Johlige fragt... Viola Weinert zu ihrem Aufenthalt in Flüchtlingscamps auf Lesbos

Johlige fragt… Viola Weinert zu ihrem Aufenthalt in Flüchtlingscamps auf Lesbos

Diejenigen fragen, die etwas besonderes erlebt haben oder Expertinnen und Experten auf einem bestimmten Gebiet sind, finde ich wichtig. Um auch die Leserinnen und Leser dieses Blogs daran teilhaben zu lassen, gibt es die Kategorie “Johlige fragt…”. Die Interviews, die hier erscheinen, können in der Regel auch für Publikationen oder Websites verwendet werden, aber fragt bitte vorher bei mir an!

 

Liebe Viola, deinen Sommerurlaub hast du genutzt, um auf Lesbos im Flüchtlingscamp  Moria und dem Familiencamp Kara Tepe auf der Insel Lesbos zu arbeiten. Ich finde das toll. Dennoch werden sich viele fragen, warum macht man das? Also, was war deine Motivation?

Als Lehrerin für Politische Bildung, aber auch vor allem als Schulberaterin der RAA hatte ich in den vergangenen fast zwei Jahren sehr viel mit dem Thema „Flucht und Asyl“ zu tun. Vieles, was ich vermittle, habe ich aus den Medien. Ich wollte

  1. mir selbst ein Bild von der Situation machen, um authentisch zu sein (ist bisschen egoistisch)
  2. und natürlich, um zu helfen.

Moria und Kara Tepe. Wie müssen wir uns die Camps vorstellen? Wie sind die Bedingungen für die Geflüchteten, wie viele Menschen leben dort? Wie ist die Versorgung und Betreuung?

Moria – ein Hotspot, also fast eine Erstaufnahme. Von den Bewohnern – Guantanamo genannt. Riesige Zäune, mit Nato – Draht, innerhalb nochmal Zäune und Abgrenzungen. Unter großen UNHCR-Planen kleine zumeist Wurfzelte. Getrennt nach Nationalitäten.

Kara Tepe – ein Familiencamp. Die Wohnbedingungen sind besser. Fast Bungalows für jede Familie. Auch Trinkwasser ist vorhanden.

Beide Camps unterstehen dem  griechischen Militär.  Strenge Einlasskontrollen. Keine Fotos. Genaue Zahlen gibt es nicht, Militärgeheimnis. Aber in Moria leben ungefähr 2500 Menschen. In Kara Tepe 810 Menschen.

In Moria werden die Menschen drei Mal täglich mit Essen versorgt, in Kara Tepe zwei Mal. In Moria dürfen die Flüchtlinge kein Feuer  machen und sich selbst versorgen, in Kara Tepe ist das morgens zum Frühstück möglich.

 

Was sind die größten Probleme vor Ort?

Für beide Camps besteht das selbe Problem, eine große Ungewissheit, Langeweile und Warten…Warten …….Warten. Warten auf drei Mal täglich Essen und Warten, dass irgendetwas mit dem Asylantrag geschieht. Ich habe Flüchtlinge kennen gelernt, die schon 5 Monate in Moria  WARTEN. Problem ist natürlich auch das Wetter. 36 Grad, keine Wolken und zwei bis drei Personen in kleinen Zelten. In Moria gibt es auch ein Trinkwasserproblem.

Die Menschen in Moria müssen 25 Tage nach ihrer Ankunft im Camp bleiben, erst danach bekommen sie eine Genehmigung das Camp zu verlassen. Sie können sich dann frei bewegen. Aber sie bekommen kein Geld.

 

Und wer sind die Menschen, die die Camps organisieren? Also wer arbeitet dort? Unter welchen Bedingungen?

Beide Camps werden vom Militär verwaltet. Also Armeeangehörige.  In Moria gibt es innerhalb des Camps noch ein Gefängnis, was scharf bewacht wird. Ansonsten sind auch NGOs vor Ort. Kleine Belegschaften von „Ärzte ohne Grenzen“, UNHCR oder „Save the childreen“.  Für die Mitarbeiter der NGOs  ist es natürlich ziemlich schwierig, täglich zu sehen, wie Menschen in irgendeiner Weise versuchen, eigentlich nur versuchen ganz normal  zu leben. Ich war mit der Schweizer Hilfsorganisation REMAR vor Ort.  In den Ausschreibungsunterlagen steht, dass man nicht länger als 14 Tage vor Ort sein sollte.  Das hat seine Berechtigung.

 

Wie reagiert die Bevölkerung auf Lesbos? Und wie agiert die lokale Politik und Verwaltung?

Viele Möglichkeiten mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen hatte ich nicht. Nach 10 bis manchmal  14 Stunden Arbeit, auch viel körperlicher  Arbeit, war ich doch ziemlich müde. Hinzu kommt natürlich auch, dass man die Schicksale, Fluchtwege und das tägliche Tun mit in den Schlaf nimmt.  Die Bewohner der Insel Lesbos waren uns als „Helfer“ freundlich gesinnt.  Aber immer wieder im Taxi  oder  auf der Straße erzählen sie, dass der Tourismus  fast zusammen gebrochen ist. Und die Ursache sind für sie – die Flüchtlinge.

Von lokaler Politik und Verwaltung  habe ich nichts bemerkt. Das Militär hat das Sagen.

 

Italien und Griechenland sind nach wie vor die Länder in Europa, bei denen die meisten Geflüchteten ankommen. Nach der Schließung der Balkan-Route und dem Flüchtlings-Deal mit der Türkei kommen kaum noch Menschen nach Kerneuropa. Wie ist deine Einschätzung zur Lage vor Ort? Kann Europa sich dauerhaft der Verantwortung entziehen?

Ich finde, Griechenland wird ziemlich alleine gelassen. Natürlich auch von Deutschland, aber auch von der gesamten EU. Drei Länder tragen die Hauptlast. Und die Menschen wollen ja nicht alle in Griechenland, Italien oder der Türkei leben. Viele wollen nach Deutschland. Und dieses Problem haben wir mit der Schließung aller Fluchtwege vertagt.  Die Verantwortung wurde „abgeschoben“.

 

Medial wird kaum noch über die Abschottung Europas und die damit verbundenen Folgen berichtet. Nur noch nebenbei erfahren wir von tausenden  Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Wie stellt sich das auf Lesbos dar? Wird darüber gesprochen?

Es wird, so mein Eindruck, in  der Bevölkerung ziemlich ignoriert  oder die Menschen haben selbst auch „eigene „ Probleme. Aber es gibt einen Friedhof für die im Mittelmeer umgekommenen Menschen. Und es gibt auch auf Lesbos Menschen, die sich Nacht für Nacht an  drei Stellen ans nördliche  Ufer stellen, Feuer machen, um den Booten aus der Türkei den Weg zu weisen. Der Weg von der Türkei zur Insel Lesbos ist nicht so weit. Vom  Ufer aus  sieht man die Türkei. Deshalb gibt es in diesem Gebiet wenig Ertrunkene.

Die Polizei lässt die Freiwilligen auch gewähren. Räumt aber jeden früh den Strand auf und beseitigt eventuelle „Fluchtspuren“.

 

Du hattest ganz viel Kontakt zu Geflüchteten. Wie war dein Eindruck von ihrer Stimmung? Wie geht es ihnen psychisch?

Es geht ihnen allen ziemlich schlecht. Die Menschen in Moria und Kara Tepe sind aber uns gegenüber sehr freundlich.  Mal freundliche Gesichter, und ein nettes Hallo von den Volontären.

In Moria hatte ich mehr Kontakt zu den Geflüchteten. Sie haben in der „Schnippelbude“ (da wo man Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln stundenlang schält) geholfen. Dort habe ich  von Fluchtgeschichten, von  Problemen,  aber auch von  ihren  Zukunftsträumen gehört. In unseren wenigen Pausen haben wir auch mit den Kindern und auch den Erwachsenen kleine Spiele gespielt. Die Flüchtlinge versuchen auch, sich selbst zu organisieren bzw. sich zu beschäftigen. Selbst mit kaputten Bällen spielen sie Fußball oder Volleyball. Mit den Kindern ist man schnell vertraut. Sie wollen eigentlich nur gedrückt werden. Sie betteln nicht, sondern freuen sich auf ein wenig Abwechslung und Aufmerksamkeit.

 

Was war das Erlebnis, das du auch in 10 oder 20 Jahren noch erzählen wirst, wenn du von dem Aufenthalt in den Flüchtlingscamps berichtest?

Ein bestimmtes Ereignis möchte ich gar nicht so hervorheben. Ich konnte an einem der letzten Abende nicht mehr in der Volontärschlange (Ausgabe von Essen und Wasser) stehen bleiben, weil mir die Tränen in den Augen standen, das Trinkwasser hat  schon zum zweiten Mal nicht gereicht. Die Geflüchteten stehen ratlos da in dem Wissen, in der ganzen heißen Nacht kein Trinkwasser zu bekommen.

Und ich stelle mir wieder die Frage: Was macht die Menschheit? Wann wacht  sie auf? Im 21. Jahrhundert  stehen Menschen nach Essen und Wasser an, haben keine  Chance vernünftig zu leben.

Wann und vor allem wie  wird den tausenden ratlosen Menschen eine Perspektive gegeben?

 

Du hattest ja sicher ganz viele Erwartungen. Sind diese erfüllt worden oder war es doch ganz anders, als du dir vorher vorgestellt hast? Was nimmst du für dich mit? Und: Würdest du es wieder tun?

Ich hatte mich gründlich informiert und in den Unterlagen der Organisation REMAR war klar beschrieben, was mich erwartet. Viel Arbeit in der Küche – also Schnippelbude. Aber auch der Kontakt zu den Menschen war gegeben. Ich arbeite ja schon lange in der Flüchtlingshilfe. Vieles kam mir sehr bekannt vor, Fluchtwege, Preise für die Überfahrt etc. Ich kann jetzt natürlich auch über so ein „Innenleben“ eines Flüchtlingscamps berichten. Ich hatte vorher nur ein Flüchtlingslager in Ruanda gesehen. Die Arbeit mit Flüchtlingen hier vor Ort  ist eine völlig andere. Und wenn ich ehrlich bin, haben die anerkannten Flüchtlinge hier in Brandenburg  fast alle eine Perspektive. Ich schätze sehr, was die rot-rote Landesregierung hier auch ermöglicht.

Wichtig ist aber auch, dass wir alle begreifen müssen, so geht es nicht weiter. Es müssen Wege und Lösungen innerhalb der EU und der gesamten Welt gefunden werden,  diese Katastrophe zu beenden. Fluchtursachen bekämpfen ist ein Slogan. Konzepte und deren Verwirklichung, um die Menschen nicht flüchten zu lassen. Echte und ernst gemeinte Hilfe in den Fluchtursprungsländern. Waffenexporte verbieten.

Für den Syrienkrieg so etwas wie z.B.  KSZE, also vielleicht KSZA (arabischer Raum).

Die Oktoberferien sind für ein anderes Projekt geplant. Und nächstes Jahr?  Dann, so hoffe ich, gibt es keine Flüchtlingscamps mehr!!!

 

Wenn geneigte LeserInnen sich jetzt sagen, ich will das auch machen. Was müssen sie tun bzw. an wen müssen sie sich wenden?

Meine Hilfe war das Internet. Man muss vorher sich ein Gebiet aussuchen, wo der Einsatz stattfinden sollte und dann anfragen. Und klar muss auch sein, den Flug und den Aufenthalt muss man selbst bezahlen.

 

Und für die, die nicht direkt vor Ort helfen können oder wollen, was können sie von hier aus tun?

Spenden sind natürlich immer willkommen, bei jeder Hilfsorganisation. Es gibt im Land Brandenburg genügend Initiativen, bei denen man sich anschließen kann. Nachfragen und loslegen.!

 

Liebe Viola, ich danke dir herzlich für deinen Einsatz! Und ich danke dir auch sehr für dieses Gespräch und ich hoffe, dass möglichst viele es dir gleich tun und hefen, wo sie können! Danke!