Kleiner Parteitag der LINKEN Brandenburg – Gedanken zur neuerlichen Debatte um die Verantwortung der LINKEN

Mein erster offizieller Termin als Kreisvorsitzende fand heute statt: Der sogenannte kleine Parteitag der LINKEN in Brandenburg. Interessierte Leser wissen sicher sofort, was Thema war: Der Umgang mit stasi-belasteten Abgeordneten, die die Partei im Unklaren über diese verstrickungen gelassen haben. Kein schönes Thema, aber ein notwendiges.

Ich will gar nicht so viel zu der Veranstaltung selbst schreiben, sie war parteiöffentlich (also nur Parteimitglieder waren zugelassen), demnach kann ich hier eigentlich nur das Ergebnis posten: Erklärung des Landesvorstands und des Landesausschusses der LINKEN Brandenburg.

Ich will aber ein paar Gedanken aufschreiben, die mich angesichts der derzeitigen Situation bewegen.

Zuerst, eigentlich selbstverständlich, aber muss einfach gesagt werden: Die Situation, dass die rot-rote Landesregierung in Brandenburg bisher nicht zum Arbeiten gekommen ost und stattdessen, schon wenige Wochen nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages in einer schweren Krise steckt hat allein DIE LINKE zu verantworten. Weder die Medien, noch der politische Gegner haben diese Krise ausgelöst. Allein wir als LINKE, weil wir wohl doch nicht genug getan haben, hinsichtlich des Umgangs mit unserer Geschichte und hinsichtlch des Umgangs mit unseren Biografien, sind verantwortlich, dass diese Regierung bis an den Rand des Scheiterns geführt wurde -ohne dass sie überhaupt ernsthaft mit der Arbeit beginnen konnte.

Ich bin der festen Überzeugung, dass meine Partei in den neuen Bundesländern diejenige ist, die sich am intensivsten mit ihrer eigenen Geschichte auseinandergesetzt hat (mal zur Erinnerung eine kleine Sammlung der Beschlüsse zum Thema). Und ich bin auch der festen Überzeugung, dass es den anderen Parteien auch gut zu Gesicht gestanden hätte, dies in ähnlicher Weise zu tun. Auch die CDU, die NDPD und die LDPD  waren intensiv in das System des Realsozialismus eingebunden und haben ebenso wie die federführende SED daran gearbeitet, das System zu stärken und zu erhalten – mit allen Konsequenzen, auch mit der, dass bspw. das MfS systemimmanenter Bestandteil dieses Staates war. Doch darum geht es in der derzeitigen Debatte nicht. Es geht um uns und es geht um unsere Verantwortung.

DIE LINKE ist eine Partei, in der sich niemand seiner Vergangenheit, seiner Biografie in der DDR schämen muss. Es ist eine Partei, in der ohne Zweifel sehr viele Mitglieder sind, die nach der Wende sich selbst und ihr Tun in der DDR in Frage gestellt haben, deren Weltbild zerstört war und die sich ein neues erarbeitet haben. Viele haben daraus die Konsequenz gezogen, die Partei zu verlassen. Viele andere sind geblieben, viele davon haben sich entschlossen, nur noch innerparteilich zu arbeiten und auf die Kandidatur für öffentliche Ämter zu verzichten. Bei einigen war auch die Motivation, ihre Biografie nicht öffentlich machen zu wollen. Sie haben die Konsequenz gezogen aus den Beschlüssen der Partei, dass bei einer Kandidatur für ein öffentliches Amt oder Mandat aber auch bei der Übernahme eines innerparteilichen Amtes, eine Mitarbeit beim MfS der Wahlversammlung mitgeteilt werden muss, damit diese die Möglichkeit bekommt, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen und eine souveräne Entscheidung treffen zu können.

Und es gab Genossinnen und Genossen, die mit ihrer Biografie, ganz im Sinne des eben erwähnten Beschlusses, offen umgegangen sind und sich nicht nur der Debatte in der Partei sondern auch in der Öffentlichkeit gestellt haben. Mit ihnen waren wir immer solidarisch und werden es auch weiterhin sein. Und vo rvielen davon ziehe ich den Hut, weil sie extrem viel einstecken mussten – und sich selbst in Frage stellen mussten, was mit Sicherheit Kraft und Tränen gekostet hat.

Und dann gibt es Genossinnen und Genossen, die sich nicht an die Beschlüsse der Partei gehalten haben, die teilweise über 15 oder 20 Jahre in herausragenden Funktionen waren, und die niemandem in der Partei gesagt haben, dass in ihrer Biografie etwas ist, was die Partei eigentlich wissen müsste. Egal, wie diese Biografien selbst zu bewerten sind, egal, ob strafrechtliche Kategorien berührt sind oder nicht, egal, ob jemandem geschadet wurde oder nicht – all das ist egal, weil es schlicht ein Vertrauensbruch gegenüber den Genossinnen und Genossen, mit denen sie jahrelang gearbeitet und gekämpft haben, weil es ein Vertrauensbruch gegenüber den Wählerinnen und Wählern und weil es ein Vertrauensbruch gegenüber der Partei ist. Nebenbei ist es auch ein Verstoß gegen unsere Beschlüsse, die wir aus gutem Grund gefasst haben.

Zwei GenossInnen sind diesen Weg gegangen: Sie haben diese Partei jahrelang im Landtag vertreten, haben Direktmandate gewonnen und ihre Kraft in die politische Arbeit gesteckt. Sie haben dennoch nicht die Kraft gehabt, dieser Partei und der Öffentlichkeit ihre Biografie offen zu legen. Neben dem Unverständnis, dass darüber bei mir herrscht, weil diese Partei immer solidarisch mit denjenigen war, die ihr Biografie und auch den Umgang damit offen gelegt haben, so finde ich es auch blauäugig und unverantwortlich, was beide gemacht haben. Blauäugig, zu hoffen, alles bleibt unter Verschluss, es wird schon keiner merken. Unverantwortlich, weil es von GenossInnen in dieser Stellung zu erwarten ist, dass sie spätestens am Tag der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages kapieren mussten, dass sie es sind, die das Projekt gefährden, auf dem die Hoffnungen eines großen Teild der Bevölkerung in Brandenburg liegen. Und unverantwortlich, weil dieses Projekt bundesweit Bedeutung für unser Partei hat.

Die Aufforderung zum Mandatsverzicht und der Ausschluss aus der Fraktion von Gerd-Rüdiger Hoffmann war folgerichtig, wegen des Vertrauensbruchs und dem unverantwortlichen Handeln. Renate Adolf ist dem zuvor gekommen, was zumindest ein wenig Verantwortungsbewusstsein zeigt.

Ich kann schwer einschätzen, wie intensiv auf Landesebene vor den Wahlen auf die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen hingewiesen wurde. Mein Eindruck ist, auch da gibt es Versäumnisse. Klar ist aber, dass dieser Landesverband eine ganz besondere Verantwortung hat: Scheitert diese Regierung an solchen Geschichten, scheitert die Partei in den nächsten Jahren bundesweit. Und diese Verantwortung muss jetzt endlich erkannt werden – eigentlich hätte ich erwartet, dass wir das schon vorher kapiert haben.

Dennoch sind diese GenossInnen nicht allein an der derzeitigen Situation Schuld. Wir alle müssen uns fragen, wie genau wir in den letzten Jahren nachgefragt haben, wie bewusst es uns war, was nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages passieren wird (und wir wussten, dass alle und alles auseinandergenommen werden…), wie offensiv wir in den letzten Jahren mit unserer Geschichte umgegangen sind und wie intensiv wir uns vorbereitet haben, auf die derzeitigen Auseinandersetzungen.

Die neuerliche Debatte um unser aller Geschichte, um die Gecshichte der linken Bewegungen, um den Bruch mit dem Stalisnismus als System und um unsere Verantwortung auch für die Opfer des Systems DDR (und das sage ich als eine, die zur Wende gerade 12 war, aber als LINKE muss ich auch dafür Verantwortung übernehmen) ist notwendig und richtig. Sie bringt aber nur dann etwas, wenn wir tatsächlich bereit sind, die staatssozialistischen Vorstellungen über Bord zu werfen und aus eben dieser Debatte das mitzunehmen, was wir 1991 schon einmal festgestellt haben: Sozialismus ohne Demokratie ist keiner.

Die Debatte heute und die Erklärung (s.o.), die ich ausdrücklich teile, können nur ein Anfang sein. Wir müssen dazu kommen, öffentlich Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Das ist noch ein weiter Weg.

Eine Anmerkung sei mir noch gestattet, auch wenn der Artikel schon sehr lang geworden ist:
Es gab heute auf der Veranstaltung die Forderung eines jungen Genossen, künftig niemanden mit MfS-Biografie mehr auf unsere Listen zu setzen. Und auch seitens ehemaliger WASG-Mitglieder gab es den Hinweis, dass die Debatte für sie schwer nachvollziehbar sei und man die Beschlüsse von 1991 und 1993 nicht nachvollziehen könne. Das heißt dann auch, dass wir innerparteilich einiges zu tun haben, zumindest die Gründe für den bisherigen Umgang mit der Vergangenheit, denjenigen zu erklären, die damals nicht dabei waren.

Und dem Genossen, der anmerkte, dass er findet, 20 Jahre nach der Wende sollten wir all diese Beschlüsse aufheben und am besten gar nichts mehr zu diesem Thema sagen, sei gesagt: a) waren diese Beschlüsse niemals taktisch sondern unserem eigenen Anspruch an unsere Politik und unserem Selbstverständnis gerecht zu werden und b) können wir uns das eh nicht aussuchen, da die Öffentlichkeit eben diese Debatten führt und wir sehr gut daran tun, uns diesen zu stellen.