Bericht von der Veranstaltung "Fluchtursachen am Beispiel syrischer Flüchtlinge"

Bericht von der Veranstaltung „Fluchtursachen am Beispiel syrischer Flüchtlinge“

DIE LINKE im Havelland hat in Dallgow-Döberitz zu der Veranstaltung „Neue Nachbarn in Dallgow-Döberitz – Fluchtursachen am Beispiel syrischer Flüchtlinge“ eingeladen. Wir waren dann doch etwas überrascht, dass mehr als 80 Menschen unserer Einladung folgten. Und ich glaube, sie wurden nicht enttäuscht. Es war ein großartiger Abend!

Vorbereitungstreffen.

Vorbereitungstreffen.

Aber der Reihe nach: Im Vorfeld hatten wir die Veranstaltung intensiv vorbereitet und unter anderem ein Vorbereitungstreffen gemeinsam mit Geflüchteten bei einem arabischen Frühstück gemacht. Dort hatten wir den Ablauf verabredet und sind auch gleich intensiv in die Diskusson gekommen. So war auch ich sehr gespannt, wie die Veranstaltung wird.

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Alper Sirin bei der Begrüßung. Im Podium Sahra für die Übersetzung, daneben Shiro und Hiam, Claudia und Frank. (v.l.n.r.)

Bei der Veranstaltung begrüßte der Moderator, Alper Sirin, die Gäste und gab dann gleich Shiro, einem syrischen Kurden, der derzeit in Dallgow-Döberitz untergebracht ist, das Wort. Er war in Syrien Bauarbeiter und ist wegen der Verfolgung, denen das kurdische Volk derzeit ausgesetzt ist, nach Deutschland geflohen. Er beschrieb, dass er ein Leben voller Angst führte, nicht die eigene Sprache sprechen und nicht die eigene Kultur leben durfte. Er berichtete kurz aus der Geschichte Kurdistans, berichtete vom Aufstand der Kurden gegen Assad im Jahr 2004, wo niemand aus dem Ausland die Kurden unterstützt habe. Seit 2015 sei der IS im Gebiet und seitdem sei eine völlig aussichtlose Situation. Er wünscht sich einen sekularen, föderalistischen und demokratischen Staat, in dem die einzelnen Volksgruppen eigene Gebiete haben und diese weitgehend selbst verwalten können.

Dem widersprach Hiam, indem sie darauf hinwies, dass sie ein Land will, das nicht aufgeteilt wird sondern wo in allen Gebieten alle gemeinsam friedlich leben. Hiam war in Syrien Buchhalterin und sie sagte zu Beginn ihres Beitrages „Ich wollte kein Flüchtling sein, leider wurde ich dazu gezwungen.“ Sie betonte, dass eigentlich in Syrien alle gemeinsam miteinander friedlich gelebt haben. Allerdings wurden vom Staat einzelne Gruppen unterschiedlich behandelt, was Zwietracht gesät habe. Außerdem habe es keine Meinungsfreiheit gegeben und politische Gegner seien verfolgt worden. Sie beschrieb den Beginn der Revolution ungefähr so: Kinder hätten auf eine Wand geschrieben, dass die Gleichberechtigung und Freiheit wollten. Die Kinder wurden vom Staat verhaftet und ihre Eltern kämpften lange daum, dass sie frei gelassen werden. Irgendwann passierte das auch, allerdings stellte sich heraus, dass die Kinder gefoltert wurden (ausgezogene Nägel, Brandmale, Misshandlungen…). Auf den folgenden Protest, in dem es anfangs „nur“ darum ging, dass die Menschen wollten, dass das Regime sich entschuldigt für die Folter der Kinder, antwortete dieses mit Bombardements. Dies sei der Anfang der Revolution gewesen, die sich daraufhin rasant ausbeitete.

vd2Hiam bedankte sich bei Deutschland für die Aufname der Geflüchteten. Sie sagte sinngemäß: „Der Dank gilt dem deutschen Volk, das zu dem Zeitpunkt die Tür für die Syrerinnen und Syrer öffnete, als alle anderen Türen verschlossen waren.“ Sie kritisierte jedoch auch, dass auch Deutschland Teil des Konflikts ist, da einzelne Gruppen von Deutschland bewaffnet wurden. Ihre Schussfolgerung für die Zukunft Syiens war, dass alle ausländischen Mächte das Land verlassen müssten und das syrische Volk in die Lage versetzt werden muss, selbst darüber zu entscheiden, wie es weiter geht.

Nach diese Berichten der Geflüchteten gab Claudia Fortunato eine Einschätzung zu den Friedensverhandlungen zu Syrien in Genf. Sie hat ein halbes Jahr für den Kurdischen Nationalrat, der Teil der syrischen Opposition (die aus mehr als 100 verschiedenen Gruppen besteht) ist, in Genf gearbeitet. Sie berichtete dass es im März un April Verhandlungsrunden gegeben habe, danach jedoch nicht mehr, da eine Waffenruhe nicht erreicht wurde und dies als Grundvoraussetzung für Verhandlungen angesehen wird. Sie berichtete auch, dass die syrische Opposition zwar aktuell an einem Plan für den Übergang arbeitet, die Vorstellungen jedoch so weit auseinande gehen, dass eine Einigung innerhalb der Opposition aktuell nicht wahrscheinlich ist.

Den Abschluss der Eingangsstatements machte Dr. Frank Renken, der Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der LINKEN ist. Ich kann in diesem Rahmen den umfangreichen Vortrag nicht widergeben. Deshalb nur schlaglichtartig einige Stichpunkte, die mir wichtig erscheinen:

  • Konflikt in Syrien wird nicht durch Terror aus der Luft gestoppt
  • Bundeswehr ist an Konflikt beteiligt: definiert Ziele per Aufklärung, keine Transparenz, was sie da genau tut, nicht einmal für Bundestag
  • US-Luftwaffe hat in Syrien über 40.000 Bomben abgeworfen
  • auch Russland spielt furchbare Rolle, gerade aktuell bei Aleppo, wo gemeinsam mit Assad bewusst Zivilbevölkerung und auch Krankenhäuser bombardiert werden, um in die Lage zu kommen, Stadt zurückzuerobern
  • aus der Revolution wurde ein Bürgerkrieg, der nun droht ein weltweiter Konflikt zu werden – Problem war aber nicht die Revolution sondern die vorangegangenen Repressionen des Assad-Regimes und die EInmischung ausländischer Mächte
  • es hilft bei diesem Konflikt nur ein bedingungsloser Waffenstillstand, Ermöglichung humanitärer Hilfslieferungen und der Abzug aller externen Gruppen und Söldner

vd1Nach diesen Eingangsstatements gab es eine intensive Diskussion zwischen den TeilnehmerInnen, bei der sich auch die Geflüchteten intensiv einbrachten. Es wurde deutlich, dass es auch bei den Syrerinnen und Syrern sehr viele unterschiedliche Positionen gibt, wie der Krieg beendet werden und wie die Zukunft Syriens gestaltet werden kann. Das Spannende war aber, dass die Positionen zwar lebhaft vorgetragen wurden und auch kontrovers waren, es wurde aber auch deutlich, dass bei allen der Wunsch nach Frieden vorhanden ist und der Wille, gemeinsam ein freies Syrien zu gestalten vorhanden ist. Ich kann hier die Diskussion nicht im Einzelnen nachzeichnen und will deshalb nur noch ein Zitat exemplarisch anbringen, das mich sehr berührt hat: Ein syrischer Christ meldete sich zu Wort und rief in den Saal: „Ich werde für ein freies Syrien kämpfen, in dem wir alle friedlich zusammen leben – mit dem Koran und der Bibel in der Hand“.

Ich hoffe, es ist ein wenig deutlich geworden, wie spannend und auch lehrreich diese Veranstaltung war. Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen, dass es wichtig ist, nicht immer nur über die Flüchtlinge zu reden, sonden mit ihnen. Nicht nur, weil man sehr viel dabei lernen kann sondern vor allem, weil es Verständnis füreinander weckt. Und genau das ist an diesem Abend gelungen.

Ich will nicht versäumen mich bei allen zu bedanken, die diese Veranstaltung möglich gemacht haben und natürlich auch bei den vielen Interessentinnen und Interessenten. Danke!