Interview: "Die Demokratie darf keine Pause machen"

Interview: „Die Demokratie darf keine Pause machen“

Im Interview mit Benjamin Lassiwe habe ich mich zu der Situation in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln, was Brandenburg für Geflüchtete tun kann, zu demokratischen Protestformen in Zeiten der Krise, zur Rolle des Parlaments und zur Notwendigkeit einer Debatte zu möglichen Lockerungen von Maßnahmen geäußert. Das Interview ist in den Potsdamer Neuesten Nachrichten und im Prignitzer (Schweriner Volkszeitung) erschienen.

 

Frau Johlige, wie ist die Situation im griechischen Lager von Moria?

Meine Kontakte dort sagen mir, dass es seit zwei Wochen keinen neuen Corona-Fall mehr auf Lesbos gab. Die akuteste Gefahr ist also erst einmal gebannt. Aber die hygienische Situation dort bleibt trotzdem katastrophal. Die Menschen stehen für Wasser bis zu drei Stunden an. Überall auf der Welt werden Menschen dazu angehalten, sich regelmäßig die Hände zu waschen. Das geht dort nicht. Es gibt nicht einmal genug Toiletten. Es gibt nur ein kleines Krankenhaus. Die medizinische Situation ist eine Vollkatastrophe. Das kann so nicht weitergehen. Die Lager in Griechenland müssen evakuiert werden. Und so lange das nicht passiert, müssen wenigstens die hygienischen Bedingungen verbessert werden.

 

Was kann und sollte Brandenburg tun?

Auf Initiative der Linken hat der Landtag – auch mit den Stimmen der Koalition – beschlossen, zu prüfen, ob man Flüchtlingskinder von dort nach Brandenburg holen kann. Seit dieser Beschluss gefasst wurde, haben wir nie wieder etwas davon gehört. Es gab viele warme Worte, aber keine Taten. Die Bundesregierung hat beschlossen, 50 Kinder aus Griechenland aufzunehmen. Bedenkt man, dass es offenbar problemlos möglich ist, 80.000 Saisonarbeiter einzufliegen, dann frage ich mich, wieso es ein Problem ist, 1.000 Flüchtlingkinder zu holen. Das halte ich für ein Armutszeugnis für unser Land. Brandenburg hat im Übrigen ja derzeit die Bundesratspräsidentschaft inne – aber vom Bundesratspräsidenten Woidke höre ich an dieser Stelle auch nicht viel. Man könnte bspw. auch das THW nach Moria schicken, um dort hygienische Verbesserungen durchzuführen.

 

In Brandenburg werden Flüchtlinge vor allem in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Sind nicht solche Unterbringungen jetzt erst Recht ein Risiko?

Wir bemühen uns ja schon seit Jahren darum, dass Flüchtlinge vor allem dezentral untergebracht werden sollten. Sie haben völlig recht: In Gemeinschaftsunterkünften gibt es weder Privatsphäre, noch ist es möglich, sich dort vernünftig vor Infektionen zu schützen. Weil eine Frau im Bergmann-Klinikum Menschen geholfen hat, steht jetzt eine ganze Unterkunft unter Quarantäne. Es wäre aus meiner Sicht gerade jetzt wichtig, Flüchtlinge in Brandenburg nicht in großen Sammelunterkünften unterzubringen, sondern dezentral.

 

Was halten Sie davon, dass Demonstrationen – etwa von den Flüchtlingshelfern von Seebrücke – derzeit nicht stattfinden können?

Wir hatten ja am Sonntag eine sehr kreative Protestaktion in Potsdam: Unter Einhaltung aller Infektionsschutzregeln hatten Menschen beim Anstehen beim Bäcker Transparente dabei, um auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Ich finde es wichtig, dass wir Abstandsregeln einhalten und uns und Andere vor einer Infektion schützen. Ich halte es aber auch für richtig, dass demokratische Protestformen auch in diesen Zeiten möglich sind. Darüber müssen wir bei den anstehenden Lockerungen auch reden. Die Demokratie darf keine Pause machen!

 

Halten Sie Demonstrationen mit 1,5 Meter Abstand für möglich?

Wir haben am Sonntag eine Form gesehen, die unter den Bedingungen des Infektionsschutzes machbar war. Wir wissen, dass die Maßnahmen, die bei uns derzeit gelten, Menschenleben schützen sollen. Deswegen muss man immer abwägen, was geht – und was nicht. Was ich aber für viel wichtiger halte: Das Parlament ist von solchen Entscheidungen derzeit ausgeschlossen. Hier finden gerade rein exekutive Entscheidungen statt. Die gewählten Abgeordneten haben keine Möglichkeit, in diesen Fragen mitzuentscheiden, darin sehe ich ein großes Problem.

 

Was sollte sich aus Ihrer Sicht denn ändern?

Wir brauchen eine gesellschaftliche und politische Debatte, wie wir in dieser Krise weitermachen. Welche Maßnahmen wir uns als Gesellschaft auferlegen, welche sinnvoll sind, und welche es nicht sind. Es ist aus meiner Sicht absurd, dass kleine Blumenläden oder Buchläden, wo man den Infektionsschutz sehr leicht durchsetzen kann – zum Beispiel durch eine Begrenzung der Zahl der Kunden, die im Laden sein dürfen – geschlossen sein müssen, obwohl Supermärkte und Gartencenter offen sind und sich dort die Menschen drängen. Wir müssen in die Debatte kommen, welche Maßnahmen gelockert werden können, um die Wirtschaft nicht völlig zu zerstören und gleichzeitig den notwendigen Infektionsschutz gewährleisten.