Konstituierende Sitzung des Landtages – Die Wölfe sind wieder da und nicht alle stört´s
Nach der Wahl der Landtagspräsidentin werden zwei Vizepräsident*innen durch den Landtag im 1. Wahlgang gewählt,die Präsidentin geht jeweils freudestrahlend auf ihre Stellvertreter*innen zu und überreicht ihnen lächelnd einen Blumenstrauß. Soweit so normal. Oder? Nein, es ist nicht normal, was in dieser konstituierenden Sitzung passiert ist. Aber der Reihe nach.
Die 1. Sitzung des neuen Landtages fand am Mittwoch 25. September 2019 statt. Platz genommen im Plenarsaal hatten 88 Abgeordnete, darunter 60 Männer und 28 Frauen (weniger Frauen als in der vorangegangenen Wahlperiode). Der Landtag besteht erstmals aus sechs Fraktionen: SPD (25 Abgeordnete), AFD (23 Abgeordnete), CDU (15 Abgeordnete), Grüne (10 Abgeordnete), LINKE (10 Abgeordnete) und Freie Wähler (5 Abgeordnete).
Die zweitgrößte Fraktion wird also von der rechtsextremen AfD gestellt. Grund genug für DIE LINKE, bereits vor der Landtagssitzung auf dem Alten Markt mit einer kleinen Kundgebung ein Zeichen gegen den zunehmenden Rechtsruck zu setzen. Dort hatten sich auch queere Aktivist*innenzu einer Kundgebung für sexuelle Vielfalt getroffen. Dieses Zeichen der Zivilgesellschaft war wichtig! Nein, wir können uns nicht damit abfinden, dass 23 Nazis bzw. Menschen, die mit Nazis kein Problem haben, nun fünf Jahre lang mit über das Schicksal des Landes entscheiden.
Auch im Plenarsaal setze DIE LINKE ein Zeichen gegen die AfD – es sollte das einzige Zeichen des Landtages an diesem Tag bleiben. Die LINKEN Parlamentarier stellten zu Beginn der Rede der Alterspräsidentin, die von der AfD gestellt wird, Miniaturen der Wolfsskulpturen des Künstlers Rainer Opolka auf ihre Tische. Dessen Ausstellung Die Wölfe sind zurück warnt vor dem zunehmenden Rechtsruck in der Gesellschaft und war bereits in vielen Städten in Deutschland zu sehen.
In der Presse war danach zu lesen, es sei ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Landtages gewesen, dass die LINKEN Parlamentarier diese Skulpturen auf ihre Tische im Plenarsaal stellten. Ich kann da nur sagen: Ja und? Mal unabhängig davon, dass es zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Geshäftsordnung gab (diese wurde erst danach beschlossen), was ist eine solche kleine symbolische Aktion gegen die Gefahr, die von der AfD und ihren Abgeordneten für unsere Demokratie, unsere Gesellschaft und unser Land ausgeht? Es war – wie sich im Verlauf der Sitzung herausstellte, das einzige Aufbegehren zumindest eines Teils der Abgeodneten und das Signal in die Gesellschaft, dass es eben nicht normal ist, dass mehr als ein Viertel der Abgeordneten des Brandeburger Landtages von einer Partei gestellt werden, die die demokratischen Werte mit Füßen tritt.
Die Alterspräsidentin Frau Spring-Räumschüssel missbrauchte denn auch die traditionelle Rede, die der Alterspräsidentin zur Eröffnung des Landtages zusteht, für billige AfD-Propaganda und machte deutlich, dass sie von der Demokratie nichts hält. Angebliche Vergiftung der politischen Debatte durch politische Korrektheit (Beispiele Zuwanderung und Klimawandel), angebliche Probleme für Menschen mit „falscher“ Meinung im Beruf und Diffamierung derselben, der Wählerwille werde durch die parlamenatrische Demokratie nicht richtig abgebildet usw. Auch Alexander Gauland wurde bemüht… Kurz, es war nur schwer erträglich und der Würde des Hauses und des Augenblicks nicht angemessen.
Es folgte die Wahl der Präsidentin des Landtages. Ulrike Liedtke von der SPD wurde mit 77 Stimmen gewählt. Nach deren Rede, in der sie für ein kulturvolles Miteinander warb, sich jedoch weder zur vorangegangenen Rede der Alterspräsidentin noch zur AfD als solche äußerte, folgte die Wahl des Vizepräsidenten. Herr Galau von der AfD stand zur Wahl. Im ersten Wahlgang erhielt er 36 Ja-Stimmen, 20-Gegen-Stimmen und 31 Einhaltungen und war damit im 1. Wahlgang gewählt und hatte 13 (!) Stimmen mehr erhalten, als seine Fraktion Mitglieder hat. Die Präsidentin eilte zu ihrem frisch gewählten Stellvertreter und überreichte ihm freudestrahlend einen Blumenstrauß. War das nötig? Konnte die Präsidentin nicht hier ein kleines Zeichen setzen und beim Überreichen des Blumenstraußes wenigstens ein klein wenig dem Rechnung tragen, was gerade passiert war? Sie tat es nicht und so blieb auch dieser Akt ein Akt der Normalität.
In der Folge wurde auch Frau Richstein von der CDU als Vizepräsidentin (75 Ja_Stimmen) gewählt. Bei der Wahl zum Präsidium ging alles glatt, nur Freiherr von Lützow erhielt 57 Gegenstimmen, weshalb er nicht gewählt wurde und die AfD nun in der kommenden Sitzung einen neuen Vorschlag unterbreiten wird. Die CDU hatte vorher angekündigt, ihn nicht zu wählen, was deutlich aufzeigt, woher die Stimmen für den Vizepräsidenten Galau vorher kamen.
Eingangs schrieb ich, was dort passiert ist, ist nicht normal. Und ja, das finde ich wirklich. Hätten wir als LINKE Fraktion nicht anfangs das Zeichen mit den Wolfsskulpturen gesetzt, hätte diese Konstituierung des Landtages eine sein können, bei der der Betracher meint, alles sei in Ordnung. Aber ist alles in Ordnung, wenn ein Mitglied einer rechtsextremen Partei wie der AfD in eines der höchsten Staatsämter gewählt wird? Ohne Not? Denn niemand war gezwungen, ihm die Stimme zu geben.
Nach der Wahl kam als Argumentation aus CDU-Kreisen für diese Wahl, der Sitz stünde der AfD aber zu. Aber stimmt das? Ja, die AfD hat als zweitstärkste Kraft das Vorschlagsrecht für einen Vizepräsidenten. Das heißt aber weder, dass Abgeordnete gezwungen sind, diesen Vorschlag zu wählen, noch, dass die AfD ein Anrecht hat auf einen Vizepräsidenten. Laut Landesverfassung hat die AfD ein Vorschlagsrecht, das Recht dieses Amt auch tatsächlich zu besetzen, kennt die Landesverfassung aus gutem Grund nicht. Dann bräuchte es nämlich auch keine Wahl. Dass es auch anders geht, zeigt der Deutsche Bundestag. Dort wurde am Freitag zum 10. Mal ein AfD-Kandidat als Vizepräsident nicht gewählt.
Nein, es war nicht notwendig, Herrn Galau zum Vizepräsidenten zu wählen. Die Argumentation seitens der CDU und anderer politischer Mitbewerber verkennt, dass Demokratie auch wehrhaft sein muss. Wehrhaft heißt dann aber auch, nein zu sagen, wo es möglich ist. Und es heißt gegen Nazis in und außerhalb des Parlaments aktiv zu sein und Zeichen zu setzen. Ja, es wäre ein Zeichen gewesen, dass die AfD keine normale Partei ist, wäre Galau nicht gewählt worden. Oder wäre er wenigstens erst im 2. Wahlgang und ohne Stimmen aus den demokratischen Fraktionen in dieses Amt gekommen. Das Zeichen, das stattdessen gesetzt wurde könnte man kurz zusamenfassen mit „Die Wölfe sind wieder da und nicht alle stört´s“.
Argumentiert wurde auch mit der Opferrolle, in die sich die AfD hätte begeben können bei einer Nichtwahl. Ja und? Sollen sie heulen. Es ist nicht unsere Aufgabe als Abgeordnete, der AfD und ihren Anhängern alles Recht zu machen, Normalität vorzugaukeln oder zu solcher beizutragen.
Es ist unsere Aufgabe, den drei Vierteln der Wähler*innen, die bewusst nicht AfD gewählt haben, zu signalisieren, dass wir nicht mit Nazis kuscheln sondern unsere Demokratie verteidigen. Die hat es gerade wirklich nötig, wie wir jeden Tag merken. Und es ist unsere Aufgabe als demokratische Abgeordnete, denjenigen, die unter der rassistischen, sexistischen und homophoben Hetze von AfD & Co leiden, die Angst vor rechtsradikalen Angriffen haben müssen und die in einer offenen und diversen Gesellschaft leben wollen zu sagen: Hey, wir sind an eurer Seite, wir verteidigen unsere Werte und werden uns Nazis entschieden entgegen stellen. Dieses Signal hat der Landtag nicht gesendet und das ist ein Fehler und ein Armutszeugnis für die Demokratie!
Ich finde es genau wie Sie, Frau Johlige, unerträglich, die AfD in so starkem Maße im Landtag wiederzufinden und ich kann mir vorstellen, wie qualvoll die Debatten in den Legislaturperiode aussehen.
Und dennoch: ich habe ein Problem damit, für die Sichtbarmachung von Diskriminierung, Antisemitismus, Frauenhass, Rechtem Terror den Wolf als Symbol zu benutzen. Der Wolf ist nur im Märchen so eine Horrorfigur und so kann ich diese Aktion auch nicht ernst nehmen sondern sie ist mir – mit Verlaub – zu polemisch.Den Wolf als Tier hier in Brandenburg wieder anzusiedeln, ist ein großes und aktuelles Thema, dem Sie damit nur das Feuer schüren. Ein Vergleich mit Tieren lohnt bei dieser rechten Partei nicht, das geht nach hinten los. Da sehe ich eher den Vergleich mit derer furchtbaren Vergangenheit. Das ist doch der Hauptgrund, weshalb diese Leute soviel Angst und Missfallen erzeugen auf der einen Seite und so heiß geliebt werden von anderen, nicht wenigen Stimmberechtigten leider.
Diese Aktion hat sich an die Kunstaktion eines Brandenburger Künstlers angelehnt, der bereits seit mehreren Jahren mit seinen Wolfsfiguren vor dem Rechtsruck warnt. Man kann sich streiten, ob das polemisch ist, ich persönlich denke nicht. Vor allem aber war uns wichtig, eine Protestform zu nutzen, die der Würde des Parlaments angemessen ist und gleichzeitig auf die Brandenburger Zivilgesellschaft zurückgreift. Und da ist Herr Opolka mkt seinen Wolfsfiguren ein wichtiger Vertreter. Insofern kann ich Ihre Kritik an der Aktion nicht so ganz teilen, zumal sie zumindest dafür gesorgt hat, dass über das problem, das wir haben, geredet wird.
Genau so!