Argumentationspapier: Fragen und Antworten zu aktuellen flüchtlingspolitischenEntwicklungen

DIE LINKE Landtagsfraktion hat ein Argumentationspapier entwickelt, das wir flüchtlingspolitisch Aktiven zur Verfügung stellen. Es ist hier auch als PDF verfügbar:

Fragen und Antworten zu aktuellen flüchtlingspolitischen Entwicklungen

Argumentationspapier der Fraktion DIE LINKE im Brandenburger Landtag, Stand Juli 2023

Wir bräuchten eine „Migrationsbremse“, „die Weigerung Faesers, Zurückweisungen an der Grenze zu Polen zu ermöglichen, sei enttäuschend“, „um die Kommunen wirksam zu entlasten, müssen wir noch stärker zwischen Menschen mit Bleibeperspektive und Menschen ohne Bleibeperspektive differenzieren.“ Diese Äußerungen des Innenministers Michael Stübgen und des CDU-Landes und Fraktionsvorsitzenden Redmann aus dem Mai 2023 sind Ausdruck einer sich verschärfenden Debatte um Migration. Dabei ist fraglich, inwieweit sie ein wirkliches Problem abbilden. Vielmehr werden durch diese Debatte strukturelle Defizite zum Beispiel bei der Finanzierung von kommunalen Aufgaben oder hinsichtlich des Ausbaus und Erhalts der sozialen Infrastruktur überlagert.

Fakt ist: Teile der Landespolitik missbrauchen geflüchtete Menschen zur eigenen Profilbildung und versuchen so von den tatsächlichen Problemlagen abzulenken. Mit fatalen Auswirkungen: Der AfD werden die Stichworte gegeben und deren Positionen finden im politischen Diskurs auch der demokratischen Parteien ihren Niederschlag. Viele Geflüchtete suchen Schutz in Europa. Dies ist jedoch nur ein Abbild der weltweit zunehmenden Migrationsbewegungen. Ende 2022 zählte das UNHCR insgesamt 103 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Hunger oder sich katastrophal verschlechternden klimatischen Bedingungen. Zwei Drittel von ihnen sind Binnenflüchtlinge, das heißt, sie bleiben in ihren Herkunftsländern. Viele weitere bleiben in den Nachbarstaaten, so leben mindestens 3,5 Millionen syrische Geflüchtete in den grenznahen Gebieten der Türkei. Nur ein Bruchteil der Geflüchteten versucht die EU zu erreichen, ein noch kleinerer Teil schafft es.

Wir sind solidarisch mit den geflüchteten Menschen. Wir unterscheiden nicht, vor welchem Krieg, welchem Terrorregime oder welchen katastrophalen Klimaveränderungen die einzelnen Menschen konkret geflohen sind. Fluchtgründe gibt es viele und einen guten Teil hat die „1. Welt“ selbst mitzuverantworten. Die Debatte um Migrationsfragen gerät in eine Schieflage, wenn vergessen wird, dass unsere Waffenexporte in Krisengebiete, die historisch gewachsenen wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Austausch mit den Herkunftsländern der Geflüchteten oder unsere „westliche Lebensweise“ massiv zu diesen Migrationsbewegungen beitragen.

Wir sind als LINKE derzeit die einzige Kraft im Land, die weiterhin bedingungslos zu den in der EU-Grundrechte-Charta, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und in zahlreichen UN-Menschenrechtsverträgen verankerten Prinzipien der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Gebot der Nichtzurückweisung von Geflüchteten steht.

Wir wollen mit diesem Papier migrationspolitische Fragen beantworten, Vorurteile richtigstellen und mit Fakten den Scharfmachern von rechts und Rechtsaußen begegnen.

Werden wir gerade von Geflüchteten „überrannt“, wie das in den Äußerungen mancher Politiker*innen durchklingt?

Nein, das stimmt nicht. Die Zahl der in Deutschland lebenden Geflüchteten ist im Verlauf des Jahres 2022 zwar von knapp 2 Mio. auf über 3,1 Mio. gestiegen. Maßgeblich hierfür war aber vor allem die Flucht aus der Ukraine (über 1 Mio. Menschen). Es gibt auch eine steigende Zahl Asylsuchender und auch Personen, die durch humanitäre Aufnahmeprogramme (etwa gefährdeter Personen aus Afghanistan) zu uns kommen, allerdings ist dieser Anstieg im Vergleich zur Zahl der Ukraine-Geflüchteten sehr gering: 2022 nahm Deutschland insgesamt 1.045.000 ukrainische Geflüchtete auf, dazu kamen noch knapp 200.000 Geflüchtete aus anderen Staaten, die Asylerstanträge stellten. Weitere 20.000 Asylerstantragsteller hatten einen aufenthaltsrechtlichen Status, befanden sich also schon im Land. 

Aber es sind sehr viele illegale Migranten nach Brandenburg gekommen, weshalb Innenminister Stübgen und Ministerpräsident Woidke Grenzkontrollen einführen wollen?

Allein Formulierungen wie „illegale Migranten“ oder auch „irreguläre Migration“ zeugen von dem Versuch einer Diskursverschiebung nach rechts. Bis auf die wenigen Personen, die über ein humanitäres Aufnahmeprogramm oder den Familiennachzug legal einreisen, ist faktisch jede Einreise Schutzsuchender „illegal“. Menschen auf der Flucht haben juristisch keine andere Chance, als „unerlaubt“ einzureisen.

Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention darf bei Geflüchteten die unerlaubte Einreise jedoch nicht kriminalisiert oder bestraft werden. Genau dies wird aber in Deutschland getan, denn „illegale Einreisen“ gelten in Deutschland als Straftaten und werden auch so gezählt (siehe Punkt Kriminalität). Dies beschäftigt nur sinnlos die Ermittlungsbehörden, denn die Verfahren werden in der Regel eingestellt und nicht verfolgt. Aktuell wird dies aber massiv zur Stimmungsmache gegen Geflüchtete genutzt – auch von der CDU.

Die statistischen Daten zeigen: Im Jahr 2022 wurden in Brandenburg insgesamt 5.481 Asylanträge gestellt, davon waren 4.936 Asylerstanträge. Damit ist die Antragslage nicht viel anders als vor der coronabedingten Delle der Jahre 2020 bis 2022. So wurden im Jahr 2019 in Brandenburg 4151 Asylerstanträge gestellt, 2018 waren es 4.679.

Neben diesen Asylsuchenden nahm das Land Brandenburg im Jahr 2022 mehr als 30.000 ukrainische Geflüchtete auf. Die starke Erhöhung im Jahr 2022 war also eine direkte Folge des Kriegs in der Ukraine.

Im Jahr 2023 ist tatsächlich eine Erhöhung der Zahl der Geflüchteten, die nach Brandenburg kommen, zu verzeichnen. Von Januar bis Ende Mai kamen etwa 5.000 Personen in Brandenburg an, darunter etwa 500 Menschen aus der Ukraine. Von den Prognosen der Landesregierung, die geschätzt hat, dass die Kommunen in Brandenburg in diesem Jahr etwa 26.000 Menschen aufnehmen müssen, sind wir jedoch weit entfernt.

Und: Ein Teil der Steigerung der Geflüchtetenzahlen in Brandenburg hat mit verstärkten Kontrollen im grenznahen Bereich zu tun. Viele der dort aufgegriffenen Personen wären in andere Bundesländer weitergereist, um sich dort zu registrieren, wo bereits Familie und Freunde leben.

  • Von „überrennen“ kann also keine Rede sein. Die Flüchtlingszahlen steigen zwar, jedoch lange nicht in dem Maß, wie von interessierter Seite teilweise suggeriert wird.

Aber wären Grenzkontrollen nicht trotzdem sinnvoll?

Laut des 2016 verabschiedeten Schengener Grenzkodex dürfen Nationalstaaten für einen begrenzten Zeitraum von maximal sechs Monaten Grenzkontrollen einführen, wenn eine „Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit“ vorliegt“. Schutzsuchende sind keine „Bedrohung“ in diesem Sinne.

Ebenfalls festgehalten ist, dass die Wiedereinführung von Grenzkontrollen „das letzte Mittel“ sein muss. Die Bundesregierung sagt selbst, dass z.B. die „Schleierfahndung“ – die auch kritisch zu bewerten ist – vergleichbar effektiv ist wie stationäre Binnengrenzkontrollen. Das sagt sogar die Gewerkschaft der Polizei für Bundespolizei und Zoll.

Art.25 Abs.1 S.2 SGK (Schengener Grenzkodex) hält zudem explizit fest: „Die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen darf in Umfang und Dauer nicht über das Maß hinausgehen, das zur Bewältigung der ernsthaften Bedrohung unbedingt erforderlich ist.“ Weder liegt derzeit eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit vor, noch hat das Land alle verfügbaren Mittel ausgeschöpft.

Auch Zurückweisungen an Grenzen sind keine Option. Nach Art. 16a GG genießen politisch Verfolgte Asyl. Dieser Anspruch ist zu prüfen, eine Zurückweisung an der Grenze kann also nur erfolgen, wenn kein Asylgesuch gestellt wird oder offensichtliche Gründe vorliegen – wie ein laufendes oder abgeschlossenes Asylverfahren in anderen EU-Staaten – die eine Einreise verhindern. Jedoch können letztere Personen auch über die Dublin III- Regelungen in das EU-Land zurückgeführt werden, in dem sie erstmalig registriert wurden.

Bei diesem Thema müssen wir mehr Realismus in die Debatte bekommen: Menschen, die tausende Kilometer unter widrigsten Bedingungen, zum Teil unter Einsatz ihres Lebens bspw. übers Mittelmeer geflüchtet sind, werden sich nicht von der Oder bzw. Grenzkontrollen aufhalten lassen. Die gesamte Grenze wird nicht zu kontrollieren sein und wir wissen aus der Vergangenheit, dass sich Migrationsbewegungen nach wenigen Tagen an Punkte verlagern, die nicht kontrolliert werden. 

Es kommt ein weiterer Grund hinzu, warum wir stationäre Grenzkontrollen ablehnen: Die Grenzregion zu Polen ist zusammengewachsen. Viele Polinnen und Polen arbeiten in Deutschland, auch Deutsche arbeiten in Polen. Hinzu kommt der kleine Grenzverkehr. Für die Grenzregion ist es wichtig, dass dieses selbstverständliche Miteinander nicht wieder getrennt wird. Als die Grenze wegen der Corona-Pandemie zeitweise geschlossen war, wurde deutlich, wie eng die Verflechtungen zwischen beiden Ländern sind. Stationäre Grenzkontrollen werden zu Staus und Verzögerungen führen. Und das Ziel des Aufgriffs von Migrantinnen und Migranten wird verfehlt, weil diese die Grenzkontrollen umgehen werden.

Innenminister Stübgen und auch vermehrt Stimmen aus der CDU-Fraktion sprechen sich für Zurückweisungen an den Grenzen aus, um „irreguläre Migration“ zu bekämpfen. Auch das ist eine populistische Forderung, denn jeder Mensch hat das Recht, an der Grenze nach Asyl zu verlangen und gilt damit bis auf Weiteres als Schutzsuchender. Damit hat er auch Anrecht auf ein rechtsstaatliches Verfahren.

Das Bundesinnenministerium gab vor kurzem an, im vergangenen Jahr insgesamt 25.538 Personen an den deutschen Außengrenzen zurückgewiesen zu haben (64,3% kamen aus den 15 Top Asyl-Herkunftsländern), vor allem an der bayerisch-österreichischen Grenze. Die formellen rechtlichen Zurückweisungsgründe waren überwiegend fehlende (gültige) Reisedokumente (14.960 Fälle) oder ein fehlendes (gültiges) Visum (4.693).

Schauen wir nach Brandenburg. Hier sieht die Lage anders aus: Unter den 15.198 unerlaubten Einreisen an der deutsch-polnischen Grenze waren 9520 Asylgesuche unerlaubt eingereister Personen und nur 55 Zurückweisungen.

Die Gründe für diese unterschiedlichen Zurückweisungsquoten dürften in unterschiedlichen Gruppen bei den Aufgegriffenen liegen: Über Bayern reisen vor allem Menschen ein, die in Deutschland eine Beschäftigung suchen und daher kein Asyl begehren. An der Deutsch-Polnischen Grenze treffen aber vor allem Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten ein, die über verschiedene Wege durch Osteuropa versuchen, in die EU zu kommen. Dass sie diese Route wählen, liegt vor allem an der Abschottung der EU-Außengrenzen in Südosteuropa und den Unsicherheiten und Gefahren bei Fluchten über das Mittelmeer oder den Balkan. Nichtsdestotrotz suchen diese Menschen bei uns Schutz und bekommen diesen Status zumeist auch, denn die Hauptherkunftsländer der Geflüchteten, die nach Brandenburg kommen, sind Afghanistan, Syrien und der Irak –Regionen, in denen Bürgerkriege wüten oder die Lage extrem unsicher ist.

Kann man die abgelehnten Asylbewerber nicht einfach abschieben?

Ein Blick auf die Zahlen hilft hier: Manche Medien und Parteien stellen immer wieder die Zahl der in Deutschland lebenden Personen mit abgelehntem Asylantrag in den Vordergrund: Ende 2022 waren dies insgesamt 861.151 Menschen. Dazu muss betont werden, dass drei Viertel dieser in der Vergangenheit einmal formell abgelehnten Asylsuchenden einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus haben. Viele dieser Asylablehnungen liegen Jahre oder Jahrzehnte zurück, häufig wurde in diesen Fällen später ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen erteilt (Krieg, dauerhaft unzumutbare Ausreise, andere humanitäre Gründe, Bleiberechtsregelungen, Heirat mit Deutschen/Aufenthaltsberechtigten usw.).

Auch Asylsuchende, bei denen das BAMF  Abschiebungshindernisse und keine Flüchtlingseigenschaft festgestellt hat, gelten im Ausländerzentralregister (AZR) formell als „abgelehnte Asylbewerber“, etwa afghanische Flüchtlinge: Ende 2022 lebten 142.413 abgelehnte afghanische Asylsuchende in Deutschland, denen im Regelfall wegen Abschiebungshindernissen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt wird. Auch EU-BürgerInnen mit Freizügigkeitsrecht gelten im AZR als „abgelehnte Asylbewerber“, wenn in der Vergangenheit einmal eine Ablehnung im Asylverfahren erfolgte, was oftmals vor dem EU-Beitritt geschah, z.B. waren Polen und Rumänien Anfang der 90er Jahre Hauptherkunftsländer Asylsuchender.

Die Zahl der laut AZR „Ausreisepflichtigen“ betrug Ende 2022 304.308 Personen. Allerdings verfügten 248.145 der Ausreisepflichtigen (81,6%) über eine Duldung. Und selbst die Zahl der verbleibenden 56.163 Personen, die laut AZR ausreisepflichtig sind, ist mit Vorsicht zu genießen. So musste die Bundesregierung 2019 auf eine Anfrage der Linksfraktion zugeben, „dass sich unter den im AZR erfassten Ausreisepflichtigen ohne Duldung auch Personen befinden, die ohne Kenntnis der Ausländerbehörden bereits aus Deutschland ausreist oder untergetaucht sind“. So waren von den Ende 2009 im AZR vermerkten 70.000 angeblich Ausreisepflichtigen ohne Duldung 40.000 im Rechtssinne gar nicht ausreisepflichtig. In Hessen gab es im August 2017 eine Überprüfung aller Akten von laut AZR ausreisepflichtigen Personen – Ergebnis: nur 63 Prozent der überprüften Personen waren tatsächlich ausreisepflichtig und noch in Deutschland.

In Brandenburg lebten Ende 2022 10.741 ausreispflichtige Personen, davon hatten 7.641 eine Duldung. Von den 3.065 Personen ohne aufenthaltsrechtlichen Status dürfen die meisten aufgrund von Abschiebungshindernissen nicht in die Herkunfts- oder Ankunftsländer rückgeführt werden.

Die wenigen übrigbleibenden Personen sind häufig nicht auffindbar oder nicht mehr im Land. Das zeigt auch die Zahl der 2022 durchgeführten Abschiebungen: Insgesamt schob Brandenburg 167 Personen ab.

Angesichts der aktuellen Situation in den Kommunen – fehlende Unterbringungsplätze und zu wenig Kapazitäten in KiTas und Schulen – werden die Rufe nach mehr Abschiebungen immer lauter. Jedoch würde selbst eine Verdopplung der Zahl der Abschiebungen keines der Probleme in den Städten und Gemeinden lösen. Im Gegenteil: Abschiebungen sind extrem teuer. Das Geld könnte sehr viel sinnvoller investiert werden, wenn man die Kommunen unterstützt, die soziale Infrastruktur zu ertüchtigen und auszubauen Aus unserer Sicht wird der Ruf nach mehr Abschiebungen vor allem genutzt, um Stimmung gegen Geflüchtete zu machen, Handeln zu suggerieren und vom eigenen Versagen abzulenken.

Gibt es dann also gar kein Problem?

Doch. Die Lage ist vor allem für die Kommunen angespannt. Wir sehen dabei zwei grundlegende Herausforderungen. Einerseits fehlt vor allem im ländlichen Raum die soziale Infrastruktur. Für alle hier lebenden Kinder und Erwachsenen müssen Einrichtungen der Daseinsvorsorge verfügbar sein. Das umfasst Kitas, Schulen mit dazugehörigem pädagogischen Personal, medizinische Versorgung, öffentlicher Nahverkehr und kulturelle Institutionen. Andererseits fehlt es im ganzen Land an bezahlbarem Wohnraum. Das wird dann natürlich noch einmal spürbarer, wenn mehr Menschen dazu kommen. Deshalb ist der Ausbau und Erhalt von Wohnraum sowie von sozialer Infrastruktur für alle hier lebenden Menschen wichtig. Und das ist auch Grundbedingung für die gelingende Integration von neu zugewanderten Menschen. Hier hat die Landesregierung in den vergangenen Jahren nichts getan, vielmehr noch hat sie die Probleme durch ihr Handeln teils noch verschärft. Die Probleme sind strukturell, und sie bestanden schon, bevor viele Schutzsuchende nach Deutschland kamen. Diese Probleme endlich anzupacken ist Aufgabe der Landesregierung.

Nun sind wir in einer Situation, in der es schnelle und pragmatische Lösungsansätze braucht:

  • Warum wird etwa Asylsuchenden nicht erlaubt, bei Verwandten, Bekannten oder privat unterzukommen, wenn ihnen das möglich ist? Das würde die Erstaufnahmestrukturen und die Aufnahmesituation in den Kommunen wirksam entlasten.
  • Warum werden nicht für jede und jeden sofort Sprachkurse zur Verfügung gestellt? Sprache ist der Schlüssel zur Integration.
  • Und warum gibt es noch immer Arbeitsverbote? Statt am alten Denken der Abwehr Geflüchteter festzuhalten, wäre es sinnvoll, sie als Chance zu begreifen, auch um den Arbeitskräftemangel zu kompensieren.

Klar ist: Die große Mehrheit der aktuell um Asyl suchenden Menschen ist nach Auffassung des BAMF schutzbedürftig: Die bereinigte Schutzquote lag 2022 auf einem Rekordwert von über 72 Prozent – hinzu kommen noch zehntausende nachträgliche Anerkennungen durch Entscheidungen der Gerichte oder Korrekturen durch das BAMF. Der Großteil der Menschen, die zu uns kommen, wird also einen Schutzstatus erhalten. Integration von Beginn an ist eine Investition in die Zukunft.

Zeigt nicht die Kriminalitätsstatistik, dass viele von den Ausländern kriminell sind?

Nein, laut der Kriminalstatistik des Innenministeriums wurden 2022 18.158 Straftaten in Brandenburg von Ausländern begangen. Das klingt viel, ist aber unscharf, weil davon insgesamt 14.331 Straftaten gegen das Aufenthalts-, das Asyl- und das Freizügigkeitsgesetz/EU waren. Darunter fallen vor allem Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz (unerlaubte Einreisen), aber auch Schleuserkriminalität (146 Fälle, allein 64 Personen mit Bezug zum Ukraine-Krieg).

Die Rede von den „kriminellen Ausländern“ lässt sich bei näherer Betrachtung also nicht aufrechterhalten. Die hier lebenden Ausländer werden zumeist nicht straffällig, sondern versuchen ein friedliches und unauffälliges Leben zu führen.

Zudem zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass Kriminalität sich nicht mit Herkunftsländern oder Staatsangehörigkeiten erklären lässt, sondern vor allem soziale Gründe hat. Die höchst prekäre Unterbringung in großen Lagern, zusammen mit unbekannten Menschen in einem Zimmer, auf engstem Raum, befördert Unzufriedenheit, Frust und auch gewaltsame Auseinandersetzungen. Auch schlechte Lebensbedingungen, Perspektivlosigkeit, Arbeitsverbote u.ä. führen dazu, dass Menschen Straftaten begehen. Wir können das umgehen, indem wir den Menschen die Möglichkeit geben, sich ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Eine schnelle Integration ist insofern die wirksamste Form der Prävention.

Aber viele wollen sich doch gar nicht integrieren?

Dafür gibt es keine Belege. Im Gegenteil sind diejenigen, denen wir ein Leben in Brandenburg ermöglichen, bereit, die Sprache zu lernen und am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren. Arbeitsverbote und die Verweigerung eines Zugangs zu Integrationskursen tragen dazu bei, dass eine Integration nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Die meisten Menschen suchen auch deshalb in Deutschland Schutz, weil sie die grundlegenden Werte von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit teilen. Sie wollen in aller Regel von ihrer eigenen Hände Arbeit leben und nicht dem Staat zur Last fallen!

Integration hat jedoch nicht nur etwas mit der Integrationsbereitschaft der Geflüchteten zu tun, sondern ist auch abhängig von den Integrationsbedingungen und -angeboten. Das wird schon beim Sprachkursangebot deutlich: Wenn es zu wenige Kurse gibt, diese wenn vorhanden oft mit langen Fahrwegen verbunden sind und es gleichzeitig an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder während der Kurse fehlt, wird es für viele Geflüchtete schwer, an diesen teilzunehmen. Solche Hürden gibt es nicht nur bei Sprachkursen, sondern auch bei der Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, bei der Teilnahme am Vereinsleben, beim Sport usw. Deshalb muss dafür gesorgt werden, dass die Integrationsbedingungen vor Ort bedarfsgerecht verbessert und ausfinanziert werden.

Den Willen zur Integration sehen wir auch an den vielen Einbürgerungsersuchen. Pro Jahr werden in Brandenburg etwa 1.000 Einbürgerungsverfahren abgeschlossen (2019: 1.041, 2020: 845, 2021: 925, 2022: 1.197), und Ende 2022 waren insgesamt 4.568 Einbürgerungsverfahren anhängig.

Nach dem Willen der Landesregierung sollen bestimmte Gruppen von Geflüchteten jetzt länger in der Erstaufnahme verbleiben. Das entlastet doch auch die Kommunen, oder?

Auf dem „Flüchtlingsgipfel“ mit den Kommunen Anfang Juni wurde verabredet, dass die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme für diejenigen Personen, die eine sogenannte schlechte Bleibeperspektive haben, auf 18 Monate, ggf. sogar auf 24 Monate ausgeweitet wird. Diese Maßnahme soll angeblich dazu führen, dass ca. 450 Personen weniger pro Monat auf die Kommunen verteilt werden.

Bundesgesetzlich ist es tatsächlich möglich, Personen bis zu 18 Monate lang in der Erstaufnahme unterzubringen, eine Verlängerung auf 24 Monate ist mit einer landesgesetzlichen Regelung zu erreichen, die jedoch erst noch beschlossen werden müsste. Ausgenommen davon sind jedoch Familien mit Kindern, deren Aufenthalt in der Erstaufnahme ist grundsätzlich auf sechs Monate beschränkt.

Eine solche Aufenthaltsverlängerung kann die Kommunen tatsächlich dahingehend entlasten, dass für eine gewisse Zeit weniger Menschen vor Ort untergebracht werden müssten. Mehr Zeit für die Schaffung neuer Unterbringungskapazitäten. Dieser Zeitgewinn hat aber einen hohen Preis: Die lange Unterbringung in der Erstaufnahme wird langfristig zu großen Problemen führen, da in den großen, zentralen Einrichtungen keine Integration möglich ist. Die Integration wird deutlich später beginnen, und Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit werden zunehmen – mit negativen Folgen für alle Seiten. Deshalb lehnen wir als LINKE eine verlängerte Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme ab.

Gleichzeitig ist zu bezweifeln, dass die Entlastung der Kommunen durch diese Maßnahme tatsächlich so hoch ausfällt, wie versprochen. Die aktuellen Zugangszahlen in der Erstaufnahme sind im Schnitt bei 1.000 Personen im Monat. Diese kommen vor allem aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder auch der Ukraine. Viele haben gar keine „schlechte“ Bleibeperspektive, müssten also recht schnell auf die Kommunen verteilt werden. Hinzu kommen die Menschen, die in Familienverbünden einreisen, diese dürfen auch bei „schlechter“ Bleibeperspektive maximal sechs Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben.

Das Ziel, 450 Personen weniger pro Monat auf die Kommunen zu verteilen kann demnach nur erreicht werden, wenn auch Menschen, deren Asylantrag mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv beschieden werden wird, länger in der Erstaufnahme bleiben müssen als bisher.

Die kurzfristige Entlastung der Kommunen wird also damit erkauft, dass die Integration von Menschen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft in Deutschland bleiben werden, bewusst verzögert wird. Das kann in einer Situation, wo tatsächlich keine Unterbringungskapazitäten in den Kommunen vorhanden sind, kurzzeitig sinnvoll sein. Als Grundsatz, wie nun von der Landesregierung verabredet, ist es falsch und wird zu mehr Problemen führen.

Entgegen allen Warnungen hat der Innenminister die Erstaufnahmeeinrichtung in Doberlug-Kirchhain mit 1.090 Plätzen geschlossen und die seit Monaten versprochene Schaffung von 3.000 zusätzlichen Plätzen in der Erstaufnahme lässt nach wie vor auf sich warten, inzwischen ist auch nur noch von 1.500 zusätzlichen Plätzen die Rede, die aber wohl erst im Herbst zur Verfügung stehen werden. Es ist einfache Mathematik, dass die Kapazitäten im Herbst erschöpft sein werden, wenn tatsächlich monatlich 450 Personen mehr in der Erstaufnahme verbleiben als bisher.

Was sollte man aus eurer Sicht man denn sinnvollerweise tun?

Wir plädieren dafür, die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen für die angestammte Bevölkerung und geflüchtete Menschen zusammen zu denken. Aus dieser Überlegung heraus gibt es keine „Politik für Geflüchtete allein“, sondern einen Fokus auf ein solidarisches Miteinander, das allen ermöglicht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Dazu zählen Investitionen in Wohnraum und soziale Infrastruktur. Ein Dach über dem Kopf, eine gute Kita und Schule, erreichbare medizinische Versorgung und ein öffentlicher Personennahverkehr, der seinen Aufgaben gerecht wird, gehören zur verbrieften Daseinsvorsorge. Das Problem des Mangels an bezahlbarem Wohnraum und an Plätzen in KiTas und Schulen ist lange bekannt und würde auch dann weiter existieren, wenn weniger Geflüchtete kämen. Wir fordern deshalb ein Investitionsprogramm von 500 Millionen Euro für den Ausbau der Bildungsinfrastruktur und ein Programm zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.

Und natürlich muss den Kommunen geholfen werden, die für Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten zuständig sind. Monatelang wurde wahlweise auf den Bund verwiesen oder finanzielle Hilfe versprochen, ohne dass irgendetwas passierte. Dadurch wurde viel Zeit verschenkt. Es ist gut, dass endlich die versprochenen Gelder fließen, um vor Ort Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen.

Klar muss aber auch sein: Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen, mag in einer Notsituation hilfreich sein und ist manchmal die einzige kurzfristige Lösung. Mittelfristig brauchen wir jedoch Wohnraum für dezentrale Unterbringung möglichst in Wohnungen oder Wohnverbünden. Nur so wird die Integration schnell gelingen und werden die Menschen befähigt, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Und: Dezentrale Unterbringung verringert Konflikte und hilft am Ende allen.

Wichtig ist jetzt auch, die Angebote zur Integration der Geflüchteten zu verbessern. Deren Fähigkeit zur Kommunikation, also der Beherrschung der Sprache, muss vom ersten Tag an gefördert werden. Auch die Kenntnis historischer Sachverhalte und kultureller Praxen gehören zum Grundgerüst des Lebens in sozialen Zusammenhängen. Wir wollen weder Zwang zur Assimilation noch die Unterwerfung unter eine Leitkultur, sondern Integration in lokale und regionale Kontexte. Dazu sind sowohl professionelle Anleitung als auch ehrenamtliche Unterstützung zu fördern und auszubauen und Willkommensinitiativen unbürokratisch zu unterstützen. Dafür muss die Landesregierung einsehen, dass das völlig überbürokratisierte Integrationsbudget an dieser Stelle das falsche Instrument ist und wieder pauschale Beträge ausweisen, die in den Kommunen für Integrationsmaßnahmen verwendet werden können. Außerdem muss die Migrationssozialarbeit besser finanziert werden und es muss gesichert sein, dass auch ukrainische Geflüchtete einen Anspruch auf Migrationssozialarbeit haben.

Neben den Sprachkenntnissen brauchen zugewanderte Menschen auch Arbeit, um ein unabhängiges Leben im Land zu führen. Die meisten Geflüchteten sind relativ jung und haben durch schlechte Bedingungen in den Herkunftsländern und/oder lange Fluchten auch keine entsprechende Bildung oder Ausbildung. Die Integration in den Arbeitsmarkt muss vordringliche Aufgabe sein. Nicht nur, um den Geflüchteten ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, sondern auch weil Brandenburg Arbeits- und Fachkräfte braucht. Berufsbezogene Sprachkurse, schnellere Berufsanerkennung und ein ausreichendes Angebot an Anpassungsqualifizierungen sind vordringliche Aufgaben, die endlich angegangen werden müssen.

Der Ausbildungsmarkt zeigt schon lange eine Vielzahl an unbesetzten Ausbildungsstellen (12.000), auch sind 25.000 Arbeitsstellen nicht besetzt. Vor allem in der Gastronomie, dem Handwerk oder der Baubranche finden Firmen kaum Beschäftigte. Und mit Blick auf die Aufgaben beim Umbau der Wirtschaft auf Klimaneutralität und auch der Klimafolgenbewältigung werden bis 2030 um die 60.000 Stellen neu besetzt werden müssen. Von Pflege- oder Sozialberufen in einer demographisch älter werdenden Gesellschaft ganz zu schweigen.

Deshalb fordern wir von der Landesregierung, dass sie sich wie Thüringen beim Bund für die Änderung aufenthaltsrechtlicher Regelungen einsetzt, um Asylsuchenden eine Ausbildung zu ermöglichen. Ein Spurwechsel zwischen Asylsystem und Migration in den Arbeitsmarkt muss erleichtert werden. Es ist doch völlig absurd, dass wir in andere Ländern Arbeitskräfte anwerben und gleichzeitig denen, die schon im Land sind, Steine in den Weg rollen, wenn sie hier arbeiten wollen.

Und ja – das alles kostet Geld. Geld, das jedoch vorhanden ist, sowohl im Land, als auch im Bund. Diese Mittel sind als Investition in die Zukunft zu betrachten. Aus unserer Sicht gibt es zwei Möglichkeiten, wie in der derzeitigen Situation weiter zu verfahren ist:

Entweder, man folgt dem Weg, den der Innenminister und die AfD vorschlagen: Zurückweisungen an der Grenze, langer Aufenthalt in großen Einrichtungen und Ausweitung von Abschiebungen. Dieser Weg würde sicherlich die Ängste beruhigen, die seit Monaten geschürt werden. Aber verändern würde sich nichts. Kein Problem in den Kommunen würde dadurch gelöst werden.

Oder wir kümmern uns um diese Menschen und setzen uns als Politik das gemeinsame Ziel, diese Menschen hier zu integrieren und ihnen ein gutes Leben in Brandenburg zu ermöglichen. Dies ist der Weg, den wir als LINKE gehen wollen.