Bericht zur 27. Sitzung des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses am 11. Juni 2018 „Quelle ohne Führung – von Doppelagenten und Räuberpistolen“

Bericht zur 27. Sitzung des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses am 11. Juni 2018 „Quelle ohne Führung – von Doppelagenten und Räuberpistolen“

Dieser Artikel ist im Blog der Linksfraktion im Brandenburger Landtag als Sitzungsbericht aus Sicht der LINKEN Fraktion erschienen. Die Texte sind gemeinsam von den Referenten und den Abgeordneten der LINKEN im Ausschuss erarbeitet und sollen natürlich hier nicht vorenthalten werden.

Bericht zur 27. Sitzung am 11. Juni 2018

„Quelle ohne Führung – von Doppelagenten und Räuberpistolen“

In einer Sondersitzung des NSU-Untersuchungsausschusses wurde am Montag, dem 11. Juni 2018 unser Hauptzeuge zum NSU-Komplex befragt: Carsten Szczepanski, in den 1990er Jahren eine Zentralfigur der Neonaziszene und gleichzeitig „Top-Quelle“ des Brandenburger Verfassungsschutzes.

Allgemeines

Unter großem Presseandrang und mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen rund um den Landtag begann am Montagmorgen gegen 9:30 Uhr die Vernehmung des Zeugen Szczepanski. Sie dauerte bis in die Abendstunden und war wohl der bisherige Höhepunkt der Beweisaufnahme unseres Untersuchungsausschusses. Im Gegensatz zu den meisten Pressevertreter_Innen, die schon am frühen Nachmittag wieder verschwanden, zeigte Szczepanski enormes Durchhaltevermögen. Deutlich wurde auch, dass er seinem V-Mann-Führer R.G. intellektuell überlegen war und allenfalls auf Augenhöhe wie ein „rechtsbelasteter“ Behördenmitarbeiter agierte.

In seltener Einigkeit befragten die meisten Ausschussmitglieder chronologisch und systematisch zu Szczepanskis Werdegang und den damit aufgeworfenen Sachthemen. Mit aufgeschnappten Schlagworten und sachlich falschen Vorhalten versuchte sich auch der AFD-Abgeordnete an der Untersuchung zu beteiligen, was aber den Fluss der Vernehmung störte. Eine systematische Aktenauswertung lässt sich durch internetbasierte Verschwörungsthesen nicht ersetzen.

Wir wollen die umfangreiche Aussage Szczepanskis nutzen und an dieser Stelle eine kurze Abhandlung seiner „Karriere“ präsentieren, wie sie sich unseren Abgeordneten mittlerweile darstellt. Die Figur Szczepanskis polarisiert noch immer: Neonazi oder Aussteiger – redlicher Verräter rechtsextremer Strukturen oder nur ein Gefangener, der sich Vorteile vom Verfassungsschutz erkaufte? Für alle Deutungen finden sich Argumente. Auf der Hand liegt aber, dass das nachrichtendienstliche Einsatzmittel „Mensch“ kaum nach rechtsstaatlichen Prinzipien eingesetzt werden kann.

Neonazis in West-Berlin

Die Befragung begann mit einem Exkurs in seine Jugend, in das Berlin-Neukölln der 1980er Jahre und seinem Einstieg in die Berliner Skinheadszene. Er sei über das Interesse an Musik und Konzerten dort hineingelangt. Die West-Berliner Skinheadszene sei entlang der Bezirksgrenzen zersplittert gewesen, bei den etwa 100 bis 200 Skinheads der Stadt habe eher eine Gang-Mentalität vorgeherrscht, wie bei Straßenbanden, die sich nach Kleidung und Musikgeschmack identifizieren. Ähnliches habe für die rechte Politszene gegolten, wobei diese eher inhaltlich zerrüttet gewesen sei. So sei er selbst kein „Hitler-Fan“ gewesen, vielmehr habe ihn die Politik der Strasser-Brüder interessiert. Deshalb sei er auch kein Anhänger der „FAP“ geworden, sondern habe sich 1987, im Alter von 17 Jahren, der „Nationalistischen Front“ angeschlossen. Hier lernte er den umtriebigen Berliner „Ortsgruppenführer“ Andreas „Oswald“ Pohl kennen, zu dem er aufschaute. Dessen Band „Kraft durch Froide“ war eine der ersten Nazi-Skinbands in Berlin. Der Kontakt zu Pohl war so eng, dass er nach seinem Rauswurf aus dem Elternhaus für „zwei bis drei Monate“ in dessen Wohnung in der Koloniestraße im Wedding einzog. Szczepanski leugnet aber, wie Pohl auch Mitglied der berüchtigten Hertha-BSC-Hooligangruppe „Zyklon B“ gewesen zu sein. Er meinte, „Zyklon B“ sei auch überwiegend in Spandau aktiv gewesen und hätte zu den „Casuals“ gezählt. Wir bezweifeln die Richtigkeit dieser Aussage. Pohl habe später mit dem Skinheadkult gebrochen und sei in die sächsische Rockszene gewechselt.

Szczepanski begann nach der Schule eine Ausbildung bei der Bundespost, weil Bewerbungen bei der Bundeswehr, als Krankenpfleger und bei der Berliner Polizei scheiterten. Befragt nach der Sinnhaftigkeit einer angestrebten Beamtenlaufbahn bei gleichzeitig propagiertem Kampf gegen den Staat antwortete er: „Ich habe damals sehr viele dumme und falsche Entscheidungen getroffen“.

Über Pohl sei er in Kontakt mit anderen Nazis gekommen. Er habe auch an einigen Fahrten der „NF“ zu deren Schulungszentrum in Detmold teilgenommen. Dort habe sich die erste „rechte Immobilie“ in Deutschland befunden und sei Anlaufpunkt für das gesamte Bundesgebiet gewesen. Bei einer dieser Fahrten habe er dort auch Thomas Richter kennengelernt, den späteren BfV-Spitzel im Umkreis des NSU (Deckname „Corelli). Szczepanski sei heute überrascht von der Informantentätigkeit Richters, er habe diesen damals für einen „Hundertprozentigen“ gehalten.

Anfang 1990 zog Szczepanski zurück nach Neukölln und wohnte für etwa 1 ½ Jahre in der Herfordstraße. Hier begann sein Interesse am Ku-Klux-Klan. An dieser Organisation faszinierten ihn damals vor allem der geheimnisvolle Background und die konspirativen Verschwörungen. Alles Neue sei für ihn vor dem Hintergrund der verkrusteten Berliner Szenestrukturen interessant gewesen. Er arbeitete mittlerweile an der Herausgabe seines ersten Fanzines, dem er den Namen „Feuerkreuz“ gab und das als rechtes Stadtmagazin angelegt war. In diese Zeit fällt auch sein erster Kontakt in die rechte Szene Königs Wusterhausens. Er lernte Ralf Luckow kennen, der bei den „United Skins KW“ schon eine führende Rolle spielte.

Flucht nach Brandenburg

Anfang 1991 schrieb Szczepanski einen Brief an Dennis Mahon, der im Mittleren Westen der USA einen KKK-Clan anführte. Mahon habe sich sehr über die Post aus Deutschland gefreut und sofort angeboten, zu einem Besuch nach Berlin und Brandenburg zu kommen. Szczepanski sammelte Geld für den Flug, es sollen aber nur etwa 200 DM zusammengekommen sein. Den Rest bezahlen Clan-Anhänger aus den USA. Die Königs Wusterhausener Skinheads hatten nach seinen Angaben kein wirkliches Interesse am KKK, da sie nicht sonderlich politisiert und eher antiamerikanisch eingestellt gewesen seien. Als Mahon im September ’91 wirklich kam und eine Kreuzverbrennung in Halbe anzettelte, waren nur sieben oder acht Teilnehmer aus Königs Wusterhausen vor Ort. Nach Szczepanski sei die Szenerie eher peinlich gewesen, zumal ein Team von RTL dabei war, um die Aktion zu filmen. Ein Reporter habe ihm gesagt, sie würden das Beste daraus machen, für eine richtige Doku würde es jedoch nicht reichen.

In Folge des Mahon-Besuchs habe Szczepanski dann das Interesse am KKK verloren. Mahon habe sich als „ganz normaler Mensch“ herausgestellt und es habe „ein Prozess der Entzauberung des KKK eingesetzt. Unser Obmann Dr. Schöneburg erinnerte Szczepanski daran, dass Mitglieder des KKK wie Norman Zühlke oder Stefan Silar brutale Tötungsverbrechen begingen und auch Szczepanskis eigene Tat in Wendisch-Rietz nach dem Muster eines Klan-Pogroms ablief. An dieser Stelle tat Szczepanski unwissend und wurde das erste Mal kleinlaut.

Durch den RTL-Fernsehbeitrag im Oktober 1991 wurden die Landeskriminalämter in Berlin und Brandenburg auf Szczepanski aufmerksam. Im Dezember 1991 durchsuchten Polizisten dessen neue Wohnung im Prenzlauer Berg, in der er zur Untermiete wohnte. Szczepanski sei zu diesem Zeitpunkt aber schon zu Erik Otto, einem Mitglied der „United Skins KW“ nach Königs Wusterhausen gezogen. Er sei aber nicht geflohen, gibt er an. Wäre er wirklich geflüchtet, „dann bedeutend weiter weg als bis KW. Die gefundenen Fanzines, den als Sprengstoff verwendbaren Kunstdünger Nitromethan und die Bauteile für Rohrbomben konnte er im Ausschuss nicht mehr richtig erinnern. Er gab an, dass er einen mit Banderolen versehen Karton unter seinem Bett zurückgelassen habe. Das Nitromethan habe er von einer jungen Chemie-Laborantin aus Ost-Berlin bekommen, die ihr Ralf Luckow vermittelt habe. Ein konkretes Einsatzziel für eine Rohrbombe habe es aber nicht gegeben. Ziel sei es gewesen, sich auf den nebulösen „Tag X“ vorzubereiten, an welchem „das System untergehen“ würde. Das habe er damals jedenfalls so geglaubt, heute würde er es anders sehen.

Königs Wusterhausen und U-Haft

Auch bei Erik Otto wohnte Szczepanskis nur übergangsweise. Mitte Februar 1992 nahm sich die Bundesanwaltschaft des KKK-Falles an, was am 22. Februar zu einer Wohnungsdurchsuchung bei Erik Otto durch das BKA führte. Szczepanski sagte dazu dem Ausschuss, dass er zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon nicht mehr bei Otto gewohnt habe, sondern schon zu einer Frau Meyer umgezogen sei. Ab und an habe er aber schon noch „bei Otto auf der Couch geschlafen“. Er könne sich auch nur dunkel an diese Durchsuchung erinnern, auch was seine anschließende Befragung durch das Bundeskriminalamt anbelange. Er habe sich aber gewundert, wie ihm die Polizei so schnell auf die Schliche gekommen sei und damals vermutet, so sagte er in der Vernehmung aus, dass ihn Ralf Luckow verraten habe. Begründen konnte er seinen Verdacht aber nicht mehr genau.

Über die Vernehmungen wisse er nur noch, dass er einmal zu Fuß dorthin gegangen sei. Auf Vorhalte, dass er von den BKA-Beamten mindestens an drei Tagen vernommen wurde, reagierte er unsicher. Eine Vertraulichkeitszusage des GBA oder sogar eine versuchte Anwerbung wollte oder konnte Szczepanski ausdrücklich nicht erinnern. Dr. Schöneburg bemerkte aber nach dem Vorhalt öffentlicher Quellen, nach denen zumindest eine Kooperationsbereitschaft beider Seiten vorlag, zur Einstellung des Verfahrens im September 1992: „Für uns liest sich das so, als hätte der GBA sein Versprechen gehalten.“. Szczepanskis konnte oder wollte zu diesem Thema kein Licht ins Dunkel bringen. Es ist ihm jedenfalls nicht zu glauben, dass ihm seine ersten und umfangreichen Vernehmungen durch das BKA im Februar 1992 nicht im Gedächtnis geblieben sein sollen.

Auffällig bleibt auch, dass er seine rechten Aktivitäten anschließend nicht etwa zurück nahm, sondern erst richtig aktiv wurde, was auch im Pogrom von Wendisch-Rietz kulminierte und für den aus Nigeria stammenden Lehrer Steve E. nur durch viel Glück nicht mit dem Tod endete.

Die zuständige Staatsanwaltschaft hielt Szczepanski zuerst nicht für einen wichtigen Täter, obwohl dessen Mittäterschaft nach Aktenlage relativ offensichtlich ist. Zeugenaussagen anderer Mittäter belasteten ihn schwer, er soll diese aufgewiegelt und immer wieder angespornt haben. In der Befragung zu diesem Komplex agierte Szczepanski defensiv, an viele Details könne er sich nicht mehr erinnern. Seiner Auffassung nach wäre das Verbrechen auch ohne KKK-Parolen so passiert, die maßgeblichen Täter hätten überwiegend der Sauf- und Trinkerszene angehört.

Im Gegensatz zu den Mittätern, die relativ schnell bekannt waren und zu empfindlichen Jugendstrafen verurteilt wurden, blieb Szczepanski auf freiem Fuß. Mit anderen Neonazis – unter anderem ist wieder Ralf Luckow beteiligt – gab er das Fanzine „United Skins“ heraus, das laut Impressum mit einer Auflage von 500 Stück verlegt wurde. Es wurde über die Jahre professioneller und zu einem Leitmedium der Brandenburger Szene. Andere Mitglieder der „United Skins KW“ nahmen Szczepanski zu ihren Aktionen und Unternehmungen mit. Dazu gehörten auch Ausflüge zu den Schlachtfeldern des zweiten Weltkriegs im Kreis Dahme-Spreewald, auf welchen noch immer Waffen, Ausrüstungsteile und Wehrmachtsdevotionalien zu finden waren. In der Szene seien diese Ausflüge als „buddeln gehen“ bezeichnet worden. Er habe in Erinnerung, dass ihm mal ein Kumpane namens Schröder aus Senzig etwas zugeworfen habe, dass sich als alter Panzerfaustsprengstoff entpuppte. Auch Erik Otto sei immer wieder „buddeln“ gewesen und habe vor allem nach alten Waffen, wie Bajonetten und Karabinern, gesucht.

Szczepanski zog erneut um und wohnte bei seiner neuen Freundin Christiane Sempf. Er betätigte sich auch als Konzertveranstalter. Ein Konzert in Gussow im Jahre 1993, zu dem etwa 100 Personen erwartet wurden, geriet völlig außer Kontrolle, als die zehnfache Anzahl an Leuten erschien. Szeneangehörige verrieten Szczepanski gegenüber der Polizei, so dass er hierfür später verurteilt wurde. Das Konzert festigte aber seinen Status. Er galt nun als „Macher“.

Zusammen mit Henning Klinz gab er unter dem Label „United Skins“ sogar eine Single der Band „Noie Werte“ heraus, die sie auch selbst vertrieben. Den Kontakt hatte Steffen Hammer hergestellt. In Prag wurden 500 Platten produziert und sogar eine Art Mini-Vertrag mit der Band wurde aufgesetzt.

Dass Szczepanski letztlich dennoch wegen versuchten Mordes an Steve E. in Wendisch-Rietz verurteilt wurde, ist dem Beharren des Rechtsanwalts und Vertreters der Nebenklage Christoph Kliesing und dem Wechsel der Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) von Staatsanwalt Bannenberg zur Staatsanwältin Marx zu verdanken. Anfang Mai 1994 wurde Szczepanski in U-Haft genommen. Bei der Vorführung vor den Haftrichter erschien er nach eigenen Angaben völlig ahnungslos. Ihn habe der Schlag getroffen, als er vom Tatvorwurf erfuhr und der Richter ihm eröffnete „Jetzt geht es erst richtig los.“.

Er wurde in die Haftanstalt Königs Wusterhausen verbracht. Diese ist zu diesem Zeitpunkt heillos überbelegt und schlecht gesichert. Szczepanski berichtete in der Vernehmung von einem Ausbruch, bei dem fünf rumänische Gefangene mittels eines Kleintransporters einfach vom Hof gefahren sein sollen. Zwei andere Gefangene seien einfach über die Außenmauer geklettert und entkommen. Es sei in den zur Straße befindlichen Hafträumen möglich gewesen, mit den Leuten auf dem Bürgersteig zu sprechen. Szczepanski nannte das „Besuch bekommen“. Die Freiheit war nur drei Meter entfernt.

Andererseits herrschte in der Haftanstalt ein restriktives Regime. Die meisten Tage sei er 23 Stunden mit anderen Gefangenen in seiner Zelle eingeschlossen gewesen. Eine Stunde pro Tag gab es Hofgang. Die Zellen waren klein und dunkel, insgesamt war die Haftanstalt alt und verfallen. Das Fernsehschauen wurde nur per Losverfahren genehmigt. Er war zusammen mit rumänischen und asiatischen Gefangenen untergebracht und lernte mit ihnen auszukommen. Diese Erfahrung habe ihn zum Nachdenken über seine Lage bewegt, so schilderte er es jedenfalls den Abgeordneten.

Er entschloss sich, sich dem Verfassungsschutz anzudienen und versprach sich Vorteile aus der Zusammenarbeit, vor allem wollte er in eine Einzelzelle verlegt werden. Die wurde ihm zwar immer wieder versprochen, bekommen wird er sie aber erst am Ende seiner Haftzeit im Jahre 1999. Er erlebt eine massive persönliche Enttäuschung, als er seine Freundin und einen anderen Neonazi dabei beobachtet, wie sie sich vor einem Besuch bei ihm in der Haftanstalt zum Abschied küssen. Als ihn auch noch seine „Kameraden“ wegen des Konzerts in Gussow bei der Polizei verraten und er in erster Instanz zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt wird, resümierte er: „Mit Ehre und Treue schien es nicht so weit her zu sein“. Er habe einen Schlussstrich ziehen wollen und natürlich sei Rache an der Szene auch ein Motiv gewesen.

Belegt ist, dass Szczepanski kurz nach Beginn der U-Haft beim Verfassungsschutz einen aktuellen Verfassungsschutzbericht anforderte und diesen erhielt. Anfang August 1994 besucht ihn aus diesem Grund der Anwerber des VS mit dem Arbeitsnamen Maslow. Bereits beim zweiten Besuch habe Szczepanski einige Briefe übergeben und auch sein späterer V-Mann-Führer R.G. sei dabei gewesen. Schon beim dritten Treffen erhielt Szczepanski erstmals Geldzuwendungen vom VS. Obwohl nie formal als V-Mann verpflichtet, begann ab diesem Zeitpunkt seine faktische V-Mann-Tätigkeit. Er erhielt etwa einmal wöchentlich Besuch vom VS, bei dem er von ihm zusammengestelltes Material übergab. Er soll auch die „Fenstergespräche“ in der JVA KW belauschen. Kontakt zu anderen Behörden hatte er nach eigenen Angaben nicht.

Unsere Abgeordneten haben Zweifel, dass der von ihm behauptete Ausstieg aus der rechten Szene wirklich schon im Jahr 1994 stattgefunden haben kann. Dr. Schöneburg hielt Szczepanski vor, dass es unglaubwürdig sei, sich auf der einen Seite distanzieren zu wollen, andererseits aber beim Nachrichtendienst als aktiver Szenespitzel anzuheuern: „Wie kann man aussteigen, wenn man erst richtig einsteigt“? Ihm war klar, dass er liefern solle, antwortet Szczepanski, er habe seine Tätigkeit aber wie einen Job betrachtet. Warum er dann seine Briefe an seinen V-Mann-Führer R.G. im Nazislang („88“) verfasst und später eine Buchwidmung als „brauner Bruder“ verfasst habe, wollte Dr. Schöneburg wissen. Szczepanski wird kleinlaut, das könne er nicht erklären. Die seinerzeit von Gordion Meyer-Plath im Ausschuss geäußerte Rechtfertigung einer „ironischen Distanz“ kann wohl als Versuch der Verklärung gewertet werden.

Blackbox JVA Brandenburg

Im Februar 1995 erging schließlich das Urteil für den versuchten Mord an Steve E.: Szczepanski soll eine achtjährige Freiheitsstrafe verbüßen. Der VS riet ihm dazu, eigenmächtig die von seinem Verteidiger eingereichte Revision zurück zu nehmen. Über die JVA Cottbus wurde er im April 1995 in die JVA Brandenburg an der Havel verlegt. Ab 1996 sei hier das berüchtigte Magazin „Der Weiße Wolf“, in welchem 2002 eine Danksagung an den NSU abgedruckt wurde, „vollständig“ in der JVA Brandenburg produziert worden. Maik Fischer nutzte dazu die Gefängnisdruckerei für die Vervielfältigung und konnte das Heft per Post verbreiten. Dr. Schöneburg fragte, ob Szczepanski das seinem V-Mann-Führer berichtet habe. Sein Antwort: „Ja. Der wusste davon.“

Auch Szczepanski konnte in der Haftanstalt an Beiträgen für sein Fanzine „United Skins“ arbeiten. Herr Spiering, der Sicherheitschef der JVA, war in dessen Informantentätigkeit eingeweiht. Durch das „United Skins“ bekommen die Verfassungsschützer auch einen Großteil ihrer Informationen über die Szene. Um die Produktion logistisch zu erleichtern, ist eine der ersten Handlungen des V-Mann-Führers Borchert die Einrichtung eines Postfachs in der Stadt Brandenburg. Szczepanski sagte dem Ausschuss dazu, Wir [sic!] wollten dadurch den Briefverkehr über die JVA entlasten.“. Borchert leerte das Fach regelmäßig und brachte Szczepanski die aus seiner Sicht relevante Post mit in die JVA, die dieser dort sichtet und gegebenenfalls beantwortet. Dazu ist es ihm sogar erlaubt, persönlich auf der Geschäftsstelle der JVA bei Bereichsleiter Eggebrecht Kopien anzufertigen, darunter auch Briefe an das „United Skins“ oder neue Beiträge für das Fanzine. Was genau kopiert wurde, habe niemanden interessiert.

Auch Pakete zwischen dem Verfassungsschutz und Szczepanski wurden über das Büro des Sicherheitschefs weiter geleitet. Kontrolliert wurde selten, Szczepanski gab in der Vernehmung an, dass er seine Briefe meistens ungeöffnet erhalten habe. Einfacher noch war der Austausch von Dingen mit der Außenwelt über den Besucherraum. Dies wäre kein Schmuggel gewesen, erklärte Szczepanski den verdutzten Ausschussmitgliedern, sondern Transport: „Denn es wurde ja nicht kontrolliert.“ Was er bei Besuchen dabei gehabt habe, habe niemanden interessiert. Es habe auch keinen Unterschied gemacht, ob ihn „Luckow, Borchert oder Michael Probst“ besucht habe. Kontrollen seien immer relativ lasch gehandhabt worden. Und nicht nur Papiere konnten ungestört zwischen Insassen und Besuchern zirkulieren. Szczepanski berichtete, sein V-Mann-Führer habe ihm auch Kakaopulver, Schokolade und selbst Gehacktes für Bouletten mitgebracht. Möglicherweise auch Zigaretten als Tauschmittel. Selbst Szeneklamotten wie ein „Combat 18 T-Shirt“ wurden hin und her gereicht.

Zu Beginn seiner Haftzeit in Brandenburg a. d. H. hatte Szczepanski auch wieder mit  der Frankfurter Staatsanwältin Marx zu tun. Sie besuchte ihn persönlich und warb um seine Aussage gegen einen anderen Neonazi im Prozess um eine angezündete Flüchtlingsunterkunft im Dorf Dolgenbrodt. Dafür wurden ihm laut eigener Aussage eine Einzelzelle und die Verkürzung seiner Haftzeit um die Hälfte (Halbstrafe) in Aussicht gestellt. Der Verfassungsschutz sei über Letzteres aber nur wenig begeistert gewesen, denn dies hätte ihn bei anderen Neonazis verdächtig gemacht.

Verglichen mit der Zeit im offenen Vollzug war das verschriftlichte  Informationsaufkommen in den ersten Jahren seiner Haft eher gering. Die Informationen, die Szczepanski über die Szene lieferte, stammen anfangs fast vollständig aus dem „United Skins“ und aus Erzählungen seiner Besucher_innen. Auf seiner Besucher_innenliste fanden sich Ralf Luckow, Antje und Michael Probst, Henning Klinz, Sylvia Endres, Thomas Starke und andere Neonazis. Inhalte dieser Besuche gab Szczepanski in Briefform oder bei persönlichen Treffen an Borchert weiter. Meist ging es um Konzerte oder auch Konzertplanungen, neue Bands aus dem „Blood & Honour“-Spektrum oder Klatsch und Tratsch aus der Szene.

Vor allem zu Michael Probst entwickelte sich in dieser Zeit eine freundschaftliche Beziehung. Szczepanski erinnerte sich, dass Probst ihn von allen Bekannten am häufigsten besucht habe. Henning Klinz habe ihm mal erzählt, dass Michael Probst ihn aufgrund seiner hohen Strafe als eine Art Märtyrer betrachte. Er ist Szczepanskis ältester Kontakt nach Chemnitz und in die dortige Szene. Probst wird ihn gegenüber anderen Neonazis selbst nach seiner Enttarnung noch verteidigen.

Etwa 1995 baute Szczepanski auch gute Kontakte zu „Combat 18“-Aktivisten in England auf. Mithilfe von Marcel Schilf, den Klinz noch aus Kindertagen kannte, konnte sich Szczepanski mit den beiden Sargent-Brüdern anfreunden. Durch den direkten Kontakt zu den beiden Sargents bekam er den Bruch der britischen C18-Szene aus erster Hand mit. Er berichtet detailliert über die Verwerfungen der Sargents mit Wilf Browning und die neuentstandene Bewegung „Nationalsocialist Movement“ (NSM). Irgendwann wurde ihm sogar eine NSM-Ehrennadel zugesandt, die er aber nicht ernst genommen haben will. Auch warnte er V-Mann-Führer Borchert in einem Brief, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die erste „Combat 18-Zelle“ in Deutschland zuschlüge. Eine Zeitlang benutzten er und die Sargents ein gemeinsames Postfach in London. Dieses war auch Kontaktadresse für deutsche Interessenten des „NSM“. Im „United Skins“ wurden die Bewegung und das Postfach ausführlich beworben.

Dass er auch nach langer Zeit ein gutes Wissen über die Strukturen der Szene hat, war Szczepanski in seiner Vernehmung deutlich anzumerken. Er sprach ausführlich über die Funktionsweise von „Combat 18“ als lose Verbindung selbständiger Zellen, die dahinter stehende Ideologie des „führerlosen Widerstands“ und die Turner Tagebücher, in denen diese Ideen entwickelt und leicht verständlich in Romanform aufbereitet wurden. Er bemühte sich sogar um Aufklärung falscher Vorstellungen wie sie beispielsweise die Grünenabgeordnete Nonnemacher vortrug, die ihm den Aufbau von C18-Strukturen vorwarf. „Es ging um keine Struktur. Bei „Combat 18“ hat es keine Mitgliedsausweise gegeben. Selbst ein C18-T-Shirt hat eigentlich der Methode von anonym agierenden Kleinstzellen widersprochen.“.

Offener Vollzug und mehr Freiheiten

Nach Fertigstellung des Neubaus für den Offenen Vollzug in der JVA Brandenburg, musste dieser Trakt auch belegt werden. Im Sommer 1997 war Szczepanski einer der Nutznießer und durfte nun die JVA – mit Unterbrechungen aufgrund einer Rückverlegung – tagsüber und an Wochenenden verlassen. Nun beginnt die eigentliche Arbeit als V-Mann „Piatto“. Neben exzellenten Kontakten in die märkische Neonaziszene kannte er die Köpfe des sächsischen „Blood & Honour“- Netzwerks, Antje und Michael Probst, Jan Werner sowie Thomas Starke und hatte darüber hinaus eine große Anzahl internationaler Kontakte. Er sah sich selbst mittlerweile nicht mehr als Informant, sondern als Mitarbeiter der Abteilung Verfassungschutz. Seinem V-Mann-Führer R.G. war er an Wissen und Intellekt überlegen, was auch in seinen Briefen deutlich wird. Szczepanski beschreibt Borchert als „Kumpeltyp“, mit dem er sich auch über die Banalitäten des Lebens unterhalten konnte. Sie hätten insgesamt ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Gesteuert hat er sich aber selbst, da sind sich unsere Abgeordneten nach der Vernehmung sicher. Eine gleichberechtigte Rolle kann allenfalls der damals junge Auswerter Gordion Meyer-Plath gespielt haben, der jedoch im Herbst 1998 nach Bonn wechselte.

Borchert war ab 1997 eher Chauffeur als V-Mann-Führer. Er holte Szczepanski an der JVA ab und setzte ihn an einem Bahnhof oder einer Bushaltestelle ab, so dass es anderen nicht auffällt, wie er von einem Ort zum anderen kommt. Während der Fahrten versorgte Szczepanski Borchert mit Informationen über die Szene. Später, als das Informationsaufkommen anstieg, stieß ab und an sein zweiter V-Mann-Führer Meyer-Plath dazu. Auch besorgte ihm der Verfassungsschutz ein Handy für die Zeit außerhalb der Haftanstalt.

Dieses sei laut Szczepanski aber stets bei Borchert verblieben, wenn er zurück in die JVA musste. Dass das Handy, welches auf das Brandenburger Innenministerium angemeldet war, im Sommer 1998 bei einer TKÜ des Thüringer LKA gegen Jan Werner aufflog, wusste Szczepanski in seiner Vernehmung nicht. In solche Details sei er nicht eingeweiht gewesen. Er erinnerte nur, dass das Handy einige Male von Borchert ausgetauscht worden ist. Einmal habe der dazu gesagt: „Ist besser so.“ Den Szenekontakten soll es so erklärt worden sein, dass das Handy in der JVA bei ihm gefunden und ihm abgenommen worden sei. Die berüchtigte SMS „WAS IST MIT DEN BUMS“ habe er nicht erhalten.

Szczepanski nahm bei seinen Freigängen häufig an Konzerten, rechten Fußballturnieren und anderen Veranstaltungen teil, und dies nicht nur in Brandenburg. Immer öfter war er auch in Chemnitz, wohin er sich dank seiner HNG-Kontakte selbst steuerte, unter Billigung des VS. Er übernachtete oft bei Antje und Michael Probst in Limbach-Oberfrohna. Antje Probst beschrieb er in der Vernehmung als politische Szeneaktivistin, die militanter und auch im Weltbild gefestigter gewesen sei als ihr Ehemann Michael. Dieser sei eher der Fußballtyp gewesen und nicht so verbohrt wie Antje. Michael Probst führte zu dieser Zeit den rechten Szeneladen „Sonnentanz“ in Limbach-Oberfrohna. Das Geschäft kann nicht so schlecht gelaufen sein, denn um das Jahr 2002 herum wird er insgesamt vier Läden sein eigen nennen: Neben dem Sonnentanz-Laden in Limbach-Oberfrohna noch einen weiteren Laden dieses Namens in Aue, den Laden „Checkpoint“ in Altenburg und das Geschäft „Outlaw“ in Borna bei Leipzig. Szczepanski wusste dazu vor dem Ausschuss nichts weiter zu berichten, er beschrieb Michael Probst jedoch als fähigen Geschäftsmann.

Den Chemnitzer Kopf der sächsischen „Blood & Honour“ (B&H)-Sektion, Jan Werner, habe er auf einem Open-Air-Festival in der Stadt Brandenburg kennengelernt. Werner hatte bei seinem Musiklabel „Movement Records“ alle einschlägigen „B&H“-Bands unter Vertrag. Da Werner auch auf fast jedem Konzert zugegen war, sahen sich die beiden häufig. Das drückte sich auch in den Deckblattmeldungen des VS aus, in denen Werner immer öfter vorkommt. So meldete Szczepanski von diesem organisierte Konzerte und Bands, die beim Label „Movement Records“ produziert wurden. Auch berichtete Szczepanski über Diskussionen, die um die Ausrichtung der deutschen „B&H“-Sektionen geführt wurden. Neben Reibereien um Anteile an den Konzert-Gewinnen ging es auch um die Frage, ob „B&H“ über Nazi-Musik nur die Ideologie verbreiten oder auch aktiv Gewalt anwenden soll.

Die Meldungen über den NSU

In insgesamt vier Deckblatt-Meldungen, die von einem Aufenthalt Szczepanskis in Chemnitz, bei einem sächsischen „Blood & Honour“-Treffen und bei Konzerten aus dem Spätsommer 1998 stammten, ging es unter anderem um Werners Unterstützung für drei untergetauchte Skinheads, das spätere „NSU-Trio“. Szczepanski berichtete über Werners Suche nach Waffen und gefälschten Pässen. Ziel seien „weitere Überfälle“ und die Ausreise nach Südafrika. Szczepanski erklärte dazu in der Vernehmung, dies seien für ihn damals keine so außergewöhnlichen Nachrichten gewesen. Waffen waren immer und überall in der rechten Szene im Gespräch. Der ominöse „Tag X“, die Vorbereitung auf das „Systemversagen“, habe in der rechten Ideologie damals eine große Rolle gespielt. Manche hätten sich Waffen besorgt, andere Decken und Kerzen gehortet. Was der Verfassungsschutz mit diesen Informationen machte, wusste Szczepanski in der Vernehmung nicht zu sagen. Er habe einfach alles berichtet, was er erfahren habe.

Anfang September 1998 wurde Szczepanski nach Aktenlage von seinem V-Mann-Führer telefonisch von einem Konzertbesuch in Hirschfeld zurückbeordert. Die Polizei stürmte später diese Veranstaltung. Wir wollten wissen, ob dieser Ablauf stimmt. Szczepanski bejahte. Sicherheit habe immer Priorität gehabt. Er hätte auch nichts getan, was seinen Status als Gefangener im Offenen Vollzug gefährdet hätte. Der Inhalt seiner Berichte sei ihm zwar nicht mehr erinnerlich, jedoch hielt er sie für authentisch.

Von unserer Abgeordneten Isabelle Vandre zum genauen Weg der Informationen über das Konzert in Hirschfeld befragt sagt Szczepanski: „Es ist möglich, dass diese Informationen aus zweiter Hand gekommen sind.“ Klinz sei dabei als Überbringer am Wahrscheinlichsten, da dieser für „seine Auswertung ein Hauptkontakt“ gewesen sei.

Zum Konzert in Munzig Ende September 1998, bei dem Szczepanski laut Deckblattmeldung des VS von Werner Informationen über die Autorenschaft Uwe Mundlos für das Magazin „White Supremacy“ mitbrachte und auch erfuhr, dass Werner bei seiner Suche nach Waffen noch nicht erfolgreich war, kann er erst wenig mitteilen. Isabelle Vandre konnte Szczepanski aber mit ihrem Szenewissen über die auftretenden Bands auf die Sprünge helfen: So hätten „Max Resist“ an diesem Abend ihr erstes Konzert in Deutschland gegeben und auch „Storm“ aus Schweden wären ihm in Erinnerung geblieben, da die Band teilweise auf Deutsch gesungen habe und sehr eng mit Werner befreundet war. Bei diesem Konzert sei er auf jeden Fall dabei gewesen, auch die Chemnitzer waren dort. Möglicherweise habe er sich am Rande des Konzerts mit Werner auch über die dem VS gemeldeten Informationen unterhalten.

In diesem Zusammenhang bemerkte Szczepanski, Werner sei immer sehr gesprächig gewesen, habe viel gequasselt und jedem erzählt, wenn er beim Ausliefern für eine Spedition mal Süßigkeiten unterschlagen habe. Er habe sich innerlich gefragt: „Du kennst mich nur vom Sehen und erzählst mir hier Sachen, die man so eigentlich nicht erzählt“. Zum Beispiel habe Werner ihm gegenüber damit angegeben, dass er viel Geld mit Konzerten machen würde, steuerfrei. Wenn 1000 Leute 25 DM Eintritt zahlten, jeder drei Bier trinke und eine CD kaufe, käme Einiges zusammen, von dem man gut leben könne.

Besonders eng sei Werners Verhältnis zum Potsdamer Uwe Menzel und auch zu Henning Klinz aus Brandenburg an der Havel gewesen. Häufig wäre auch über Waffen geredet worden. Szczepanski betonte aber, dass auch andere Neonazis immer wieder das Thema Waffen angerissen hätten, was einfach Teil des rechten Selbstverständnisses gewesen sei. Aus seiner Sicht seien das aber oft nur Spinnereien gewesen, aus denen nichts Ernstes gefolgt sei. Und auch Werner habe oft viel mehr erzählt, als er dann am Ende bereit war, umzusetzen. Szczepanski selbst will niemals Waffen angeboten oder konkret übergeben haben. Der Waffendeal, für den er 2002 verurteilt wurde, sei hauptsächlich zwischen Luckow und Menzel passiert und nur über seinen Laden in KW abgewickelt worden. Er habe dabei nur eine Mittlerrolle gehabt und auch stets seinen V-Mann-Führern über solche Unternehmungen berichtet.

Limbach-Oberfrohna und Haftentlassung

Anfang des Jahres 1999 genehmigte JVA-Abteilungsleiter Krüger ein Praktikum Szczepanskis im „Sonnentanz“-Laden des Ehepaars Probst in Limbach-Oberfrohna. Wie genau dieses Praktikum trotz der Entfernung zur JVA Brandenburg (260 km) und der rechtsradikalen Ausrichtung des Ladens durch das Genehmigungsverfahren der JVA zustande kam, konnte Szczepanski in der Vernehmung nicht sagen. Allerdings sei das Praktikum wirklich nur ein Alibi für den Ausgang aus der JVA gewesen, wirklich gearbeitet oder gelernt habe er dort nicht. Er sei einige Male dort gewesen, ihm ist aber nicht mal erinnerlich, ob das zeitlich zusammenfiel. Auf Nachfrage von Andrea Johlige gab er an, er könne sich vorstellen, dass das in der JVA einfach niemanden interessiert habe.

Nach Beendigung des Praktikums versorgte Michael Probst Szczepanski auch mit einem Arbeitsvertrag, den dieser benötigte, um weiter regelmäßig Freigang zu erhalten und vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden. Er arbeitete nur einen Monat lang für 800 DM als „Handelsvertreter“ für CDs, dann teilte ihm Probst mit, dass sich das nicht rechnen würde. Auf Vorhalt gab Szczepanski an, dies sei bereits im April 1999 gewesen. Auch wenn der Arbeitsvertrag ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erfüllt wurde, legte er ihn im Dezember 1999 bei der Anhörung der Strafvollstreckungskammer vor. Natürlich wusste sein V-Mann-Führer auch davon, so Szczepanski.

Unter der Bewährungsauflage sich von Personen der rechten Szene fernzuhalten, wurde Szczepanski am 15. Dezember 1999 aus der Haft entlassen. Er hatte mittlerweile wieder ein gutes Netzwerk in Brandenburg geknüpft, vor allem nach Königs Wusterhausen. Auch zu Uwe „Uwocaust“ Menzel und der rechten Szene in Potsdam unterhielt er Beziehungen. Menzel kannte er vom Sehen schon länger, richtig kennengelernt habe er ihn aber erst später über Henning Klinz. Menzel „sei oft in Chemnitz gewesen“ und unterhielt auch gute Kontakte zu den Vandalen, einer rechten Rockerclique in Berlin. Ein Mitglied von „Proissenhead“ sei dort Vollmitglied gewesen. Eine Freundschaft wie zu Werner oder Probst habe er zu Menzel aber nicht aufgebaut. Menzel habe auch „immer viel erzählt“. Deswegen würde er ihn gerade nicht zum engeren Unterstützerfeld des NSU zählen. Dass dieser ihn selbst in seiner Vernehmung durch das BKA im Ermittlungsverfahren gegen Zschäpe massiv mit Angeboten zu Waffenbeschaffungen belastet habe, sei wohl die Folge seiner Enttarnung. Eine sachliche Schilderung seiner Rolle durch die Szene erwarte er nicht.

Szczepanskis Meldungen betrafen ab 1999 auch eine Anti-Antifa-Struktur namens „Rollkommando/Terrormaschine“, die Nazis und BFC-Hooligans um Henning Klinz, Uwe Menzel und Ralf Luckow ins Leben gerufen haben sollen. Bei Vorhalt entsprechender Deckblattmeldungen des VS hatte er zu dieser Gruppe aber kaum mehr Erinnerungen, einzig dass sich einige Leute in diesem Zusammenhang wegen Menzels Körperfülle und der Bezeichnung „Rollkommando“ lustig gemacht hätten.

Unsere Abgeordneten waren mit Szczepanskis Antworten in diesem spezifischen Fall nicht zufrieden. Nach Aktenlage berichtete er nicht nur Namen und Strukturen, sondern auch strategische Planungen und konkrete Ziele des „Rollkommandos“. Auch wenn diese Gruppe den Ausschuss nur am Rande berührt, ist diese Struktur bislang noch völlig im Dunkeln. Alles, was die Ausschussmitglieder darüber bislang in Erfahrung bringen konnten, wissen sie aus den Berichten von Szczepanski an seine „Kollegen“ vom Verfassungsschutz.

Terror 2000 und Abschaltung

Nach seiner vorzeitigen Entlassung im Dezember 1999 eröffnete Szczepanski in Königs Wusterhausen mit Unterstützung des VS einen eigenen Laden namens „Thule“. Im Angebot hatte er rechtsextreme, teilweise indizierte Musik, Zeitschriften und Szeneklamotten. Die Idee habe er zusammen mit Ralf Luckow gehabt. Auf Nachfrage unserer Abgeordneten Andrea Johlige, ob der Laden vom Verfassungsschutz als „Honigtopf“ geplant gewesen sei, antwortete Szczepanski: „Absolut, ich denke schon“. Das „Thule“, so wissen wir bereits aus anderen Zeugenvernehmungen, wurde zu einem neuen Treffpunkt der Königs Wusterhausener Neonazis. Szczepanski wurde in dieser Zeit auch parteipolitisch aktiv. Er trat „auftragsgemäß“ in die NPD ein und organisierte Aktionen. Er warb auch andere eigentlich nicht an Politik interessierte Rechte für die Partei an.

Kurze Zeit nach Szczepanskis Wiederauftauchen in KW war die dortige rechte Szene in Aufregung. Die Stimmung heizte sich auf. Einige Autos von Neonazis brannten, man vermutete die Antifa dahinter und bewaffnete sich für Gegenschläge. In Berlin trafen Szczepanski und Luckow auf Nick Greger, der damit prahlte, dass er in Südafrika und Nordirland den Bau von Rohrbomben gelernt habe. Er erzählte Szczepanski, dass er schon im Besitz einer solchen Rohrbombe sei. Außerdem redete Greger „generell und gerne“ über Waffen, wie Szczepanski bei seiner Vernehmung betonte. Greger tauchte dann auch in KW auf, es kam zu einem konspirativen Treffen in Szczepanskis Wohnung, bei dem einige Neonazis aus dem Umfeld der „United Skins KW“ anwesend waren. Greger soll dort immer wieder seine Bereitschaft zum Kampf und zum Einsatz der Rohrbombe deutlich gemacht haben. Ein Anschlag auf Antifa-Aktivisten wurde geplant, aber bevor es dazu kam, schlug die Polizei zu. Sie verhaftete Greger und dieser belastete bei seiner Vernehmung Szczepanski. Dieser habe ihn erst angestachelt. Was Greger zu diesem Zeitpunkt nicht weiß – Szczepanski hatte auch diese Pläne verraten.

Auch Uwe Menzel war im Frühling 2000 auf der Suche nach Waffen. Er suchte einen Trommelrevolver für 800 DM oder auch ein günstiges Gewehr. Der Deal eines halbautomatischen Gewehrs, Kaliber 22, wurde Mitte Mai von Szczepanski verraten und platzte noch vor der Übergabe an einer Autobahnraststätte. Frank Lutz, ein Berliner Tätowierer und „Rechtsrocker“ sowie das „Landser“-Mitglied Jean-Rene Bauer wurden festgenommen. Auch Luckow kam kurzzeitig in Haft. Später wurde die Ersatzbeschaffung eines abgesägten Kleinkalibergewehrs mit Laserpointer zwischen Luckow und Menzel arrangiert und direkt im Laden Szczepanskis besprochen. Auch diesen Deal meldete Szczepanski seinen „Kollegen“ vom VS. Dass Szczepanski wegen dieses Geschäfts später auch zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, fand er selbst „nicht unbedingt gerecht“. Doch der VS erklärte sich bereit, die Strafe teilweise zu übernehmen und daher wehrte er sich nicht gegen die Schuldzuweisungen Menzels im späteren Prozess vor dem Amtsgericht Potsdam.

Anfang Juli 2000 wurde Szczepanski von einem Journalisten des SPIEGEL angerufen, der über seine V-Mann-Tätigkeit Bescheid wusste und diese öffentlich machen wollte. Der Verfassungsschutz schaltete ihn kurz vor der Veröffentlichung des Artikels ab und nahm dafür die belastende Aussage Gregers als Alibi. Szczepanski kam mit neuer Identität ins Zeugenschutzprogramm des LKA Brandenburg. Der Anruf sei für ihn ein Schock gewesen, aber auf der anderen Seite „auch eine Erlösung“.

Szczepanski bestätigte uns, vom Verfassungsschutz stets und ständig in der Szene gehalten worden zu sein, aber er habe das als Art Wiedergutmachung für seine Taten empfunden. Innerlich sei er völlig kalt gewesen. Ein Ausstieg aus der Szene sei mit dem VS nie besprochen worden. Auch Angebote oder Planungen für ein Leben „danach“ habe es nie gegeben. Mit der Bemerkung „Borchert hätte aber eigentlich wissen müssen, dass ich aus der Szene austeigen wollte“ bestätigte Szczepanski unsere Vermutung, dass der Verfassungsschutz keine planvolle Strategie zur Langzeit-Betreuung von „Piatto“ hatte. Dass damit letztlich auch der Anspruch auf Resozialisierung eines Strafgefangenen unterging, schien damals niemanden zu interessieren.

Fazit

Die Vernehmung des Hauptzeugen unseres NSU-Untersuchungsausschusses beförderte mehr Erkenntnisse, als wir erwartet hatten. Szczepanski bemühte sich sichtlich auf alle Fragen zu antworten und war bereit auch Detailwissen zu Strukturen der rechten Szene zu offenbaren. Knapp 25 Jahre nach seiner Andienung an den Brandenburger Verfassungsschutz, scheint er für sich selbst die Rechtfertigung aufgebaut zu haben, sich mit der V-Manntätigkeit von der Szene innerlich distanziert zu haben. Wir glauben jedoch nicht, dass er mit der rechtsextremistischen Szene so glatt brach, wie er es uns schilderte. Auch schien er seine Vernehmungen durch das Bundeskriminalamt vorsätzlich ausblenden zu wollen. Dass sein Leben weiterhin von Polizisten beschützt wird, mag dem Rechnung tragen.

Wir haben durch Szczepanskis Aussage gute Fortschritte in unserer Untersuchung machen können und deutlich gesehen, wie leicht Brandenburger Behörden Gesetze umgehen konnten. Für direkte Anfragen aus Presse und Wissenschaft stehen wir gern zur Verfügung.