Bericht zur 33. Sitzung des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses am 27. September 2018: Noten des Hasses
Dieser Artikel ist im Blog der Linksfraktion im Brandenburger Landtag als Sitzungsbericht aus Sicht der LINKEN Fraktion erschienen. Die Texte sind gemeinsam von den Referenten und den Abgeordneten der LINKEN im Ausschuss erarbeitet und sollen natürlich hier nicht vorenthalten werden.
33. Sitzung am 27. September: Noten des Hasses
In der 33. Sitzung widmeten wir uns erstmals der Causa „Toni Stadler“. Stadler war ein umtriebiger Neonazi aus der Lausitz (Guben, Cottbus) und förmlich verpflichteter V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes. Es waren der ehemalige Richter Hans-Jürgen Brüning, der Stadler im November 2002 verurteilt hatte, und Oberstaatsanwalt Jürgen Heinke aus Berlin geladen.
Rückblende: Der Fall Toni Stadler
Als Toni Stadler im Sommer 2002 durch das Berliner LKA verhaftet wurde, verlor der Brandenburger Verfassungsschutz erneut einen aktiven V-Mann. Es wurde bekannt, dass Stadler gezielt darin unterstützt wurde, Produktions- und Vertriebsstrukturen der Neonazimusikszene zu betreiben. Er arbeitete dabei auch mit Szenegrößen wie Mirko Hesse, Lars Burmeister und Thomas Persdorf zusammen. Im Verbund mit Jan Werner gestaltete Stadler sogar das Booklet der berüchtigten „Landser“-CD „Ran an den Feind“. Dass er bei seinen Aktivitäten auch Straftaten beging, wurde von seinem V-Mannführer und dessen Vorgesetzten wohlwissentlich in Kauf genommen. Durch die Presse wurde damals schon bekannt, dass Verfassungsschutzbeamte selbst in den Fall verwickelt waren, Stadler vor Durchsuchungen warnten und aktiv Spuren verwischten. Damit handelten die Vertreter des Brandenburger Innenministeriums gegen geltendes Recht im Land, dass V-Leuten strafbare Handlungen während ihrer Informantentätigkeit verbietet.
Wegen der Produktion einer zweiten Auflage der indizierten CD „Noten des Hasses“ und anderer Delikte wurde Stadler vom Landgericht Berlin im November 2002 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht hatte das „unverantwortliche und nicht nachvollziehbare Verhalten“ des brandenburgischen Verfasssungschutz strafmildernd berücksichtigt. Stadlers Angaben im Verfahren schlugen ein wie eine Bombe: Alle angeklagten Delikte wurden mit Wissen und unter Deckung des Verfassungsschutzes begangen. Die Presse berichtete breit darüber. Entsprechend ungehalten waren Verfassungsschutzchef Wegesin und Innenminister Schönbohm. Letzterer saß bei der Urteilsverkündung sogar im Publikum. Schönbohms Sprecher Heiko Homburg sprach gegenüber der Presse von “Schutzbehauptungen“ Stadlers – was indes nicht der Wahrheit entsprach, wie die Öffentlichkeit recht schnell erfuhr. (siehe Links zu Presseartikeln unten).
Toni Stadler kam nach seiner Enttarnung ins Zeugenschutzprogramm und zog von der Lausitz nach Dortmund. Eigenen Angaben zufolge hatte er mit der dortigen rechten Szene nichts zu tun. Trotzdem wurde er im Rahmen des NSU-Mordes an Mehmet Kubas̨ik auffällig. Ein Zeuge behauptete, ihn drei Tage vor dem Mord mit Uwe Böhnhardt am Dortmunder Hauptbahnhof gesehen zu haben. Auch wurde sein Mobiltelefon am Tag des Mordes in derselben Funkzelle geortet, in der der Tatort lag. Er wurde daher auch vom NSU-Untersuchungsausschuss in NRW vernommen, leugnete jedoch jede Tatbeteiligung.
Publikationen zum Fall Stadler:
https://www.tagesspiegel.de/themen/brandenburg/v-mann-beschuldigt-verfassungsschutz/361360.html
https://inforiot.de/v-mann-prozess-toni-stadler-waehnte-sich-gedeckt/
Hans-Jürgen Brüning: Richter über Quelle und Behörde
Als erster Zeuge des Tages war der ehemalige Vorsitzende Richter am Landgericht Berlin, Hans-Jürgen Brüning, geladen. Brüning verurteilte im November 2002 den damals schon enttarnten V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes Toni Stadler zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe, vorrangig wegen dessen Mittäterschaft an der Produktion der CD „Noten des Hasses“. Diese hatte Stadler zusammen mit dem ebenfalls als Quelle geführten Mirko Hesse (BfV, Deckname „Strontium“) für den eigentlichen Initiator, Lars Burmeister aus Berlin, übernommen. Ein weiterer Anklagepunkt war die Lagerung von verfassungsfeindlichen Materialien – CDs, Kleidung, Fanzines – in einem konspirativen „Bunker“ in Cottbus.
Stadler habe sich während des Prozesses kooperativ mit den Berliner Behörden gezeigt, was laut Brüning zu mildernden Umständen im Urteil geführt habe. Des Weiteren, habe strafmildernd gewirkt, dass Stadler vom Brandenburger VS zur Produktion der CD geführt wurde und er den gesamten Vorgang mit seinem damaligen V-Mann-Führer und im Verfahren gesondert Verfolgten „Dirk Bartok“ abgestimmt hatte. Ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes habe Stadler auch zur Einrichtung des Lagerraums für Nazidevotionalien in Cottbus veranlasst. Somit war der förmlich zur Zusammenarbeit Verpflichtete Stadler ausführender Arm für seinen Dienstherrn, den Brandenburger Verfassungsschutz.
An einen eigenen Kontakt zum Brandenburger VS konnte sich der Zeuge nicht erinnern, auch seien keinerlei Absprachen mit dem VS hinsichtlich des Strafmaßes getroffen worden. Der Vorgang sei nach der umfassenden Aussage Stadlers und den Telefonmitschnitten von dessen Gesprächen mit seinem V-Mann-Führer unmissverständlich gewesen. „Bartok“ habe Stadler gesteuert und diesen zuweilen sogar vor geplanten Durchsuchungen der Polizei bei der rechten Szene gewarnt. Auch stellte der Verfassungsschutz Stadler einen „sauberen“ Computer, damit die Polizei bei Ermittlungen gegen ihn keine strafbaren Inhalte finden konnte. Die Aussagen Stadlers zu diesem Vorgang schienen Brüning glaubhaft.
Von unserem Obmann Dr. Schöneburg zu seiner generellen Bewertung der Steuerung Stadlers gefragt erklärte Brüning, dass ihm „so etwas nicht oft untergekommen“ sei. Er erklärte weiter, dass es durchaus möglich sei, dass das relativ milde Urteil gegen Stadler daraus resultierte, dass er ungehalten gegenüber dem Verfassungsschutz gewesen sei. Er erinnere aber keine Einzelheiten. Brüning bestätigte auf Dr. Schöneburgs Nachfrage, dass sich der Brandenburger Verfassungsschutz in diesem Fall rechtlich der Mittäterschaft strafbar gemacht habe.
Deshalb habe er in einem Interview mit der Berliner Zeitung im Jahre 2002 auch angeregt, dass der Brandenburger Landtag einen Untersuchungsausschuss zu diesem Fall einsetzen solle. Aus seiner Sicht wäre daneben auch eine Anklage gegen den Verfassungsschutzsbeamten naheliegend gewesen. Wir wissen heute, dass im Land Brandenburg damals beides unterlassen wurde.
Jürgen Heinke: Der verhinderte Zeuge
Die Anhörung des Berliner Staatsanwaltes Jürgen Heinke musste auf einen späteren Termin verschoben werden, da für ihn keine Aussagegenehmigung vorlag. Wahrscheinlicher Termin der erneuten Anhörung ist die Doppelsitzung des NSU-UA am 22./23. November 2018.