Warum ich eine verlängerte Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme für falsch halte

Warum ich eine verlängerte Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme für falsch halte

Seit gestern tobt die Debatte in Brandenburg, ob die maximale Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme von sechs Monaten auf 24 Monate verlängert werden soll. Hier meine Position dazu:

Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt.

Die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme beträgt bundesgesetzlich vorgegeben maximal sechs Monate. Der Bundesgesetzgeber hat eine Regelung aufgenommen, dass die Länder landesgesetzlich diese Dauer auf zwei Jahre ausdehnen können. Bisher hat kein Land eine solche Regelung erlassen, in Bayern und Sachsen wird darüber allerdings nachgedacht.

Die maximale Dauer des Aufenthalts in der Erstaufnahme wurde bundesgesetzlich vor zwei Jahren von drei auf sechs Monate verlängert. Ob dies Auswirkungen auf die Rückführungsquote hatte ist bisher meines Wissens nicht evaluiert worden.

 

Warum reicht dem Innenministerium und den Kommunen die Aufenthaltsdauer von sechs Monaten nicht aus?

Die Unterteilung in gute oder schlechte Bleibeperspektive ist eine Erfindung der Bundesregierung, um die Asylrechtsverschärfungen für einzelne Herkunftsländer zu rechtfertigen. Dabei bedeutet schlechte Bleibeperspektive alle Herkunftsländer mit einer Schutzquote von unter 50%. Für die einzelne Person kann es in einem rechtsstaatlichen Verfahren keine vorherige Festlegung geben. Der Bund benachteiligt jedoch Menschen mit sogenannter schlechter Bleibeperspektive massiv: kein Zugang zum Integrationskurs, keine Möglichkeit der Arbeitsaufnahme usw. Das hat gravierende integrationspolitisch Auswirkungen, weil auch von denjenigen mit sogenannter schlechter Bleibeperspektive ein recht großer Anteil dauerhaft in Deutschland bleibt – nur eben mit kaum vorhandenen bzw. sehr spät einsetzenden Integrationsangeboten.

Die Bearbeitungsdauer beim BAMF liegt aktuell bei ca. zwei Monaten. Allerdings hat die schnellere und oberflächlichere Bearbeitung der Anträge und die politisch motivierte Entscheidungspraxis dazu geführt, dass immer mehr Klagen gegen die Bescheide eingereicht  werden. Die Zahl der anhängigen Gerichtsverfahren hat sich im letzten halben Jahr bundesweit fast verdoppelt (283.342); 146.000 neue Klagen von Januar bis Mai 2017, fast 60.000 allein von afghanischen und syrischen Flüchtlingen – diese haben besonders hohe Erfolgschancen bei Gericht (60 bzw. 79 Prozent). Die Klagen dauern ein Jahr und länger. Das ist einer der Gründe, weshalb die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme von einem halben Jahr nicht ausreicht, wenn man die zwangsweisen Rückführungen direkt von dort durchführen will.

Der zweite Grund ist das Dublin-Verfahren. Im Vollzug zeigt sich, dass die Überstellungsfrist von einem halben Jahr, wenn ein anderes EU-Land zuständig ist, bei vielen Geflüchteten nicht ausreicht. Nebenbei: Die EU plant deshalb aktuell die Streichung dieser Frist. Nach Ablauf der sechs Monate startet das nationale Verfahren. Da es vor allem bei der Rücküberstellung von russischen Staatsangehörigen nach Polen Probleme gibt, reicht bei diesen die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme in Brandenburg nicht aus, um in dieser Zeit eine Rücküberstellung zu gewährleisten. Das Innenministerium hat sich deshalb beim BAMF bemüht, dass diese Personen sofort im nationalen Verfahren bearbeitet werden, die Dublin-Regelungen also ausgesetzt werden. Dies hat das BAMF abgelehnt.

Gleichzeitig gibt es bei einigen europäischen Ländern humanitäre Einwände gegen eine Rücküberstellung nach dem Dublin-Abkommen, bspw. Griechenland und Rumänien. Einer schnellen Rückführung stehen oftmals auch individuelle oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse entgegen. All diese Einwände erledigen sich nicht, wenn man die maximale Aufenthaltsdauer verlängert.

 

Was wollen die Kommunen?

Die Kommunen argumentieren, sie wollen sich auf diejenigen bei der Integration konzentrieren, die tatsächlich bleiben dürfen. Deshalb wollen sie am liebsten nur noch Personen überstellt bekommen, die bereits einen Aufenthaltstitel haben. Ein Stück weit ist das nachvollziehbar, da sich tatsächlich vor allem bei Ehrenamtlichen Frustration breit macht, wenn von ihnen jahrelang betreute Personen abgeschoben werden. Und dass gerade am Anfang die Weichenstellungen für Integration (also Eingliederung in Schulen, Deutschkurse, Ausbildung und Arbeit) die meiste Arbeit machen, ist ebenfalls nachvollziehbar. Wenn Personen dann nach wenigen Monaten in ihr Herkunftsland zurück müssen, mag das als „vergebliche Liebesmüh“ (Zitat Innenminister) erscheinen, faktisch bedeutet es, dass Menschen deutsch lernen, einer Ausbildung oder Arbeit nachgehen oder in der Schule lernen, woraus sich im Übrigen teilweise aufenthaltsrechtlich Bleibeperspektiven ergeben (bspw. bei Aufnahme einer Berufsausbildung).

Außerdem wollen die Kommunen den Rückführungsbereich am liebsten an das Land abgeben, um damit nichts mehr zu tun zu haben. Aus Effektivitätsgesichtspunkten mag dies verständlich sein. Dies führt aber auch dazu, dass aufenthaltsrechtliche Entscheidungen abgekoppelt werden vom Vollzug. Das ist vor allem in gut funktionierenden Integrationsstrukturen in den Kommunen nicht wünschenswert.

 

Eine verlängerte Aufenthaltsdauer hat integrationspolitisch negative Effekte

  • Wenn Menschen zwei Jahre in der Erstaufnahme, mit wenig Kontakt zur Bevölkerung, ohne Deutschkurse und mit erschwerten Bedingungen für eine Arbeitsaufnahme, bei den Kindern ohne Schulpflicht, untergebracht sind, und sich dann heraus stellt, dass sie doch bleiben können, beginnt die Integration erst nach zwei Jahren. Mit allen negativen Effekten eines zweijährigen Nichtstuns auf engstem Raum.
  • Eine solche Zentralisierung über einen langen Zeitraum birgt auch die Gefahr der Ausbildung von Strukturen der Organisierten Kriminalität, was nicht nur die weitere Integration erschwert sondern auch problematisch für die öffentliche Sicherheit ist.
  • Nach der Verteilung auf die Kommunen beginnt der eigentliche Integrationsprozess. Es ist unschädlich, wenn auch Menschen, die später in ihr Herkunftsland zurück müssen, Sprachkurse und die Schule besuchen oder eine Arbeit aufnehmen. Daraus ergeben sich sogar aufenthaltsrechtliche Bleibeperspektiven, bspw. bei der Aufnahme einer Ausbildung oder bei guter Integration. Da das Asylsystem bundespolitisch kaum durchlässig in Richtung Arbeitsmigration ist, kann dies für die Befriedigung des Fachkräftebedarfs wichtig sein.

 

Eine verlängerte Aufenthaltsdauer wird das „Problem“ nicht lösen

  • Wenn man anerkennen will, dass es wesentlich effektiver wäre, Menschen direkt aus der Erstaufnahme in ihre Herkunfts- oder Transitländer zurückzuführen, ist festzustellen, dass eine verlängerte Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme nur in geringem Maß zu einer „Effektivitätssteigerung“ führen wird. Die Probleme bei der Überstellung nach Polen, aber auch in andere Länder, werden weiterhin bestehen. Auch individuelle oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse werden sich innerhalb von zwei Jahren in der Regel nicht erledigen.
  • Hinzu kommt: Die Dauer der Klagen gegen die Asylbescheide wird dazu führen, dass bei Einhaltung aller Fristen auch bei einer zweijährigen Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme bei vielen Personen eine Rückführung nicht möglich sein wird.
  • Aus diesem Grund sind auch jegliche Kompromisse a ´la Verlängerung auf ein Jahr, für einzelne Herkunftsländer oder Personengruppen keine Lösung.

 

Einen weiteren Aspekt will ich einfügen, der zwar nicht meine Hauptargumentationslinie ist, aber dennoch mit bedacht werden sollte. Aktuell haben wir großen Leerstand in den Flüchtlingsunterkünften in den Kommunen, der vom Land zu großen Teilen finanziert wird. Verlängert man die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme, wird der Leerstand in den Kommunen vergrößert während in den Erstaufnahmeeinrichtungen neue Kapazitäten geschaffen werden müssen. Auch fiskalisch ist dieser Vorschlag deshalb schwierig.

Am Ende muss man sich entscheiden, was man will. Liegt der Schwerpunkt auf Abschiebungseffektivierung und beugt man sich damit der Logik, Hauptsache weg, egal, was das gesellschaftspolitisch für Auswirkungen nach sich zieht? Oder ist prioritär, die Integration voran zu treiben und damit negative Auswirkungen aufgrund mangelnder Integration abzuwenden. Ich plädiere eindeutig für Letzteres!