Bewertung des Beschlusses der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD zu weiteren Vorhaben in der Asylpolitik

Bewertung des Beschlusses der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD zu weiteren Vorhaben in der Asylpolitik

Am 5. November 2015 haben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD weitere Asylrechtsverschärfungen verabredet, die nun auf den parlamentarischen Weg gebracht werden.

Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass die umfassenden Asylrechtsänderungen aus dem Oktober gerade erst in Kraft getreten und noch nicht einmal im Ansatz umgesetzt sind. Erneute Verschärfungen und Änderungen werden vor allem weitere Verunsicherung schaffen und das bereits überlastete System weitere chaotisieren. Eine erneute Änderung – egal welchen Inhalts – ist deshalb zu aktuellen Zeitpunkt nicht sinnvoll, um das Asylsystem zu stabilisieren. Gleichzeitig sind die Vorschläge darauf gerichtet, weitere Abschreckungsmechanismen zu schaffen und der Öffentlichkeit vorzugaukeln, die aktuellen Probleme wären durch Verschärfungen des Asylrechts lösbar.

Zu den einzelnen Verabredungen:

  • Schaffung eines einheitlichen Ausweises und einer Datenbank zur Identifizierung von Asylsuchenden und Flüchtlingen, Registrierung und Ausstellung des Ausweises sollen Voraussetzung für die Stellung des Asylantrages und die Gewährung von Leistungen sein

Dieser Punkt hat in der öffentlichen Debatte bisher keinerlei Rolle gespielt. Grundsätzlich kann dies sinnvoll sein im Rahmen der Harmonisierung der Datenbanksysteme der verschiedenen beteiligten Behörden. Es kann auch sinnvoll sein, da die unterschiedlichen Ausweise, die es je nach Status gibt, regelmäßig zu Verwirrungen führen. Insofern muss man sich hier anschauen, was genau im Gesetz stehen wird, welchen Umfang die Datenspeicherung hat und wer in welchem Umfang auf die Daten zugreifen soll.

  • Beschleunigtes Asylverfahren für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern, mit Wiedereinreisesperren, mit Folgeanträgen oder ohne Mitwirkungsbereitschaft in Anlehnung an das Flughafenverfahren; Verwaltungsverfahren soll innerhalb einer Woche, Rechtsmittelverfahren innerhalb von zwei Wochen abgeschlossen sein

Damit wird das umstrittene Flughafenverfahren, dass in der Praxis häufig zu Fehlentscheidungen führt, weiter ausgeweitet. Das Verfahren steht in der Kritik, da keine Zeit ist, Fluchtgründe ausreichend zu überprüfen, oftmals keine spezialisierten Entscheider zur Verfügung stehen, die Anhörungen am „Fließband“ wenig sensibel und oft zu kurz geführt werden und die Bescheide oberflächlich sind. Es sind in einer Studie von Pro Asyl eklatante Fehlentscheidungen dokumentiert, die nach der Abschiebung zu Verhaftungen im Herkunftsstaat führten.
Die Ungleichbehandlung von „erwünschten“ und „nicht erwünschten“ Flüchtlingen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten bereits im Verfahren wird durch diese Festlegung der Parteichefs ausgeweitet und ihre Rechtsstellung weiter verschlechtert.
Bisher nicht öffentlich diskutiert, jedoch zusätzlich sehr problematisch ist die beabsichtigte Anwendung dieses beschleunigten Verfahrens bei denjenigen, denen fehlende Mitwirkungsbereitschaft unterstellt wird. Da es zum Zeitpunkt der Einreise noch keine Anhaltspunkte geben kann, ob jemand am Verfahren „mitwirken“ will oder nicht, ist zu befürchten, dass diese „fehlende Mitwirkungsbereitschaft“ bereits dann unterstellt wird, wenn die Geflüchteten keine Papiere besitzen. Einer massenweisen Anwendung dieses verkürzten Verfahrens ist deshalb zu befürchten.

  • Schaffung von 3 bis 5 Aufnahmeeinrichtungen, die ausschließlich für die Antragstellung,
    -bearbeitung und -entscheidung sowie das Rechtsmittelverfahren und die Rückführung und Abschiebung dieser Personengruppe zuständig sind. In diesen Zentren herrscht eine verschärfte Residenzpflicht bezogen auf den Bezirk der unteren Ausländerbehörde, deren Verletzung den Wegfall des Leistungsanspruchs und das Ruhen des Verfahrens zur Folge haben. Ein Wiederaufnahmeantrag kann nur in der jeweiligen Einrichtung gestellt werden und ein erneuter Verstoß gegen die Residenzpflicht hat das Erlöschen des Antrags und die sofortige Ausreisepflicht unabhängig eines möglichen Rechtsbehelfs zur Folge.

Über die Frage der Registrierungszentren ist öffentlich viel gestritten worden. In der Konsequenz ist der Unterschied zu den vor der Union zuvor geforderten Transitzonen bestenfalls kosmetisch. Die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verletzung der Residenzpflicht sind von der EU-Aufnahmerichtlinie nicht gedeckt. Vor allem das Erlöschen des Asylantrags bei wiederholtem Verstoß gegen die Residenzpflicht ist eine Maßnahme, die in der EU-Aufnahmerichtlinie nicht vorgesehen ist.
Jenseits dieser europarechtlichen Probleme bleibt es bei der Kritik an der Ungleichbehandlung von Flüchtlingen, die hier zementiert wird.

  • Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre

Subsidiär geschützte Personen sind jene, die zwar nicht als Asylberechtigte anerkannte bzw. keinen Flüchtlingsstatus nach Genfer Flüchtlingskonvention erhalten haben, die jedoch einen Aufenthaltsstatus erhalten, weil ihnen im Herkunftsland Tod, Folter oder ernsthafte Bedrohung drohen. Mit der Gesetzesänderung im August wurde ihr rechtlicher Status dem der anerkannten Flüchtlinge angepasst. Zwar handelt es sich aktuell um eine recht kleine Gruppe von Geflüchteten, bis Oktober erhielten im Jahr 2015 lediglich 1.366 Personen, vorrangig aus Eritrea und Afghanistan diesen Status. Allerdings ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Verweigerung des Familiennachzugs für jede und jeden Einzelnen eine extreme persönliche Härte darstellt, die auch schwerwiegende psychische Probleme zur Folge haben kann. Und gleichzeitig wurde wenige Tage nach der Verkündung des Papiers der Parteichefs deutlich, wohin die große Koalition steuert: als bekannt wurde, dass der Innenminister das BAMF angewiesen hat, Syrerinnen und Syrern vorrangig nur noch subsidiären Schutz zu gewähren. Zwar wurde diese Maßnahme eilig zurück genommen, es wurde dadurch jedoch deutlich, dass zumindest die Unions-Seite durchaus das Ziel verfolgt, Flüchtlingen massenhaft den Familiennachzug zu verwehren.
Dies hätte weitreichende Auswirkungen: Bereits jetzt ist zu beobachten, dass immer mehr Frauen und Kinder sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen. Die Verweigerung des Familiennachzugs wird – neben den beschriebenen Härten für diejenigen, die bereits hier sind – zur Folge haben, dass noch mehr Frauen und Kinder, Alte und Kranke sich auf den für sie besonders lebensgefährlichen Weg begeben.
Hinzu kommt, dass eine solche Maßnahme integrationsfeindlich ist. Einerseits ist gewollt, dass Asylsuchende in den Arbeitsmarkt integriert werden, andererseits wird ihnen aber mitgeteilt, dass ihre Familien in den Kriegsgebieten verbleiben müssen. Das ist nicht nur widersinnig sondern auch unmenschlich.

  • Eigenbeteiligung an den Integrationskursen aus dem soziokulturellen Existenzminimum für BezieherInnen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und nach SGB II

Auch diese Maßnahme ist als integrationsfeindlich einzustufen. Das soziokulturelle Existenzminimum dient der Sicherung der Teilhabe an der Gesellschaft. Gleichzeitig besteht nach Abschluss des Asylverfahrens für diejenigen, die einen Status erhalten haben, eine Teilnahmeverpflichtung, es sei denn, sie befinden sich in Ausbildung oder besuchen vergleichbare Kursen (§44a Aufenthaltsgesetz). Das bedeutet dann rein praktisch, dass diejenigen, die auf einen Integrationskurs angewiesen sind,

Beschneidung des soziokulturellen Existenzminimums hinnehmen müssen, während diejenigen, die einen Kus über die Bundesagentur für Arbeit erhalten, keine Einbußen haben. Diejenigen, die für den Arbeitsmarkt interessant scheinen, würden also besser gestellt als diejenigen, von denen dies nicht angenommen wird.

  • Schaffung einer Organisationseinheit des Bundes, die der Beschaffung von Papieren ausreisepflichtiger Personen dient, die Bundesländer sollen Ansprechpartner benennen und bei Bedarf Personal entsenden, außerdem sollen Vereinbarungen mit verschiedenen Ländern zur Ausstellung von Pass-Ersatz-Papieren getroffen werden.

Diese Einheit soll dazu dienen, Papiere ausreisepflichtiger Personen bei den Herkunftsländern zu beschaffen, da Personen ohne Papiere nicht rückgeführt bzw. abgeschoben bzw. werden können. Politisch ist dagegen nicht wirklich etwas einzuwenden, außer natürlich, dass das Instrument der Abschiebung nur das letzte Mittel sein darf. Sicher werden wir als LINKE uns hier nicht an die Spitze der Bewegung stellen, die bisherige Praxis, dass die Kommunen bzw. Länder sich vorrangig um das Besorgen der Papiere kümmern, ist jedenfalls nicht sinnvoll.
Die Vereinbarungen mit Ländern zur Ausstellung von Pass-Ersatz-Papieren zielen vor allem auch auf schnelle Abschiebungen. Mit den meisten Balkan-Staaten sind bereits solche Vereinbarungen getroffen. Diese sind Grundvoraussetzung für schnelle (Massen-)Abschiebungen, denn es steht zu befürchten, dass gar nicht erst versucht wird, Pässe im Herkunftsstaat zu besorgen sondern gleich auf den Passersatz gesetzt wird. Im Lichte der Registrierungszentren und des verkürzten Verfahrens dienen diese Vereinbarungen nur einem Zweck: schnelle Abschiebungen zu gewährleisten.

  • Erstellung ärztlicher Atteste im Zusammenhang mit Abschiebungen sollen gesetzlich geregelt werden

Gegen eine gesetzliche Regelung und Klarstellung ist erst einmal nichts einzuwenden. Es kommt an dieser Stelle auf die gesetzliche Ausgestaltung an. Es wird aber vermutlich darauf hinaus laufen, dass es nur noch bestimmte Ärzte gibt, die diese Atteste ausstellen dürfen.

  • Schutz der Außengrenzen wiederherstellen, illegale Schleusungen und Migration beenden, Dublin III wieder durchsetzen und weiter entwickeln, Fertigstellung Hotspots vorantreiben und sicher stellen, dass Registrierung und Verteilung von dort aus erfolgt und Verfahren „nicht Schutzbedürftiger“ dort erfolgen und diese zurück geführt werden, Verstärkung Frontex

Das ist nichts Neues zu dem, was wir kennen: Festung Europa ausbauen, Außengrenzen stärker abschotten, mit den Hotspots gleich in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge trennen usw. Weiterhin gibt es keine Ansätze zu sicheren Fluchtwegen, solidarischer finanzieller Lastenverteilung usw. Im Positionspapier des Parteivorstands ist eine ausführliche Positionierung dazu enthalten http://www.die-linke.de/partei/organe/parteivorstand/parteivorstand-2014-2016/beschluesse/zeit-zu-handeln-warum-wir-keine-fluechtlingskrise-sondern-eine-krise-der-sozialen-gerechtigkeit-haben/

  • Verhandlungen mit der Türkei mit dem Ziel, Drittstaatsangehörige dorthin zurück führen zu können, im Gegenzeug finanzielle Unterstützung zur Versorgung von Flüchtlingen, Visumfreiheit und Vereinbarung eines legalen Flüchtlingskontingents aus der Türkei für die EU

Im Kern ist das der Versuch, das Dublin-System auf die Türkei auszudehnen. Geld und Arbeitsmigration für Rücknahme von Flüchtlingen, die über die Türkei-Route gekommen sind. Diese Strategie verfolgt die EU nicht nur bei der Türkei sondern auch bei Staaten Nordafrikas, bspw. Tunesien und sie ist Bestandteil des Abschottungssystems. Die Logik ist einfach, Arbeitsmigration ermöglichen und Flüchtlinge gar nicht erst in die EU lassen und wenn doch, schnell zurück schicken.
Gleichzeitig dürfte ein solches Abkommen in der Folge als Argument genutzt werden, dass die Türkei sicherer Herkunftsstaat wird.

  • Militärisches Engagement in Afghanistan verlängern, innerstaatliche Fluchtalternativen aufbauen und verbessern, Entscheidungsgrundlagen des BAMF überarbeiten und Rückführungen intensivieren

Hier reden wir über Abschiebungen in ein Kriegsgebiet! Im Kern heißt das, es soll befriedete Zonen in Afghanistan geben, die dann als Begründung dafür herhalten, dass Afghaninnen und Afghanen nunmehr keinen Schutzstatus mehr erhalten und in die „befriedeten“ Zonen abgeschoben werden.

  • Integration – denjenigen, die Aufnahme finden, soll Integration ermöglicht werden durch Förderung des Erlernens der deutschen Sprache und Integration in den Arbeitsmarkt

Der Teil zur Integration umfasst ganze zehn Zeilen (inkl. Überschrift) des sechsseitigen Papiers. Außer einem allgemeinen Bekenntnis findet sich nichts. Keine einzige konkrete Maßnahme, während in allen anderen Abschnitten in der Regel sehr klare Vorstellungen existieren, was gemacht werden soll.