Interview: Rechte Hetze in Nauen: „Das Signal ist: Wir meinen es ernst“

Interview: Rechte Hetze in Nauen: „Das Signal ist: Wir meinen es ernst“

In der Berliner Zeitung ist ein Interview mit mir zur Situation in Nauen nach dem Anschlag auf das Auto zweier LINKEN-PolitikerInnen und dem Verteilen von Bombenbauanleitungen erschienen. Zum Interview geht es hier.

Den Text des Interviews dokumentiere ich hier auch noch einmal.

„Immer wieder fällt Nauen (Havelland) durch rechtsradikale Anschläge und Drohungen auf. Vor sechs Monaten brannte eine Turnhalle aus, die als Flüchtlingsunterkunft vorgesehen war. Es war der schwerste Anschlag dieser Art in Brandenburg seit mehr als 20 Jahren. Immer wieder gab es in Nauen auch Anschläge auf Wahlkreisbüros von Linken und der SPD sowie Aufmärsche von Neonazis. Eine Stadtverordnetenversammlung musste wegen rechter Randale abgebrochen werden. Kürzlich zündeten Unbekannte das Auto von zwei Politikern der Linken an. Nun wurden Hetzbriefe gegen Flüchtlinge verteilt – mit der Anleitung, wie man Molotow-Cocktails und Sprengsätze baut. Ein Gespräch mit Andrea Johlige, Landtagsabgeordnete der Linken, die ihren Wahlkreis in der Region hat.

In Nauen haben Bürger am Wochenende anonyme Briefe in ihren Briefkästen gefunden, in denen gegen Flüchtlinge gehetzt wurde und die Anleitungen enthielten, wie man Explosionskörper herstellt. Sie sagten, dass „der Nazi-Terror sich immer weiter ausweitet“. Wie ist das zu verstehen?
Bei allem, was in den vergangenen Tagen passiert ist: Die Flugblätter mit der Aufforderung, „absoluten Widerstand“ zu leisten, und dazu die Anleitungen zum Bombenbauen – das hat schon eine neue Qualität. Dazu der Brandanschlag auf das Auto von zwei Politikern der Linken. In Nauen wird immer mehr versucht, ein Klima der Angst und Einschüchterung zu schaffen, und das Signal ist: Wir meinen es ernst.

Sind die Rechtsextremen hier besonders aktiv?
Ja, es gibt hier eine relativ aktive rechtsradikale Szene – eine Mischung aus freien Kräften, teils mit NPD-Anbindung. In den 1990er-Jahren war die rechte Szene hier schon mal stark, und seit einigen Jahren gab es eine Wiederbelebung. Neue Leute kamen dazu, und die alten haben noch die Kontakte in der Szene.

Kennt man die Rechtsextremen in der Stadt?
Klar, Nauen ist ja eine Kleinstadt. Das ist auch umgekehrt so: Die Rechten kennen diejenigen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Der Brandanschlag auf das Auto von Linken-Politikern war ja ein klares Signal: Wir wissen, wer ihr seid und wo ihr wohnt.

Was bedeutet das für Flüchtlinge und diejenigen, die sich für sie einsetzen?
Viele Aktive haben Angst. Man kann ja schlecht abschätzen, wie weit die Rechten gehen. Bisher beschränkten sie sich auf Gewalt gegen Sachen. Aber durch die Hetzschriften und Anschläge wurde eine starke Bedrohungskulisse aufgebaut.

Nach dem Brand der Turnhalle hieß es, Politik und Polizei würden alles daran setzen, um die Täter zu fassen. Die Stadtverwaltung und Stadtverordnete verurteilten die Tat, ein Willkommensbündnis für Flüchtlinge wurde gegründet. Wie ging es dann weiter?
Nach dem Turnhallen-Brand wurde es erst mal ruhiger. Die rechten Aufmärsche haben aufgehört. Aber jetzt geht es wohl wieder los.

Haben Sie eine Erklärung dafür?
Seit einer Woche steht die Traglufthalle, in der bis zu 300 Flüchtlinge untergebracht werden – genau gegenüber der ausgebrannten Turnhalle. Dass demnächst dort Menschen einquartiert werden sollen, war bestimmt ein Anlass. Denn es gibt nach meiner Meinung zwei Gründe, warum die Situation in Nauen immer wieder eskaliert: Zum einen ist hier die Zivilgesellschaft noch eher schwach. Es gibt zu wenige Aktive beispielsweise aus Vereinen und Initiativen, die sich engagieren. Deshalb hat hier die Willkommensinitiative auch nur rund 30 Mitglieder – im nahen Falkensee waren es in kürzester Zeit mehr als 100. Zum anderen hat Nauen bisher keine Flüchtlinge in größeren Unterkünften einquartiert. Wir haben nur einige wenige in Wohnungen untergebracht.

Gehen Sie davon aus, dass es besser wird, wenn erst einmal Flüchtlinge in Nauen sind?
Erfahrungsgemäß ist die Ablehnung immer dort am größten, wo noch keine Flüchtlinge sind. Die Menschen sind verunsichert und wissen nicht, was auf sie zukommt. Wenn die Flüchtlinge erst mal da sind und die Leute merken, dass die Kriminalität nicht steigt und man auch noch nachts auf die Straße gehen kann, dann beruhigt sich in der Regel die Situation.

Was kann man gegen die Rechtsradikalen tun?
Wir müssen die Zivilgesellschaft stärken, und die Politik muss klar Stellung beziehen. Die Stadtverwaltung und SPD-Bürgermeister Detlef Fleischmann haben das getan, darüber bin ich froh. Wir müssen als Demokraten zusammenstehen, und ich erwarte, dass auch die Ländliche Wählergemeinschaft und CDU mehr Engagement zeigen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass wir alle gemeinsam eine Stadt wollen, in der Gewalt und Hass keinen Platz haben.

Der Polizei ist es bisher noch nicht gelungen, nach dem Brand der Turnhalle die Täter zu fassen. Wie beurteilen Sie das?
Mein Eindruck ist, dass die Ermittlungsarbeit der Polizei sehr intensiv ist. Auch bei den Anschlägen auf unser Wahlkreisbüro war unsere Erfahrung, dass die Polizei solche Fälle sehr ernst nimmt. Aber das ist eben das Problem: Die Aufklärungsarbeit ist sehr schwierig, wenn ein Klima der Einschüchterung herrscht und keiner etwas sagen möchte.

Das Gespräch führte Iris Brennberger.“