Rede zum AfD-Antrag "Sach- statt Geldleistungen für Asylbewerber"

Rede zum AfD-Antrag „Sach- statt Geldleistungen für Asylbewerber“

Dem Landtag lag ein AfD-Antrag vor, der Sach- statt Geldleistungen für Asylbewerber forderte. Er wurde abgelehnt.

Meine Rede dazu ist beim rbb verfügbar.

Meine Rede dokumentiere ich hier, zitiert nach der vorläufigen stenografischen Niederschrift:

„Wenn die Ministerpräsidenten der Länder ernsthaft fordern, Geflüchteten Sach- statt Geldleistungen zu gewähren, muss man sich nicht wundern, dass die AfD hier so einen Antrag einbringt. Dass wir ihn ablehnen werden, wundert sicher niemanden hier im Haus. Wir lehnen das Sachleistungsprinzip grundsätzlich ab, und deshalb will ich meine Redezeit weniger für den Antrag und mehr für die aktuelle, aus meiner Sicht völlig aus dem Ruder gelaufene Debatte verwenden.

Zuerst: Es gab schon einmal ein Sachleistungsprinzip. Die Brandenburger Zivilgesellschaft hat sehr dafür gekämpft, dieses diskriminierende und stigmatisierende System der Gutscheine abzuschaffen, die nur in bestimmten Geschäften und teils nur für bestimmte Waren einsetzbar waren. Etwas mehr als zehn Jahre später folgt nun also ein Rollback: Politiker von CDU und SPD können – unter Applaus der AfD – mit ihren Forderungen nicht schnell genug sein, das Sachleistungsprinzip wieder einzuführen – in Form einer Chipkarte, haben wir gelernt. Die Finanzministerin war gleich ganz aufgeregt und wollte sofort mit den Sparkassen reden; ein solches Engagement hätte man sich eher angesichts der Filialschließungen gewünscht. Bis heute ist in der Debatte nicht geklärt worden, was diese Chipkarte eigentlich leisten soll: Geht es um eine Karte, mit der nur bestimmte Waren in bestimmten Geschäften gekauft werden können, oder soll es da keine Beschränkungen geben? Welcher Teil der Leistungen soll auf diese Art ausgezahlt
werden? Das Bundesverfassungsgericht hat doch entschieden, dass ein vollständiges Sachleistungsprinzip verfassungswidrig ist.

Man weiß es nicht – was man aber weiß, ist, dass das jetzt unbedingt eingeführt werden muss, weil es angeblich die Migration eindämmt. Da wird dann schnell argumentiert, dass die angeblich hohen Geldleistungen ein Pull-Faktor seien, also ein Grund, warum Menschen sich für Deutschland als Zielland ihrer Flucht entscheiden. Schauen wir uns das einmal genauer an: Warum kommen Menschen nach Deutschland? Aus der Migrationsforschung wissen wir, dass es dafür mehrere Gründe gibt.

Erstens: Da ist eine koloniale Verbindung zu Deutschland – Menschen aus den ehemaligen deutschen Kolonien streben nach Deutschland. Dieses Phänomen gibt es auch bei anderen ehemaligen Kolonialstaaten, und es hat nicht nur etwas mit der Sprache, sondern tatsächlich auch etwas mit kultureller Tradition zu tun.

Zweitens: Deutschland gilt als Land mit guten Arbeitsbedingungen und einem hohen Arbeitskräftebedarf. Das stimmt übrigens, und es trifft sich ja eigentlich ganz gut, angesichts des Personalmangels allerorts.

Drittens: familiäre Bindungen – sie erleichtern übrigens die Integration.

Viertens: ein gutes Gesundheitssystem – das ist vor allem für Menschen mit Kriegsverletzung oder Krankheiten, die nicht überall behandelbar sind, wichtig.

Fünftens: neuerdings vor allem bei Afghanen -: Sie haben bereits in ihrem Heimatland für Deutschland gearbeitet.

Das sind die Pull-Faktoren. Hohe Sozialleistungen gehören nicht dazu – schlicht, weil die Menschen, die zu uns fliehen, in der Regel arbeiten und sich ein eigenständiges Leben aufbauen wollen. Die Debatte über Sachleistungen ist insofern eine Nebelkerze.

Sie ist es übrigens auch deshalb, weil die Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz so gering sind, dass sie gerade einmal das physische und soziokulturelle Existenzminimum abdecken und auch noch deutlich unter dem Bedarfssatz des Bürgergeldes liegen. Damit kann man nur gerade so in Deutschland überleben. Für Geldtransfers in die Herkunftsländer braucht es mehr als das. Dafür braucht es Arbeit, und das wiederum wäre für unseren Arbeitsmarkt eine Chance.

Es wäre deshalb wesentlich zielführender, darüber zu reden, wie wir die Menschen, die zu uns flüchten, schnell in Arbeit bringen: Deutschkurse bereits in der Erstaufnahme und in ausreichendem Umfang im ganzen Land, Abschaffung der Arbeitsverbote, gezielte Qualifizierungen für Mangelberufe, schnelle Berufsanerkennungen und genügend Anpassungsqualifizierungen – das sind Maßnahmen, die wirklich sinnvoll wären.

Meine Damen und Herren, die Debatte über Sachleistungen mag der Bevölkerung ebenso wie die Debatte über Grenzkontrollen suggerieren, die Politik sei handlungsfähig. Sie wird jedoch rein gar nichts an der aktuellen Situation verändern – nach Deutschland kommen nicht weniger Flüchtlinge, solange es die für das Migrationsgeschehen wesentlich wichtigeren Push-Faktoren gibt: Das sind Krieg, Folter, Verfolgung, Hunger und Klimaveränderungen – sie vertreiben die Menschen aus ihrer Heimat. Solange das so ist, wird es Fluchtbewegungen geben, nach Europa und auch nach Deutschland.

Was wir hier in Brandenburg tun können, ist klar: für eine gute Unterbringung und Versorgung und vor allem für gute Integrationsbedingungen sorgen, die soziale Infrastruktur stärken und den Kommunen und der Zivilgesellschaft die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen. Eine völlig fruchtlose Debatte über Sachleistungen wird bei diesen Aufgaben ganz sicher nicht helfen, und deshalb lehnen wir den Antrag ab. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.“