Bericht vom Friedens- und Versöhnungsmarsch in der Autonomen Region Kurdistan
Vom 12. bis 17. April 2017 habe ich als Vertreterin der LINKEN Fraktion im Brandenburger Landtag an einem Friedens- und Versöhnungsmarsch in der Autonomen Region Kurdistan teilgenommen. Initiator der Aktion war das Menschenrechtszentrum Cottbus. Beteiligt waren ca. 30 Personen aus verschiedenen Ländern Europas, bspw. waren der ehemalige Bürgermeister der Stadt Oswiecim, Janusz Marszałek, und die Pfarrerin der Kathedrale von Coventry, Sarah Hills, mit von der Partie. Als Abgeordnete des Brandenburger Landtags nahmen der Grüne Fraktionschef Axel Vogel und ich teil.
Leser*innen dieses Blogs sind es eigentlich gewohnt, dass ich bei Reisen noch von vor Ort erste Berichte schreibe und Bilder hier einstelle. Das war leider nicht möglich, da die Tage sehr früh begannen und sehr sehr spät endeten. Außerdem fehlte es teilweise an Strom und WLAN. Deshalb gibt es nun im Nachhinein diesen zusammenfassenden Bericht. Da es vor Ort nicht ganz so geordnet zuging, wie bei Delegationsreisen sonst, ist es nicht möglich, alle Gesprächspartner zu benennen und die Gesprächsinhalte nachzuzeichnen. Das meiste war sehr spontan bzw. ergab sich durch Zufall. Die großartige Gastfreundschaft führte zu unzähligen Begegnungen, die nicht geplant aber dennoch sehr spannend waren. Ich beschränke mich deshalb auf eine grundsätzliche Einschätzung und ganz kurze Ausführungen zu den die wichtigsten Stationen.
Ziel des Marsches war es, vor Ort ein Zeichen der Solidarität für Frieden und Versöhnung zu setzen und den Dialog zwischen den religiösen und ethnischen Gruppen im Nordirak zu befördern. Der Marsch ging ca. 120 km von Erbil am 7.4. nach Alkosh am 17.4. Ich konnte nicht alle Tage dabei sein und stieß etwa zur Mitte der Strecke dazu. Wir trafen auf dem Weg die örtliche Bevölkerung, sprachen mit ihnen über das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Religionen, unternahmen Aktivitäten mit Schulkindern und zeigten mit unserer Präsenz Solidarität mit den Kurden und den Flüchtlingen. Unter den Gesprächspartnern waren Muslime, Christen und Jesiden, einfache Menschen in ihren Gärten, junge Leute in den Feldern, Frauen und Männer, Mullahs, muslimische und jesidische Scheichs, Lehrer, Politiker und viele Flüchtlinge. An besonderen Orten wurden Olivenbäume als Zeichen des Friedens gepflanzt.
Das Logo des Marsches (ganz gut zu erkennen auf dem Foto vom Transparent oben) hatte im Oktober 2015 der 15-jährige jesidische Junge Azad aus dem Schingalgebirge gemalt, der als Flüchtling im Lager Dawodye lebt. Seine Zeichnung, die ein Herz mit einer Synagoge, einem jesidischen Tempel, einer Moschee und einer Kirche, umschlossen von einer Friedenstaube und Olivenzweigen zeigt, drückte genau den Sinn des Marsches aus. Azad und sein ihn begleitender Onkel, haben auf der Flucht aus dem Schingalgebirge viel Leid erlitten. Sie marschierten die ganzen neun Tage mit.
Unterwegs übernachteten wir übrigens in der Regel privat. Meist wurde kurzfristig im Laufe des Abends geklärt, wo wir untergebracht werden. Das führte dazu, dass wir einen Einblick in yezidisches, christliches und muslimisches Leben bekamen und in der Regel ergaben sich dadurch sehr interessante Gespräche!
In dieser jahrtausende alten Kulturlandschaft im Nordirak leben Menschen verschiedener Regligionen – vor allem Christen, Muslime und Jesiden miteinander. Der barbarische Krieg im Irak forderte und fordert unzählige Menschenleben, raubt den Menschen ihre Lebensgrundlagen, zerstört Orte, in denen die Menschen friedlich lebten und vernichtet Jahrhunderte alte Kulturdenkmäler. Vor allem der Völkermord an den Yeziden hat weltweite Aufmerksamkeit erfahren. Der Brandenburger Landtag hatte sich, dem Baden-Württembergischen Beispiel folgend, deshalb bereits im Dezember 2016 für die Aufnahme eines Sonderkontingents von Yezidinnen und ihren Kindern außerhalb des regulären Asylverfahrens ausgesprochen. Auch deshalb fand ich es sehr wichtig, mir vor Ort ein Bild über die Situation zu machen.
Die autonome Region Kurdistan gehört zum Irak. Allerdings führt die Teilautonomie dazu, dass sich ein fast vollständiges Staatssystem gebildet hat. Die Politik vor Ort strebt eine vollständige Autonomie an. Hier leben ca. 5 Millionen Menschen. Zusätzlich wurden in den vergangenen Jahren ca. 2 Millionen Flüchtlinge, vor allem aus dem Irak, aber auch aus Syrien aufgenommen. Dies und der gesunkene Ölpreis führt dazu, dass die Autonomieregierung derzeit unter Geldmangel leidet, weshalb die Gehälter im öffentlichen Dienst stark gekürzt und auch nicht immer ausgezahlt wurden. Das führt natürlich zu gesellschaftlichen Spannungen. Jedoch konnten wir vor Ort wahrnehmen, dass der Wille der verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen besteht, in dieser Region gemeinsam zu leben. Der Hauptfeind ist der Islamische Staat, vor Ort „Dash“ genannt. Alle, mit denen wir sprachen, eint, diese Region gegen den IS zu vereteidigen.
In der Region wird auch ein politisches System aufgebaut. Auch das bereitet teilweise noch Schwierigkeiten, zumal religiöse Einflüsse die Gesellschaft sehr prägen. Spannend fand ich, dass in den Parlamenten Quoten für Frauen (30%) und für die einzelnen Religionsgemeinschaften bestehen. Der Aufbau eines demokratischen Systems birgt naturgemäß einige Hürden. Bei Gesprächen mit Abgeordneten und demParlamentspräsidenten der Region Dohuk konnte ich wahrnehmen, dass sehr viel Interesse besteht, von demokratischen Erfahrungen anderer Länder zu partizipieren.
Als Friedenskind, das ich glücklicherweise bin, war es die krasseste Erfahrung des Marsches, Orte zu sehen, die vom Krieg zerstört sind und mit Menschen zu sprechen, die gegen den IS gekämpft haben. (Davon gibt es unten sehr viele Fotos.) Nahezu jeder in dieser Region kann dazu seine eigenen Erfahrungen beitragen. Unfassbar traurige Schicksale sind damit ebenso verbunden wie der Wille, die Heimat gegen diesen Feind zu verteidigen.
Der Marsch wurde vor Ort sehr stark wahrgenommen. Überall, wo wir hin kamen, war sofort ein großer Menschenauflauf, vorbeifahrende Autos hupen und die Insassen winkten uns zu, teilweise schlossen sich auch spontan Menschen an, ein Stück mit zu laufen, die örtliche Presse berichteten intensiv über jede Station und wir spürten überall Dankbarkeit über diese Aktion.
Ein wenig traurig war ich, dass ich in den ganzen Tagen nicht in ein Flüchtlingslager gekommen bin. Zwar hatte ich viele Gespräche mit Geflüchteten und auch mit einigen Vertretern von Hilfsorganisationen konnte ich über die Situation von Flüchtlingen sprechen. Ein eigenes Bild konnte ich mir aber nicht machen. Jedoch habe ich die Kontakte genutzt und arbeite gerade daran, einige Projekte in den Flüchtlingslagern der Region von Deutschland aus zu unterstützen. Dazu wird es hier im Blog sicher bald auch nähere Informationen geben.
Noch ein Wort zur Sicherheitslage: Wir waren gut beschützt. Während des gesamten Marsches wurden wir durch die Polizei und teilweise auch durch die Pershmerga begleitet. Es gab – trotz der Nähe zu Mossul und zu den IS-Gebieten – wenig Anlass zur Sorge. Gleichzeitig würde ich jedem empfehlen, der sich dorthin begeben will, dies nur mit ortskundiger Begleitung und immer mit dem Bewusstsein für drohende Gefahren zu tun. Die Menschen dort leben seit Jahren mit dem Krieg. Sehr genaue Information ist deshalb wichtig, um seine eigenen Grenzen festzulegen. Es ist ein Kriegsgebiet, das muss man sich immer wieder vor Augen führen!
Nun aber zu den wichtigsten Stationen des Marsches (die Sortierung entspricht nicht genau der Marschstrecke):
Mallabarwan
Im kleinen Dorf Mallabarwan stieß ich nach meiner Anreise zu der Gruppe. Dort leben friedlich miteinander gemischt Muslime und christliche Flüchtlinge aus Mossul von 2006 und 2007. Wir besuchten einige Familien und die zahlreichen Kinder ließen es sich nicht nehmen, bis zum Verlassen des Orts bei uns zu bleiben.
Hier gibt es eine Chaldäische Kirche in der zwei Tage später, zu Gründonnerstag, ein Gottesdienst mit dem Patriarchen, also dem Oberhaupt, der Chaldäischen Kirche, Louis Raffael Sako, stattfand. Aus diesem Anlass waren wir dann noch einmal in diesem Ort.
Mehr Fotos vom Mallabarwan sind hier veröffentlicht.
Lalisch
Lalisch ist das zentrale Heiligtum der Yeziden. An einem Nachmittag ergab sich wegen der Lücke im Programm, dieses zu besuchen und das ließ ich mir natürlich nicht entgehen. Wer mehr dazu wissen will, wird hier fündig.
Weitere Fotos zu Lalisch sind hier veröffentlicht.
Beban und Mahad
Beban und Mahad sind yezidische Orte, die an der Marschstrecke lagen. In Mahad befindet sich ein yezidischen Friedhof, in den Beban ein kleiner Tempel. In Beban haben wir unweit des Tempels auch in einem Privahaus übernachtet.
Hier gibt es weitere Fotos von Beban und Mahad.
Besuch beim geistlichen und beim weltlichen Oberhaupt der Yeziden
Eine kleine Delegation der Gruppe hatte die Möglichkeit, den Mir (weltliches Oberhaupt de Yeziden) und den Baba Sheik (geistliches Oberhaupt der Yeziden) zu treffen. In dem Gespräch ging es vorrangig um die Situation der Yeziden im Nordirak nach dem mittlerweile 74. Genozid ihrer Geschichte, der durch den IS verübt wurde, und um den geplanten Besuch des Baba Sheik im Mai 2017 im Brandenburger LAndtag. Außerdem sprachen wir über das durch das Land Brandenburg geplante Aufnahmeprogramm für yezidische Frauen und Kinder, die durch den IS verschleppt und oft vergewaltigt und geschändet wurden.
Bashiqa und Bahzani
Die Zwilligs-Orte Bashiqa und Bahzani wurden im Juni 2014 durch ISIS eingenommen und im Oktober 2016 durch die Pershmerga zurück erobert. In der Stadt darf man sich nicht frei bewegen, die meisten Fotos von zerstörten Häusern sind aus dem Auto heraus gemacht.
Im Ort Bahzani gibt es eine Kirche, die vom IS verwüstet und deren Enrichtung teilweise zerstört wurde. Besonders deutlich wird der Hass auf das Christentum anhand des auf einem Foto abgebildeten zerstörten Wandbilds.
Das auf dem letzten Bild zu sehende Reiterstandbild war einem ehemaligen yezidischen Bürgermeister von Mossul gewidmet und wurde vom IS zerstört.
In der yezidischen Religion kommt diesen beiden Orten ine besondere Bedeutung zu: die yezidischen Bewohner sind die Hüter des Heiligtums Lalisch.
In Bashiqa und Bazani habe ich noch sehr viel mehr Fotos gemacht. Diese sind hier veröffentlicht.
Kloster Mar Mattai
Das Kloster Mar Mattai ist eines der ältesten (gegründet im 4. Jahrhundert) noch durch Mönche bewohnten Klöster. Hier haben wir an einem Nachmittag Station gemacht. Hier wird besonders deutlich, wie auch Jahrhunderte alte Kulturgüter durch den barbarischen Terror des Islamischen Staats bedroht werden: Der IS stand bereits ca. einen Kilometer vor dem Kloster, als die Pershmerga die Terrororganisation stoppten. Auf den Bildern sind Hügel zu sehen, die bereits durch den IS besetzt waren. Mehr Informationen zu diesem Kloster gibt es hier.
Auch hier sind deutlich mehr Fotos entstanden, als hier im Blog dargestellt. Wer mehr sehen will, die Bilder sind hier veröffentlicht.
Batnaya
Der Besuch in diesem Ort war für mich die wohl bedrückendste Erfahrung der Reise. Der Ort Batnaya wurde im August 2016 durch ISIS besetzt, die Einwohner flohen. Im November 2016 wurde der Ort durch die Pershmerga zurück erobert. Die Stadt ist stark zerstört, mittlerweile kehren jedoch Einwohner zurück.
Die Kirche der Stadt wurde durch den IS verwüstet, die christlichen Symbole wurden abgeschlagen oder abgeschossen. Hier wird der Hass greifbar!
Am Ostersonntag fand der erste Gottesdienst nach der Wiedereroberung statt. Es war schön zu sehen, welche Freude die Einwohner empfanden, in ihrer Kirche wieder Ostern feiern zu können.
Weitere Fotos aus Batnaya sind hier veröffentlicht.
Telsqof
Der Ort Telsqof bzw. Telskuf (die Schreibweisen variieren) wurde im August 2014 für zwei Wochen und dann noch einmal im Mai 2016 für einen Tag durch ISIS besetzt, die Einwohner flohen. Der Ort wurde durch die Pershmerga zurück erobert. Die Stadt ist stark zerstört, jedoch sind sehr viele Einwohner zurück gekehrt. Mehr dazu hier.
In der Stadt gibt es zwei Kirchen. Eine wird aktuell saniert, in ihr haben wir einen chaldäischen Gottesdienst miterlebt. Die zweite – deutlich ältere – Kirche ist stark beschädigt. Bei einem Spaziergang durch die Stadt habe ich viele Eindrücke eingefangen. Obwohl die Stadt noch immer stark zerstört ist, sind sehr viele Menschen zurück gekehrt.
Es gibt außerdem einen recht großen, wie ich finde sehr fazinierenden Friedhof.
Weitere Fotos aus Telsqof gibt es hier.
Alkosh
Im Ort Alkosh endete der Friedensmarsch. Hier befinden sich zwei Klöster: ein Frauenkloster unten im Ort und oben im Berg ein Mönchskloster. Vor allem das Kloster Rabban Hormizd, oben im Berg, hat mich sehr fasziniert. Mehr zu Alkosh erhährt man hier.
Weitere Fotos aus Alkosh gibt es hier.
Damit ging der Friedensmarsch zu Ende. Und was ist nun mein ganz persönliches Fazit? Das ist schwierig. Es ist ein wunderschönes Land mit großartigen, offenen, gastfreundlichen Menschen. Gleichzeitig ist die Welt dort so gar nicht in Ordnung und die Menschen brauchen Hilfe und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Vor allem für die vielen Menschen, die durch den Krieg alles verloren haben und für die vielen Flüchtlinge braucht es Lebensperspektiven, und da können wir von hier aus mit wenig Geld viel tun.
Es war eine sehr intensive Reise, die mich emotional sehr gefordert hat und noch ist nicht alles verarbeitet. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass ich wieder kommen werde um meinen Beitrag zu leisten, der Region und den Menschen eine gute Zukunft zu sichern.