mehrere Wasserfälle, die jedoch völlig überlaufen sind und wo das Naturerlebnis durch viele Betonbauten in der nahen Umgebung getrübt wird, sind wirkliche Highlights. Außerdem wird ein Berg durch eine Seilbahn erschlossen. Oben findet sich ein Luxusressort, das und wirklich überrascht hat und durchaus mit westlichen Standards mithalten kann.

Keep Kurdistan Clean. Definitiv das einzige Schild auf der ganzen Reise, das auf das Müllproblem hinweist.

Was uns gestört hat ist der viele Müll. Vor allem dort, wo viele Menschen sind ist auch viel Müll. Ansonsten ist es aber wirklich ein großartiges Flecken Erde.

Es gab den Tag über viele Gespräche, vor allem mit Vertretern der PDK, die sich vorrangig um die angestrebte Unabhängigkeit der Autonomen Region Kurdistan und das entsprechende Referendum am 25. September drehten. In offiziellen Gesprächen wird immer wieder betont, wie wichtig das Referendum für die Autonome Region ist. Es wird die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass mit einem starken Votum der Bevölkerung für eine Unabhängigkeit sich die Weltgemeinschaft diesem Wunsch nicht verschließen kann. Dies begegnete uns faktisch bei jedem Gespräch während der Reise. Wir haben niemanden gefunden, der laut sagt, dass er die Unabhängigkeit ablehnt. Nur in privaten Gesprächen wir Skepsis geäußert, vor allem Vertreter der Minderheiten haben Sorge, dass sie in einem unabhängigen Staat weniger geschützt sind.
Abends waren wir privat zum essen eingeladen und standen dann nachts bei der Rückfahrt nach Erbil mehr als eine Stunde im Stau. Die Uhren ticken dort wirklich anders. Bei bis zu 50 Grad Celsius tagsüber wird die Nacht, in der ca. 35 Grad herrschen, für alles Mögliche genutzt. Und so ist dann eben auch nachts gegen Mitternacht Verkehrschaos und Stau.
Die Nacht verbrachten wir in den Räumen der Kurdisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft.

 

Tag 3, Samstag, 22.7.2017:

Auch der Samstag ist im Irak ein freier Tag. Wobei man davon nicht wirklich etwas merkt, viele Geschäfte am Straßenrand haben dennoch geöffnet. Nur Shopping Malls und Basare sind wohl geschlossen, wobei ich nicht sicher bin, ob das wirklich überall stimmt. Der Tag begann aber mit etwas, das ich euch nicht vorenthalten will: Treppenhausreinigung auf kurdisch, mit Wasserschlauch immer schön nach unten bis auf die Straße spülen 😉

Wir haben am Vormittag Peshmerga an der Grenze zum Irak besucht. Klingt komisch, weil eigentlich gehört die Autonome Region Kurdistan ja zum Irak, aber eine Grenze gibt es dennoch, inkl. Grenzkontrollen.

Es gibt ca. 190.000 bis 250.000 Peshmerga im Nordirak. Die Zahlen sind nicht ganz eindeutig, weil nicht immer ganz klar ist, welche Kräfte nun dazu gehören und welche nicht. Sie unterstehen nicht etwa dem Staat sondern Parteien, so gibt es PUK-nahe und PDK-nahe Peshmerga. Sie sind hervorragend ausgerüstet. Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem zuständigen Kommandanten fuhren wir einige Kilometer bis zur Grenze und konnten uns dort ein Bild machen, wie die Peshmerga vor Ort arbeiten und leben.

En typisches Mittagessen im Nordirak. Dieses hier fand bei den Peshmerga statt.

Wir erlebten ganz viel Offenheit und Freundlichkeit. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Deutschland in der Autonomen Region sehr viel Dankbarkeit entgegen gebracht wird. Vor allem die Aufnahme von Geflüchteten sorgen dafür, dass man eigentlich bei jedem Gespräch jemanden dabei hat, der Verwandte in Deutschland hat oder schon einmal in Deutschland war. Der andere Grund für die Dankbarkeit ist die Unterstützung Deutschlands durch Waffenlieferungen. Egal, ob man diese Waffenlieferungen politisch gut findet oder nicht, Fakt ist, dass in nahezu jedem Gespräch erwähnt wurde, dass es ohne die Waffen aus Deutschland, vor allem die Milan-Raketen, es nicht gelungen wäre, die Terrormiliz Islamischer Staat zurückzudrängen.

Nachmittags waren wir dann in einem Flüchtlingslager für christliche Flüchtlinge in Erbil. Leider durften wir dort nur in der zum Camp gehörenden Kirche fotografieren, deshalb gibt es davon keine weiteren Bilder.

Im Camp leben 5000 Geflüchtete in Containern. Es gibt eine Schule, einen Kindergarten, einen Sportplatz und eine Kirche. Die Flüchtlinge bekommen Container, Strom und Wasser gestellt. Wovon sie ansonsten leben war nicht wirklich raus zu bekommen. Das Lager wird von kirchlichen Organisationen bezahlt, dort dürfte die Situation besser sein als in vielen anderen Camps. Wir hatten den Eindruck, dass die Geflüchteten sich damit abgefunden haben, lange im Camp zu bleiben. Allerdings hatten wir hier nur kurz die Gelegenheit mit einer Geflüchteten zu sprechen, ansonsten wurden wir eher abgeschottet von den Bewohnern. Allerdings war in der Nachmittagssonne bei 50 Grad Außentemperatur auch fast niemand zu sehen. Die meisten Container haben Klimaanlagen und so werden die Nachmittagstunden für vieles genutzt aber nicht fürs draußen rum spazieren.

Danach haben wir in Erbil im Stadtteil Ankawa die katholische St. Josephs Kirche besichtigt. Die Kathedrale gehört zur chaldäisch-katholischen Erzdiozöse Erbil.

Danach ging es zur Jalil Khayat Moschee. Hier hatten wir nur ganz kurz Zeit, weil eine Trauerfeier stattfinden sollte. Dennoch wird deutlich, wie beeindruckend diese Moschee ist.

Gegen Abend waren wir im Fußballclub von Erbil mit dessen Vorsitzenden verabredet. Der Club hat durch den Krieg einige Probleme, vor allem finanzieller Art. Dennoch wird versucht, den Spiel- und Trainingsbetrieb so gut wie möglich weiter zu betreiben.

Zum Abendessen sind wir im Deutschen Hof (was es alles gibt…) in Erbil eingekehrt. War ganz witzig, allerdings sind die Preise nicht nur für irakische Verhältnisse wirklich deftig. Aber das Erlebnis war es wert 😉

Ein nächtlicher Spaziergang durch Erbil bei 38 Grad (tagsüber waren es an dem Tag 48 Grad) brachte wenig Abkühlung und die Nacht war wegen ausgefallenem Stromgenerator ziemlich ätzend, bis Andreas uns alle rettete und den Generator und damit die Klimaanlage wieder zum Laufen brachte.

 

Tag 4, Sonntag, 23.7.2017:

Das Parlamentsgebäude.

Nach einer wärmebedingt kurzen Nacht haben wir vormittags das kurdische Parlament in Erbil besucht. Die Sicherheitsvorkehrungen sind ordentlich: Durchleuchten der Handtaschen, Körperscanner und Abtasten. Im Parlament haben wir Gespräche mit Abgeordneten der KDP sowie mit deren Sprecher, Mohammedali Yaseen Taha, geführt.

Schwerpunkt war einerseits das Referendum zur Unabhängigkeit und andererseits die Flüchtlingssituation. Die Region hat eine riesige Leistung vollbracht, 1,8 Millionen Geflüchtete (bei 5 Millionen Einwohnern) aufzunehmen und das, obwohl gleichzeitig die irakische Zentralregierung das Budget für die autonome Region Kurdistan halbiert hat (wobei im Gespräch unerwähnt blieb, dass die Region der Zentralregierung den Anteil am Erdölverkauf nicht mehr gezahlt hat und das eine durchaus mit dem anderen zu tun haben könnte), der Ölpreis aktuell sehr niedrig ist (was stark auf das Budget der Regionalregierung geht) und in der Region 1000 km Front gegen den IS zu bewältigen waren.

Das Parlament hat 111 Abgeordnete, 100 „ordentlich“ gewählte und 11 Vertreter*innen von Minderheiten. Außerdem gibt es eine Frauenquote von 30%.
Den Sitzungssaal des Parlaments durften wir nicht fotografieren. Ich kann aber berichten, dass er nicht viel anders aussieht als andere Plenarsääle, die Ausstattung ist aus dunklem Holz und alles sieht recht gedrängt aus. Auf dem Weg dahin sind wir erst einmal mit dem Fahrstuhl stecken geblieben. Wir wurden zwar recht schnell gerettet, aber auf die Erfahrung hätten wir alle wohl gern verzichtet und danach haben wir Fahrstühle lieber gemieden. Anders als im Plenarsaal war im Foyer fotografieren sogar erwünscht. Ich muss dazu wahrscheinlich nicht viel sagen, seht einfach selbst:

Nach dem Besuch im Parlament sind wir nach Shekan aufgebrochen um uns dort vor allem der Situation der Yeziden zu widmen. Wir besuchten das Haus des Mir (Oberhaupt der Yeziden) sowie den Baba Scheich (geistiges Oberhaupt der Yeziden).

Hier waren neben dem allgegenwärtigen Thema des Referendums zur Unabhängigkeit vor allem die Situation der Yeziden im Irak Gesprächsgegenstand. Dazu wird es einen extra Artikel geben, deshalb hier nur kurz. Nach dem Genozid an den Yeziden im Shingal im August 2014 aber auch den Kämpfen in vielen anderen Orten, in denen Yeziden lebten, sind Tausende von ihnen in Flüchtlingslagern in der Autonomen Region untergebracht. Oftmals besteht kaum Hoffnung auf Rückkehr, da im Shingal die Infrastruktur stark zerstört ist. Zwar ist Shingal mittlerweile weitgehend befreit, jedoch gibt es noch immer vereinzelte Auseinandersetzungen und vor Ort sind mehrere militärische Akteure unterwegs (neben YPG, PKK und Peshmerga auch eine yezidische Miliz) und es ist nach wie vor unklar, wie es mit dem Gebiet weiter geht. Erst vor wenigen Monaten hat die Türkei im Shingal PKK-Stellungen angegriffen, die sich unweit von Flüchtlingssiedlungen befanden. Gleichzeitig sind noch immer tausende Frauen und Kinder in den Fängen der Terrormiliz Islamischer Staat. Bei der Befreiung von Mossul kamen einige Frauen und Kinder frei, viele weitere harren noch ihrer Befreiung oder ihrem Freikauf.

Die yezidischen Vertreter machten immer wieder deutlich, wie dankbar sie Deutschland sind, dass die Kinder und Frauen durch Programme wie dem von Baden-Württemberg aufgenommen und psychotherapeutisch versorgt werden. Auch in Brandenburg planen wir ein solches Programm und uns allen wurde in den Gesprächen bewusst, wie wichtig dieses Programm gerade in der aktuellen Situation ist.

Vor dem Abendessen im Haus des Mir besuchten wir einen yezidischen Friedhof, der auf einem Hügel liegt und einen unglaublich schönen Blick auf Shekan bietet. Beim Friedhof gibt es einen typischen yezidischen Schrein, wie er in den yezidischen Siedlungsgebieten häufig zu finden ist.

Die Gastfreundschaft war auch hier überwältigend und außerhalb Erbils war es zwar auch noch unfassbar warm (an dem Tag Spitzentemperatur 46 Grad) aber besser erträglich.

 

Tag 5, Montag, 24.7.2017:

Im Gespräch mit dem Hüter des Heiligtums.

Morgens besuchten wir das Heiligtum der Yeziden: Lalisch. Es gilt als das Zentrum der Schöpfung und ist Mittelpunkt des religiösen Lebens. In ihm befindet sich das Grab von Sheik Adi, des wichtigsten Heiligen der Yeziden. Außerdem gibt es hier zwei heilige Quellen. Lalisch liegt in einem Tal ca. 60 km nördlich von Mossul. Wir sprachen mit dem Hüter der heiligen Stätte. Auch bei den Gesprächen hier ging es vor allem um die aktuelle Situation der Yeziden, vor allem um die vielen Flüchtlinge und die Frauen und Kinder, die durch die Terrormiliz verschleppt und versklavt wurden. Es folgte eine sehr ausführliche Besichtigung des Heiligtums, das übrigens nur ohne Schuhe betreten werden darf. Das Heiligtum ist wirklich beeindruckend. Bereits bei meinem ersten Besuch im April 2017 hat mich die besondere Stimmung hier fasziniert. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll, vielleicht trifft es „freundliche Ruhe“ am besten.

Ich konnte hier mit einem Mädchen sprechen, das vor wenigen Tagen aus den Händen des IS befreit wurde. Sie sprach mich im Heiligtum an, ob ich für ein Foto mit ihr bereit wäre. Ich habe dann mit ihr ein paar Minuten sprechen können. Es ist emotional noch einmal etwas ganz anders, mit einem Mädchen, dass so unfassbares erleiden musste, zu sprechen und sie im Arm zu halten, als nur abstrakt zu wissen, dass diese Verbrechen geschehen. Ich habe eine Weile überlegt, da sie ja selbst um ein Foto mit mir gebeten hat, ob ich dieses veröffentliche, jedoch habe ich mich entschlossen, das aus Respekt vor ihrem Leiden nicht zu tun.

Nach dem Besuch in Lalisch waren wir in Shekan mit lokalen Vertretern der PDK verabredet. Die Gesprächsthemen unterschiede sich nicht von denen der vorangegangenen Gespräche: Referendum zur Unabhängigkeit und aktuelle Flüchtlingssituation sowie Minderheiten im Irak.

Hopeless – hoffnungslos.

Am Nachmittag haben wir ein Flüchtlingscamp für Yeziden aus Shingal nahe der Stadt Shekan besucht. Im Unterschied zu dem christlichen Camp in Erbil, wo die Geflüchteten in Containern leben, gibt es hier vorrangig Zelte. Strom und Wasser sind, so wurde uns versichert, ausreichend vorhanden. Allerdings ist die Gesamtsituation hier wirklich nicht einfach. Ca. 15.000 Flüchtlinge leben in dem Camp, viele Familien haben jedoch nur sehr wenig Geld und an eine Rückkehr in den Shingal ist wie bereits geschildert nicht zu denken.

Wir haben im Camp mit zwei Familien gesprochen, deren Angehörige in Gefangenschaft des IS sind und waren. Der Familienvater der ersten Familie erzählte uns, dass er Frau und einige Kinder aus den Fängen des IS frei gekauft hat. Nun ist das Geld alle und noch immer sind nicht alle Angehörigen gerettet. Außerdem gibt es in der Familie eine Frau, die psychisch sehr stark unter den Folgen der Gefangenschaft beim IS leidet. Sie benötigt dringend Medikamente, für die die Familie jedoch kein Geld hat. Wir haben uns die Medikamente nennen lassen und besorgen diese aktuell, so können wir vielleicht ein wenig das Leiden lindern.

Im Gespräch mit der Familie.

Bei der zweiten Familie sind noch 46 Angehörige in den Händen des IS, einige sind frei gekommen, eine Tochter erst sechs Tage vor unserem Besuch. Mit zwei anderen Kindern der Familie konnte ich lange reden, sie sind in dem Aufnahmeprogramm in Baden Württemberg, sprechen hervorragend deutsch und verbringen aktuell ihre Ferien bei ihrem Vater.

Auch hier ist kein Geld für einen Freikauf der Angehörigen mehr vorhanden und auch hier ist kaum Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat. Es ist furchtbar was diese Familie erleiden musste und noch immer muss, da sie keinen Kontakt zu ihren Liebsten haben und sie haben das Gefühl, dass jetzt, nach der Befreiung von Mossul sich niemand mehr dafür interessiert, was mit den Gefangenen des IS wird. Es war eine sehr sehr traurige Begegnung.

Gespräch mit den Vertretern der turkmenischen Minderheit.

Nach diesem Besuch waren wir zu einem „leichten“ Mittagessen (was der Unterschied zwischen leicht und nicht leicht ist, hat sich uns nicht erschlossen, es war wie immer hier unfassbar viel aufgetafelt) eingeladen und fuhren am Abend nach Dohuk zu einem Treffen mit Vertretern der turkmenischen Minderheit. Dieses Treffen war sehr intensiv und teilweise recht kontrovers. Die Vertreter machten deutlich, dass auch ihr Schicksal in der westlichen Welt thematisiert werden muss. Deutlich machten sie dies an der Stadt Tal Afar. Diese Stadt, die überwiegend von Turkmenen bewohnt wird, wurde 2004 von den US-Streitkräften bombardiert, weil sie als Zentrum des Widerstands gegen die Okkupation des Irak gesehen wurde. Im Juni 2014 wurde sie dann von der Terrormiliz Islamischer Staat besetzt und erst im Rahmen der Schlacht um Mossul befreit. Gleichzeitig wiesen sie auf zahlreiche Massaker hin, die an der turkmenischen Minderheit in den vergangenen Jahrzehnten begangen wurden. Die schiitischen Turkmenen litten sehr unter dem Terror des IS und wünschen sich, dass auch sie in den Fokus der Weltgesellschaft rücken, um künftig besser geschützt zu sein.

Ein abendlicher Besuch.

Wer dachte, dass der Abend nach diesem Besuch beendet wäre (es war nach 21 Uhr als wir aus Dohuk zurück nach Shekan fuhren), wurde eines Besseren belehrt. Es standen noch kurze Treffen und Besuche bei Freunden und Familienangehörigen unserer Begleiter an. So kamen wir erst deutlich nach Mitternacht bei unseren Quartiergebern an. Mit dieser wundervollen Familie haben wir noch einige Zeit geredet (und auch ein Bier getrunken) und sind dann spät und völlig erledigt von den Eindrücken des Tages eingeschlafen.

 

Tag 6, Dienstag, 25.7.2017:

Kurzbesuch bei der Familie „unseres“ General Mirza.

Die Nacht war kurz, da wir noch sehr lange mit der Familie, bei der wir übernachteten, gesprochen haben. Am Morgen waren wir beim Bürgermeister von Shekan eingeladen. Gesprächsthemen waren die Flüchtlingssituation in der Region und Einschätzungen zum Referendum zur Unabhängigkeit der Autonomen Region Kurdistan.

Gespräch beim Gouverneur.

Direkt danach fuhren wir nach Dohuk, um uns dort mit dem stellvertretenden Provinzgouverneur zu treffen. Auch hier ging es um das Referendum am 25.9. sowie die Situation der Geflüchteten in der Region Dohuk. Bei 1,2 Millionen Einwohnern in der Region wurden ca. 600.000 bis 700.000 Flüchtlinge aufgenommen. In der gesamten autonomen Region Kurdistan sind es bei 5 Millionen Einwohnern ca. 1,5 bis 1,8 Millionen Flüchtlinge. Da es sich oft um Binnenflüchtlinge handelt, die bei Freunden oder Verwandten unterkommen, ist eine genauere Zahl nicht möglich. Ca. die Hälfte lebt in Wohnungen, die anderen in Camps.

Hier lernten wir auch Sheikh Xalat Sixani kennen, der in Deutschland lebt und das Lalisch-Zentrum in Bielefeld leitet. Er half uns, auch durch seine Erfahrungen in Deutschland, einiges des Erlebten und Gehörten besser einzuordnen.

Nach dem Mittagessen mit dem Gouverneur und dem Sheikh fuhren wir nach Alqosh. In dieser Stadt gibt es eine alte Synagoge, die das Grab des kleinen Propheten Nachum beherbergt. Über Nachum selbst ist wenig bekannt, er lebte wahrscheinlich ca. 700 v. Chr. Dieser Ort ist aber nicht nur Zeugnis einer Jahrhunderte alten Kulturlandschaft, vielmehr hat mich folgende Geschichte besonders berührt: Vor ca. 60 Jahren verließ der Rabbi der Synagoge Alqosh Richtung Israel. Den Schlüssel übergab er einer im Ort lebenden assyrisch-christlichen Familie mit der Bitte, sich um das Grab und die Synagoge zu kümmern. Das tut diese Familie auch, mittlerweile in 3. Generation! Ist das nicht wunderbar? Und gibt das nicht Hoffnung, dass in dieser Region eines Tages doch alle Religionen friedlich miteinander leben können?

Die Synagoge selbst ist stark verfallen. Wohl vor ein paar Jahren errichtete die Regierung des Irak eine Überdachung, um den Verfall aufzuhalten. Glücklicherweise drang der IS nicht bis in diese Stadt vor, so dass sowohl die in der Stadt befindlichen Klöster (die wir zwei Tage später besichtigten), als auch die Synagoge den Krieg in der Region bisher unbeschadet überstanden haben.

Diesen Ort zu finden war gar nicht so einfach. Bei der Recherche vor der Reise war ich darauf aufmerksam geworden, unsere Begleiter bei der Reise wusste jedoch nicht, wo er sich befindet. Erst in Alqosh selbst gelang es uns nach Gesprächen mit einem christlichen Lehrer und dem Polizeichef, die Synagoge und ihre Hüter ausfindig zu machen.

Danach ging es unter der Obhut des Polizeichefs von Alqosh weiter nach Batnaya und Telskof. Dies sind Orte, die vom IS besetzt waren und mittlerweile in der Hand der Peshmerga sind. Bereits bei meinem ersten Aufenthalt in Kurdistan hatte ich diese beiden Orte besucht. In Telskof ist spürbar, dass wieder Leben eingezogen ist. Telskof wurde im August 2014 für zwei Wochen und dann noch einmal im Mai 2016 für einen Tag durch den IS besetzt, die Einwohner flohen. 700 Familien sind mittlerweile hierher zurück gekehrt. Wir hatten hier zu wenig Zeit, um den Spaziergang, den ich damals gemacht habe, zu wiederholen, um die Fortschritte zu dokumentieren. Es war aber deutlich, dass der Wiederaufbau gute Fortschritte macht.

In Batnaya ist das etwas anders. Dieser Ort war deutlich stärker zerstört und dort leben quasi nur Pershmerga. Der Ort Batnaya wurde im August 2016 durch ISIS besetzt, die Einwohner flohen. Im November 2016 wurde der Ort durch die Peshmerga zurück erobert. Die Stadt ist stark zerstört, auch die Infrastruktur ist schwer in Mitleidenschaft gezogen, weshalb es kaum möglich ist, aktuell bereits wieder hier zu leben. Seit meinem Besuch im April hat sich deshalb kaum etwas verändert. Zwar sind die Straßen weitgehend beräumt und mittlerweile sind alle Häuser auf Minen überprüft, viel mehr ist aber nicht geschehen seitdem. Eine nennenswerte Rückkehr findet bisher nicht statt, was auch damit zu tun hat, dass die Infrastruktur zerstört ist.

Uns wurde bei dem Gespräch mit einem Verantwortlichen vor Ort ein Daten-Stick mit Videos und Fotos übergeben, die einige Ereignisse rund um die Befreiung der Orte Batnaya und Telskof dokumentieren. Mittlerweile habe ich das Material gesichtet und bin recht unschlüssig, was damit passieren soll. In der Form, wie es uns übergeben wurde, werde ich es nicht veröffentlichen, da es teilweise so krass die Gräuel des Krieges zeigt, dass ich persönlich nur schwer mit dem Anschauen klar kam. Aktuell denke ich darüber nach einige Ausschnitte zumindest für Vorträge zusammen zu schneiden.

Es war ein sehr bewegender Tag, die Nacht haben wir bei der Familie des Mir verbracht. Ich habe es mir auf der Dachterrasse bequem gemacht und unter freiem Himmel geschlafen. Der Sternenhimmel war unglaublich schön.

 

Tag 7, Mittwoch, 26.7.3017:

Sonnenaufgang über Ba´adre

Die Nacht habe ich auf der Dachterrasse unter freiem Himmel verbracht und konnte morgens einen großartigen Sonnenaufgang bewundern. Gemeinsam mit unserem Gastgeber Dasin Faroq Beg und seiner Frau besuchten wir am Vormittag nach einem ausgiebigen Frühstück eine Familie, die den Garten (oder besser das Feld mit Melonen, Tomaten und vielem mehr) unseres Gastgebers bewirtschaftet.

Auch hier trafen wir wieder auf die allgegenwärtigen yezidischen Schicksale: Ein Junge erzählte uns von seinem Cousin, der gerade in Mossul aus der Gefangenschaft beim IS befreit wurde. Auf den Bildern, die er uns zeigte, erkannten wir eines der Kinder wieder, deren Bilder vergangene Woche um die Welt gingen. Doch noch immer sind viele Menschen in den Händen des IS und uns begegnet hier immer wieder die Sorge, dass nun, nach der Befreiung von Mossul, diese gefangenen Frauen und Kinder in Vergessenheit geraten.

Danach fuhren wir nach Bashiqa und Bazani. Diese Doppelstadt war mehr als zwei Jahre in der Hand des IS. Sie wurden im Juni 2014 durch die Terrormiliz Islamischer Staat eingenommen und im Oktober 2016 durch die Peshmerga zurück erobert. Im April war ich bereits hier und damals durften wir uns in der Stadt nicht frei bewegen, nur die Kirchen konnten wir kurz besuchen. Das ist jetzt anders. Überall kehren Menschen zurück in ihre Häuser, beseitigen die Schäden und versuchen wieder ein normales Leben zu führen. Bereits 500 Familien sind zurückgekehrt, weitere werden bald folgen. Die Stadt war früher bekannt für ihre Olivenhaine, doch die Olivenbäume sind vertrocknet.

Hier lebten Yeziden, Christen, Muslime und andere Minderheiten friedlich miteinander, doch Friedhöfe und religiöse Stätten sind zerstört. Aber auch sie werden wieder aufgebaut. Ein yezidischer Schrein, der völlig zerstört war, wird gerade gemeinsam von Yeziden und Christen wieder aufgebaut. Die Kirchen sind ebenfalls in einem besseren Zustand als noch im April, auch hier hat die Restaurierung begonnen. Das gibt Hoffnung.

MIt Sleman vor seinem Haus.

Dennoch sind die Zerstörungen noch allerorts gegenwärtig. Einer unserer Begleiter, Sleman Omar Ali, zeigte uns sein Haus. Zwar ist es äußerlich nur wenig in Mitleidenschaft gezogen, im Innern aber ist es geplündert, die Möbel sind weg und sogar Treppengeländer wurden herausgerissen. Da er eine Arbeit gefunden hat, will er binnen drei Wochen in das Haus zurückkehren. Wir können uns kaum vorstellen, wie er dieses Haus in so kurzer Zeit wieder bewohnbar machen will. Aber wir wünschen ihm, dass er es schafft.

Im Gespräch mit dem Erzbischof der orthodoxen syrischen Kirche, Erzbischof Mor Timothaeus Mosa Alshamany.

Gleich in der Nähe der Zwillings-Städte befindet sich das Kloster Mar Mattai. Auch diesem statteten wir einen Besuch ab und konnten mit dem Erzbischof der orthodoxen syrischen Kirche, Erzbischof Mor Timothaeus Mosa Alshamany, über die Geschichte des Klosters aber auch über die Situation der Christen im Irak sprechen. Dem Erzbischof war es wichtig, dass wir uns besonders für den Schutz der Minderheiten einsetzen sollten. Ihm ging es dabei nicht nur um Christen, sondern vor allem auch um die Yeziden. Wir spürten seine Sorgen und ich fürchte, es gelang uns nicht, ihm etwas Zuversicht zu vermitteln. Zu viel hat die christliche Minderheit in der Region schon erleiden müssen und so versuchen viele, nach Europa zu fliehen um endlich ein Leben in Frieden und Sicherheit führen zu können.

Danach besichtigten wir das Kloster. Es war sehr heiß und der Erzbischof hat uns deshalb nur einen Teil des Klosters gezeigt. Dieser war allerdings sehr beeindruckend. Das Kloster Mar Mattai ist eines der ältesten noch durch Mönchen bewohnten Klöster der Welt – es wurde im Jahr 363 n.Chr. gegründet. Die Terrormiliz Islamischer Staat stand bereits ca. einen Kilometer vor dem Kloster, als die Pershmerga die sie stoppen konnten. Auf dem letzten Bild sind Hügel zu sehen, die bereits durch den IS besetzt waren.

Mit dem Leiter des Waisenhauses vor dem Gebäude, in dem die Kinder leben.

Danach besuchten wir ein Waisenhaus für yezidische Kinder aus dem Shingal in Shekan. Hier leben 13 Kinder, die von zwei ehrenamtlichen und einer in Teilzeit beschäftigten Frau sowie dem Leiter des Waisenhauses betreut werden. Das Haus benötigt Spielzeug für die Kinder, wir werden schauen, ob wir dazu etwas beitragen können. Außerdem haben wir mit der Organisation, die von Deutschland aus dieses Haus betreut, Kontakt aufgenommen, um dazu beizutragen, die Bedingungen für die hier lebenden Kinder zu optimieren.

Abendlicher Kurzbesuch in Shekan.

Den Abschluss des Tages bildeten einige Kurzbesuche bei Familien in der Nachbarschaft und ein Abendessen mit unserem Gastgeber. Und dann verbrachte ich eine weitere Nacht unter freiem, großartigen Sternenhimmel.

 

Tag 8, Donnerstag, 27.7.2017:

Nach einem großartgen Frühstück haben wir an diesem Tag vormittags die beiden Klöster in Alqosh besucht. Ich war zwar beim letzten Aufenthalt schon mal dort, aber dieses Mal war der Besuch mit fachkundiger Führung und einem Gespräch zur Situation der Christen in der Region verbunden. Der Bruder Fr-Andrew Ben Toma brachte uns nicht nur die Geschichte der beiden Klöster nahe und zeigte uns auch dem Besucher sonst verborgene Details.

Vor allem sprachen wir ausführlich mit Bruder Fr-Andrew Ben Toma über die gegenwärtige Situation, er teilte mit uns seine Sorgen und uns wurde deutlich, dass die Christen in der Region Angst vor weiterer Verfolgung haben, weshalb viele von ihnen nach wie vor das Land verlassen. Ganz klar wurde uns nicht, ob dieser Sorge tatsächlich aktuelle Ereignisse zugrunde liegen oder ob es nicht vielmehr die Jahrhunderte währende Erfahrung von Verfolgung ist, die hier zum Tragen kommt. Vielleicht ist es auch beides, klar wurde uns jedoch, dass das Vertrauen, in dieser Region tatsächlich vor Verfolgung sicher zu sein, einfach nicht vorhanden ist. Das war sehr bedrückend und gleichzeitig waren wir eingenommen von der herzlichen und zuvorkommenden Art des Geistlichen.

Wir waren überwältigt von der Schönheit der beiden Klöster. Bereits im April hat es mir vor allem das im Berg gelegene Kloster Rabban Hormizd angetan. Überwältigend!

Nach diesem Besuch waren wir noch im Sharx-Flüchtlingscamp nahe Alqosh, hatten dort aber nicht sehr viel Zeit. Hier trafen wir auch Sheikh Xalat Sixani , den wir beim Gespräch mit dem Gouverneur kennen gelernt hatten, wieder. Wir konnten kurz mit einer Familie aus dem Shingal sprechen und uns einen Eindruck über die Bedingungen im Camp verschaffen. Auch hier leben die Geflüchteten in Zelten, es gibt eine Schule, in der in drei Schichten Kinder unterrichtet werden. Auch hier sind die Bedingungen für die Menschen nicht einfach, jedoch haben sie immerhin ein Obdach, Strom und Wasser sowie eine grundlegende Versorgung mit Lebensmitteln.

Nach Norwegen zurückgeführt und von dort in den Irak abgeschoben wurde diese junge, schangere Frau.

Im Camp trafen wir auch auf eine junge Frau, die gerade aus Deutschland im Dublin-Verfahren nach Norwegen und von dort direkt in den Irak abgeschoben wurde. Ihre Ehe mit ihrem in Deutschland lebenden Mann wurde aufgrund eines fehlenden Papiers nicht anerkannt. Sie ist schwanger und hatte sogar einen in Deutschland ausgestellten Mutter-Pass, der die Feststellung der Schwangerschaft dokumentiert. Mittlerweile hat sie das fehlende Dokument besorgt, hat nun aber das Problem, dass sie auf der Warteliste für einen Termin beim Konsulat in Erbil einen Wartelistenplatz jenseits der 4000 hat, was praktisch bedeutet, dass sie erst in ca. einem Jahr, vielleicht auch später, die Familienzusammenführung mit ihrem Mann beantragen kann. Ich halte die Wartelisten-Praxis in den Konsulaten und Botschaften Deutschlands schon lange für einen Skandal, der nur dazu dient, Familienzusammenführungen zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Ich werde natürlich versuchen, mit dem Konsulat eine Lösung für diese Frau zu finden, damit sie ihr Kind bei ihrem Mann gebären kann. Dennoch muss an dieser Praxis endlich grundlegend etwas geändert werden.

Nach der Verabschiedung von unseren Begleitern vor Ort sind wir nach Erbil gefahren. Das war – na sagen wir mal – aufregend. Der Fahrstil des Fahrers war eine Herausforderung und die beiden männlichen Teile unserer Reisegruppe stellten fest, dass das gefährlichste in Kurdistan wohl der Autoverkehr ist. Dieser Einschätzung schließe ich mich an. Dann allerdings war wohl das Auto kaputt – mitten in der Pampa eine Stunde vor Erbil. Nach einigem Hin und Her und uns rettenden Peshmerga, die darauf bestanden uns nach Erbil zu fahren, konnten wir in Erbil nicht nur in ein Hotel einchecken sondern, wenn auch deutlich später als geplant, noch unseren Gesprächspartner treffen, der uns vieles dessen, was wir gehört und gesehen haben, half, einzuordnen.

 

Tag 9, Freitag, 28.7.2017:

Der Tag der Abreise. Vormittags trafen wir uns mit Vertreter*innen der internationalen Abteilung der PDK, unter anderem mit Liza Kakei, zum Austausch über die Entwicklung der Autonomen Region Kurdistan. Das Gespräch wiederzugeben ist sehr schwierig. Es war sehr intensiv und bewegte sich vor allem anhand unserer Fragen zur Verfasstheit und politischen und gesellschaftspolitische Strategie der Regionalregierung der der KDP. Allerdings wurden wir hier auch mit einem Problem konfrontiert, das uns bis dahin noch nicht begegnet war: Besonders wies Liza auf die Situation der Kaka’i, einer Minderheit im Irak, die immer wieder Verfolgungen ausgesetzt ist, hin. Ich gebe zu, dass wir von den Kaka’i  vorher noch nie gehört hatten. Wir bekommen dazu noch weitere Informationen, um die Situation dieser Menschen auch in Deutschland bekannter zu machen.

Danach ging es zum Flughafen. Die Sicherheitschecks in Erbil sind intensiv, aber wir konnten sie erfolgreich hinter uns bringen. Die Flüge von Erbil nach Wien und von dort nach Berlin waren absolut problemlos. Und so kamen wir am späten Abend in Berlin an. Voll mit Eindrücken, Erfahrungen, Informationen und Emotionen, die uns noch lange beschäftigen werden.

Hier endet dieses Reisetagebuch. Ich hoffe, ich konnte denjenigen, die es bis zum Ende geschafft haben, diesen doch recht langen Text zu lesen, einen guten Überblick über die Reise, die Erlebnisse, Erfahrungen und Stimmungen vermitteln.
Wie oben bereits erwähnt wird es zu einzelnen Teilbereichen weitere Texte hier im Blog geben.