Tag 2 in Genf: Treffen mit Women for Democracy und Kundgebung zum 5. Jahrestag der syrischen Revolution

Tag 2 in Genf: Treffen mit Women for Democracy und Kundgebung zum 5. Jahrestag der syrischen Revolution

Aktuell findet in Genf die zweite Runde der Friedensverhandlungen zu Syrien statt. Diese Friedensgespräche sind eine große Chance, einen Friedensprozess in Syrien einzuleiten und damit erste Schritte auf dem Weg zu gehen, den fürchterlichen Bürgerkrieg zu beenden. Ich bin für drei Tage nach Genf gereist, um vor Ort einen Eindruck vom Stand der Friedensgespräche zu bekommen und gleichzeitig mit NGOs und Refugee-Organisationen ins Gespräch zu kommen. Am heutigen Tag gibt es zwei Berichte. Dieser hier befasst sich thematisch mit den Friedensgesprächen und der Situation in Syrien, der andere mit der Flüchtlingspolitik der Schweiz und einer Demonstration zum Bleiberecht.

Bereits gestern hatte ich ein Treffen mit einem Vertreter des Kurdischen Nationalrats. Dazu hatte ich berichtet. Die Informationen dort will ich heute nicht wiederholen, wenn ich vom Treffen mit Siamend Hajo, einem weiteren Vertreter des Kurdischen Nationalrats, zuständig für Auslandskontakte, berichte. Dieses Treffen fand heute Morgen statt.

Mit Siamend habe ich zuerst über die aktuell stattfindenden Friedensgespräche gesprochen. Nach seiner Einschätzung laufen die Gespräche besser als erwartet, allerdings ist ein Scheitern jederzeit möglich. Dies liegt aus seiner Sicht vor allem daran, dass es auf beiden Seiten – also bei der Regierung wie bei der Opposition – Kräfte gibt, die kein Interesse an erfolgreichen Gesprächen haben. Bei der Regierung liege es auf der Hand: Assad möchte an der Macht bleiben oder zumindest an einer möglichen Übergangsregierung beteiligt sein, die Opposition lehnt dies strikt ab. Die Opposition selbst bestehe aus Akteuren mit völlig unterschiedlichen Interessen – von radikalislamischen über ethnischen bis hin zu liberalen Gruppen.

Ein wenig zur Geschichte der syrischen Opposition: Diese war zu Beginn der Revolution faktisch nicht existent, zumindest nicht in organisierter Form. Im Herbst 2011 wurde der syrische Nationalrat in Istanbul gegründet. Dieser bestand aus diversen Gruppierungen – bspw. Kurden, Assyrern aber auch Muslimbrüdern, liberalen Gruppen und auch Einzelpersonen. Je länger die Revolution ging, umso mehr Gruppen gründeten sich, die nicht im Nationalrat vertreten waren, andere lösten sich auf und schieden aus dem Nationalrat aus. Mit der Zeit wurden die Stimmen lauter, eine neue Organisationsform zu gründen. Daraufhin gründete sich die Etilaf (National Coalition of Syrian Revolution an Opposition Forces oder auch Nationale Koalition für die syrischen revolutionären und oppositionellen Kräfte). Diese bestand aus ca. 117 Gruppen, Parteien und Einzelpersonen.

Das hohe Verhandlungskommitee bei den Friedensgesprächen (siehe Bericht gestern) setzt sich unter anderem aus der Etilaf plus weiteren liberalen und islamistischen Gruppen zusammen. Andere Konfliktparteien, bspw. der IS und die PYD sind zu den Gesprächen nicht eingeladen worden.

Ich habe Siamend gefragt,wie er die aktuelle Stimmung in der syrischen Bevölkerung einschätzt. Sein Eindruck ist, dass in den vergangenen Jahren seit der syrischen Revolution eine starke Radikalisierung und Islamisierung der Bevölkerung stattgefunden hat und mittlerweile eine höhere religiöse Bindung besteht als vor 5 Jahren. Deshalb hat er auch Befürchtungen bezüglich eines Wahlergebnisses, wenn es denn zeitnah zu demokratischen Wahlen kommen würde. In dem Zusammenhang wirft er der internationalen Gemeinschaft vor, die liberalen und nicht-religiösen Gruppen in Syrien zu wenig unterstützt zu haben, so dass sie nicht der Lage waren, eine breite Basis aufzubauen.

Im Gespräch konnte ich die ganze Zeit spüren, dass er einerseits den großen Wunsch nach einem demokratisch verfassten Syrien ohne Krieg und Leid hat, andererseits aber fürchtet, dass der Weg auch in eine neue Diktatur führen kann. Deshalb wünscht er sich auch von der internationalen Gemeinschaft, dass sie neben humanitärer Hilfe und der Beendigung des Kriegs eine dauerhafte Demokratisierung im Blick hat und diese aktiv unterstützt. Wörtlich sagte er am Ende: „Demokratie ist keine Sache von einem Jahr, Demokratie muss gelernt werden und Demokratisierung muss überwacht und ggf. auch erzwungen werden.“

Nach einigen anderen Termine am heutigen Tag nahmen wir am späten Nachmittag an der Kundgebung anlässlich des 5. Jahrestags der syrischen Revolution auf dem Platz der Nationen in Genf teil. Eigentlich ist am 15. März der Geburtstag der Revolution, jedoch startete die Revolution in verschiedenen Städten erst im Laufe der Woche, so dass eine ganze Woche lang die Revolution gefeiert wird. Hier ein paar Eindrücke von der Kundgebung:

Die Initiatoren der Kundgebung haben ihre Botschaft im Anschluss an die Veranstaltung der UN übergeben. Die gemeinsame Botschaft der Teilnehmer soll sein: Die Demonstranten wollen ein Syrien ohne Assad, sie wollen Freiheit, Würde und Demokratie. Sie fordern die internationale Gemeinschaft auf, starke politische Mittel zu ergreifen, um den Krieg in Syrien und Assad zu stoppen. Sie bitten die internationale Gemeinschaft darum, Assad am internationalen Gerichtshof für Menschenrechte anzuklagen und ihn zu bestrafen. Ihre Botschaft ist auch: Syrer wollen kein geteiltes Land, sie wollen in einem demokratischen Land auf dem gesamten syrischen Territorium gemeinsam leben. Und: Sie wollen keinen Terrorismus.

Am Rande der Kundgebung haben wir uns mit Wajd Zimmerman-Sibai getroffen. (Der Name Zimmermann täuscht, sie ist Syrerin!)

genf-zimmermann

Sie ist Aktivistin bei der Organisation Women for Democracy. Diese Organisation wurde 2012 mit dem Ziel gegründet, die Revolution und die Bestrebungen für ein demokratisches Syrien zu unterstützen. Sie kämpft für die Rechte der Frauen, wobei sie dies nicht als separaten Kampf sondern als Einsatz für alle Menschenrechte verstanden wissen will. Women for Democracy pflegt Kontakte zu Medien und Politikern und organisiert außerhalb Syriens Veranstaltungen, um auf die Situation vor Ort aufmerksam zu machen. Sie kooperieren dabei mit Amnesty International und lokalen Gruppen und arbeiten in einem syrischen Frauennetzwerk mit, das weltweit tätig ist. Dieses Netzwerk hat sich im Mai 2013 in Ägypten gegründet und kommuniziert wegen der weiten Verzweigung vor allem über Skype.

Women for Democracy unterstützen Frauengruppen in Syrien finanziell. Teilweise verkaufen sie auch in Syrien von Frauen gefertigte Näharbeiten und senden den Frauen dann das dafür eingenommene Geld. Sie sammeln Spielzeug für Flüchtlingscamps im Libanon und bringen die Spenden auch direkt dorthin. Und sie organisieren Kurse in gewaltfreier Kommunikation vor allem über Skype für Frauen (und manchmal auch Männer) in Syrien und auch außerhalb.

Das war ein absolut beeindruckendes Treffen. Ich bin total begeistert über das Engagement unter sehr schwierigen Bedingungen und den Enthusiasmus dieser Frauen!