Rede zu den Anträgen "Vorangehen für ein menschliches Europa!" und "Sicherer Hafen Brandenburg"

Rede zu den Anträgen „Vorangehen für ein menschliches Europa!“ und „Sicherer Hafen Brandenburg“

Heute fand im Brandenburger Landtag eine Debatte zur Seenotrettung statt. Dazu standen zwei Anträge zur Debatte, einer der der Grünen-Fraktion und einer der Koalitionsfraktionen. Der Antrag „Vorangehen für ein menschliches Europa!“ der Koalitionsfraktionen wurde mit den Stimmen von rot-rot-grün beschlossen. Damit ist Brandenburg der erste Landtag, der einen Beschluss fasst, der sich mit der Bewegung der solidarischen Städte solidarisiert und die Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ unterstützt, der zusätzliche Kapazitäten für die Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen schafft und der sich für die Entkriminalisierung der Seenotrettung einsetzt. Das ist das Signal des heutigen Tages, an die vielen Menschen in diesem Land, die sich für ein solidarisches Europa engagieren, an die Aktivistinnen und Aktivsten, die Menschen retten,  an die solidarischen Städte in Europa und auch an die anderen Bundesländer und die Bundesregierung. Brandenburg wird sicherer Hafen!

Ein Video der Rede ist hier zu finden.

Das Skript meiner Redeist hier dokumentiert:

„Kein Wahlwerbespot zur Europawahl sorgte für so kontroverse Debatten wie der der Partei DIE PARTEI. Er zeigt einen im Mittelmeer ertrinkenden Jungen und weist auf die Situation der zivilen Seenotrettung hin. Und damit legt er den Finger in die größte Wunde, die Europa gerade hat: die humanitäre Katastrophe, die sich auf dem Mittelmeer jeden Tag abspielt. Die Katastrophe, vor der inzwischen alle gern die Augen verschließen. Wie groß war das Mitgefühl, als das Foto des toten Alan Kurdi um die Welt ging? Und wie weit ist die Abstumpfung vor diesem Leid, das jeden Tag geschieht, mittlerweile fortgeschritten?

Geflüchtete, oft schon seit Monaten oder Jahren auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung, den gefährlichen Weg durch die Subsahara hinter sich und den Lagern in Libyen, in denen gemordet, vergewaltigt und gefoltert wird, entronnen, begeben sich in kaum seetaugliche Schlauchboote. Tausende sterben auf dieser Route elendig, ertrinken, verdursten. Und was tut Europa, was tut die Europäische Union? Die Rettungsmission Mare Nostrum ist eingestellt und die libysche Küstenwache, die nicht mehr ist als eine Ansammlung verschiedener Milizen, wird ausgestattet, um zu verhindern, dass die Menschen der Hölle von Libyen entkommen können.

Und: der Sommer steht vor der Tür, die Wetterverhältnisse werden besser. Auch wegen der anhalten Kämpfe in Libyen, die tausende Menschen zwingen werden, erneut zu flüchten, wird die Zahl der Notfälle auf dem Mittelmeer massiv steigen. Aktuell ist nur ein ziviles Rettungsschiff in der Region unterwegs. Wenn Europa nicht einlenkt, wird in den kommenden Wochen die Zahl der Todesfälle in die Höhe schnellen.

Europa nimmt in Kauf, dass Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken. Das ist die diplomatische Formulierung. Man kann es auch anders ausdrücken: Europa senkt die Flüchtlingszahlen, indem es Flüchtlinge ertrinken lässt. Damit ertrinkt jeden Tag ein Stück Menschlichkeit und ein Stück dessen, was die Europäische Union ausmacht. Und anstatt daran zu arbeiten, die Fluchtursachen zu bekämpfen – indem Waffenexporte verhindert werden, indem das Landgrabbing durch internationale Konzerne eingedämmt wird oder indem wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz ergriffen werden – anstatt also endlich wirksam die Ursachen der Flucht zu bekämpfen, bekämpft die Europäische Union die zur Flucht gezwungenen Menschen. Das muss endlich ein Ende haben.

Und dann gibt es Menschen, die für die europäischen humanen Werte kämpfen. Da gibt es Aktivisten, aus allen Ecken Europas, die verhindern wollen, dass Menschen sterben, die Zeit, Geld und ihre Kraft einsetzen, die Menschen vorm Ertrinken zu retten. Die zivilen Organisationen, Sea Watsch, Sea Eye, Jugend hilft, um nur einige zu nennen, haben zivile Seenotrettungsmissionen gestartet und Tausende Menschen vor dem Ertrinken gerettet. Als Dank werden sie von den europäischen Regierungen nicht etwa als Helden gefeiert, nein, sie werden kriminalisiert.

Anfang der Woche wurde der Kapitän der Lifeline Claus-Peter Reisch von einem maltesischen Gericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro verurteilt. Aktivisten der Iuventa werden in Italien angeklagt, ihnen drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Die Aktivisten der Iuventa haben am Wochenende in der Schweiz den Menschenrechtspreis der Paul Grüninger Stiftung erhalten. Das Preisgeld werden sie nicht für die wichtige Arbeit bei der Rettung von Menschen einsetzen können, nein, sie werden es für die Prozesskosten ausgeben müssen.

Und da frage ich mich ernsthaft: Was tut eigentlich unsere Bundesregierung? Was tut sie gegen die Kriminalisierung derjenigen, die angeklagt werden, weil sie Menschen gerettet haben? Bisher ist da nichts zu hören. Im Gegenteil. Gerade beschäftigt sich der Bundestag mit dem nächsten „Flüchtling-hau-bloß-Ab-Paket“: ein neuer prekärer Duldungsstatus, Integrationshemmnisse, Leistungskürzungen, europarechtswidrige Ausweitung der Abschiebungshaft… das ist die Antwort des Bundes.

SPD und Union auf Bundesebene sind auf dem gleichen Weg, wie die Europäische Union: Flüchtlinge bekämpfen anstatt endlich den Ursachen der Flucht einen Riegel vorzuschieben.

Die europäischen Regierungen gehen aber noch weiter. Sie verhindern die Einfahrt der Schiffe mit geretteten Menschen in ihre Häfen. Und so beginnt mit jeder geglückten Rettungsaktion ein unwürdiges Geschacher, wer die Geflüchteten aufnimmt. In der Regel wird den geretteten Menschen erst erlaubt, das Schiff zu verlassen, wenn ein Land sich bereit erklärt hat, die Menschen aufzunehmen. Und genau hier setzt eine der größten Solidaritätsbewegungen der Europäischen Union der vergangenen Jahre an: die Bewegung der solidarischen Städte. Diese Städte bieten an, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen.

In Deutschland sind bereits 51 Städte der Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ beigetreten. Aus Brandenburg ist die Stadt Potsdam Bestandteil dieser Initiative und mit diesem Beschluss heute machen wir klar, dass auch Brandenburg bereit ist, aus Seenot gerettete Menschen  aufzunehmen. Wir werden nicht nur die Städte unterstützen, die dieser Initiative beitreten. Wir werden auch als Land anbieten, gemeinsam mit anderen Bundesländern ein Landesaufnahmeprogramm aufzulegen.

Ich gehe davon aus, dass die Klärung, ob der Bund oder andere Länder sich an einem solchen Programm beteiligen, im Juni bei der Innenministerkonferenz stattfinden wird, damit spätestens ab Ende Juni die Vorbereitungen für die Aufnahme von Geflüchteten in einem Programm, mit anderen Ländern oder eben alleine, stattfinden können.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass Brandenburg gegenüber dem Bund klar macht, dass die passive Haltung der Bundesregierung bei der Frage der Öffnung der Häfen, bei der Frage der Entkriminalisierung der zivilen Seenotrettung und auch bei der Frage der Wiederauflage europäischer Rettungsmissionen endlich ein Ende haben muss. Die Bundesregierung muss ihren Einfluss auf europäischer Ebene für eine humane und menschenwürdige Politik geltend machen. Gerade wir Deutschen haben die besondere Verantwortung dafür zu sorgen, dass es nie wieder dazu kommt, dass Flüchtlingsschiffe keinen sicheren Hafen finden.

Wir sind der erste Landtag, der einen Beschluss fasst, der sich mit der Bewegung der solidarischen Städte solidarisiert und die Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ unterstützt, der zusätzliche Kapazitäten für die Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen schafft und der sich für die Entkriminalisierung der Seenotrettung einsetzt. Das ist das Signal des heutigen Tages, an die vielen Menschen in diesem Land, die sich für ein solidarisches Europa engagieren, an die Aktivistinnen und Aktivsten, die Menschen retten,  an die solidarischen Städte in Europa und auch an die anderen Bundesländer und die Bundesregierung.

Brandenburg wird sicherer Hafen!“