Rede zum Antrag "Pandemiebedingte  Mehraufwendungen  der  Landkreise  für  die  Unterbringung  und Versorgung von Geflüchteten ersetzen"

Rede zum Antrag „Pandemiebedingte Mehraufwendungen der Landkreise für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten ersetzen“

Den Landkreisen und kreisfreien Städten sind durch die Pandmeie weit höhere Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen in Pandemiezeiten entstanden als durch das Landesaufnahmegesetz gedeckt sind. Mit unserem Antrag haben wir uns deshalb dafür eingesetzt, den Kommunen die Mehrkosten zu erstatten.

Am Anfang und am Ende der Debatte habe ich für meine Fraktion dazu gesprochen.

Zur ersten Rede als Video gehte es hier.

Zur Rede am Ende der Debatte hier.

Mein Redebeitrag ist hier – zitiert nach der vorläufigen stenografischen Niederschrift – dokumentiert:

„Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Als wir im Jahr 2015 und dann abschließend 2016 das neue Landesaufnahmegesetz diskutiert und beschlossen haben, taten wir dies unter dem Eindruck hoher Geflüchtetenzahlen. Vorausgegangen war eine unglaubliche Anstrengung vor allem der Kommunen, alle Geflüchteten unterzubringen und zu versorgen. In der Rückschau kann man getrost sagen: Ohne den Kraftakt, den die Kommunen in dieser Zeit vollbracht haben, wäre es nicht gelungen, noch vor dem Winter sicherzustellen, dass niemand in Zelten untergebracht werden musste.

Diese Zeit war geprägt von einer großen Solidarität. Alle – die Kommunen, das Land, die Tausenden Ehrenamtlichen – wollten diese Aufgabe bewältigen. Da hat niemand zuerst aufs Geld geschaut. Nicht nur einmal fiel seitens des Landes der Satz gegenüber den Kommunen: Macht erst mal, und das Finanzielle regeln wir dann später. – Die Kommunen haben gemacht und genau darauf vertraut.

Mit dem Landesaufnahmegesetz hatte der Landtag als Gesetzgeber das Ziel, diesem Vertrauen gerecht zu werden. Das ist in weiten Teilen auch gelungen, jedoch – das gehört zur Ehrlichkeit dazu – sind nicht alle Landkreise und kreisfreien Städte mit der Höhe der Erstattungen einverstanden. Das hatten die Kommunalen Spitzenverbände in der damaligen Anhörung deutlich gemacht, und genau deshalb gibt es die in § 20 Landesaufnahmegesetz festgelegte Überprüfung der Kostenerstattung, die bereits 2017 stattfinden sollte. Damals einigten sich das Land und die Kommunen darauf, diese zu verschieben.

Damit ist jedoch Vertrauen verloren gegangen, weil das „Macht erst mal, über das Finanzielle reden wir später“ eben nicht immer dazu führte, dass die Kommunen eine Erstattung ihrer tatsächlichen Aufwendungen bekommen haben. Bei den Kosten für die Unterbringung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete zum Beispiel – nicht im Landesaufnahmegesetz geregelt, sondern in SGB VIII – überzog das Land einen Teil der Kommunen mit horrenden Rückforderungen, teilweise in sechsstelliger Höhe.

Noch mehr Vertrauen ist verloren gegangen durch das Gezerre um die Integrationspauschale und die Migrationssozialarbeit II, was wir hier im Dezember letzten Jahres erleben mussten. Alle Kommunen und freien Träger wissen, dass Sie auch in diesem Jahr wieder versuchen werden, diese Instrumente zu kürzen oder gar abzuschaffen. Ja, meine Damen und Herren, so verliert man Vertrauen.

          (Zuruf)

– Der Satz lautete: „… versuchen werden, diese Instrumente zu kürzen oder gar abzuschaffen“, Herr Keller.

Dann kam die Pandemie, und die Kommunen haben wieder zu hören bekommen: Macht erst mal, über Geld reden wir später. – Und sie haben gemacht. Sie haben zusätzliche Hygienemaßnahmen ergriffen, persönliche Schutzausrüstungen beschafft; sie haben versucht, die Unterbringungsdichte durch Neuanmietung von Wohnungen oder durch die Reaktivierung von bereits geschlossenen Einrichtungen zu verringern. Einige haben Hotels und Pensionen angemietet, um Covid-Ausbrüchen entgegenzuwirken. Andere haben extra Quarantäneeinrichtungen geschaffen. Das alles hat natürlich Geld gekostet.

Und das Land? Das Land hat sich rausgehalten. Es wurde zwar ein Beratungsteam geschaffen, das die Kommunen bei der Bewältigung von Ausbrüchen unterstützen sollte, aber das war es dann auch. Der Rest beschränkte sich auf Bitten: die Bitte an die Landkreise und kreisfreien Städte, die Kapazitäten zu erhöhen, um die Enge in den Unterkünften zu verringern; die Bitte, die Vorgaben des RKI zur Unterbringung und Versorgung in Gemeinschaftsunterkünften einzuhalten; die Bitte, Hygienekonzepte zu überarbeiten und natürlich auch einzuhalten.

Das waren alles immer nur Bitten. Das klingt freundlich, könnte man sagen; aber es hat auch genau einen Grund: Bitten kosten das Land nichts. Hätte man stattdessen Weisungen erteilt, dass der Unterbringungsschlüssel verändert wird, dass persönliche Schutzausrüstungen für Personal und Bewohner zur Verfügung gestellt werden müssen, wie mit Quarantäne umzugehen ist usw., dann hätte das Land auch bezahlen müssen. Deshalb wurden Bitten geäußert, nicht etwa aus Freundlichkeit, sondern um die Kosten auf die Kommunen abzuwälzen – also aus Geiz.

Das hatte Auswirkungen. Allen Landkreisen und kreisfreien Städten sind dadurch Mehrkosten entstanden. Einige hatten Glück, weil sie über ausreichende Kapazitäten verfügten. Bei ihnen sind die Mehrkosten für Reinigung, Schutzausrüstungen, zusätzlichen Wachschutz usw. überschaubar. Vielleicht hatten sie sogar noch Geld übrig aus den Fördergeldern für Integration, die dann aber nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck ausgegeben werden konnten.

Andere hatten dieses Glück nicht, und sie sitzen jetzt zum Teil auf einem sechsstelligen Betrag. Machen wir es konkret: In Teltow-Fläming betrugen die pandemiebedingten Mehrausgaben für beispielsweise Wachschutz, Quarantäne usw. im Jahr 2020 ca. 30 000 Euro. Teltow-Fläming hatte noch Glück. Das Havelland hingegen hatte nicht so viel Glück. Dort wurden zusätzliche Wohnungen benötigt, und es musste eine bereits stillgelegte Gemeinschaftsunterkunft reaktiviert werden, um die erbetene Entzerrung bei der Unterbringung zu realisieren. Dort lagen die Kosten für das Jahr 2020 in Summe bei circa 1 Million Euro, und für 2021 geht man von 1,4 Millionen Euro aus.

Unser Antrag bezweckt, dass das Land diese Kosten, wenn schon nicht rückwirkend, so wenigstens künftig berücksichtigt. Wir schlagen vor, dies über die Durchführungs- und Erstattungsverordnung zu tun. Es wäre auch auf dem Wege von Erstattungen über Regelungen des Infektionsschutzgesetzes möglich; da sind wir offen. Klar ist: Es sind Kosten, die im Jahr 2016 noch gar nicht denkbar waren, und die deshalb weder im Landesaufnahmegesetz noch in den zugehörigen Verordnungen geregelt wurden.

Wir wollen nicht, dass auf dieses „Macht mal, über die Kosten reden wir später“ nichts folgt. Gerade jetzt, wo Sie die kommunale Familie einem unglaublichen Spardruck aussetzen, sollten wir als Landtag das Signal senden, dass wir uns der Verantwortung des Landes für diese pandemiebedingten Mehraufwendungen bewusst sind und das Land selbstverständlich für diese Kosten aufkommen wird. – Ich freue mich auf die Debatte.“

Am Ende der Debatte habe ich einen zweiten Redebeitrag gehalten. Dieser ist hier ebenfallsdokumentiert:

„Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Frau Kniestedt, mir war klar, dass Sie auf die Novellierung des Landesaufnahmegesetzes verweisen. Bis diese jedoch stattgefunden hat, ist die Pandemie vorbei. Im Sozialministerium kam man im Januar dieses Jahres auf einmal damit um die Ecke, dass die Novellierung erst 2022 abgeschlossen sein wird. Das hilft aber wenig, denn die Kosten entstehen jetzt. Wenn wir im Jahr 2022 das Landesaufnahmegesetz ändern, und in der Folge noch die Verordnungen geändert werden, wird eine rückwirkende Erstattung für die jetzt aufgelaufenen Kosten haushaltsrechtlich nicht möglich sein.

Die Novellierung des Gesamtgesetzes und die Überprüfung der Kostenpauschalen bedeuten schon einen Unterschied. Und wir wissen doch aus der Debatte, die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der vergangenen Wahlperiode angestoßen hat – das war die Debatte um die Gebührenerhebung für Geflüchtete mit eigenem Einkommen in Gemeinschaftsunterkünften; dazu haben wir Kalkulationen gesehen ‑, dass die Unterbringungspauschalen in einigen Kommunen eben nicht auskömmlich sind.

Auch deshalb wäre übrigens eine schnelle Überprüfung der Kostensätze dringend notwendig, schon aus Rücksicht auf den Landeshaushalt. In § 20 Landesaufnahmegesetz steht nämlich auch, dass die Kommunen einen Anspruch auf rückwirkende Erstattung haben, wenn die tatsächlichen Kosten höher sind als die Erstattungspauschalen. Das kann noch ein richtiger Brocken sein – fünf Jahre rückwirkend. Herzliche Grüße an Frau Lange!

Zum kommunalen Rettungsschirm: Ich habe damit gerechnet, dass dieses Argument kommt. Es war übrigens nie die Rede davon, dass diese Aufgabe – ich erwähnte es: eine Aufgabe zur Erfüllung nach Weisung – damit abgegolten ist. Ich habe vorhin die Zahlen zum Havelland genannt: 1,1 Millionen Euro im Jahr 2020 und 1,4 Millionen Euro im Jahr 2021 werden als pandemiebedingte Mehraufwendungen erwartet. Aus dem Mehrbelastungsausgleich des kommunalen Rettungsschirms hat das Havelland 2,8 Millionen bekommen. Da geht der Großteil des Mehrbelastungsausgleichs nur für diese eine Aufgabe drauf.

Meine Damen und Herren, wir wissen doch, was Sie tun. Wenn der kommunale Rettungsschirm ausläuft, greifen Sie kräftig in die Taschen der Kommunen, indem sich das Land 60 Millionen Euro im Jahr 2022 und 95 Millionen Euro in den Folgejahren aus der kommunalen Verbundmasse abzweigt. Die Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände erpressen Sie einen Tag, bevor bekannt wird, dass die Steuerschätzung ergibt, dass das Land 268 Millionen Euro mehr hat, als in der November-Steuerschätzung zu erwarten war. Also erzählen Sie uns hier doch nicht, dass die Landkreise und kreisfreien Städte das mal so einfach stemmen könnten! Klar haben sie das erledigt, weil sie einfach gemacht haben und nicht zuerst aufs Geld geschaut haben. Aber das Geld fehlt dann eben woanders. Noch eine Sache: Sie wollen mit dem Nachtragshaushalt 500 Millionen Euro aufnehmen – und da haben Sie nicht die schätzungsweise 5 Millionen Euro zur Verfügung, um die pandemiebedingten Mehrausgaben bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten zu zahlen? Ich verstehe schon, dass Sie noch ein bisschen Geld für Wahlgeschenke brauchen. Das tun Sie aber auf Kosten der Kommunen. Auch das gehört zur Wahrheit dazu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche schöne Pfingsten und einen schönen Abend.“